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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Zwei Seelen

ihnen spielte nach seinem eignen Kopfe, Da nun der eine in seiner Berauschthell
übermütig, der andre traurig war, und der dritte überhaupt nichts mehr dachte,
so ergab das Zusanlmenklingen ihrer Instrumente ein furchtbares Durcheinander,
woran jedoch niemand Anstoß nahm, vielmehr tanzte eine Kellnerin vergnügt mit
einem Gaste, und das übrige Volk lallte dazu und stampfte den Takt mit den
Füßen, Wir fanden noch ein Tischchen in einem Winkel, von wo aus wir uns
das Getümmel ansahen, Heinemann war wieder begeistert. Das betrachte dir nur
recht genau, mein Bester, sagte er. Das ist erhaben. So lebt das, ausgelassen und
jauchzend, trotz Hunger und Kummer. Sie sind vom Leben ausgemustert und in
einen Straßengraben geschleudert worden, nun richten sie sich auch dort ein. Warum
sollte" sie auch nicht? Sollen sie Grillen fangen? Sollen sie die Köpfe hangen
lassen? Hilft das? Es hat keinen Zweck; also jubeln und tanzen sie. Dem Langen
dort, der mit dem Mädchen herumhüpft, ist das auch nicht an der Wiege gesungen
worden, denn er ist einmal ein großer Herr gewesen und hat in einem Schlosse
gewohnt. Er hat Champagner getrunken und ist alle Tage vergnügt gewesen, jetzt
trinkt er Schnaps und ist ebenso vergnügt. Ja, wenn man nachdenken wollte
Aber das soll man nicht, es führt zu keinem Guten, Wenn ich dir meine Lebens¬
geschichte erzählen würde -- aber Unsinn. Er schwieg und goß sein Glas auf
einmal hinunter. Er geriet nun in eine trübe Stimmung, denn er war, wenn er
getrunken hatte, darauf erpicht, sich als eine im tiefsten Grunde ernste Natur dar¬
zustellen. In dieser stickigen Luft, unter dem Lärm der johlenden Männer und
Weiber und beim Anblick der bunten Papierfetzen, mit denen der Wirt seine Hölle
herausgeputzt hatte, wurde mir elend zumute, und ich erklärte Heinemnnn rund
heraus, ich wäre dieses Treibens müde und würde es nicht weiter mitmachen. Um
von ihm leichter loszukommen, log ich ihm vor, ich sähe schon auf den Boden
meiner Ersparnisse und würde vermutlich seiue Kasse bald in Auspruch nehmen.
Ich glaubte, seiue Freundschaft würde nun rasch erkalten, irrte mich jedoch, denn
er reichte mir freundlich die Hand und sagte: Selbstverständlich, lieber Freund,
Heute du, morgen ich. In Freud und Leid, oder wie die dumme Redensart
lautet. Wenn ich etwas habe, verfüge ganz nach Belieben.

