Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zwei Teeion

etwas derart bestanden haben, und anch jetzt waren einige Worte von seltsamem
Klänge unter den Leuten dieser Art noch im Gebrauch, aber sie wurden nur grob
und ungefüge in die sonstige Sprache hineingebaut, so wie etwa ein Bauer sich einige
Quadern von einer zerfallnen Ritterburg holt und sein Häuschen mit ihnen flickt.
Und wenn sich je zwei Kumpane treulich beistanden, so taten sie es nicht auf Grund
eines geheimen Bundes, sondern auf Grund des Eigennutzes, der sie eine Zeit
lang aneinander kittete und sie nachher mit ebensolcher Gewalt anseinander sprengte.

Eine sehr schlechte Meinung hatte Heinemann von dem Meister Schöne. Das
will ein Einbrecher sein, sagte er verächtlich, aber bald tut er dies, bald jenes.
Er stiehlt, betrügt, er ist ein Falschspieler, ein Strnßenräuber, und was weiß ich.
Und das wechselt so alle Tage. Wer heute etwas sein will, der kann nur auf
eine Art arbeiten, darin aber sucht er es zur Vollendung zu bringen. Hierin besteht
auch die Ehre unsers Geschäfts, ohne dies wäre es nichts als Spitzbüberei, von
der sich unsereins verächtlich abwendet. Die Lumperei überläßt mau dem Kon¬
sortium.

Unter dem Ausdruck Konsortium begriff er das arme Volk, das sonst um uns
her lebte und litt, den Tagelöhner, der sich eine Last Holz geholt hatte, den Bauern¬
knecht, der der Kirmes wegen einen Sack Hafer beiseite gebracht hatte, und über¬
haupt alle, die ihre Schelmeustückcheu ohne eigentliche Methode, und nur wenn die
Gelegenheit besonders verlockend gewesen war, verübt hatten, und man mußte ihn
dieses Wort aussprechen hören, so begriff man ohne weiteres, wie verächtlich diese
Sorte Menschen, und wie wenig ehrenvoll der Verkehr mit ihnen war. Auch sonst
warf er gern mit Fremdwörtern um sich, die er aber häufig in einem andern als
dem gebräuchlichen Sinne anwandte. Hier kam der ungebildete Mensch nnter dem
äußern Schliff hervor, und in der Tut, obwohl er sich gab, als hätte er sich von
jeher in der besten Gesellschaft bewegt, war er von niedriger Herkunft und seinem
ursprünglichen Berufe uach ein Korbmachergeselle, dem, als er von einer Welle in
die Großstadt verschlagen worden war, erst die Erkenntnis seiner eigentlichen Ta¬
lente aufgegangen war. Er war ein Taschendieb geworden und hatte es nach den
Proben, die er von seiner Fertigkeit gab, zu einer achtuugswerten Geschicklichkeit ge¬
bracht. Von diesem neuen Beruf sprach er denn auch mit einer großen Begeisterung.
Welche Umsicht gehört dazu, welche Selbstbeherrschung, welche Geduld und welche Un-
erschrockenheit. Von dem Augenblick an, wo man eine bestimmte Person aufs Korn
genommen hat, heißt es die Augen unablässig nach allen Seiten schweifen zu lassen,
jede Kleinigkeit zu beobachten, sich durch nichts aus der Fassung bringen zu lassen,
den richtigen Moment zu ergreifen, schnell zu handeln und dann kaltblütig zu ver¬
schwinden. Das Gesicht muß unbeweglich sein, das Auge ruhig und sinnend, und
das Herz darf nicht klopfen. Ja, aber das Herz klopft dennoch, es schlägt stärker
und feuriger als sonst und macht die doppelten und dreifachen Schläge. So ist
es eine gefährliche und aufreibende Arbeit und kostet immer ein Stück Leben.
Denn wie jedes Uhrwerk nur eine ganz bestimmte Anzahl Schwingungen zu machen
hat, dann aber ruiniert ist, so ist es auch dem menschlichen Herzen genan zuge¬
messen, wie oft es schlagen darf. Indem ich also bei der Arbeit bin und für mein
Fortkommen sorge, schneide ich nur jedesmal ein beträchtliches Stück von meinem
Lebensfaden ab. Das ist das Tragische, lieber Freund.

