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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Aus der Jugendzeit

dürfen. Denn auf dem Brocken gewesen zu sein, galt nnter uns Tertianern damals
als ein großes Erlebnis. Daß man mir, dem kaum dreizehnjährigen Jungen, die
nicht geringe Strapaze zutraute, und daß ich sie aushielt, war ein Zeugnis meiner
gesunden körperlichen Entwicklung.

Wir gingen früh, etwa um sieben Uhr, von Quedlinburg sort. Über Wester-
Hausen, Börneke, Heimburg und Benzingerode erreichten wir um die Mittagszeit
nach fünfstündigem Marsche Wernigerode, fühlten uns aber frisch genug, auch die
weitern zwei Stunden bis Ilsenburg noch zurückzulegen. Sie sind mir zuletzt blut¬
sauer geworden. Jedoch das Versprechen, daß ich in Ilsenburg in der "Forelle"
zum Mittagessen Forellen bekommen sollte, spornte die müden Kräfte immer wieder
an. Todmüde setzten wir uns in Ilsenburg zu Tisch. Forellen gab es zwar nicht,
aber das Mittagbrot schmeckte herrlich, und nach Tisch fühlte ich mich so erfrischt,
daß ich mit meinen beiden Mentoren noch nach der Gräflich Stolbergschen Maschinen¬
fabrik gehn und diese unter Führung eines den Herren befreundeten Fnbrikdirektors
bis in die Einzelheiten besichtigen konnte. Dort wurde festgestellt, daß "ach Mitter¬
nacht der Mond aufgehn werde, und daß mit Rücksicht ans die gewaltige Sommer¬
hitze, die uns am Tage ermüdet hatte, ein nächtlicher Brvckenaufstieg vorzuziehen
sei. Wir gingen also in unser Gasthaus zurück, legten uns zu Bett, wurden eine
halbe Stunde vor Mitternacht geweckt und traten um zwölf Uhr bei völliger Dunkel¬
heit unsern Marsch an. Der Weg führte an feuersprühenden Hammerschmieden und
Eisenhütten vorbei an der Ilse aufwärts, und es war so finster, daß ich mit meinem
Stocke in den Tragriemen der Botanisiertrommel des vor mir gehenden Herrn
einhaken mußte, um nicht vom Wege abzukommen und in die Ilse hinabzustürzen.
Als wir oberhalb der Jlsefcille an die sogenannten Pflasterstrecken kamen, war der
Mond aufgegangen und beleuchtete zauberisch den schweigenden Wald. Zwischen
drei und vier Uhr früh erreichten wir das Brockenhaus, gerade als der damalige
Brockenwirt Nesse, ein sehr bekannter Mann, die Gäste zum Sonnenaufgang weckte.
Die Temperatur war oben freilich frisch. Das Thermometer zeigte 5 Grad unter Null,
während am Tage vorher in Ilsenburg 27 Grad Wärme gewesen waren. Die Sonne
ging unvergleichlich schön auf. Dann frühstückten wir, und inzwischen hatte sich eine
Nebelwand zwischen uns und die Sonne geschoben, sodaß wir vom Turm aus die
Erscheinung des "Brockengespenstes," eine Abschattung unsrer ins Riesengröße ver¬
längerten und mit einem regenbogenfarbuen Schein umgebnen Figuren, in seltner
Schönheit genossen. Dann ging es ans der Südostseite des Brockens abwärts nach
Schierke, damals einem kleinen, unansehnlichen Waldarbeiterdörfchen mit einer zwar
reinlichen, aber ganz komfortlosen kleinen Schenke. Hier wurde nochmals gefrüh¬
stückt, und dann ging unser Marsch über Elend und Rotehütte weiter nach Rübe¬
land, vom Brockenhause an immerhin ein Marsch von sechs Stunden. Hier erst
gab es ein vollständiges, treffliches Mittagessen. Dann legten wir uns zu Bett,
und ich habe von Nachmittags vier Uhr durchgeschlafen bis zum andern Morgen
um sieben Uhr. Die Übermüdung war verschlafen. Wir besuchten noch die Tropf¬
steinwunder der Baumannshöhle und wanderten dann durch den Wald in vier bis
fünf Stunden nach Thale. Dort trafen wir meine Eltern, die uns mit andern
Verwandten zu Wagen entgegengekommen waren. Mit einem heitern Picknick auf
einer Waldwiese schloß diese Reise, die meinen Mitschülern in Tertia gewaltig
imponierte



Jeder Schüler des Gymnasiums hatte bei seiner Aufnahme von dem Direktor
ein Druckexemplar der "Schulgesetze" ausgehändigt bekommen. Dieses kodifizierte
Lokalschulrecht schien aber hauptsächlich nur dazu da zu sein, daß es nicht gehalten
wurde. Das Rauchen war den Schülern darin streng verboten, nicht bloß auf der
Straße, sondern auch zuhause. Die Primaner und die sekundärer rauchten aber zu-
hause Pfeifen und Zigarren, wie die Alten, und auf der Straße wurde die Zigarre
höchstens versteckt, wenn von ferne ein Lehrer in Sicht kam. Ebenso verpönt war


Aus der Jugendzeit

dürfen. Denn auf dem Brocken gewesen zu sein, galt nnter uns Tertianern damals
als ein großes Erlebnis. Daß man mir, dem kaum dreizehnjährigen Jungen, die
nicht geringe Strapaze zutraute, und daß ich sie aushielt, war ein Zeugnis meiner
gesunden körperlichen Entwicklung.

