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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Joseph Sarto

er die Wahl annehme, mit den Worten des Heilands: "Kann der Kelch nicht
an mir vorübergehn, ohne daß ich ihn trinke, so geschehe der Wille des
Herrn, ich nehme an" (aoosxto); die Baldachine über den Sitzen der übrigen
Kardinäle senkten sich, und mit Kniebeugung huldigten sie ihrem bisherigen
Genossen,

Als aber sein Kammerdiener mit seinem Sekretär Brcsson bei ihm in
einem Nebenzimmer der Sistina eintrat, um ihm die weißen päpstlichen Ge¬
wänder anzulegen, während die Peterskirche mit allen ihren Glocken zu läuten
begann, alle die andern zahllosen Kirchen der weiten Stadt allmählich ein¬
fielen und von dem menschenwimmelnden Petersplatze her vieltausendstimmig
der Ruf: ZZvvivg. ?lo cleeimo! zum Vatikan empordrang, da fanden sie den
Greis in Tränen; er hat in diesem Augenblicke wohl auch von dem goldnen
Zauberglanz seines geliebten Venedig und von der Freiheit seiner persönlichen
Bewegung still Abschied genommen.*)

Über die Aussichten für die Zukunft spricht de Waal natürlich sehr vor¬
sichtig und zurückhaltend. Pius der Zehnte werde "ein andrer Papst" sein
als Leo der Dreizehnte, auch ein "sozialer Papst," aber aus Grund vielfacher
praktischer Erfahrung, während der Vorgänger "mehr Theoretiker" gewesen
sei. In den einzelnen Staaten werde er möglichst Hand in Hand gehn mit
der weltlichen Gewalt. Über seine Beziehungen zu Deutschland und zu Österreich
insbesondre hat sich Pius der Zehnte bei der Abschicdsaudienz gegenüber dem
Fürstbischof Kardinal Kopp von Breslau sehr entgegenkommend ausgesprochen:
es werde an seinem guten Willen nicht fehlen, sie noch freundlicher zu ge¬
stalten. Die deutsche Nation stehe ihm schon deshalb nahe, weil er über
dreißig Jahre österreichischer Untertan gewesen sei. In der Tat hat er eben
durch den Prälaten Joseph Wilpert mit dessen großem Katakombenwcrk auch
ein Handschreiben an unsern Kaiser gelangen lassen.

"An dem Verhältnis zu Italien, sagt de Waal weiter, wird der neue
Papst nichts ändern, kann es auch kaum. Pius wird so wenig wie Leo im
Quirinal einen Besuch machen. Allein wenn Pius die Trennungsmaucr nicht
einreißen kann, so wird er über sie hinweg die Hand entgegenstrecken, so weit
er nur immer zum Heile der Seelen und zum Segen für sein Vaterland es
tun kann und darf." Eine Wiederherstellung des Kirchenstaats in irgend¬
welcher Ausdehnung erwartet auch de Waal nicht. Was soll dann die Lösung
sein? ?Wi"zu?.g.! sagt in solchen Fällen der realistische Italiener, dem es leichter
fällt als uns Deutschen, sich mit einander widersprechenden Prinzipien abzu¬
finden, und auch Pius der Zehnte ist -- zum Glück -- ein Italiener.





Sehr genau über den Gang des Konklaves und die Tage nach der Wahl A, de Wart
S. 60 ff., 143 ff.
Joseph Sarto

er die Wahl annehme, mit den Worten des Heilands: „Kann der Kelch nicht
an mir vorübergehn, ohne daß ich ihn trinke, so geschehe der Wille des
Herrn, ich nehme an" (aoosxto); die Baldachine über den Sitzen der übrigen
Kardinäle senkten sich, und mit Kniebeugung huldigten sie ihrem bisherigen
Genossen,

Als aber sein Kammerdiener mit seinem Sekretär Brcsson bei ihm in
einem Nebenzimmer der Sistina eintrat, um ihm die weißen päpstlichen Ge¬
wänder anzulegen, während die Peterskirche mit allen ihren Glocken zu läuten
begann, alle die andern zahllosen Kirchen der weiten Stadt allmählich ein¬
fielen und von dem menschenwimmelnden Petersplatze her vieltausendstimmig
der Ruf: ZZvvivg. ?lo cleeimo! zum Vatikan empordrang, da fanden sie den
Greis in Tränen; er hat in diesem Augenblicke wohl auch von dem goldnen
Zauberglanz seines geliebten Venedig und von der Freiheit seiner persönlichen
Bewegung still Abschied genommen.*)

Über die Aussichten für die Zukunft spricht de Waal natürlich sehr vor¬
sichtig und zurückhaltend. Pius der Zehnte werde „ein andrer Papst" sein
als Leo der Dreizehnte, auch ein „sozialer Papst," aber aus Grund vielfacher
praktischer Erfahrung, während der Vorgänger „mehr Theoretiker" gewesen
sei. In den einzelnen Staaten werde er möglichst Hand in Hand gehn mit
der weltlichen Gewalt. Über seine Beziehungen zu Deutschland und zu Österreich
insbesondre hat sich Pius der Zehnte bei der Abschicdsaudienz gegenüber dem
Fürstbischof Kardinal Kopp von Breslau sehr entgegenkommend ausgesprochen:
es werde an seinem guten Willen nicht fehlen, sie noch freundlicher zu ge¬
stalten. Die deutsche Nation stehe ihm schon deshalb nahe, weil er über
dreißig Jahre österreichischer Untertan gewesen sei. In der Tat hat er eben
durch den Prälaten Joseph Wilpert mit dessen großem Katakombenwcrk auch
ein Handschreiben an unsern Kaiser gelangen lassen.

„An dem Verhältnis zu Italien, sagt de Waal weiter, wird der neue
Papst nichts ändern, kann es auch kaum. Pius wird so wenig wie Leo im
Quirinal einen Besuch machen. Allein wenn Pius die Trennungsmaucr nicht
einreißen kann, so wird er über sie hinweg die Hand entgegenstrecken, so weit
er nur immer zum Heile der Seelen und zum Segen für sein Vaterland es
tun kann und darf." Eine Wiederherstellung des Kirchenstaats in irgend¬
welcher Ausdehnung erwartet auch de Waal nicht. Was soll dann die Lösung
sein? ?Wi«zu?.g.! sagt in solchen Fällen der realistische Italiener, dem es leichter
fällt als uns Deutschen, sich mit einander widersprechenden Prinzipien abzu¬
finden, und auch Pius der Zehnte ist — zum Glück — ein Italiener.





Sehr genau über den Gang des Konklaves und die Tage nach der Wahl A, de Wart
S. 60 ff., 143 ff.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/362>, abgerufen am 01.07.2024.