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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

des Massenunterrichts, daß er der Verschiedenheit der Individualitäten nicht Rechnung
tragen kann. Für die Mehrzahl der Schüler aber geht es in den höhern Lehr¬
anstalten, so lange nicht alle Minderbegabten grundsätzlich von ihnen ausgeschlossen
werden, zu rasch, und viele Eltern verschlimmern das Übel noch, indem sie ihre
Söhne zu jung aufs Gymnasium schicken und sie dann, um dem unter diesen Um¬
ständen unvermeidlichen Sitzenbleiben vorzubeugen, durch Nachhilfeunterricht gewalt¬
sam vorwärts treiben lassen, womöglich mit Prügeln. Die Schulpein verkürzen
durch einen zweckmäßigen Privatunterricht, der ohne größere Anstrengung des
Schülers diesem in fünf Jahren, vom vierzehnten bis zum neunzehnten Lebeusjcchre,
dieselbe Menge von Kenntnissen beibrachte, wie sie das Ghmunsium in neun Jahren
vermittelt, das hätte seinen guten Sinn, und in dem Falle, wo den Eltern das
Geld fehlt, läßt sich die Hetze wenigstens entschuldigen; aber wo die Mittel da
sind, hat sie gar keinen Sinn. Kommt der Junge zwei Jahre später zum Ziel,
so ist das längere Schulehocken sein Schaden, sonst schadet es niemand in der
Welt. Eugen Dühring ist ein verschrobner Kerl, aber von Haus aus ein grnnd-
gescheiter und ein edler Mensch, der in solchen Dingen, die nicht mit seinen Schrullen
zusammenhängen, sehr vernünftig denkt. Er hat einen ausgezeichneten Vater gehabt,
der ihn selbst unterrichtet und ihm die Schulpein bis zum dreizehnten Lebensjahre
erspart hat, und dieselbe Wohltat hat er dann wieder seinen Söhnen erwiesen,
von denen nur der eine am Leben geblieben ist. Diesen hat er in gar keine weder
niedere noch höhere Schule geschickt, sondern ganz allein ausgebildet zum Mathe¬
matiker, Physiker und Chemiker, ja zum Forscher und Entdecker, leider freilich mich
zum publizistischen Apostel der väterlichen Schrullen. Dieser Dühring nnn schreibt
in seiner Autobiographie über die Erziehung Worte, die sich wenigstens alle leidlich
bemittelten Eltern vor Augen holten sollten. "Nicht bloß das Lernen, sondern
überhaupt alles war meinen alten Grundsätzen gemäß darauf eingerichtet, das Dasein
in jedem seiner Stadien lebenswert zu mache" und nicht durch eine vorwaltende
Rücksicht auf die Zukunft die Gegenwart des frühern Lebensalters zu verlieren.
Ich hatte es einst (in der ersten Auflage des Buches: Vom Wert des Lebens,
1865) den Eltern ans Herz gelegt, die Erziehung so einzurichten, daß wenn das
Leben eines Kindes früh abschneidet, es doch etwas für sich selbst gewesen und
nicht dem spätern unerfüllten Zweck zum Opfer gebracht sei. Die Freude am
Leben muß das entscheidende Richtmaß der Kinder- und Jugeudbehandluug sein.
Das jugendliche Alter ist kein bloßes Mittel, zu einem reifern zu gelangen, sondern
ein Zweck an sich selbst. Nach diesem Prinzip habe ich von vornherein in meiner
Familie gehandelt. Es wirkt immer wohltätig; aber seine Vernachlässigung wird
zum vollständigen Raub des Jugendlebens, wenn der Tod den Faden vor¬
zeitig abreißt." Diese Erwägung gilt mit zehnfachen Gewicht allen denen, die an
kein jenseitiges Leben glauben. Solche müßte der Gedanke, daß auf das unver¬
schuldete Elend einer in Qualen zugebrachten Kindheit kein entschädigendes und
versöhnendes Glück folgt, zum Wahnsinn treiben.

