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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Aus der Jugendzeit

am Unterricht und am Lernen. Durch diese Klassenleistuugcn ließen sich die Lehrer
tauschen. Nach ihnen beurteilten sie uns, und zwar durchschnittlich viel zu günstig.
Um unser Leben außerhalb der Schule kümmerten sie sich so gut wie gar nicht.
Daß der eine oder der andre Lehrer einmal eine Schülerpension besuchte und sich
überzeugte, wie die Jungen dort untergebracht waren, wollte gar nichts sagen.
Unordnungen bekamen sie dabei natürlich nie zu sehen, und wir Jungen lachten
sie hinter ihrem Rücken über ihre unpraktische Harmlosigkeit aus. Sie fanden
immer alles in bester Ordnung.

Einer unsrer Mitschüler in Tertia überragte auch die größten nnter uns um
mehr als Haupteslänge. Er war der Sohn eines wohlhabenden Bauern aus dem
benachbarten Dorfe Warnstedt und hieß Leonhard Vvdenstein. Er saß schon seit
drei Jahren in der Tertia und mußte wenigstens achtzehn bis neunzehn Jahre alt
sein. Er war ein gutmütiger, harmloser Bursche. Sein Interesse beschränkte sich
auf Essen und Trinken, aber mit dem Lernen wollte es durchaus nichts werden.
Eines Tags kam während der Unterrichtsstunde der "Herr Direktor," für uns eine
gewaltige Respektsperson, in die Klasse und hörte dem Unterricht zu. Am Schlüsse
der Stunde fragte er zu unserm höchlichen Erstannen unsern großen Mitschüler:
Nun, Bodenstein, Sie wollen abgehn? Wie hängt denn das zusammen? So mitten
im Semester? -- Ja, Herr T'rekter, erwiderte Bodenstein, mein Vater will, daß ich
mich verändern soll. -- Die ganze Klasse brach in ein homerisches Gelächter ans.
Sich verändern heißt in meiner Heimat soviel wie heiraten. Sogar der Direktor
und der Klassenlehrer konnten sich des Lachens nicht erwehren. Aber Bodenstein,
sagte der Direktor, Sie Wollen doch nicht heiraten? -- Doch, Herr T'rekter, ent¬
gegnen Vodcnstein gleichmütig. Er ging wirklich ab, um aus Tertia heraus in
den Stand der heiligen Ehe zu treten. Das war freilich in unsrer Tertia noch
nicht dagewesen, und wir erzählten zuhause unsern Eltern den Vorgang mit sehr
gehobnem Tcrtiancrbewußtsein. Auch ich dreizehnjähriger Knirps glaubte seitdem
an den Anspruch der Tertianer, mit Sie angeredet zu werden. Um so empfind¬
licher krankte es mich, daß bald nachher unser Ordinarius Dr. Schmidt, als ich
einmal während der Stunde unzeitig gelacht hatte, sich nach mir umdrehte und rief:
Ach, Bosse, das Kind! Im Grunde war das ein großer Lobsprnch für den
jungen Tertianer. Gemeine und verstanden wurde das Wort aber mit Recht als
Tadel meiner kindischen Lebhaftigkeit. Immerhin war es noch nicht so schlimm,
wie die von Dr. Schmidt im höchsten Zorn ausgestoßne Anrede an einen andern
Tertianer: Sie Esel, er! Dies Wort empörte den Stolz der Tertianer aufs höchste.

Von Tertia an war der Kursus der drei Oberklassen zweijährig. Doch konnte
man bei besonders guten Leistungen schon nach anderthalb Jahren versetzt werden.
Das ist mir in Tertia auch gelungen. Dadurch kam ich meinen? gleichaltrigen
Vetter Ludwig Krämer, mit dem ich bis dahin immer gleichen Schritt gehalten
hatte, um ein halbes Jahr voraus. Unsrer Freundschaft tat das aber keinen Abbruch.

