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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Der Einheitstarif der Straßenbahnen

Und was für ein ungeheurer Erfolg in ethischer Hinsicht würde mit einer
solchen Regelung der Zeugenvercidigung erreicht werden, wenn auch vor den
Gerichten das einfache Wort des braven Mannes und der braven Frau wieder
zu Ehren gebracht würde, und die Gerichtssüle nicht mehr widerhallten von
dem sich immer wiederholenden, profanierenden nachsprechen der Eidesformel!
Ja wenn auch das Wort der Schrift Matth. 5, 37 "Eure Rede aber sei: Ja ja;
nein nein; was darüber, das ist vom Übel" keine Aussicht hat, auch für den
Kampf der streitenden Interessen im gerichtlichen Verfahren zur Geltung zu
kommen, so würde doch die vorgeschlagne, die Eidesleistungen so stark ein¬
schränkende Reform jedenfalls im christlichen Sinne wirken.

Vorausgesetzt ist bei dem Vorschlage allerdings, daß der erkennende Richter
den Zeugen selbst vernimmt; für Vernehmungen, die auf dem Wege des Er¬
suchens erfolgen, wird der Zeugeneid leider noch vielfach angewandt werden
müssen, während der erkennende Richter vielleicht keine Veranlassung dazu ge¬
funden hätte. Aber damit könnte der bedenklichen Praxis, die diesen Weg oft
auch in den Füllen einschlüge, wo das Gesetz eine unmittelbare Beweisaufnahme
will, zugleich ein Riegel vorgeschoben werden.




Der Einheitstarif der Straßenbahnen
A. Voigt Von

er Begriff der Einheit hat für manche Naturen einen ganz
besondern Reiz. Sie müssen durchaus eine monistische Welt¬
anschauung haben, jeder Dualismus ist ihnen unbehaglich,
und wäre er auch im Grunde viel einfacher als der künstlich
zurechtgemachte, dem natürlichen Empfinden fremde Monismus.
Der impot anniug, die einzige Steuer auf das Grundeigentum, war eine Lieb¬
lingsidee der Physiokrateu, unter Karl Friedrich von Baden sogar auf kurze
Zeit zu wirklichem Leben erwacht und lange noch in einigen Köpfen nach¬
spukend. Dann kam die Theorie vom einheitlichen Mnnzmetall, vom Mono¬
metallismus, ein ein sich nicht unvernünftiger Gedanke, wenn auch die Sache
nicht ganz so einfach ist, wie sie denen erschien, die den Bimetallismus mehr
aus ästhetischen Gründen als aus wirtschaftlicher Einsicht bekämpften. So
haben wir ja denn noch heute in einem großen Teile der Kulturstaaten Doppel¬
währung. Vollkommen und unbedingt hat sich die Einheit des Maß- und des
Gewichtswesens sowie des Münzfußes für große Wirtschaftsgebiete bewährt,
und es wäre nur zu wünschen, daß hier die Einheit noch größer würde.
Ein ähnlicher Triumph schien dem Einheitgedanken auch bevorzustehn aus dem
Gebiete des Verkehrswesens. Die Einheit des Briefportos war das erste ge¬
lungne Experiment auf diesem Gebiete, wobei allerdings nicht verschwiegen
werden darf, daß das Pennypvrto des Rowland Hill zunächst die bis dahin
guten Erträge der englischen Post beinahe auf Null herabdrückte, und daß sich


Der Einheitstarif der Straßenbahnen

Und was für ein ungeheurer Erfolg in ethischer Hinsicht würde mit einer
solchen Regelung der Zeugenvercidigung erreicht werden, wenn auch vor den
Gerichten das einfache Wort des braven Mannes und der braven Frau wieder
zu Ehren gebracht würde, und die Gerichtssüle nicht mehr widerhallten von
dem sich immer wiederholenden, profanierenden nachsprechen der Eidesformel!
Ja wenn auch das Wort der Schrift Matth. 5, 37 „Eure Rede aber sei: Ja ja;
nein nein; was darüber, das ist vom Übel" keine Aussicht hat, auch für den
Kampf der streitenden Interessen im gerichtlichen Verfahren zur Geltung zu
kommen, so würde doch die vorgeschlagne, die Eidesleistungen so stark ein¬
schränkende Reform jedenfalls im christlichen Sinne wirken.

Vorausgesetzt ist bei dem Vorschlage allerdings, daß der erkennende Richter
den Zeugen selbst vernimmt; für Vernehmungen, die auf dem Wege des Er¬
suchens erfolgen, wird der Zeugeneid leider noch vielfach angewandt werden
müssen, während der erkennende Richter vielleicht keine Veranlassung dazu ge¬
funden hätte. Aber damit könnte der bedenklichen Praxis, die diesen Weg oft
auch in den Füllen einschlüge, wo das Gesetz eine unmittelbare Beweisaufnahme
will, zugleich ein Riegel vorgeschoben werden.