Professor Bücher hat in einem Vorwort zu der zweiten Auflage seiner
Schrift "Der deutsche Buchhandel und die Wissenschaft" mit zwei Bemerkungen
über meinen Artikel in Heft 33 der Grenzboten quittiert. Die ganze Sache hat
für mich kein großes Interesse mehr, und für unsre Leser wahrscheinlich gar keins.
Ich gehe mir noch einmal auf sie ein, weil manchen Leuten Schweigen Schwäche
bedeuten könnte. Herr Professor Bücher hebt hervor, daß "der Verleger der
Buschscheu Tagebuchblätter" andern Leuten eine" Vertrauensbruch vorwerfe. Er
glaubt offenbar, mir damit einen empfindlichen Stoß zu versetzen. Ich verkenne
die wohlwollende Absicht nicht, aber ich bedaure, ihm sagen zu müssen, daß er es
auch hier wieder wohl hat lauten hören, aber nicht zusammenschlage". Denn ich
kann ihm mitteilen, daß Fürst Bismarck von den Teilen der "Tagebuchblntter,"
die in Betracht kommen, sorgfältig Korrektur gelesen hat; er hat dazu Abzüge mit
großem Rand erhalten, die Raum für seinen großen Bleistift boten, und diese


Maßgebliches und Unmaßgebliches

des Massenunterrichts, daß er der Verschiedenheit der Individualitäten nicht Rechnung
tragen kann. Für die Mehrzahl der Schüler aber geht es in den höhern Lehr¬
anstalten, so lange nicht alle Minderbegabten grundsätzlich von ihnen ausgeschlossen
werden, zu rasch, und viele Eltern verschlimmern das Übel noch, indem sie ihre
Söhne zu jung aufs Gymnasium schicken und sie dann, um dem unter diesen Um¬
ständen unvermeidlichen Sitzenbleiben vorzubeugen, durch Nachhilfeunterricht gewalt¬
sam vorwärts treiben lassen, womöglich mit Prügeln. Die Schulpein verkürzen
durch einen zweckmäßigen Privatunterricht, der ohne größere Anstrengung des
Schülers diesem in fünf Jahren, vom vierzehnten bis zum neunzehnten Lebeusjcchre,
dieselbe Menge von Kenntnissen beibrachte, wie sie das Ghmunsium in neun Jahren
vermittelt, das hätte seinen guten Sinn, und in dem Falle, wo den Eltern das
Geld fehlt, läßt sich die Hetze wenigstens entschuldigen; aber wo die Mittel da
sind, hat sie gar keinen Sinn. Kommt der Junge zwei Jahre später zum Ziel,
so ist das längere Schulehocken sein Schaden, sonst schadet es niemand in der
Welt. Eugen Dühring ist ein verschrobner Kerl, aber von Haus aus ein grnnd-
gescheiter und ein edler Mensch, der in solchen Dingen, die nicht mit seinen Schrullen
zusammenhängen, sehr vernünftig denkt. Er hat einen ausgezeichneten Vater gehabt,
der ihn selbst unterrichtet und ihm die Schulpein bis zum dreizehnten Lebensjahre
erspart hat, und dieselbe Wohltat hat er dann wieder seinen Söhnen erwiesen,
von denen nur der eine am Leben geblieben ist. Diesen hat er in gar keine weder
niedere noch höhere Schule geschickt, sondern ganz allein ausgebildet zum Mathe¬
matiker, Physiker und Chemiker, ja zum Forscher und Entdecker, leider freilich mich
zum publizistischen Apostel der väterlichen Schrullen. Dieser Dühring nnn schreibt
in seiner Autobiographie über die Erziehung Worte, die sich wenigstens alle leidlich
bemittelten Eltern vor Augen holten sollten. „Nicht bloß das Lernen, sondern
überhaupt alles war meinen alten Grundsätzen gemäß darauf eingerichtet, das Dasein
in jedem seiner Stadien lebenswert zu mache» und nicht durch eine vorwaltende
Rücksicht auf die Zukunft die Gegenwart des frühern Lebensalters zu verlieren.
Ich hatte es einst (in der ersten Auflage des Buches: Vom Wert des Lebens,
1865) den Eltern ans Herz gelegt, die Erziehung so einzurichten, daß wenn das
Leben eines Kindes früh abschneidet, es doch etwas für sich selbst gewesen und
nicht dem spätern unerfüllten Zweck zum Opfer gebracht sei. Die Freude am
Leben muß das entscheidende Richtmaß der Kinder- und Jugeudbehandluug sein.
Das jugendliche Alter ist kein bloßes Mittel, zu einem reifern zu gelangen, sondern
ein Zweck an sich selbst. Nach diesem Prinzip habe ich von vornherein in meiner
Familie gehandelt. Es wirkt immer wohltätig; aber seine Vernachlässigung wird
zum vollständigen Raub des Jugendlebens, wenn der Tod den Faden vor¬
zeitig abreißt." Diese Erwägung gilt mit zehnfachen Gewicht allen denen, die an
kein jenseitiges Leben glauben. Solche müßte der Gedanke, daß auf das unver¬
schuldete Elend einer in Qualen zugebrachten Kindheit kein entschädigendes und
versöhnendes Glück folgt, zum Wahnsinn treiben.

