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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Zwei Seelen

anbringen werde. Martha errötete, als sie mit diesem Vorschlage hervorkam. Ich
schüttelte den Kopf, aber als wir um weiter gingen in den lichten Abend hinein, hielt
ich es schließlich doch nicht mehr für unmöglich, daß mein Leben, worin es so lange
stürmisch auf und nieder gegangen war, in einer friedlichen Hütte, unter guten
Menschen und im Schein dieser guten treuen Angen enden werde. Wir sprachen
nun, nachdem wir uur einmal vorsichtig an die Zukunft gerührt hatten, wieder
von der Gegenwart und dem schmalen Stückchen Vergangenheit, auf dem unsre Füße
gemeinsam gewandelt waren, und das war auch das beste. Unser Glück war von
der Art, daß man Fuß vor Fuß setzen muß, weil ringsum Abgründe drohen.
Aber über dem engen Felsensteig schwebt freundlich das Licht, und solange man
dort steht, ist man glücklich und denkt nicht an das, was kommen kann.

Als aber am andern Morgen mein Blut kühler geworden war, überfiel mich
Plötzlich wieder meine alte Not. Ich hatte und Martha verabredet, sie am nächsten
Sonntag in den Wald, den wir nur immer im fernen Mondlicht gesehen hatten,
zu führen, aber ich beschloß nun, nicht Wort zu halten. Ich durfte keinen Schritt
mehr auf diesem Wege, ans den mich meine Leidenschaft gelockt hatte, weitergehn.
So lange meine Zukunft so unklar vor mir lag, durfte ich mich nicht in den Schein
der klaren Angen, die in rückhaltlosen Vertraue" vor mir aufgeschlagen lagen, hinein¬
begeben. So schrieb ich ihr denn einige Zeilen und sagte ihr, daß ich an diesem
Abend eine Abhaltung hätte, die Verabredung uns den Sonntag ließ ich vorläufig
noch besteh". Hierauf ordnete ich in aller Eile meine Angelegenheiten und machte
mich dann wieder einmal daran, mein Bündel zu schnüren. Hierbei geriet mir
Mcirthchens Kindergeschenk, das noch immer in dem Papiere lag, in das ich es
bei meiner Flucht aus dem Vaterhaus gehüllt hatte, wieder unter die Hände, und
ich betrachtete es mit Bitterkeit über mein schlimmes Schicksal, das mir die schönsten
-und lieblichsten Dinge zeigte und die goldensten Hoffnungen in mir entzündete
und dann mich zwingen wollte, die Augen davon abzuwenden. Darauf wickelte
ich die Stücke wieder ein, legte sie aber nicht in das Bündel zurück, sondern
steckte sie zu mir, weil ich sie Marthchen nunmehr zurücksenden wollte. Als dies
geordnet war, erging ich mich noch einmal in den Straßen und drang dabei un¬
versehens soweit in die Vorstadt vor, daß ich das Häuschen, worin mein Glück
wohnte, im fernen Sonnenschein liegen sah. Ein Schleier legte sich vor meine
Augen, aber auch durch den Schleier sah ich noch das Haus im Sonnenschein und
all das zärtliche Glück, dem ich zu entsagen genötigt war, das ganze goldne Para¬
dies einer reinen Liebe, aus dem ich mich selber verbannen mußte, weil die
Schuldigen das Heimatsrecht im Paradiese verloren haben und deshalb besser selbst
ihren Weg in die dunkle Ferne suchen, ehe man sie hinausstößt.


19

Auf dem Rückwege, auf dem mir allmählich ruhiger zumute wurde, da ich
das Bewußtsein hatte, einen verständigen und notwendigen Entschluß gefaßt zu
haben, begegnete ich Heinemann. Ich wollte ihm ausweichen, er lief mir jedoch
nach und brachte mir eine Nachricht, die, so bedeutungslos sie im Grunde war,
mich plötzlich in eine andre Welt versetzte. Ostroth war vor einigen Tagen, als
er noch mehr als sonst getrunken hatte, die Treppe hinuntergestürzt und hatte sich
den Hals gebrochen. Die verwaiste Sippe stand nun ohne Haupt in der gefahr¬
vollen Welt und gramselte durcheinander wie ein Haufen aufgestörter Ameisen. So
war also einer von denen, die um meine Schuld wußte", für immer verschwunden,
und die andern waren im Begriff, auseinander zu laufe", anderswo Anschluß zu
suchen und sich anderwärts zu verlieren. Plötzlich lebte die schon begrabne Hoffnung
wieder auf, und das sonnige Häuschen lag wieder verheißungsvoll in all seinen?
goldne" Schimmer vor meinen Augen. Ich machte mir im Augenblick nicht klar,
daß, solange nur der eine von ihnen ein stiller Mann geworden war, eben noch
nicht viel geholfen war, oder es ging vielleicht, mir selber verborgen, der Gedanke
durch mein Inneres, daß dieselbe Hand, die dem einen den Hals gebrochen hatte,


