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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Zwei Seelen

ein Stück altes Eisen herumgeworfen zu werden, so geschah es auch jetzt wieder
sie rissen mich von meinem Gegner los und stießen mich gegen das morsche Straßen-
geläuder, durch das ich hindurch brach; ich wollte mich aufraffen, aber ich flog
über die Straßenböschung und stürzte in die Tiefe. Dort blieb ich liegen, da mir
ein Bein gebrochen war, und so mußten mich dieselben Leute, die mich so übel
zugerichtet hatten, nun noch sanft in ein Krankenhaus tragen.

Dort wurde ich mit einemmal merkwürdig klar. Der lächerliche Firnis,
mit dem ich meine Person überstrichen hatte, riß auseinander, und das Armselige,
was dahintersteckte, kam zum Vorschein: ein trauriger Glücksritter, der stolz zu
Pferde gestiegen war, ohne reiten gelernt zu haben und darum mit Recht abge¬
worfen und unter die Hufe getreten wurde. Horst besuchte mich, ich weiß nicht,
ob aus Mitleid oder aus einem andern Beweggrund, ich reichte ihm die Hand
und erbat seine Verzeihung. Wohltuender war mir der Besuch meines alten
Meisters. Er betrachtete mich voll zarten Erbarmens, sprach im übrigen nicht viel,
sondern saß mir die meiste Zeit nach seiner Weise still gegenüber. Beim Weg¬
gehen legte er mir jedoch einen Zettel aufs Bett, worauf ein Spruch geschrieben
stand, der mir sagen sollte, was mir in dieser Anfechtung gut zu hören war. Er
lautete: "Es geht uus wie dem Schilfe, das im Wasser wächst. schwillt das
Wasser über, so beugt sich das Schilf und geht unter, und das Wasser fließt darüber
hin, ohne es zu verletzen. Läuft das Wasser ab, so richtet sich das Schilf wieder
auf und wächst in seiner Kraft frisch und fröhlich. So müssen auch wir zuweilen
gebeugt und gedemütigt werden, damit wir uns nachher, wenn die Trübsal vorüber
ist, frisch und fröhlich wieder aufrichten." Der Spruch soll von einer Kreuzträgerin
herrühren, durch deren zerrissenes Leben ein ewiges Licht geschienen hat, der Land¬
gräfin Elisabeth, die man die Heilige nennt, und ich habe ihn aufgehoben und ihn
mir Wort für Wort eingeprägt, nicht weil er damals auf mich Eindruck gemacht hätte,
sondern als Erinnerung an einen alten gütigen Mann, der, was er schrieb, auch
selber tat, und dem die Worte Gelassenheit und Ergebung nicht schöne Worte neben
andern schönen Worten waren, sondern eine feste Richtschnur, nach der sein ganzes
Leben gezimmert und aufgebaut war, und jede Uhr im Hause zu schlagen hatte.