Diesesmal war er jedoch nicht wegen Ausübung seines Berufs, sondern als
einer, der in ein andres Fach hinübergegriffen hat, nämlich wegen Falschspielerei
bestraft worden, dieses Abweichen von seiner eignen Regel aber, wonach ein rechter
Mann nur immer denselben Trick ausüben solle, erklärte er mir als ein Freund¬
schaftsopfer. Er hatte nur einem Bekannten, dessen Genosse gerade abhanden gekommen
war, in eiuer stillen Stunde, und als er selbst arbeitsunfähig war, beibringen
wollen. Die Ursache dieser Arbeitsunfähigkeit war nnn für ihn eine Quelle
ständigen Schmerzes, da sie durch die Bosheit eines Beamten herbeigeführt worden
war. Dieser hatte nämlich in Heincmanus Akten herumgestöbert und war zufällig


Zwei Teeion

etwas derart bestanden haben, und anch jetzt waren einige Worte von seltsamem
Klänge unter den Leuten dieser Art noch im Gebrauch, aber sie wurden nur grob
und ungefüge in die sonstige Sprache hineingebaut, so wie etwa ein Bauer sich einige
Quadern von einer zerfallnen Ritterburg holt und sein Häuschen mit ihnen flickt.
Und wenn sich je zwei Kumpane treulich beistanden, so taten sie es nicht auf Grund
eines geheimen Bundes, sondern auf Grund des Eigennutzes, der sie eine Zeit
lang aneinander kittete und sie nachher mit ebensolcher Gewalt anseinander sprengte.

Eine sehr schlechte Meinung hatte Heinemann von dem Meister Schöne. Das
will ein Einbrecher sein, sagte er verächtlich, aber bald tut er dies, bald jenes.
Er stiehlt, betrügt, er ist ein Falschspieler, ein Strnßenräuber, und was weiß ich.
Und das wechselt so alle Tage. Wer heute etwas sein will, der kann nur auf
eine Art arbeiten, darin aber sucht er es zur Vollendung zu bringen. Hierin besteht
auch die Ehre unsers Geschäfts, ohne dies wäre es nichts als Spitzbüberei, von
der sich unsereins verächtlich abwendet. Die Lumperei überläßt mau dem Kon¬
sortium.

Unter dem Ausdruck Konsortium begriff er das arme Volk, das sonst um uns
her lebte und litt, den Tagelöhner, der sich eine Last Holz geholt hatte, den Bauern¬
knecht, der der Kirmes wegen einen Sack Hafer beiseite gebracht hatte, und über¬
haupt alle, die ihre Schelmeustückcheu ohne eigentliche Methode, und nur wenn die
Gelegenheit besonders verlockend gewesen war, verübt hatten, und man mußte ihn
dieses Wort aussprechen hören, so begriff man ohne weiteres, wie verächtlich diese
Sorte Menschen, und wie wenig ehrenvoll der Verkehr mit ihnen war. Auch sonst
warf er gern mit Fremdwörtern um sich, die er aber häufig in einem andern als
dem gebräuchlichen Sinne anwandte. Hier kam der ungebildete Mensch nnter dem
äußern Schliff hervor, und in der Tut, obwohl er sich gab, als hätte er sich von
jeher in der besten Gesellschaft bewegt, war er von niedriger Herkunft und seinem
ursprünglichen Berufe uach ein Korbmachergeselle, dem, als er von einer Welle in
die Großstadt verschlagen worden war, erst die Erkenntnis seiner eigentlichen Ta¬
lente aufgegangen war. Er war ein Taschendieb geworden und hatte es nach den
Proben, die er von seiner Fertigkeit gab, zu einer achtuugswerten Geschicklichkeit ge¬
bracht. Von diesem neuen Beruf sprach er denn auch mit einer großen Begeisterung.
Welche Umsicht gehört dazu, welche Selbstbeherrschung, welche Geduld und welche Un-
erschrockenheit. Von dem Augenblick an, wo man eine bestimmte Person aufs Korn
genommen hat, heißt es die Augen unablässig nach allen Seiten schweifen zu lassen,
jede Kleinigkeit zu beobachten, sich durch nichts aus der Fassung bringen zu lassen,
den richtigen Moment zu ergreifen, schnell zu handeln und dann kaltblütig zu ver¬
schwinden. Das Gesicht muß unbeweglich sein, das Auge ruhig und sinnend, und
das Herz darf nicht klopfen. Ja, aber das Herz klopft dennoch, es schlägt stärker
und feuriger als sonst und macht die doppelten und dreifachen Schläge. So ist
es eine gefährliche und aufreibende Arbeit und kostet immer ein Stück Leben.
Denn wie jedes Uhrwerk nur eine ganz bestimmte Anzahl Schwingungen zu machen
hat, dann aber ruiniert ist, so ist es auch dem menschlichen Herzen genan zuge¬
messen, wie oft es schlagen darf. Indem ich also bei der Arbeit bin und für mein
Fortkommen sorge, schneide ich nur jedesmal ein beträchtliches Stück von meinem
Lebensfaden ab. Das ist das Tragische, lieber Freund.