Professor Bücher hat in einem Vorwort zu der zweiten Auflage seiner
Schrift „Der deutsche Buchhandel und die Wissenschaft" mit zwei Bemerkungen
über meinen Artikel in Heft 33 der Grenzboten quittiert. Die ganze Sache hat
für mich kein großes Interesse mehr, und für unsre Leser wahrscheinlich gar keins.
Ich gehe mir noch einmal auf sie ein, weil manchen Leuten Schweigen Schwäche
bedeuten könnte. Herr Professor Bücher hebt hervor, daß „der Verleger der
Buschscheu Tagebuchblätter" andern Leuten eine» Vertrauensbruch vorwerfe. Er
glaubt offenbar, mir damit einen empfindlichen Stoß zu versetzen. Ich verkenne
die wohlwollende Absicht nicht, aber ich bedaure, ihm sagen zu müssen, daß er es
auch hier wieder wohl hat lauten hören, aber nicht zusammenschlage». Denn ich
kann ihm mitteilen, daß Fürst Bismarck von den Teilen der „Tagebuchblntter,"
die in Betracht kommen, sorgfältig Korrektur gelesen hat; er hat dazu Abzüge mit
großem Rand erhalten, die Raum für seinen großen Bleistift boten, und diese


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[0344] Maßgebliches und Unmaßgebliches des Massenunterrichts, daß er der Verschiedenheit der Individualitäten nicht Rechnung tragen kann. Für die Mehrzahl der Schüler aber geht es in den höhern Lehr¬ anstalten, so lange nicht alle Minderbegabten grundsätzlich von ihnen ausgeschlossen werden, zu rasch, und viele Eltern verschlimmern das Übel noch, indem sie ihre Söhne zu jung aufs Gymnasium schicken und sie dann, um dem unter diesen Um¬ ständen unvermeidlichen Sitzenbleiben vorzubeugen, durch Nachhilfeunterricht gewalt¬ sam vorwärts treiben lassen, womöglich mit Prügeln. Die Schulpein verkürzen durch einen zweckmäßigen Privatunterricht, der ohne größere Anstrengung des Schülers diesem in fünf Jahren, vom vierzehnten bis zum neunzehnten Lebeusjcchre, dieselbe Menge von Kenntnissen beibrachte, wie sie das Ghmunsium in neun Jahren vermittelt, das hätte seinen guten Sinn, und in dem Falle, wo den Eltern das Geld fehlt, läßt sich die Hetze wenigstens entschuldigen; aber wo die Mittel da sind, hat sie gar keinen Sinn. Kommt der Junge zwei Jahre später zum Ziel, so ist das längere Schulehocken sein Schaden, sonst schadet es niemand in der Welt. Eugen Dühring ist ein verschrobner Kerl, aber von Haus aus ein grnnd- gescheiter und ein edler Mensch, der in solchen Dingen, die nicht mit seinen Schrullen zusammenhängen, sehr vernünftig denkt. Er hat einen ausgezeichneten Vater gehabt, der ihn selbst unterrichtet und ihm die Schulpein bis zum dreizehnten Lebensjahre erspart hat, und dieselbe Wohltat hat er dann wieder seinen Söhnen erwiesen, von denen nur der eine am Leben geblieben ist. Diesen hat er in gar keine weder niedere noch