In jenen Jahren kam der König Friedrich Wilhelm der Vierte alljährlich
nach Quedlinburg, um in der dortigen Feldmark große Hasenjagden abzuhalten.
Der König residierte dann auf dem Schlosse. Dort waren die Zimmer der vor¬
maligen Äbtissin für ihn eingerichtet. Der große blaue Saal und der mit rot-
seidnem Damast nusgeschlague Thrvnscml erstrahlten dann in festlichem Glänze. Der
König und seine fürstlichen Gäste kamen mit Extrapost angefahren, und der König
selbst zog jedesmal unter dem feierlichen Geläut aller Glocken in die festlich be¬
wegte alte Stadt ein. Die Häuser waren mit Guirlanden und Fichtenzweigen
bekränzt, und Abends war die ganze Stadt illuminiert. Aus den Häusern der
wohlhabenden Bürger wehten schwarz-weiße Fahnen. Von der heutigen Virtuosität
im Flaggen wußte man aber damals noch nichts. Bei diesen Gelegenheiten habe
ich unsern leutseligen König und seine fürstlichen Jagdgäste oft gesehen. So
namentlich den König Ernst August von Hannover, den Herzog Wilhelm von Braun¬
schweig, die Prinzen Karl und Albrecht von Preußen und -- last not leüist --


Aus der Jugendzeit

am Unterricht und am Lernen. Durch diese Klassenleistuugcn ließen sich die Lehrer
tauschen. Nach ihnen beurteilten sie uns, und zwar durchschnittlich viel zu günstig.
Um unser Leben außerhalb der Schule kümmerten sie sich so gut wie gar nicht.
Daß der eine oder der andre Lehrer einmal eine Schülerpension besuchte und sich
überzeugte, wie die Jungen dort untergebracht waren, wollte gar nichts sagen.
Unordnungen bekamen sie dabei natürlich nie zu sehen, und wir Jungen lachten
sie hinter ihrem Rücken über ihre unpraktische Harmlosigkeit aus. Sie fanden
immer alles in bester Ordnung.

Einer unsrer Mitschüler in Tertia überragte auch die größten nnter uns um
mehr als Haupteslänge. Er war der Sohn eines wohlhabenden Bauern aus dem
benachbarten Dorfe Warnstedt und hieß Leonhard Vvdenstein. Er saß schon seit
drei Jahren in der Tertia und mußte wenigstens achtzehn bis neunzehn Jahre alt
sein. Er war ein gutmütiger, harmloser Bursche. Sein Interesse beschränkte sich
auf Essen und Trinken, aber mit dem Lernen wollte es durchaus nichts werden.
Eines Tags kam während der Unterrichtsstunde der „Herr Direktor," für uns eine
gewaltige Respektsperson, in die Klasse und hörte dem Unterricht zu. Am Schlüsse
der Stunde fragte er zu unserm höchlichen Erstannen unsern großen Mitschüler:
Nun, Bodenstein, Sie wollen abgehn? Wie hängt denn das zusammen? So mitten
im Semester? — Ja, Herr T'rekter, erwiderte Bodenstein, mein Vater will, daß ich
mich verändern soll. — Die ganze Klasse brach in ein homerisches Gelächter ans.
Sich verändern heißt in meiner Heimat soviel wie heiraten. Sogar der Direktor
und der Klassenlehrer konnten sich des Lachens nicht erwehren. Aber Bodenstein,
sagte der Direktor, Sie Wollen doch nicht heiraten? — Doch, Herr T'rekter, ent¬
gegnen Vodcnstein gleichmütig. Er ging wirklich ab, um aus Tertia heraus in
den Stand der heiligen Ehe zu treten. Das war freilich in unsrer Tertia noch
nicht dagewesen, und wir erzählten zuhause unsern Eltern den Vorgang mit sehr
gehobnem Tcrtiancrbewußtsein. Auch ich dreizehnjähriger Knirps glaubte seitdem
an den Anspruch der Tertianer, mit Sie angeredet zu werden. Um so empfind¬
licher krankte es mich, daß bald nachher unser Ordinarius Dr. Schmidt, als ich
einmal während der Stunde unzeitig gelacht hatte, sich nach mir umdrehte und rief:
Ach, Bosse, das Kind! Im Grunde war das ein großer Lobsprnch für den
jungen Tertianer. Gemeine und verstanden wurde das Wort aber mit Recht als
Tadel meiner kindischen Lebhaftigkeit. Immerhin war es noch nicht so schlimm,
wie die von Dr. Schmidt im höchsten Zorn ausgestoßne Anrede an einen andern
Tertianer: Sie Esel, er! Dies Wort empörte den Stolz der Tertianer aufs höchste.

