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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Ausgehn von besondern Verhältnissen, und zwar von den Verhältnissen eines
Landes wie Osnabrück, wo sich Recht und Herkommen aus alter Zeit in un-
nnterbrochner Überlieferung erhalten hatten, dieses Zurückgreifen und Vertiefen
in die älteste deutsche Verfassung gibt den Patriotischen Phantasien ihren
eignen Reiz.

Als Justitiar, Syndikus der Ritterschaft und Berater des Regenten von
Osnabrück hatte Möser einen umfassenden Überblick über alle Verhältnisse des
Bistums gewonnen. Der hochangesehene ^.clvooaws ?g,trig,s (ein Titel, den
man nicht durch die scheinbar identische Bezeichnung "Staatsanwalt" wieder¬
geben kann) war die Seele der Verwaltung. "Wenn Sie wüßten, schreibt er
an seinen Freund und Verleger Nicolai, in wie viel Küchen ich untereinander
kochen muß, und was es für Arbeit fordere, wenn man in einem kleinen
Staat mMrs flancs ist js. Molieres ^.og.röj, Sie würden nichts mehr von
mir fordern."

Aber gerade in dieser vielseitigen Tätigkeit fand Mösers schöpferischer
Geist den Stoff zu seinen mannigfachen Reformplänen und gemeinnützigen Ein¬
richtungen, und dem Wunsche, "die nützlichen Wahrheiten, die sihmj von der
täglichen Erfahrung an die Hand gegeben wurden, auf eine eindringende Art
zu predigen," verdanken die Patriotischen Phantasien ihre Entstehung.

Patriotisch durfte sie Möser wohl nennen. Sie sind es im schönsten
Sinne des oft mißbrauchten Worts. Sie beruhen auf der gründlichsten Einsicht
in die Bedürfnisse und die wirtschaftlichen Zustände des Landes, in dessen
Geschichte, Volkstum, Brauch und Art und sind durchdrungen und beseelt
von tiefem Heimatgefühl. Dabei zeigen sie eine Große der politischen Auf¬
fassung und eine Kraft der Initiative, die einzig sind in einer Zeit, wo die
deutsche Literatur dem öffentlichen Leben fremd oder kühl gegenüberstand.
Justus Mösers Patriotismus ist tatkräftige Arbeit zum Wohl und Nutzen des
Vaterlands.

Den Ernst seiner Ideen umrankt Möser gern mit heitern Arabesken.
"Verführt es nicht manchen, ein ernsthaftes Stück mit anzusehen, wenn es so
zwischen den lustigen steht? Denken Sie selbst, ein ganzer Teil von lauter
politischen Näsonnemens!" (Briefe an Nicolai.) Und so trügt er seine "nütz¬
lichen Wahrheiten" in immer neuen Formen und Einkleidungen vor und weiß,
wie Lessing, auch solche Leser zu fesseln, denen der behandelte Gegenstand an
sich gleichgiltig ist. Überlegner Humor und scharfe Satire wechseln ab mit
klarer historischer Darlegung, und seine schlagfertige Beweisführung macht,
daß wir es dem geistvollen Publizisten aufs Wort glauben, daß er in frühern
Jahren "mit Leidenschaft Advokat gewesen" ist. Er erörtert das Für und das
Wider seines Gegenstands, läßt Partei und Gegenpartei zu Wort kommen,
stellt auch wohl in einem Aufsatz alles zusammen, was zur Verteidigung einer
Sache vorgebracht werden kann, und überrascht dann den schon halb über¬
zeugten Leser durch einen zweiten Artikel, worin er alle vorher angeführten
Gründe glänzend widerlegt.

Der Vielseitigkeit der Darstellung entspricht die Fülle des Stoffs. In
bunter Reihe folgen sich Untersuchungen über Schutzzoll und Freihandel, sorg-


von alten Büchern

Ausgehn von besondern Verhältnissen, und zwar von den Verhältnissen eines
Landes wie Osnabrück, wo sich Recht und Herkommen aus alter Zeit in un-
nnterbrochner Überlieferung erhalten hatten, dieses Zurückgreifen und Vertiefen
in die älteste deutsche Verfassung gibt den Patriotischen Phantasien ihren
eignen Reiz.

Als Justitiar, Syndikus der Ritterschaft und Berater des Regenten von
Osnabrück hatte Möser einen umfassenden Überblick über alle Verhältnisse des
Bistums gewonnen. Der hochangesehene ^.clvooaws ?g,trig,s (ein Titel, den
man nicht durch die scheinbar identische Bezeichnung „Staatsanwalt" wieder¬
geben kann) war die Seele der Verwaltung. „Wenn Sie wüßten, schreibt er
an seinen Freund und Verleger Nicolai, in wie viel Küchen ich untereinander
kochen muß, und was es für Arbeit fordere, wenn man in einem kleinen
Staat mMrs flancs ist js. Molieres ^.og.röj, Sie würden nichts mehr von
mir fordern."

Aber gerade in dieser vielseitigen Tätigkeit fand Mösers schöpferischer
Geist den Stoff zu seinen mannigfachen Reformplänen und gemeinnützigen Ein¬
richtungen, und dem Wunsche, „die nützlichen Wahrheiten, die sihmj von der
täglichen Erfahrung an die Hand gegeben wurden, auf eine eindringende Art
zu predigen," verdanken die Patriotischen Phantasien ihre Entstehung.