Wir gingen einsilbig und ziemlich verstimmt auseinander. Am andern Morgen
beschloß ich, mich verschiednen Meistern vorzustellen. Schon daß ich soweit gekommen
war, machte mich so wohlgemut, daß ich mich sogleich niedersetzte und meinen Eltern
eine Nachricht zukommen ließ, sie meines guten Willens, nunmehr das Glück am
rechten Zipfel anzufassen, versicherte und um ErWirkung eines Zeugnisses vom Meister
Liebezeit ersuchte. Da es nicht in dessen Wesen lag, einem etwas nachzutragen, so
erwartete ich von ihm ein gnädiges Urteil. Nachdem dieser Brief geschrieben war,
legte ich mich mit dem angenehmen Gefühl, etwas geleistet zu haben, aufs Ohr
und verschlief den halben Tag, und als ich dann gegen Abend erwachte und mich
auf mein Vorhaben besann, erfüllte mich von neuem das Behagen eines recht¬
schaffnen Gewissens, sodaß ich glaubte, mir noch einmal ein rechtes Gütchen tun
zu dürfen. Denn wenn ich auch eiuen Widerwille" gegen das wilde und unordent¬
liche Wesen hatte, so hatte ich doch um dem Bnmmeln selber Geschmack gewonnen,
und die Lust um Arbeiten war mir dabei abhanden gekommen. Als ich gerade
init mir zu Rate ging, ob ich mich wieder einmal in den Konzertgarten begeben
und mir dort eine köstliche Mahlzeit vorsetzen lassen sollte, oder ob es vorzuziehen
sei, im Kaffeehaus zu sitzen und das herrliche Getränk, dessen Bekanntschaft ich
Heinemann verdankte, in süßer Beschaulichkeit einzuschlürfen, trat er selber bei mir
ein, strahlend vor Vergnügen, und rief, indem er sich kräftig ans die Brusttasche
schlug: Da haben wirs! Wir waren gestern verdrießlich, es war auch jämmerlich.
Mir wars elend ums Herz, ich gesteh dirs. Ein beklagenswerter Zustand, wenn
man einen auf den Kopf stellen kann, und es fällt nichts aus den Taschen, Du
bist zu einer Übeln Zeit erschienen, aber nun nimm, so sind die Ausgaben redlich
geteilt.


Zwei Seelen

ihnen spielte nach seinem eignen Kopfe, Da nun der eine in seiner Berauschthell
übermütig, der andre traurig war, und der dritte überhaupt nichts mehr dachte,
so ergab das Zusanlmenklingen ihrer Instrumente ein furchtbares Durcheinander,
woran jedoch niemand Anstoß nahm, vielmehr tanzte eine Kellnerin vergnügt mit
einem Gaste, und das übrige Volk lallte dazu und stampfte den Takt mit den
Füßen, Wir fanden noch ein Tischchen in einem Winkel, von wo aus wir uns
das Getümmel ansahen, Heinemann war wieder begeistert. Das betrachte dir nur
recht genau, mein Bester, sagte er. Das ist erhaben. So lebt das, ausgelassen und
jauchzend, trotz Hunger und Kummer. Sie sind vom Leben ausgemustert und in
einen Straßengraben geschleudert worden, nun richten sie sich auch dort ein. Warum
sollte» sie auch nicht? Sollen sie Grillen fangen? Sollen sie die Köpfe hangen
lassen? Hilft das? Es hat keinen Zweck; also jubeln und tanzen sie. Dem Langen
dort, der mit dem Mädchen herumhüpft, ist das auch nicht an der Wiege gesungen
worden, denn er ist einmal ein großer Herr gewesen und hat in einem Schlosse
gewohnt. Er hat Champagner getrunken und ist alle Tage vergnügt gewesen, jetzt
trinkt er Schnaps und ist ebenso vergnügt. Ja, wenn man nachdenken wollte
Aber das soll man nicht, es führt zu keinem Guten, Wenn ich dir meine Lebens¬
geschichte erzählen würde — aber Unsinn. Er schwieg und goß sein Glas auf
einmal hinunter. Er geriet nun in eine trübe Stimmung, denn er war, wenn er
getrunken hatte, darauf erpicht, sich als eine im tiefsten Grunde ernste Natur dar¬
zustellen. In dieser stickigen Luft, unter dem Lärm der johlenden Männer und
Weiber und beim Anblick der bunten Papierfetzen, mit denen der Wirt seine Hölle
herausgeputzt hatte, wurde mir elend zumute, und ich erklärte Heinemnnn rund
heraus, ich wäre dieses Treibens müde und würde es nicht weiter mitmachen. Um
von ihm leichter loszukommen, log ich ihm vor, ich sähe schon auf den Boden
meiner Ersparnisse und würde vermutlich seiue Kasse bald in Auspruch nehmen.