Von Tertia an war der Kursus der drei Oberklassen zweijährig. Doch konnte
man bei besonders guten Leistungen schon nach anderthalb Jahren versetzt werden.
Das ist mir in Tertia auch gelungen. Dadurch kam ich meinen? gleichaltrigen
Vetter Ludwig Krämer, mit dem ich bis dahin immer gleichen Schritt gehalten
hatte, um ein halbes Jahr voraus. Unsrer Freundschaft tat das aber keinen Abbruch.

In jenen Jahren kam der König Friedrich Wilhelm der Vierte alljährlich
nach Quedlinburg, um in der dortigen Feldmark große Hasenjagden abzuhalten.
Der König residierte dann auf dem Schlosse. Dort waren die Zimmer der vor¬
maligen Äbtissin für ihn eingerichtet. Der große blaue Saal und der mit rot-
seidnem Damast nusgeschlague Thrvnscml erstrahlten dann in festlichem Glänze. Der
König und seine fürstlichen Gäste kamen mit Extrapost angefahren, und der König
selbst zog jedesmal unter dem feierlichen Geläut aller Glocken in die festlich be¬
wegte alte Stadt ein. Die Häuser waren mit Guirlanden und Fichtenzweigen
bekränzt, und Abends war die ganze Stadt illuminiert. Aus den Häusern der
wohlhabenden Bürger wehten schwarz-weiße Fahnen. Von der heutigen Virtuosität
im Flaggen wußte man aber damals noch nichts. Bei diesen Gelegenheiten habe
ich unsern leutseligen König und seine fürstlichen Jagdgäste oft gesehen. So
namentlich den König Ernst August von Hannover, den Herzog Wilhelm von Braun¬
schweig, die Prinzen Karl und Albrecht von Preußen und — last not leüist —