Diesesmal war er jedoch nicht wegen Ausübung seines Berufs, sondern als
einer, der in ein andres Fach hinübergegriffen hat, nämlich wegen Falschspielerei
bestraft worden, dieses Abweichen von seiner eignen Regel aber, wonach ein rechter
Mann nur immer denselben Trick ausüben solle, erklärte er mir als ein Freund¬
schaftsopfer. Er hatte nur einem Bekannten, dessen Genosse gerade abhanden gekommen
war, in eiuer stillen Stunde, und als er selbst arbeitsunfähig war, beibringen
wollen. Die Ursache dieser Arbeitsunfähigkeit war nnn für ihn eine Quelle
ständigen Schmerzes, da sie durch die Bosheit eines Beamten herbeigeführt worden
war. Dieser hatte nämlich in Heincmanus Akten herumgestöbert und war zufällig


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0334" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/242402"/>
            <fw type="header" place="top"> Zwei Teeion</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1165" prev="#ID_1164"> etwas derart bestanden haben, und anch jetzt waren einige Worte von seltsamem<lb/>
Klänge unter den Leuten dieser Art noch im Gebrauch, aber sie wurden nur grob<lb/>
und ungefüge in die sonstige Sprache hineingebaut, so wie etwa ein Bauer sich einige<lb/>
Quadern von einer zerfallnen Ritterburg holt und sein Häuschen mit ihnen flickt.<lb/>
Und wenn sich je zwei Kumpane treulich beistanden, so taten sie es nicht auf Grund<lb/>
eines geheimen Bundes, sondern auf Grund des Eigennutzes, der sie eine Zeit<lb/>
lang aneinander kittete und sie nachher mit ebensolcher Gewalt anseinander sprengte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1166"> Eine sehr schlechte Meinung hatte Heinemann von dem Meister Schöne. Das<lb/>
will ein Einbrecher sein, sagte er verächtlich, aber bald tut er dies, bald jenes.<lb/>
Er stiehlt, betrügt, er ist ein Falschspieler, ein Strnßenräuber, und was weiß ich.<lb/>
Und das wechselt so alle Tage. Wer heute etwas sein will, der kann nur auf<lb/>
eine Art arbeiten, darin aber sucht er es zur Vollendung zu bringen. Hierin besteht<lb/>
auch die Ehre unsers Geschäfts, ohne dies wäre es nichts als Spitzbüberei, von<lb/>
der sich unsereins verächtlich abwendet. Die Lumperei überläßt mau dem Kon¬<lb/>
sortium.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1167"> Unter dem Ausdruck Konsortium begriff er das arme Volk, das sonst um uns<lb/>
her lebte und litt, den Tagelöhner, der sich eine Last Holz geholt hatte, den Bauern¬<lb/>
knecht, der der Kirmes wegen einen Sack Hafer beiseite gebracht hatte, und über¬<lb/>
haupt alle, die ihre Schelmeustückcheu ohne eigentliche Methode, und nur wenn die<lb/>
Gelegenheit besonders verlockend gewesen war, verübt hatten, und man mußte ihn<lb/>
dieses Wort aussprechen hören, so begriff man ohne weiteres, wie verächtlich diese<lb/>
Sorte Menschen, und wie wenig ehrenvoll der Verkehr mit ihnen war. Auch sonst<lb/>
warf er gern mit Fremdwörtern um sich, die er aber häufig in einem andern als<lb/>
dem gebräuchlichen Sinne anwandte. Hier kam der ungebildete Mensch nnter dem<lb/>
äußern Schliff hervor, und in der Tut, obwohl er sich gab, als hätte er sich von<lb/>
jeher in der besten Gesellschaft bewegt, war er von niedriger Herkunft und seinem<lb/>
ursprünglichen Berufe uach ein Korbmachergeselle, dem, als er von einer Welle in<lb/>
die Großstadt verschlagen worden war, erst die Erkenntnis seiner eigentlichen Ta¬<lb/>