Wir gingen früh, etwa um sieben Uhr, von Quedlinburg sort. Über Wester-
Hausen, Börneke, Heimburg und Benzingerode erreichten wir um die Mittagszeit
nach fünfstündigem Marsche Wernigerode, fühlten uns aber frisch genug, auch die
weitern zwei Stunden bis Ilsenburg noch zurückzulegen. Sie sind mir zuletzt blut¬
sauer geworden. Jedoch das Versprechen, daß ich in Ilsenburg in der „Forelle"
zum Mittagessen Forellen bekommen sollte, spornte die müden Kräfte immer wieder
an. Todmüde setzten wir uns in Ilsenburg zu Tisch. Forellen gab es zwar nicht,
aber das Mittagbrot schmeckte herrlich, und nach Tisch fühlte ich mich so erfrischt,
daß ich mit meinen beiden Mentoren noch nach der Gräflich Stolbergschen Maschinen¬
fabrik gehn und diese unter Führung eines den Herren befreundeten Fnbrikdirektors
bis in die Einzelheiten besichtigen konnte. Dort wurde festgestellt, daß «ach Mitter¬
nacht der Mond aufgehn werde, und daß mit Rücksicht ans die gewaltige Sommer¬
hitze, die uns am Tage ermüdet hatte, ein nächtlicher Brvckenaufstieg vorzuziehen
sei. Wir gingen also in unser Gasthaus zurück, legten uns zu Bett, wurden eine
halbe Stunde vor Mitternacht geweckt und traten um zwölf Uhr bei völliger Dunkel¬
heit unsern Marsch an. Der Weg führte an feuersprühenden Hammerschmieden und
Eisenhütten vorbei an der Ilse aufwärts, und es war so finster, daß ich mit meinem
Stocke in den Tragriemen der Botanisiertrommel des vor mir gehenden Herrn
einhaken mußte, um nicht vom Wege abzukommen und in die Ilse hinabzustürzen.
Als wir oberhalb der Jlsefcille an die sogenannten Pflasterstrecken kamen, war der
Mond aufgegangen und beleuchtete zauberisch den schweigenden Wald. Zwischen
drei und vier Uhr früh erreichten wir das Brockenhaus, gerade als der damalige
Brockenwirt Nesse, ein sehr bekannter Mann, die Gäste zum Sonnenaufgang weckte.
Die Temperatur war oben freilich frisch. Das Thermometer zeigte 5 Grad unter Null,
während am Tage vorher in Ilsenburg 27 Grad Wärme gewesen waren. Die Sonne
ging unvergleichlich schön auf. Dann frühstückten wir, und inzwischen hatte sich eine
Nebelwand zwischen uns und die Sonne geschoben, sodaß wir vom Turm aus die
Erscheinung des „Brockengespenstes," eine Abschattung unsrer ins Riesengröße ver¬
längerten und mit einem regenbogenfarbuen Schein umgebnen Figuren, in seltner
Schönheit genossen. Dann ging es ans der Südostseite des Brockens abwärts nach
Schierke, damals einem kleinen, unansehnlichen Waldarbeiterdörfchen mit einer zwar
reinlichen, aber ganz komfortlosen kleinen Schenke. Hier wurde nochmals gefrüh¬
stückt, und dann ging unser Marsch über Elend und Rotehütte weiter nach Rübe¬
land, vom Brockenhause an immerhin ein Marsch von sechs Stunden. Hier erst
gab es ein vollständiges, treffliches Mittagessen. Dann legten wir uns zu Bett,
und ich habe von Nachmittags vier Uhr durchgeschlafen bis zum andern Morgen
um sieben Uhr. Die Übermüdung war verschlafen. Wir besuchten noch die Tropf¬
steinwunder der Baumannshöhle und wanderten dann durch den Wald in vier bis
fünf Stunden nach Thale. Dort trafen wir meine Eltern, die uns mit andern
Verwandten zu Wagen entgegengekommen waren. Mit einem heitern Picknick auf
einer Waldwiese schloß diese Reise, die meinen Mitschülern in Tertia gewaltig
imponierte



Jeder Schüler des Gymnasiums hatte bei seiner Aufnahme von dem Direktor
ein Druckexemplar der „Schulgesetze" ausgehändigt bekommen. Dieses kodifizierte
Lokalschulrecht schien aber hauptsächlich nur dazu da zu sein, daß es nicht gehalten
wurde. Das Rauchen war den Schülern darin streng verboten, nicht bloß auf der
Straße, sondern auch zuhause. Die Primaner und die sekundärer rauchten aber zu-
hause Pfeifen und Zigarren, wie die Alten, und auf der Straße wurde die Zigarre
höchstens versteckt, wenn von ferne ein Lehrer in Sicht kam. Ebenso verpönt war


