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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Aus der Jugendzeit

schrecklichen Staub zum Katheder schritt, so warf ihm der Junge von innen die
Wandtafel entgegen, kletterte hinten ans dem Katheder hinaus und mischte sich
unter die Corona, Der Musikdirektor wollte wissen, wer schuld an der unerhörten
Veranstaltung sei. Dann traten die ältern, faulen und frechen Jungen vor und
klagten darüber, daß jetzt so kleine, kindische Jungen nach Quinta versetzt würden,
die an so albernen Streichen Gefallen fänden. Man kann sich denken, wie drollig
in unsern Ohren diese Verhandlungen des ratlosem Gesanglehrers mit den Rädels¬
führern der Klasse klangen. Während dieser Verhandlungen lag die Geige des
Musikdirektors auf der ersten Bank. Hatte er endlich die Ermittlung des Tafel-
umwerfers und der Staubaufwirbler aufgegeben, so bestimmte er das Lied, das
gesungen werden sollte. Sobald er aber den Bogen ansetzte, um auf der Geige
den Ton anzugeben, überzeugte ihn ein mißtönendes Geauietsch, daß die Saiten der
Geige und der Fidelbogen inzwischen mit Talg oder Fett beschmiert worden waren.
Dies war in der Regel der Zeitpunkt, wo der gute Vorsatz des Musikdirektors,
sich durch nichts reizen und in Aufregung bringen zu lassen, versagte. Eine Zorn¬
welle stieg ihm ins Gesicht, und er suchte die Jungen, die der Geige zunächst ge¬
sessen hatten, zu fassen. Diese aber steckten längst unter dem Pult und der Bank
und krochen mit affenartiger Geschwindigkeit unter deu Beinen der andern Jungen
bis in die fernsten Winkel der Klasse. Erfurt mit geschwungnem Violinbogen
hinter ihnen her. Dazu ertönte ein wahres Jndicmergeheul in der Klasse, und
wenn der arme Lehrer, seiner Sinne nicht mehr mächtig, seinen Bogen auf dem
Rücken eines Jungen zerschlug, so war der Jubel kaum noch zu bändigen. Denn
nun wurde ein Junge in die Dienstwohnung des Musikdirektors geschickt, die im
Gymnasium war, und mußte einen andern Bogen holen, und bis dahin blieb dem
Lehrer kaum etwas andres übrig, als sich mit der Klasse zu unterhalten. Dieser
völlige Mangel jeder Disziplin in den Gesangstunden und die Verhöhnung des
Musikdirektors wirkte auf uns neuhiuzugelommene Quintaner sehr nachteilig. Bald
darauf starb der Musikdirektor Erfurt, und sein Nachfolger stellte sofort die volle
Ordnung wieder her.

Auch bei dem Unterrichte des Schreib- und Zeichenlehrers ging es nicht
immer so geordnet her, wie es hätte sein sollen. Doch kamen solche Ausschreitungen
wie in den Gesangstunden hier nicht vor. Dieser Lehrer hatte einen vollkommen
begründeten Abschen vor gewissen Manipulationen, zum Beispiel dem Putzen der
Fingernagel und dergleichen, und verwies solche Reinigungsoperationen mit Recht
ins Kämmerlein. Die Jungen hatten es bald heraus, daß der Lehrer in den
Äußerungen seines Unwillens über solche Unschicklichkeiten kein Maß kannte. Es
wurde also verabredet, daß ein Junge an seiner Hand zwar nichts vornahm, sondern
sie nur aufmerksam betrachtete. Dann meldete ein andrer: "Herr R-, der N. N.
Putze seine Nägel." Sobald die Klasse dies hörte, brach sie in ein allgemeines,
überlautes: "Pfui, pfui!" aus, das mit den übertriebensten Äußerungen des Wider¬
willens solange wie möglich wiederholt wurde. Abgesehen von diesen Gesang-,
Zeichen- und Schreibstunden herrschte in Quinta eine musterhafte und sehr strenge
Disziplin, sowohl bei dem Dr. Schmidt, der im ersten, wie bei dem Dr. Matthiä,
der im zweiten Halbjahr Klassenlehrer war. Namentlich Matthiä war überaus
streng und behandelte uns nicht ungeschickt mit einem Sarkasmus, der weher tat,
als ein Hieb getan hätte. Mir war er gewogen und sprach das auch wiederholt
aus. So kam es, daß auch ich diesem sonst höchst unbeliebte" Lehrer aus natür¬
licher Dankbarkeit zugetan war. Er wurde später an das Gymnasium nach Schleu-
singen versetzt. Als ich im Jahre 1876 als vortragender Rat in das Unterrichts¬
ministerium kam, war eine meiner ersten Aufgaben die Bearbeitung einer gegen den
Dr. Matthiä in Schleusingen mit dem Ziele der Dienstentlassung eingeleiteten
Diszipliuaruntersnchung. Die ganze Sache beruhte wesentlich ans elendem, klein¬
städtischen Klatsch. Nur hatte Dr. Matthiä sich höchst unvorsichtig benommen und
sich Blößen gegeben, die ihn gesellschaftlich nahezu unmöglich machten. Ich ver-