Der Einheitstarif der Straßenbahnen
A. Voigt Von

er Begriff der Einheit hat für manche Naturen einen ganz
besondern Reiz. Sie müssen durchaus eine monistische Welt¬
anschauung haben, jeder Dualismus ist ihnen unbehaglich,
und wäre er auch im Grunde viel einfacher als der künstlich
zurechtgemachte, dem natürlichen Empfinden fremde Monismus.
Der impot anniug, die einzige Steuer auf das Grundeigentum, war eine Lieb¬
lingsidee der Physiokrateu, unter Karl Friedrich von Baden sogar auf kurze
Zeit zu wirklichem Leben erwacht und lange noch in einigen Köpfen nach¬
spukend. Dann kam die Theorie vom einheitlichen Mnnzmetall, vom Mono¬
metallismus, ein ein sich nicht unvernünftiger Gedanke, wenn auch die Sache
nicht ganz so einfach ist, wie sie denen erschien, die den Bimetallismus mehr
aus ästhetischen Gründen als aus wirtschaftlicher Einsicht bekämpften. So
haben wir ja denn noch heute in einem großen Teile der Kulturstaaten Doppel¬
währung. Vollkommen und unbedingt hat sich die Einheit des Maß- und des
Gewichtswesens sowie des Münzfußes für große Wirtschaftsgebiete bewährt,
und es wäre nur zu wünschen, daß hier die Einheit noch größer würde.
Ein ähnlicher Triumph schien dem Einheitgedanken auch bevorzustehn aus dem
Gebiete des Verkehrswesens. Die Einheit des Briefportos war das erste ge¬
lungne Experiment auf diesem Gebiete, wobei allerdings nicht verschwiegen
werden darf, daß das Pennypvrto des Rowland Hill zunächst die bis dahin
guten Erträge der englischen Post beinahe auf Null herabdrückte, und daß sich


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[0432] Der Einheitstarif der Straßenbahnen Und was für ein ungeheurer Erfolg in ethischer Hinsicht würde mit einer solchen Regelung der Zeugenvercidigung erreicht werden, wenn auch vor den Gerichten das einfache Wort des braven Mannes und der braven Frau wieder zu Ehren gebracht würde, und die Gerichtssüle nicht mehr widerhallten von dem sich immer wiederholenden, profanierenden nachsprechen der Eidesformel! Ja wenn auch das Wort der Schrift Matth. 5, 37 „Eure Rede aber sei: Ja ja; nein nein; was darüber, das ist vom Übel" keine Aussicht hat, auch für den Kampf der streitenden Interessen im gerichtlichen Verfahren zur Geltung zu kommen, so würde doch die vorgeschlagne, die Eidesleistungen so stark ein¬ schränkende Reform jedenfalls im christlichen Sinne wirken. Vorausgesetzt ist bei dem Vorschlage allerdings, daß der erkennende Richter den Zeugen selbst vernimmt; für Vernehmungen, die auf dem Wege des Er¬ suchens erfolgen, wird der Zeugeneid leider noch vielfach angewandt werden müssen, während der erkennende Richter vielleicht keine Veranlassung dazu ge¬ funden hätte. Aber damit könnte der bedenklichen Praxis, die diesen Weg oft auch in den Füllen einschlüge, wo das Gesetz eine unmittelbare Beweisaufnahme will, zugleich ein Riegel vorgeschoben werden. Der Einheitstarif der Straßenbahnen A. Voigt Von er Begriff der Einheit hat für manche Naturen einen ganz besondern Reiz. Sie müssen durchaus eine monistische Welt¬ anschauung haben, jeder Dualismus ist ihnen unbehaglich, und wäre er auch im Grunde viel einfacher als der künstlich zurechtgemachte, dem natürlichen Empfinden fremde Monismus. Der impot anniug, die einzige Steuer auf das Grundeigentum, war eine Lieb¬ lingsidee der Physiokrateu, unter Karl Friedrich von Baden sogar auf kurze Zeit zu wirklichem Leben erwacht und lange noch in einigen Köpfen nach¬ spukend. Dann kam die Theorie vom einheitlichen Mnnzmetall, vom Mono¬ metallismus, ein ein sich nicht unvernünftiger Gedanke, wenn auch die Sache nicht ganz so einfach ist, wie sie denen erschien, die den Bimetallismus mehr aus ästhetischen Gründen als aus wirtschaftlicher Einsicht bekämpften. So haben wir ja denn noch heute in einem großen Teile der Kulturstaaten Doppel¬ währung. Vollkommen und unbedingt hat sich die Einheit des Maß- und des Gewichtswesens sowie des Münzfußes für große Wirtschaftsgebiete bewährt, und es wäre nur zu wünschen, daß hier die Einheit noch größer würde. Ein ähnlicher Triumph schien dem Einheitgedanken auch bevorzustehn aus dem Gebiete des Verkehrswesens. Die Einheit des Briefportos war das erste ge¬ lungne Experiment auf diesem Gebiete, wobei allerdings nicht verschwiegen werden darf, daß das Pennypvrto des Rowland Hill zunächst die bis dahin guten Erträge der englischen Post beinahe auf Null herabdrückte, und daß sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/432>, abgerufen am 22.07.2024.