Ich glaubte, seiue Freundschaft würde nun rasch erkalten, irrte mich jedoch, denn
er reichte mir freundlich die Hand und sagte: Selbstverständlich, lieber Freund,
Heute du, morgen ich. In Freud und Leid, oder wie die dumme Redensart
lautet. Wenn ich etwas habe, verfüge ganz nach Belieben.

Wir gingen einsilbig und ziemlich verstimmt auseinander. Am andern Morgen
beschloß ich, mich verschiednen Meistern vorzustellen. Schon daß ich soweit gekommen
war, machte mich so wohlgemut, daß ich mich sogleich niedersetzte und meinen Eltern
eine Nachricht zukommen ließ, sie meines guten Willens, nunmehr das Glück am
rechten Zipfel anzufassen, versicherte und um ErWirkung eines Zeugnisses vom Meister
Liebezeit ersuchte. Da es nicht in dessen Wesen lag, einem etwas nachzutragen, so
erwartete ich von ihm ein gnädiges Urteil. Nachdem dieser Brief geschrieben war,
legte ich mich mit dem angenehmen Gefühl, etwas geleistet zu haben, aufs Ohr
und verschlief den halben Tag, und als ich dann gegen Abend erwachte und mich
auf mein Vorhaben besann, erfüllte mich von neuem das Behagen eines recht¬
schaffnen Gewissens, sodaß ich glaubte, mir noch einmal ein rechtes Gütchen tun
zu dürfen. Denn wenn ich auch eiuen Widerwille» gegen das wilde und unordent¬
liche Wesen hatte, so hatte ich doch um dem Bnmmeln selber Geschmack gewonnen,
und die Lust um Arbeiten war mir dabei abhanden gekommen. Als ich gerade
init mir zu Rate ging, ob ich mich wieder einmal in den Konzertgarten begeben
und mir dort eine köstliche Mahlzeit vorsetzen lassen sollte, oder ob es vorzuziehen
sei, im Kaffeehaus zu sitzen und das herrliche Getränk, dessen Bekanntschaft ich
Heinemann verdankte, in süßer Beschaulichkeit einzuschlürfen, trat er selber bei mir
ein, strahlend vor Vergnügen, und rief, indem er sich kräftig ans die Brusttasche
schlug: Da haben wirs! Wir waren gestern verdrießlich, es war auch jämmerlich.
Mir wars elend ums Herz, ich gesteh dirs. Ein beklagenswerter Zustand, wenn
man einen auf den Kopf stellen kann, und es fällt nichts aus den Taschen, Du
bist zu einer Übeln Zeit erschienen, aber nun nimm, so sind die Ausgaben redlich
geteilt.


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[0456] Zwei Seelen ihnen spielte nach seinem eignen Kopfe, Da nun der eine in seiner Berauschthell übermütig, der andre traurig war, und der dritte überhaupt nichts mehr dachte, so ergab das Zusanlmenklingen ihrer Instrumente ein furchtbares Durcheinander, woran jedoch niemand Anstoß nahm, vielmehr tanzte eine Kellnerin vergnügt mit einem Gaste, und das übrige Volk lallte dazu und stampfte den Takt mit den Füßen, Wir fanden noch ein Tischchen in einem Winkel, von wo aus wir uns das Getümmel ansahen, Heinemann war wieder begeistert. Das betrachte dir nur recht genau, mein Bester, sagte er. Das ist erhaben. So lebt das, ausgelassen und jauchzend, trotz Hunger und Kummer. Sie sind vom Leben ausgemustert und in einen Straßengraben geschleudert worden, nun richten sie sich auch dort ein. Warum sollte» sie auch nicht? Sollen sie Grillen fangen? Sollen sie die Köpfe hangen lassen? Hilft das? Es hat keinen Zweck; also jubeln und tanzen sie. Dem Langen dort, der mit dem Mädchen herumhüpft, ist das auch nicht an der Wiege gesungen