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[0388] Aus der Jugendzeit dürfen. Denn auf dem Brocken gewesen zu sein, galt nnter uns Tertianern damals als ein großes Erlebnis. Daß man mir, dem kaum dreizehnjährigen Jungen, die nicht geringe Strapaze zutraute, und daß ich sie aushielt, war ein Zeugnis meiner gesunden körperlichen Entwicklung. Wir gingen früh, etwa um sieben Uhr, von Quedlinburg sort. Über Wester- Hausen, Börneke, Heimburg und Benzingerode erreichten wir um die Mittagszeit nach fünfstündigem Marsche Wernigerode, fühlten uns aber frisch genug, auch die weitern zwei Stunden bis Ilsenburg noch zurückzulegen. Sie sind mir zuletzt blut¬ sauer geworden. Jedoch das Versprechen, daß ich in Ilsenburg in der „Forelle" zum Mittagessen Forellen bekommen sollte, spornte die müden Kräfte immer wieder an. Todmüde setzten wir uns in Ilsenburg zu Tisch. Forellen gab es zwar nicht, aber das Mittagbrot schmeckte herrlich, und nach Tisch fühlte ich mich so erfrischt, daß ich mit meinen beiden Mentoren noch nach der Gräflich Stolbergschen Maschinen¬ fabrik gehn und diese unter Führung eines den Herren befreundeten Fnbrikdirektors bis in die Einzelheiten besichtigen konnte. Dort wurde festgestellt, daß «ach Mitter¬ nacht der Mond aufgehn werde, und daß mit Rücksicht ans die gewaltige Sommer¬ hitze, die uns am Tage ermüdet hatte, ein nächtlicher Brvckenaufstieg vorzuziehen sei. Wir gingen also in unser Gasthaus zurück, legten uns zu Bett, wurden eine halbe Stunde vor Mitternacht geweckt und traten um zwölf Uhr bei völliger Dunkel¬ heit unsern Marsch an. Der Weg führte an feuersprühenden Hammerschmieden und Eisenhütten vorbei an der Ilse aufwärts, und es war so finster, daß ich mit meinem Stocke in den Tragriemen der Botanisiertrommel des vor mir gehenden Herrn einhaken mußte, um nicht vom Wege abzukommen und in die Ilse hinabzustürzen. Als wir oberhalb der Jlsefcille an die sogenannten Pflasterstrecken kamen, war der Mond aufgegangen und beleuchtete zauberisch den schweigenden Wald. Zwischen drei und vier Uhr früh erreichten wir das Brockenhaus, gerade als der damalige Brockenwirt Nesse, ein sehr bekannter Mann, die Gäste zum Sonnenaufgang weckte. Die Temperatur war oben freilich frisch. Das Thermometer zeigte 5 Grad unter Null, während am Tage vorher in Ilsenburg 27 Grad Wärme gewesen waren. Die Sonne ging unvergleichlich schön auf. Dann frühstückten wir, und inzwischen hatte sich eine Nebelwand zwischen uns und die Sonne geschoben, sodaß wir vom Turm aus die Erscheinung des „Brockengespenstes," eine Abschattung unsrer ins Riesengröße ver¬ längerten und mit einem regenbogenfarbuen Schein umgebnen Figuren, in seltner Schönheit genossen. Dann ging es ans der Südostseite des Brockens abwärts nach Schierke, damals einem kleinen, unansehnlichen Waldarbeiterdörfchen mit einer zwar reinlichen, aber ganz komfortlosen kleinen Schenke. Hier wurde nochmals gefrüh¬ stückt, und dann ging unser Marsch über Elend und Rotehütte weiter nach Rübe¬ land, vom Brockenhause an immerhin ein Marsch von sechs Stunden. Hier erst gab es ein vollständiges, treffliches Mittagessen. Dann legten wir uns zu Bett, und ich habe von Nachmittags vier Uhr durchgeschlafen bis zum andern Morgen um sieben Uhr. Die Übermüdung war verschlafen. Wir besuchten noch die Tropf¬ steinwunder der Baumannshöhle und wanderten dann durch den Wald in vier bis fünf Stunden nach Thale. Dort trafen wir meine Eltern, die uns mit andern Verwandten zu Wagen entgegengekommen waren. Mit einem heitern Picknick auf einer Waldwiese schloß diese Reise, die meinen Mitschülern in Tertia gewaltig imponierte Jeder Schüler des Gymnasiums hatte bei seiner Aufnahme von dem Direktor ein Druckexemplar der „Schulgesetze" ausgehändigt bekommen. Dieses kodifizierte Lokalschulrecht schien aber hauptsächlich nur dazu da zu sein, daß es nicht gehalten wurde. Das Rauchen war den Schülern darin streng verboten, nicht bloß auf der Straße, sondern auch zuhause. Die Primaner und die sekundärer rauchten aber zu- hause Pfeifen und Zigarren, wie die Alten, und auf der Straße wurde die Zigarre höchstens versteckt, wenn von ferne ein Lehrer in Sicht kam. Ebenso verpönt war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/388>, abgerufen am 24.08.2024.