Aus der Jugendzeit

schrecklichen Staub zum Katheder schritt, so warf ihm der Junge von innen die
Wandtafel entgegen, kletterte hinten ans dem Katheder hinaus und mischte sich
unter die Corona, Der Musikdirektor wollte wissen, wer schuld an der unerhörten
Veranstaltung sei. Dann traten die ältern, faulen und frechen Jungen vor und
klagten darüber, daß jetzt so kleine, kindische Jungen nach Quinta versetzt würden,
die an so albernen Streichen Gefallen fänden. Man kann sich denken, wie drollig
in unsern Ohren diese Verhandlungen des ratlosem Gesanglehrers mit den Rädels¬
führern der Klasse klangen. Während dieser Verhandlungen lag die Geige des
Musikdirektors auf der ersten Bank. Hatte er endlich die Ermittlung des Tafel-
umwerfers und der Staubaufwirbler aufgegeben, so bestimmte er das Lied, das
gesungen werden sollte. Sobald er aber den Bogen ansetzte, um auf der Geige
den Ton anzugeben, überzeugte ihn ein mißtönendes Geauietsch, daß die Saiten der
Geige und der Fidelbogen inzwischen mit Talg oder Fett beschmiert worden waren.
Dies war in der Regel der Zeitpunkt, wo der gute Vorsatz des Musikdirektors,
sich durch nichts reizen und in Aufregung bringen zu lassen, versagte. Eine Zorn¬
welle stieg ihm ins Gesicht, und er suchte die Jungen, die der Geige zunächst ge¬
sessen hatten, zu fassen. Diese aber steckten längst unter dem Pult und der Bank
und krochen mit affenartiger Geschwindigkeit unter deu Beinen der andern Jungen
bis in die fernsten Winkel der Klasse. Erfurt mit geschwungnem Violinbogen
hinter ihnen her. Dazu ertönte ein wahres Jndicmergeheul in der Klasse, und
wenn der arme Lehrer, seiner Sinne nicht mehr mächtig, seinen Bogen auf dem
Rücken eines Jungen zerschlug, so war der Jubel kaum noch zu bändigen. Denn
nun wurde ein Junge in die Dienstwohnung des Musikdirektors geschickt, die im
Gymnasium war, und mußte einen andern Bogen holen, und bis dahin blieb dem
Lehrer kaum etwas andres übrig, als sich mit der Klasse zu unterhalten. Dieser
völlige Mangel jeder Disziplin in den Gesangstunden und die Verhöhnung des
Musikdirektors wirkte auf uns neuhiuzugelommene Quintaner sehr nachteilig. Bald
darauf starb der Musikdirektor Erfurt, und sein Nachfolger stellte sofort die volle
Ordnung wieder her.

Auch bei dem Unterrichte des Schreib- und Zeichenlehrers ging es nicht
immer so geordnet her, wie es hätte sein sollen. Doch kamen solche Ausschreitungen
wie in den Gesangstunden hier nicht vor. Dieser Lehrer hatte einen vollkommen
begründeten Abschen vor gewissen Manipulationen, zum Beispiel dem Putzen der
Fingernagel und dergleichen, und verwies solche Reinigungsoperationen mit Recht
ins Kämmerlein. Die Jungen hatten es bald heraus, daß der Lehrer in den
Äußerungen seines Unwillens über solche Unschicklichkeiten kein Maß kannte. Es
wurde also verabredet, daß ein Junge an seiner Hand zwar nichts vornahm, sondern
sie nur aufmerksam betrachtete. Dann meldete ein andrer: „Herr R-, der N. N.
Putze seine Nägel." Sobald die Klasse dies hörte, brach sie in ein allgemeines,
überlautes: „Pfui, pfui!" aus, das mit den übertriebensten Äußerungen des Wider¬
willens solange wie möglich wiederholt wurde. Abgesehen von diesen Gesang-,
Zeichen- und Schreibstunden herrschte in Quinta eine musterhafte und sehr strenge
Disziplin, sowohl bei dem Dr. Schmidt, der im ersten, wie bei dem Dr. Matthiä,
der im zweiten Halbjahr Klassenlehrer war. Namentlich Matthiä war überaus
streng und behandelte uns nicht ungeschickt mit einem Sarkasmus, der weher tat,
als ein Hieb getan hätte. Mir war er gewogen und sprach das auch wiederholt
aus. So kam es, daß auch ich diesem sonst höchst unbeliebte» Lehrer aus natür¬
licher Dankbarkeit zugetan war. Er wurde später an das Gymnasium nach Schleu-
singen versetzt. Als ich im Jahre 1876 als vortragender Rat in das Unterrichts¬
ministerium kam, war eine meiner ersten Aufgaben die Bearbeitung einer gegen den
Dr. Matthiä in Schleusingen mit dem Ziele der Dienstentlassung eingeleiteten
Diszipliuaruntersnchung. Die ganze Sache beruhte wesentlich ans elendem, klein¬
städtischen Klatsch. Nur hatte Dr. Matthiä sich höchst unvorsichtig benommen und
sich Blößen gegeben, die ihn gesellschaftlich nahezu unmöglich machten. Ich ver-