lente aufgegangen war. Er war ein Taschendieb geworden und hatte es nach den<lb/>
Proben, die er von seiner Fertigkeit gab, zu einer achtuugswerten Geschicklichkeit ge¬<lb/>
bracht. Von diesem neuen Beruf sprach er denn auch mit einer großen Begeisterung.<lb/>
Welche Umsicht gehört dazu, welche Selbstbeherrschung, welche Geduld und welche Un-<lb/>
erschrockenheit. Von dem Augenblick an, wo man eine bestimmte Person aufs Korn<lb/>
genommen hat, heißt es die Augen unablässig nach allen Seiten schweifen zu lassen,<lb/>
jede Kleinigkeit zu beobachten, sich durch nichts aus der Fassung bringen zu lassen,<lb/>
den richtigen Moment zu ergreifen, schnell zu handeln und dann kaltblütig zu ver¬<lb/>
schwinden. Das Gesicht muß unbeweglich sein, das Auge ruhig und sinnend, und<lb/>
das Herz darf nicht klopfen. Ja, aber das Herz klopft dennoch, es schlägt stärker<lb/>
und feuriger als sonst und macht die doppelten und dreifachen Schläge. So ist<lb/>
es eine gefährliche und aufreibende Arbeit und kostet immer ein Stück Leben.<lb/>
Denn wie jedes Uhrwerk nur eine ganz bestimmte Anzahl Schwingungen zu machen<lb/>
hat, dann aber ruiniert ist, so ist es auch dem menschlichen Herzen genan zuge¬<lb/>
messen, wie oft es schlagen darf. Indem ich also bei der Arbeit bin und für mein<lb/>
Fortkommen sorge, schneide ich nur jedesmal ein beträchtliches Stück von meinem<lb/>
Lebensfaden ab.  Das ist das Tragische, lieber Freund.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1168" next="#ID_1169"> Diesesmal war er jedoch nicht wegen Ausübung seines Berufs, sondern als<lb/>
einer, der in ein andres Fach hinübergegriffen hat, nämlich wegen Falschspielerei<lb/>
bestraft worden, dieses Abweichen von seiner eignen Regel aber, wonach ein rechter<lb/>
Mann nur immer denselben Trick ausüben solle, erklärte er mir als ein Freund¬<lb/>
schaftsopfer. Er hatte nur einem Bekannten, dessen Genosse gerade abhanden gekommen<lb/>
war, in eiuer stillen Stunde, und als er selbst arbeitsunfähig war, beibringen<lb/>
wollen. Die Ursache dieser Arbeitsunfähigkeit war nnn für ihn eine Quelle<lb/>
ständigen Schmerzes, da sie durch die Bosheit eines Beamten herbeigeführt worden<lb/>
war.  Dieser hatte nämlich in Heincmanus Akten herumgestöbert und war zufällig</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0334] Zwei Teeion etwas derart bestanden haben, und anch jetzt waren einige Worte von seltsamem Klänge unter den Leuten dieser Art noch im Gebrauch, aber sie wurden nur grob und ungefüge in die sonstige Sprache hineingebaut, so wie etwa ein Bauer sich einige Quadern von einer zerfallnen Ritterburg holt und sein Häuschen mit ihnen flickt. Und wenn sich je zwei Kumpane treulich beistanden, so taten sie es nicht auf Grund eines geheimen Bundes, sondern auf Grund des Eigennutzes, der sie eine Zeit lang aneinander kittete und sie nachher mit ebensolcher Gewalt anseinander sprengte. Eine sehr schlechte Meinung hatte Heinemann von dem Meister Schöne. Das will ein Einbrecher sein, sagte er verächtlich, aber bald tut er dies, bald jenes. Er stiehlt, betrügt, er ist ein Falschspieler, ein Strnßenräuber, und was weiß ich. Und das wechselt so alle Tage. Wer heute etwas sein will, der kann nur auf eine Art arbeiten, darin aber sucht er es zur Vollendung zu bringen. Hierin besteht auch die Ehre unsers Geschäfts, ohne dies wäre