worden, denn er ist einmal ein großer Herr gewesen und hat in einem Schlosse gewohnt. Er hat Champagner getrunken und ist alle Tage vergnügt gewesen, jetzt trinkt er Schnaps und ist ebenso vergnügt. Ja, wenn man nachdenken wollte Aber das soll man nicht, es führt zu keinem Guten, Wenn ich dir meine Lebens¬ geschichte erzählen würde — aber Unsinn. Er schwieg und goß sein Glas auf einmal hinunter. Er geriet nun in eine trübe Stimmung, denn er war, wenn er getrunken hatte, darauf erpicht, sich als eine im tiefsten Grunde ernste Natur dar¬ zustellen. In dieser stickigen Luft, unter dem Lärm der johlenden Männer und Weiber und beim Anblick der bunten Papierfetzen, mit denen der Wirt seine Hölle herausgeputzt hatte, wurde mir elend zumute, und ich erklärte Heinemnnn rund heraus, ich wäre dieses Treibens müde und würde es nicht weiter mitmachen. Um von ihm leichter loszukommen, log ich ihm vor, ich sähe schon auf den Boden meiner Ersparnisse und würde vermutlich seiue Kasse bald in Auspruch nehmen. Ich glaubte, seiue Freundschaft würde nun rasch erkalten, irrte mich jedoch, denn er reichte mir freundlich die Hand und sagte: Selbstverständlich, lieber Freund, Heute du, morgen ich. In Freud und Leid, oder wie die dumme Redensart lautet. Wenn ich etwas habe, verfüge ganz nach Belieben. Wir gingen einsilbig und ziemlich verstimmt auseinander. Am andern Morgen beschloß ich, mich verschiednen Meistern vorzustellen. Schon daß ich soweit gekommen war, machte mich so wohlgemut, daß ich mich sogleich niedersetzte und meinen Eltern eine Nachricht zukommen ließ, sie meines guten Willens, nunmehr das Glück am rechten Zipfel anzufassen, versicherte und um ErWirkung eines Zeugnisses vom Meister Liebezeit ersuchte. Da es nicht in dessen Wesen lag, einem etwas nachzutragen, so erwartete ich von ihm ein gnädiges Urteil. Nachdem dieser Brief geschrieben war, legte ich mich mit dem angenehmen Gefühl, etwas geleistet zu haben, aufs Ohr und verschlief den halben Tag, und als ich dann gegen Abend erwachte und mich auf mein Vorhaben besann, erfüllte mich von neuem das Behagen eines recht¬ schaffnen Gewissens, sodaß ich glaubte, mir noch einmal ein rechtes Gütchen tun zu dürfen. Denn wenn ich auch eiuen Widerwille» gegen das wilde und unordent¬ liche Wesen hatte, so hatte ich doch um dem Bnmmeln selber Geschmack gewonnen, und die Lust um Arbeiten war mir dabei abhanden gekommen. Als ich gerade init mir zu Rate ging, ob ich mich wieder einmal in den Konzertgarten begeben und mir dort eine köstliche Mahlzeit vorsetzen lassen sollte, oder ob es vorzuziehen sei, im Kaffeehaus zu sitzen und das herrliche Getränk, dessen Bekanntschaft ich Heinemann verdankte, in süßer Beschaulichkeit einzuschlürfen, trat er selber bei mir ein, strahlend vor Vergnügen, und rief, indem er sich kräftig ans die Brusttasche schlug: Da haben wirs! Wir waren gestern verdrießlich, es war auch jämmerlich. Mir wars elend ums Herz, ich gesteh dirs. Ein beklagenswerter Zustand, wenn man einen auf den Kopf stellen kann, und es fällt nichts aus den Taschen, Du bist zu einer Übeln Zeit erschienen, aber nun nimm, so sind die Ausgaben redlich geteilt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/456>, abgerufen am 01.07.2024.