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[0386] Aus der Jugendzeit am Unterricht und am Lernen. Durch diese Klassenleistuugcn ließen sich die Lehrer tauschen. Nach ihnen beurteilten sie uns, und zwar durchschnittlich viel zu günstig. Um unser Leben außerhalb der Schule kümmerten sie sich so gut wie gar nicht. Daß der eine oder der andre Lehrer einmal eine Schülerpension besuchte und sich überzeugte, wie die Jungen dort untergebracht waren, wollte gar nichts sagen. Unordnungen bekamen sie dabei natürlich nie zu sehen, und wir Jungen lachten sie hinter ihrem Rücken über ihre unpraktische Harmlosigkeit aus. Sie fanden immer alles in bester Ordnung. Einer unsrer Mitschüler in Tertia überragte auch die größten nnter uns um mehr als Haupteslänge. Er war der Sohn eines wohlhabenden Bauern aus dem benachbarten Dorfe Warnstedt und hieß Leonhard Vvdenstein. Er saß schon seit drei Jahren in der Tertia und mußte wenigstens achtzehn bis neunzehn Jahre alt sein. Er war ein gutmütiger, harmloser Bursche. Sein Interesse beschränkte sich auf Essen und Trinken, aber mit dem Lernen wollte es durchaus nichts werden. Eines Tags kam während der Unterrichtsstunde der „Herr Direktor," für uns eine gewaltige Respektsperson, in die Klasse und hörte dem Unterricht zu. Am Schlüsse der Stunde fragte er zu unserm höchlichen Erstannen unsern großen Mitschüler: Nun, Bodenstein, Sie wollen abgehn? Wie hängt denn das zusammen? So mitten im Semester? — Ja, Herr T'rekter, erwiderte Bodenstein, mein Vater will, daß ich mich verändern soll. — Die ganze Klasse brach in ein homerisches Gelächter ans. Sich verändern heißt in meiner Heimat soviel wie heiraten. Sogar der Direktor und der Klassenlehrer konnten sich des Lachens nicht erwehren. Aber Bodenstein, sagte der Direktor, Sie Wollen doch nicht heiraten? — Doch, Herr T'rekter, ent¬ gegnen Vodcnstein gleichmütig. Er ging wirklich ab, um aus Tertia heraus in den Stand der heiligen Ehe zu treten. Das war freilich in unsrer Tertia noch nicht dagewesen, und wir erzählten zuhause unsern Eltern den Vorgang mit sehr gehobnem Tcrtiancrbewußtsein. Auch ich dreizehnjähriger Knirps glaubte seitdem an den Anspruch der Tertianer, mit Sie angeredet zu werden. Um so empfind¬ licher krankte es mich, daß bald nachher unser Ordinarius Dr. Schmidt, als ich einmal während der Stunde unzeitig gelacht hatte, sich nach mir umdrehte und rief: Ach, Bosse, das Kind! Im Grunde war das ein großer Lobsprnch für den jungen Tertianer. Gemeine und verstanden wurde das Wort aber mit Recht als Tadel meiner kindischen Lebhaftigkeit. Immerhin war es noch nicht so schlimm, wie die von Dr. Schmidt im höchsten Zorn ausgestoßne Anrede an einen andern Tertianer: Sie Esel, er! Dies Wort empörte den Stolz der Tertianer aufs höchste. Von Tertia an war der Kursus der drei Oberklassen zweijährig. Doch konnte man bei besonders guten Leistungen schon nach anderthalb Jahren versetzt werden. Das ist mir in Tertia auch gelungen. Dadurch kam ich meinen? gleichaltrigen Vetter Ludwig Krämer, mit dem ich bis dahin immer gleichen Schritt gehalten hatte, um ein halbes Jahr voraus. Unsrer Freundschaft tat das aber keinen Abbruch. In jenen Jahren kam der König Friedrich Wilhelm der Vierte alljährlich nach Quedlinburg, um in der dortigen Feldmark große Hasenjagden abzuhalten. Der König residierte dann auf dem Schlosse. Dort waren die Zimmer der vor¬ maligen Äbtissin für ihn eingerichtet. Der große blaue Saal und der mit rot- seidnem Damast nusgeschlague Thrvnscml erstrahlten dann in festlichem Glänze. Der König und seine fürstlichen Gäste kamen mit Extrapost angefahren, und der König selbst zog jedesmal unter dem feierlichen Geläut aller Glocken in die festlich be¬ wegte alte Stadt ein. Die Häuser waren mit Guirlanden und Fichtenzweigen bekränzt, und Abends war die ganze Stadt illuminiert. Aus den Häusern der wohlhabenden Bürger wehten schwarz-weiße Fahnen. Von der heutigen Virtuosität im Flaggen wußte man aber damals noch nichts. Bei diesen Gelegenheiten habe ich unsern leutseligen König und seine fürstlichen Jagdgäste oft gesehen. So namentlich den König Ernst August von Hannover, den Herzog Wilhelm von Braun¬ schweig, die Prinzen Karl und Albrecht von Preußen und — last not leüist —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/386>, abgerufen am 01.07.2024.