Zwei Seelen

anbringen werde. Martha errötete, als sie mit diesem Vorschlage hervorkam. Ich
schüttelte den Kopf, aber als wir um weiter gingen in den lichten Abend hinein, hielt
ich es schließlich doch nicht mehr für unmöglich, daß mein Leben, worin es so lange
stürmisch auf und nieder gegangen war, in einer friedlichen Hütte, unter guten
Menschen und im Schein dieser guten treuen Angen enden werde. Wir sprachen
nun, nachdem wir uur einmal vorsichtig an die Zukunft gerührt hatten, wieder
von der Gegenwart und dem schmalen Stückchen Vergangenheit, auf dem unsre Füße
gemeinsam gewandelt waren, und das war auch das beste. Unser Glück war von
der Art, daß man Fuß vor Fuß setzen muß, weil ringsum Abgründe drohen.
Aber über dem engen Felsensteig schwebt freundlich das Licht, und solange man
dort steht, ist man glücklich und denkt nicht an das, was kommen kann.

Als aber am andern Morgen mein Blut kühler geworden war, überfiel mich
Plötzlich wieder meine alte Not. Ich hatte und Martha verabredet, sie am nächsten
Sonntag in den Wald, den wir nur immer im fernen Mondlicht gesehen hatten,
zu führen, aber ich beschloß nun, nicht Wort zu halten. Ich durfte keinen Schritt
mehr auf diesem Wege, ans den mich meine Leidenschaft gelockt hatte, weitergehn.
So lange meine Zukunft so unklar vor mir lag, durfte ich mich nicht in den Schein
der klaren Angen, die in rückhaltlosen Vertraue» vor mir aufgeschlagen lagen, hinein¬
begeben. So schrieb ich ihr denn einige Zeilen und sagte ihr, daß ich an diesem
Abend eine Abhaltung hätte, die Verabredung uns den Sonntag ließ ich vorläufig
noch besteh«. Hierauf ordnete ich in aller Eile meine Angelegenheiten und machte
mich dann wieder einmal daran, mein Bündel zu schnüren. Hierbei geriet mir
Mcirthchens Kindergeschenk, das noch immer in dem Papiere lag, in das ich es
bei meiner Flucht aus dem Vaterhaus gehüllt hatte, wieder unter die Hände, und
ich betrachtete es mit Bitterkeit über mein schlimmes Schicksal, das mir die schönsten
-und lieblichsten Dinge zeigte und die goldensten Hoffnungen in mir entzündete
und dann mich zwingen wollte, die Augen davon abzuwenden. Darauf wickelte
ich die Stücke wieder ein, legte sie aber nicht in das Bündel zurück, sondern
steckte sie zu mir, weil ich sie Marthchen nunmehr zurücksenden wollte. Als dies
geordnet war, erging ich mich noch einmal in den Straßen und drang dabei un¬
versehens soweit in die Vorstadt vor, daß ich das Häuschen, worin mein Glück
wohnte, im fernen Sonnenschein liegen sah. Ein Schleier legte sich vor meine
Augen, aber auch durch den Schleier sah ich noch das Haus im Sonnenschein und
all das zärtliche Glück, dem ich zu entsagen genötigt war, das ganze goldne Para¬
dies einer reinen Liebe, aus dem ich mich selber verbannen mußte, weil die
Schuldigen das Heimatsrecht im Paradiese verloren haben und deshalb besser selbst
ihren Weg in die dunkle Ferne suchen, ehe man sie hinausstößt.


19

Auf dem Rückwege, auf dem mir allmählich ruhiger zumute wurde, da ich
das Bewußtsein hatte, einen verständigen und notwendigen Entschluß gefaßt zu
haben, begegnete ich Heinemann. Ich wollte ihm ausweichen, er lief mir jedoch
nach und brachte mir eine Nachricht, die, so bedeutungslos sie im Grunde war,
mich plötzlich in eine andre Welt versetzte. Ostroth war vor einigen Tagen, als
er noch mehr als sonst getrunken hatte, die Treppe hinuntergestürzt und hatte sich
den Hals gebrochen. Die verwaiste Sippe stand nun ohne Haupt in der gefahr¬
vollen Welt und gramselte durcheinander wie ein Haufen aufgestörter Ameisen. So
war also einer von denen, die um meine Schuld wußte«, für immer verschwunden,
und die andern waren im Begriff, auseinander zu laufe», anderswo Anschluß zu
suchen und sich anderwärts zu verlieren. Plötzlich lebte die schon begrabne Hoffnung
wieder auf, und das sonnige Häuschen lag wieder verheißungsvoll in all seinen?
goldne« Schimmer vor meinen Augen. Ich machte mir im Augenblick nicht klar,
daß, solange nur der eine von ihnen ein stiller Mann geworden war, eben noch
nicht viel geholfen war, oder es ging vielleicht, mir selber verborgen, der Gedanke
durch mein Inneres, daß dieselbe Hand, die dem einen den Hals gebrochen hatte,