Ehe ich solche ruhige Lebensweisheit würdigen lernte, hatte ich mich erst noch
bös herumzuschlagen. Und nur in Stunden und Augenblicken, wo mir das
Schicksal einmal gönnte, Atem zu schöpfen, und die Hämmer, von denen mein
Leben in glühender Esse geschmiedet und geformt wurde, einen Augenblick in der
Schwebe blieben, vernahm ich solche Klänge, wie es aus der versunkner Stadt
herauftönt, wenn das Meer ruht und die Winde schweigen. Zunächst verwies mich
das Gericht wegen meines Überfalls auf zwei Monate ins Gefängnis. Wie ich
da vor den Schranken stand und mich, während ein zahlreiches Publikum den Blick
aus mich gerichtet hielt, bei lebendigem Leibe sezieren lassen mußte, erfuhr ich, zu
welchem Rufe ich es in der Welt gebracht hatte, und welche Zukunft meiner wartete.
Ein gefährlicher Mensch war ich, der dem Lande noch manches Ärgernis bereiten
werde, in dessen scharfen und herausfordernden Zügen in unbestimmten Linien zwar,
aber doch so deutlich, daß der Geübte nicht in Zweifel sein konnte, sein ganzes
zukünftiges Schicksal erkennbar war. Was da über mich gesprochen wurde, das
war alles wahr, so zutreffend, als wären es nicht menschliche Phantasien, sondern
als nähme die ewige Weisheit selber die Tücher von dem feuchten Ton, aus dem
sie mein Leben herausmodellierte, herunter. Und es war dennoch falsch. Ein ge¬
fährlicher Mensch war ich nicht, vielmehr ein armer Teufel, empfänglich für jedes
Gefühl von Güte und Freundlichkeit, das man mir entgegenbrachte, hungrig nach
Glück und Liebe, eine weiche Seele, in der sich jede Hand abdrückte, mit einem
Wort, ein großer Angsthase, der seine Tränen nur deswegen zurückdrängte, weil
er nebenbei auch ein armer eitler Tropf war. Wozu sage ich diese herben Worte
gegen mich selber? Versöhne ich mein eignes Bild, um einer neuen Art von
Eitelkeit zu frönen und also anstelle eines, das mir leid geworden ist, unvermerkt
und ganz uuter der Hand ein mir bequemes Bild unterzuschieben? Nein, ich rede


Zwei Seelen

ein Stück altes Eisen herumgeworfen zu werden, so geschah es auch jetzt wieder
sie rissen mich von meinem Gegner los und stießen mich gegen das morsche Straßen-
geläuder, durch das ich hindurch brach; ich wollte mich aufraffen, aber ich flog
über die Straßenböschung und stürzte in die Tiefe. Dort blieb ich liegen, da mir
ein Bein gebrochen war, und so mußten mich dieselben Leute, die mich so übel
zugerichtet hatten, nun noch sanft in ein Krankenhaus tragen.

Dort wurde ich mit einemmal merkwürdig klar. Der lächerliche Firnis,
mit dem ich meine Person überstrichen hatte, riß auseinander, und das Armselige,
was dahintersteckte, kam zum Vorschein: ein trauriger Glücksritter, der stolz zu
Pferde gestiegen war, ohne reiten gelernt zu haben und darum mit Recht abge¬
worfen und unter die Hufe getreten wurde. Horst besuchte mich, ich weiß nicht,
ob aus Mitleid oder aus einem andern Beweggrund, ich reichte ihm die Hand
und erbat seine Verzeihung. Wohltuender war mir der Besuch meines alten
Meisters. Er betrachtete mich voll zarten Erbarmens, sprach im übrigen nicht viel,
sondern saß mir die meiste Zeit nach seiner Weise still gegenüber. Beim Weg¬
gehen legte er mir jedoch einen Zettel aufs Bett, worauf ein Spruch geschrieben
stand, der mir sagen sollte, was mir in dieser Anfechtung gut zu hören war. Er
lautete: „Es geht uus wie dem Schilfe, das im Wasser wächst. schwillt das
Wasser über, so beugt sich das Schilf und geht unter, und das Wasser fließt darüber
hin, ohne es zu verletzen. Läuft das Wasser ab, so richtet sich das Schilf wieder
auf und wächst in seiner Kraft frisch und fröhlich. So müssen auch wir zuweilen
gebeugt und gedemütigt werden, damit wir uns nachher, wenn die Trübsal vorüber
ist, frisch und fröhlich wieder aufrichten." Der Spruch soll von einer Kreuzträgerin
herrühren, durch deren zerrissenes Leben ein ewiges Licht geschienen hat, der Land¬
gräfin Elisabeth, die man die Heilige nennt, und ich habe ihn aufgehoben und ihn
mir Wort für Wort eingeprägt, nicht weil er damals auf mich Eindruck gemacht hätte,
sondern als Erinnerung an einen alten gütigen Mann, der, was er schrieb, auch
selber tat, und dem die Worte Gelassenheit und Ergebung nicht schöne Worte neben
andern schönen Worten waren, sondern eine feste Richtschnur, nach der sein ganzes
Leben gezimmert und aufgebaut war, und jede Uhr im Hause zu schlagen hatte.