höhere Schule geschickt, sondern ganz allein ausgebildet zum Mathe¬ matiker, Physiker und Chemiker, ja zum Forscher und Entdecker, leider freilich mich zum publizistischen Apostel der väterlichen Schrullen. Dieser Dühring nnn schreibt in seiner Autobiographie über die Erziehung Worte, die sich wenigstens alle leidlich bemittelten Eltern vor Augen holten sollten. „Nicht bloß das Lernen, sondern überhaupt alles war meinen alten Grundsätzen gemäß darauf eingerichtet, das Dasein in jedem seiner Stadien lebenswert zu mache» und nicht durch eine vorwaltende Rücksicht auf die Zukunft die Gegenwart des frühern Lebensalters zu verlieren. Ich hatte es einst (in der ersten Auflage des Buches: Vom Wert des Lebens, 1865) den Eltern ans Herz gelegt, die Erziehung so einzurichten, daß wenn das Leben eines Kindes früh abschneidet, es doch etwas für sich selbst gewesen und nicht dem spätern unerfüllten Zweck zum Opfer gebracht sei. Die Freude am Leben muß das entscheidende Richtmaß der Kinder- und Jugeudbehandluug sein. Das jugendliche Alter ist kein bloßes Mittel, zu einem reifern zu gelangen, sondern ein Zweck an sich selbst. Nach diesem Prinzip habe ich von vornherein in meiner Familie gehandelt. Es wirkt immer wohltätig; aber seine Vernachlässigung wird zum vollständigen Raub des Jugendlebens, wenn der Tod den Faden vor¬ zeitig abreißt." Diese Erwägung gilt mit zehnfachen Gewicht allen denen, die an kein jenseitiges Leben glauben. Solche müßte der Gedanke, daß auf das unver¬ schuldete Elend einer in Qualen zugebrachten Kindheit kein entschädigendes und versöhnendes Glück folgt, zum Wahnsinn treiben. Professor Bücher hat in einem Vorwort zu der zweiten Auflage seiner Schrift „Der deutsche Buchhandel und die Wissenschaft" mit zwei Bemerkungen über meinen Artikel in Heft 33 der Grenzboten quittiert. Die ganze Sache hat für mich kein großes Interesse mehr, und für unsre Leser wahrscheinlich gar keins. Ich gehe mir noch einmal auf sie ein, weil manchen Leuten Schweigen Schwäche bedeuten könnte. Herr Professor Bücher hebt hervor, daß „der Verleger der Buschscheu Tagebuchblätter" andern Leuten eine» Vertrauensbruch vorwerfe. Er glaubt offenbar, mir damit einen empfindlichen Stoß zu versetzen. Ich verkenne die wohlwollende Absicht nicht, aber ich bedaure, ihm sagen zu müssen, daß er es auch hier wieder wohl hat lauten hören, aber nicht zusammenschlage». Denn ich kann ihm mitteilen, daß Fürst Bismarck von den Teilen der „Tagebuchblntter," die in Betracht kommen, sorgfältig Korrektur gelesen hat; er hat dazu Abzüge mit großem Rand erhalten, die Raum für seinen großen Bleistift boten, und diese

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/344>, abgerufen am 22.07.2024.