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[0530] Zwei Seelen anbringen werde. Martha errötete, als sie mit diesem Vorschlage hervorkam. Ich schüttelte den Kopf, aber als wir um weiter gingen in den lichten Abend hinein, hielt ich es schließlich doch nicht mehr für unmöglich, daß mein Leben, worin es so lange stürmisch auf und nieder gegangen war, in einer friedlichen Hütte, unter guten Menschen und im Schein dieser guten treuen Angen enden werde. Wir sprachen nun, nachdem wir uur einmal vorsichtig an die Zukunft gerührt hatten, wieder von der Gegenwart und dem schmalen Stückchen Vergangenheit, auf dem unsre Füße gemeinsam gewandelt waren, und das war auch das beste. Unser Glück war von der Art, daß man Fuß vor Fuß setzen muß, weil ringsum Abgründe drohen. Aber über dem engen Felsensteig schwebt freundlich das Licht, und solange man dort steht, ist man glücklich und denkt nicht an das, was kommen kann. Als aber am andern Morgen mein Blut kühler geworden war, überfiel mich Plötzlich wieder meine alte Not. Ich hatte und Martha verabredet, sie am nächsten Sonntag in den Wald, den wir nur immer im fernen Mondlicht gesehen hatten, zu führen, aber ich beschloß nun, nicht Wort zu halten. Ich durfte keinen Schritt mehr auf diesem Wege, ans den mich meine Leidenschaft gelockt hatte, weitergehn. So lange meine Zukunft so unklar vor mir lag, durfte ich mich nicht in den Schein der klaren Angen, die in rückhaltlosen Vertraue» vor mir aufgeschlagen lagen, hinein¬ begeben. So schrieb ich ihr denn einige Zeilen und sagte ihr, daß ich an diesem Abend eine Abhaltung hätte, die Verabredung uns den Sonntag ließ ich vorläufig noch besteh«. Hierauf ordnete ich in aller Eile meine Angelegenheiten und machte mich dann wieder einmal daran, mein Bündel zu schnüren. Hierbei geriet mir Mcirthchens Kindergeschenk, das noch immer in dem Papiere lag, in das ich es bei meiner Flucht aus dem Vaterhaus gehüllt hatte, wieder unter die Hände, und ich betrachtete es mit Bitterkeit über mein schlimmes Schicksal, das mir die schönsten -und lieblichsten Dinge zeigte und die goldensten Hoffnungen in mir entzündete und dann mich zwingen wollte, die Augen davon abzuwenden. Darauf wickelte ich die Stücke wieder ein, legte sie aber nicht in das Bündel zurück, sondern steckte sie zu mir, weil ich sie Marthchen nunmehr zurücksenden wollte. Als dies geordnet war, erging ich mich noch einmal in den Straßen und drang dabei un¬ versehens soweit in die Vorstadt vor, daß ich das Häuschen, worin mein Glück wohnte, im fernen Sonnenschein liegen sah. Ein Schleier legte sich vor meine Augen, aber auch durch den Schleier sah ich noch das Haus im Sonnenschein und all das zärtliche Glück, dem ich zu entsagen genötigt war, das ganze goldne Para¬ dies einer reinen Liebe, aus dem ich mich selber verbannen mußte, weil die Schuldigen das Heimatsrecht im Paradiese verloren haben und deshalb besser selbst ihren Weg in die dunkle Ferne suchen, ehe man sie hinausstößt. 19 Auf dem Rückwege, auf dem mir allmählich ruhiger zumute wurde, da ich das Bewußtsein hatte, einen verständigen und notwendigen Entschluß gefaßt zu haben, begegnete ich Heinemann. Ich wollte ihm ausweichen, er lief mir jedoch nach und brachte mir eine Nachricht, die, so bedeutungslos sie im Grunde war, mich plötzlich in eine andre Welt versetzte. Ostroth war vor einigen Tagen, als er noch mehr als sonst getrunken hatte, die Treppe hinuntergestürzt und hatte sich den Hals gebrochen. Die verwaiste Sippe stand nun ohne Haupt in der gefahr¬ vollen Welt und gramselte durcheinander wie ein Haufen aufgestörter Ameisen. So war also einer von denen, die um meine Schuld wußte«, für immer verschwunden, und die andern waren im Begriff, auseinander zu laufe», anderswo Anschluß zu suchen und sich anderwärts zu verlieren. Plötzlich lebte die schon begrabne Hoffnung wieder auf, und das sonnige Häuschen lag wieder verheißungsvoll in all seinen? goldne« Schimmer vor meinen Augen. Ich machte mir im Augenblick nicht klar, daß, solange nur der eine von ihnen ein stiller Mann geworden war, eben noch nicht viel geholfen war, oder es ging vielleicht, mir selber verborgen, der Gedanke durch mein Inneres, daß dieselbe Hand, die dem einen den Hals gebrochen hatte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/530>, abgerufen am 26.06.2024.