Ehe ich solche ruhige Lebensweisheit würdigen lernte, hatte ich mich erst noch
bös herumzuschlagen. Und nur in Stunden und Augenblicken, wo mir das
Schicksal einmal gönnte, Atem zu schöpfen, und die Hämmer, von denen mein
Leben in glühender Esse geschmiedet und geformt wurde, einen Augenblick in der
Schwebe blieben, vernahm ich solche Klänge, wie es aus der versunkner Stadt
herauftönt, wenn das Meer ruht und die Winde schweigen. Zunächst verwies mich
das Gericht wegen meines Überfalls auf zwei Monate ins Gefängnis. Wie ich
da vor den Schranken stand und mich, während ein zahlreiches Publikum den Blick
aus mich gerichtet hielt, bei lebendigem Leibe sezieren lassen mußte, erfuhr ich, zu
welchem Rufe ich es in der Welt gebracht hatte, und welche Zukunft meiner wartete.
Ein gefährlicher Mensch war ich, der dem Lande noch manches Ärgernis bereiten
werde, in dessen scharfen und herausfordernden Zügen in unbestimmten Linien zwar,
aber doch so deutlich, daß der Geübte nicht in Zweifel sein konnte, sein ganzes
zukünftiges Schicksal erkennbar war. Was da über mich gesprochen wurde, das
war alles wahr, so zutreffend, als wären es nicht menschliche Phantasien, sondern
als nähme die ewige Weisheit selber die Tücher von dem feuchten Ton, aus dem
sie mein Leben herausmodellierte, herunter. Und es war dennoch falsch. Ein ge¬
fährlicher Mensch war ich nicht, vielmehr ein armer Teufel, empfänglich für jedes
Gefühl von Güte und Freundlichkeit, das man mir entgegenbrachte, hungrig nach
Glück und Liebe, eine weiche Seele, in der sich jede Hand abdrückte, mit einem
Wort, ein großer Angsthase, der seine Tränen nur deswegen zurückdrängte, weil
er nebenbei auch ein armer eitler Tropf war. Wozu sage ich diese herben Worte
gegen mich selber? Versöhne ich mein eignes Bild, um einer neuen Art von
Eitelkeit zu frönen und also anstelle eines, das mir leid geworden ist, unvermerkt
und ganz uuter der Hand ein mir bequemes Bild unterzuschieben? Nein, ich rede