es nichts als Spitzbüberei, von der sich unsereins verächtlich abwendet. Die Lumperei überläßt mau dem Kon¬ sortium. Unter dem Ausdruck Konsortium begriff er das arme Volk, das sonst um uns her lebte und litt, den Tagelöhner, der sich eine Last Holz geholt hatte, den Bauern¬ knecht, der der Kirmes wegen einen Sack Hafer beiseite gebracht hatte, und über¬ haupt alle, die ihre Schelmeustückcheu ohne eigentliche Methode, und nur wenn die Gelegenheit besonders verlockend gewesen war, verübt hatten, und man mußte ihn dieses Wort aussprechen hören, so begriff man ohne weiteres, wie verächtlich diese Sorte Menschen, und wie wenig ehrenvoll der Verkehr mit ihnen war. Auch sonst warf er gern mit Fremdwörtern um sich, die er aber häufig in einem andern als dem gebräuchlichen Sinne anwandte. Hier kam der ungebildete Mensch nnter dem äußern Schliff hervor, und in der Tut, obwohl er sich gab, als hätte er sich von jeher in der besten Gesellschaft bewegt, war er von niedriger Herkunft und seinem ursprünglichen Berufe uach ein Korbmachergeselle, dem, als er von einer Welle in die Großstadt verschlagen worden war, erst die Erkenntnis seiner eigentlichen Ta¬ lente aufgegangen war. Er war ein Taschendieb geworden und hatte es nach den Proben, die er von seiner Fertigkeit gab, zu einer achtuugswerten Geschicklichkeit ge¬ bracht. Von diesem neuen Beruf sprach er denn auch mit einer großen Begeisterung. Welche Umsicht gehört dazu, welche Selbstbeherrschung, welche Geduld und welche Un- erschrockenheit. Von dem Augenblick an, wo man eine bestimmte Person aufs Korn genommen hat, heißt es die Augen unablässig nach allen Seiten schweifen zu lassen, jede Kleinigkeit zu beobachten, sich durch nichts aus der Fassung bringen zu lassen, den richtigen Moment zu ergreifen, schnell zu handeln und dann kaltblütig zu ver¬ schwinden. Das Gesicht muß unbeweglich sein, das Auge ruhig und sinnend, und das Herz darf nicht klopfen. Ja, aber das Herz klopft dennoch, es schlägt stärker und feuriger als sonst und macht die doppelten und dreifachen Schläge. So ist es eine gefährliche und aufreibende Arbeit und kostet immer ein Stück Leben. Denn wie jedes Uhrwerk nur eine ganz bestimmte Anzahl Schwingungen zu machen hat, dann aber ruiniert ist, so ist es auch dem menschlichen Herzen genan zuge¬ messen, wie oft es schlagen darf. Indem ich also bei der Arbeit bin und für mein Fortkommen sorge, schneide ich nur jedesmal ein beträchtliches Stück von meinem Lebensfaden ab. Das ist das Tragische, lieber Freund. Diesesmal war er jedoch nicht wegen Ausübung seines Berufs, sondern als einer, der in ein andres Fach hinübergegriffen hat, nämlich wegen Falschspielerei bestraft worden, dieses Abweichen von seiner eignen Regel aber, wonach ein rechter Mann nur immer denselben Trick ausüben solle, erklärte er mir als ein Freund¬ schaftsopfer. Er hatte nur einem Bekannten, dessen Genosse gerade abhanden gekommen war, in eiuer stillen Stunde, und als er selbst arbeitsunfähig war, beibringen wollen. Die Ursache dieser Arbeitsunfähigkeit war nnn für ihn eine Quelle ständigen Schmerzes, da sie durch die Bosheit eines Beamten herbeigeführt worden war. Dieser hatte nämlich in Heincmanus Akten herumgestöbert und war zufällig

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/334
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/334>, abgerufen am 01.07.2024.