Patriotisch durfte sie Möser wohl nennen. Sie sind es im schönsten
Sinne des oft mißbrauchten Worts. Sie beruhen auf der gründlichsten Einsicht
in die Bedürfnisse und die wirtschaftlichen Zustände des Landes, in dessen
Geschichte, Volkstum, Brauch und Art und sind durchdrungen und beseelt
von tiefem Heimatgefühl. Dabei zeigen sie eine Große der politischen Auf¬
fassung und eine Kraft der Initiative, die einzig sind in einer Zeit, wo die
deutsche Literatur dem öffentlichen Leben fremd oder kühl gegenüberstand.
Justus Mösers Patriotismus ist tatkräftige Arbeit zum Wohl und Nutzen des
Vaterlands.

Den Ernst seiner Ideen umrankt Möser gern mit heitern Arabesken.
„Verführt es nicht manchen, ein ernsthaftes Stück mit anzusehen, wenn es so
zwischen den lustigen steht? Denken Sie selbst, ein ganzer Teil von lauter
politischen Näsonnemens!" (Briefe an Nicolai.) Und so trügt er seine „nütz¬
lichen Wahrheiten" in immer neuen Formen und Einkleidungen vor und weiß,
wie Lessing, auch solche Leser zu fesseln, denen der behandelte Gegenstand an
sich gleichgiltig ist. Überlegner Humor und scharfe Satire wechseln ab mit
klarer historischer Darlegung, und seine schlagfertige Beweisführung macht,
daß wir es dem geistvollen Publizisten aufs Wort glauben, daß er in frühern
Jahren „mit Leidenschaft Advokat gewesen" ist. Er erörtert das Für und das
Wider seines Gegenstands, läßt Partei und Gegenpartei zu Wort kommen,
stellt auch wohl in einem Aufsatz alles zusammen, was zur Verteidigung einer
Sache vorgebracht werden kann, und überrascht dann den schon halb über¬
zeugten Leser durch einen zweiten Artikel, worin er alle vorher angeführten
Gründe glänzend widerlegt.

Der Vielseitigkeit der Darstellung entspricht die Fülle des Stoffs. In
bunter Reihe folgen sich Untersuchungen über Schutzzoll und Freihandel, sorg-


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[0246] von alten Büchern Ausgehn von besondern Verhältnissen, und zwar von den Verhältnissen eines Landes wie Osnabrück, wo sich Recht und Herkommen aus alter Zeit in un- nnterbrochner Überlieferung erhalten hatten, dieses Zurückgreifen und Vertiefen in die älteste deutsche Verfassung gibt den Patriotischen Phantasien ihren eignen Reiz. Als Justitiar, Syndikus der Ritterschaft und Berater des Regenten von Osnabrück hatte Möser einen umfassenden Überblick über alle Verhältnisse des Bistums gewonnen. Der hochangesehene ^.clvooaws ?g,trig,s (ein Titel, den man nicht durch die scheinbar identische Bezeichnung „Staatsanwalt" wieder¬ geben kann) war die Seele der Verwaltung. „Wenn Sie wüßten, schreibt er an seinen Freund und Verleger Nicolai, in wie viel Küchen ich untereinander kochen muß, und was es für Arbeit fordere, wenn man in einem kleinen Staat mMrs flancs ist js. Molieres ^.og.röj, Sie würden nichts mehr von mir fordern." Aber gerade in dieser vielseitigen Tätigkeit fand Mösers schöpferischer Geist den Stoff zu seinen mannigfachen Reformplänen und gemeinnützigen Ein¬ richtungen, und dem Wunsche, „die nützlichen Wahrheiten, die sihmj von der täglichen Erfahrung an die Hand gegeben wurden, auf eine eindringende Art zu predigen," verdanken die Patriotischen Phantasien ihre Entstehung. Patriotisch durfte sie Möser wohl nennen. Sie sind es im schönsten Sinne des oft mißbrauchten Worts. Sie beruhen auf der gründlichsten Einsicht in die Bedürfnisse und die wirtschaftlichen Zustände des Landes, in dessen Geschichte, Volkstum, Brauch und Art und sind durchdrungen und beseelt von tiefem Heimatgefühl. Dabei zeigen sie eine Große der politischen Auf¬ fassung und eine Kraft der Initiative, die einzig sind in einer Zeit, wo die deutsche Literatur dem öffentlichen Leben fremd oder kühl gegenüberstand. Justus Mösers Patriotismus ist tatkräftige Arbeit zum Wohl und Nutzen des Vaterlands. Den Ernst seiner Ideen umrankt Möser gern mit heitern Arabesken. „Verführt es nicht manchen, ein ernsthaftes Stück mit anzusehen, wenn es so zwischen den lustigen steht? Denken Sie selbst, ein ganzer Teil von lauter politischen Näsonnemens!" (Briefe an Nicolai.) Und so trügt er seine „nütz¬ lichen Wahrheiten" in immer neuen Formen und Einkleidungen vor und weiß, wie Lessing, auch solche Leser zu fesseln, denen der behandelte Gegenstand an sich gleichgiltig ist. Überlegner Humor und scharfe Satire wechseln ab mit klarer historischer Darlegung, und seine schlagfertige Beweisführung macht, daß wir es dem geistvollen Publizisten aufs Wort glauben, daß er in frühern Jahren „mit Leidenschaft Advokat gewesen" ist. Er erörtert das Für und das Wider seines Gegenstands, läßt Partei und Gegenpartei zu Wort kommen, stellt auch wohl in einem Aufsatz alles zusammen, was zur Verteidigung einer Sache vorgebracht werden kann, und überrascht dann den schon halb über¬ zeugten Leser durch einen zweiten Artikel, worin er alle vorher angeführten Gründe glänzend widerlegt. Der Vielseitigkeit der Darstellung entspricht die Fülle des Stoffs. In bunter Reihe folgen sich Untersuchungen über Schutzzoll und Freihandel, sorg-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/246>, abgerufen am 22.07.2024.