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[0267] Zwei Seelen ein Stück altes Eisen herumgeworfen zu werden, so geschah es auch jetzt wieder sie rissen mich von meinem Gegner los und stießen mich gegen das morsche Straßen- geläuder, durch das ich hindurch brach; ich wollte mich aufraffen, aber ich flog über die Straßenböschung und stürzte in die Tiefe. Dort blieb ich liegen, da mir ein Bein gebrochen war, und so mußten mich dieselben Leute, die mich so übel zugerichtet hatten, nun noch sanft in ein Krankenhaus tragen. Dort wurde ich mit einemmal merkwürdig klar. Der lächerliche Firnis, mit dem ich meine Person überstrichen hatte, riß auseinander, und das Armselige, was dahintersteckte, kam zum Vorschein: ein trauriger Glücksritter, der stolz zu Pferde gestiegen war, ohne reiten gelernt zu haben und darum mit Recht abge¬ worfen und unter die Hufe getreten wurde. Horst besuchte mich, ich weiß nicht, ob aus Mitleid oder aus einem andern Beweggrund, ich reichte ihm die Hand und erbat seine Verzeihung. Wohltuender war mir der Besuch meines alten Meisters. Er betrachtete mich voll zarten Erbarmens, sprach im übrigen nicht viel, sondern saß mir die meiste Zeit nach seiner Weise still gegenüber. Beim Weg¬ gehen legte er mir jedoch einen Zettel aufs Bett, worauf ein Spruch geschrieben stand, der mir sagen sollte, was mir in dieser Anfechtung gut zu hören war. Er lautete: „Es geht uus wie dem Schilfe, das im Wasser wächst. schwillt das Wasser über, so beugt sich das Schilf und geht unter, und das Wasser fließt darüber hin, ohne es zu verletzen. Läuft das Wasser ab, so richtet sich das Schilf wieder auf und wächst in seiner Kraft frisch und fröhlich. So müssen auch wir zuweilen gebeugt und gedemütigt werden, damit wir uns nachher, wenn die Trübsal vorüber ist, frisch und fröhlich wieder aufrichten." Der Spruch soll von einer Kreuzträgerin herrühren, durch deren zerrissenes Leben ein ewiges Licht geschienen hat, der Land¬ gräfin Elisabeth, die man die Heilige nennt, und ich habe ihn aufgehoben und ihn mir Wort für Wort eingeprägt, nicht weil er damals auf mich Eindruck gemacht hätte, sondern als Erinnerung an einen alten gütigen Mann, der, was er schrieb, auch selber tat, und dem die Worte Gelassenheit und Ergebung nicht schöne Worte neben andern schönen Worten waren, sondern eine feste Richtschnur, nach der sein ganzes Leben gezimmert und aufgebaut war, und jede Uhr im Hause zu schlagen hatte. Ehe ich solche ruhige Lebensweisheit würdigen lernte, hatte ich mich erst noch bös herumzuschlagen. Und nur in Stunden und Augenblicken, wo mir das Schicksal einmal gönnte, Atem zu schöpfen, und die Hämmer, von denen mein Leben in glühender Esse geschmiedet und geformt wurde, einen Augenblick in der Schwebe blieben, vernahm ich solche Klänge, wie es aus der versunkner Stadt herauftönt, wenn das Meer ruht und die Winde schweigen. Zunächst verwies mich das Gericht wegen meines Überfalls auf zwei Monate ins Gefängnis. Wie ich da vor den Schranken stand und mich, während ein zahlreiches Publikum den Blick aus mich gerichtet hielt, bei lebendigem Leibe sezieren lassen mußte, erfuhr ich, zu welchem Rufe ich es in der Welt gebracht hatte, und welche Zukunft meiner wartete. Ein gefährlicher Mensch war ich, der dem Lande noch manches Ärgernis bereiten werde, in dessen scharfen und herausfordernden Zügen in unbestimmten Linien zwar, aber doch so deutlich, daß der Geübte nicht in Zweifel sein konnte, sein ganzes zukünftiges Schicksal erkennbar war. Was da über mich gesprochen wurde, das war alles wahr, so zutreffend, als wären es nicht menschliche Phantasien, sondern als nähme die ewige Weisheit selber die Tücher von dem feuchten Ton, aus dem sie mein Leben herausmodellierte, herunter. Und es war dennoch falsch. Ein ge¬ fährlicher Mensch war ich nicht, vielmehr ein armer Teufel, empfänglich für jedes Gefühl von Güte und Freundlichkeit, das man mir entgegenbrachte, hungrig nach Glück und Liebe, eine weiche Seele, in der sich jede Hand abdrückte, mit einem Wort, ein großer Angsthase, der seine Tränen nur deswegen zurückdrängte, weil er nebenbei auch ein armer eitler Tropf war. Wozu sage ich diese herben Worte gegen mich selber? Versöhne ich mein eignes Bild, um einer neuen Art von Eitelkeit zu frönen und also anstelle eines, das mir leid geworden ist, unvermerkt und ganz uuter der Hand ein mir bequemes Bild unterzuschieben? Nein, ich rede

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/267>, abgerufen am 22.07.2024.