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[0256] Aus der Jugendzeit schrecklichen Staub zum Katheder schritt, so warf ihm der Junge von innen die Wandtafel entgegen, kletterte hinten ans dem Katheder hinaus und mischte sich unter die Corona, Der Musikdirektor wollte wissen, wer schuld an der unerhörten Veranstaltung sei. Dann traten die ältern, faulen und frechen Jungen vor und klagten darüber, daß jetzt so kleine, kindische Jungen nach Quinta versetzt würden, die an so albernen Streichen Gefallen fänden. Man kann sich denken, wie drollig in unsern Ohren diese Verhandlungen des ratlosem Gesanglehrers mit den Rädels¬ führern der Klasse klangen. Während dieser Verhandlungen lag die Geige des Musikdirektors auf der ersten Bank. Hatte er endlich die Ermittlung des Tafel- umwerfers und der Staubaufwirbler aufgegeben, so bestimmte er das Lied, das gesungen werden sollte. Sobald er aber den Bogen ansetzte, um auf der Geige den Ton anzugeben, überzeugte ihn ein mißtönendes Geauietsch, daß die Saiten der Geige und der Fidelbogen inzwischen mit Talg oder Fett beschmiert worden waren. Dies war in der Regel der Zeitpunkt, wo der gute Vorsatz des Musikdirektors, sich durch nichts reizen und in Aufregung bringen zu lassen, versagte. Eine Zorn¬ welle stieg ihm ins Gesicht, und er suchte die Jungen, die der Geige zunächst ge¬ sessen hatten, zu fassen. Diese aber steckten längst unter dem Pult und der Bank und krochen mit affenartiger Geschwindigkeit unter deu Beinen der andern Jungen bis in die fernsten Winkel der Klasse. Erfurt mit geschwungnem Violinbogen hinter ihnen her. Dazu ertönte ein wahres Jndicmergeheul in der Klasse, und wenn der arme Lehrer, seiner Sinne nicht mehr mächtig, seinen Bogen auf dem Rücken eines Jungen zerschlug, so war der Jubel kaum noch zu bändigen. Denn nun wurde ein Junge in die Dienstwohnung des Musikdirektors geschickt, die im Gymnasium war, und mußte einen andern Bogen holen, und bis dahin blieb dem Lehrer kaum etwas andres übrig, als sich mit der Klasse zu unterhalten. Dieser völlige Mangel jeder Disziplin in den Gesangstunden und die Verhöhnung des Musikdirektors wirkte auf uns neuhiuzugelommene Quintaner sehr nachteilig. Bald darauf starb der Musikdirektor Erfurt, und sein Nachfolger stellte sofort die volle Ordnung wieder her. Auch bei dem Unterrichte des Schreib- und Zeichenlehrers ging es nicht immer so geordnet her, wie es hätte sein sollen. Doch kamen solche Ausschreitungen wie in den Gesangstunden hier nicht vor. Dieser Lehrer hatte einen vollkommen begründeten Abschen vor gewissen Manipulationen, zum Beispiel dem Putzen der Fingernagel und dergleichen, und verwies solche Reinigungsoperationen mit Recht ins Kämmerlein. Die Jungen hatten es bald heraus, daß der Lehrer in den Äußerungen seines Unwillens über solche Unschicklichkeiten kein Maß kannte. Es wurde also verabredet, daß ein Junge an seiner Hand zwar nichts vornahm, sondern sie nur aufmerksam betrachtete. Dann meldete ein andrer: „Herr R-, der N. N. Putze seine Nägel." Sobald die Klasse dies hörte, brach sie in ein allgemeines, überlautes: „Pfui, pfui!" aus, das mit den übertriebensten Äußerungen des Wider¬ willens solange wie möglich wiederholt wurde. Abgesehen von diesen Gesang-, Zeichen- und Schreibstunden herrschte in Quinta eine musterhafte und sehr strenge Disziplin, sowohl bei dem Dr. Schmidt, der im ersten, wie bei dem Dr. Matthiä, der im zweiten Halbjahr Klassenlehrer war. Namentlich Matthiä war überaus streng und behandelte uns nicht ungeschickt mit einem Sarkasmus, der weher tat, als ein Hieb getan hätte. Mir war er gewogen und sprach das auch wiederholt aus. So kam es, daß auch ich diesem sonst höchst unbeliebte» Lehrer aus natür¬ licher Dankbarkeit zugetan war. Er wurde später an das Gymnasium nach Schleu- singen versetzt. Als ich im Jahre 1876 als vortragender Rat in das Unterrichts¬ ministerium kam, war eine meiner ersten Aufgaben die Bearbeitung einer gegen den Dr. Matthiä in Schleusingen mit dem Ziele der Dienstentlassung eingeleiteten Diszipliuaruntersnchung. Die ganze Sache beruhte wesentlich ans elendem, klein¬ städtischen Klatsch. Nur hatte Dr. Matthiä sich höchst unvorsichtig benommen und sich Blößen gegeben, die ihn gesellschaftlich nahezu unmöglich machten. Ich ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/256>, abgerufen am 22.07.2024.