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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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von alten Büchern

el" ehrwürdiger Foliant aus dem sechzehnten Jahrhundert mit festen ledcr-
überzognen Holzdeckeln und abgegriffnen Metallschließen gar stattlich aus, und
auf das Wandgesims zwischen die Zinnhumpen und Steinkrüge legte man
wohl noch ein handliches, goldgepreßtcs Büchlein aus etwas späterer Zeit, so
ein gutes dickes Kuörzchen, das mit seinen schmalen Blättern und seinem
breiten, vielgebuckelten Rücken fast würfelförmig dasteht. Die biegsamen, glatten
Pergamentbande fanden geringere Gunst, weil ihre helle Farbe nicht zu dem
dunkeln Holzwerk stimmen wollte.

Als dann in historischer Folge Rokoko und Empirestil die ernste Renaissance
verdrängten, sah man sich nach den zierlichen, zartfarbnen Almanachen und
Taschenbüchern um aus der Zeit, wo der Großvater die Großmutter nahm,
und glücklich schätzte sich der Mann, der das seidengebundne Stammbuch einer
-- echten oder fiktiven -- Urgroßmutter aufweisen konnte.

Nur die Bücher des achtzehnten Jahrhunderts hatten sich der Gunst der
Mode nie zu erfreuen. Freilich wurden ihre Röckchen immer schlichter; statt
des goldgepreßten Leders überzog die Deckel ein gelbbraunes oder bunt¬
gemasertes Papier, und nur der Rücken und die Ecken behaupteten noch ihren
Anspruch auf Lederbekleidung. Das dünne und oft unreine Druckpapier ließ
den Druck durchschlagen, und die eng zusammenrückenden Typen erschienen
grau auf grau.

Doch die Ausstattung sei, wie sie wolle, einem Bücherfreunde wird die
Originalausgabe immer die liebste sein, und zwar nicht allein aus kritischen
Gründen. Denn am unmittelbarsten redet ein Autor zu uns, wenn wir ihn
in einer Ausgabe seiner Zeit lesen. Die Orthographie, die Titelkupfer und
Vignetten, die Initialen und Leisten, der Vermerk, daß das Buch mit aller-
gnädigster >L Freiheit erscheine, oder auch das vvrgedruckte Privileg selbst,
Einband, Druck und Papier, all das sind Obertöne, die harmonisch mitschwingen.
Die alte Zeit wird uns lebendig, und wir sind fast betroffen, wenn einmal
auch eine Saite gestreift wird, deren Klang an die gewohnten Weisen von
heutzutage erinnert, wenn wir in Lichtenbergs geistvollen Aphorismen mit¬
unter einem Worte begegnen, das einer der modernsten Theorien entnommen
sein könnte, wenn der alte Brockes von der vielstufigen Leiter spricht, darauf
der Affe "dem Menschen näher stehet, als es fast der Stolz erlaubt," oder
wenn der rheinische Hausfreund die grüne Farbe der Eidechsen für natürliche
Schutzfärbung erklärt. ("Bekanntlich haben nicht alle diese Tiere einerlei Farbe;
aber eine Art derselben muß um ihrer Nahrung willen sich am meisten aus
dem dunkeln Gebüsch heraus ins Grüne wagen. Darum ist auch ihre Farbe
grün. In dieser Farbe wird sie im Gras weder von den Tieren, welchen sie
nachstellt, so leicht entdeckt, noch von dem Storch, der ihr selber aufs Leben
geht." Hebel, Die Eidexen.) Manche Leute verstehn sich auch darauf, aus
solchen Verlornen Anklängen allerlei wunderbare Dinge herauszuhören, davon
sich der Verfasser nichts träumen ließ, und wer weiß, ob es nicht noch einmal
einem übereifriger Verehrer Calderons einfällt, den Dichter, der einem alten
Volksglauben in den Worten Ausdruck gibt:


von alten Büchern

el» ehrwürdiger Foliant aus dem sechzehnten Jahrhundert mit festen ledcr-
überzognen Holzdeckeln und abgegriffnen Metallschließen gar stattlich aus, und
auf das Wandgesims zwischen die Zinnhumpen und Steinkrüge legte man
wohl noch ein handliches, goldgepreßtcs Büchlein aus etwas späterer Zeit, so
ein gutes dickes Kuörzchen, das mit seinen schmalen Blättern und seinem
breiten, vielgebuckelten Rücken fast würfelförmig dasteht. Die biegsamen, glatten
Pergamentbande fanden geringere Gunst, weil ihre helle Farbe nicht zu dem
dunkeln Holzwerk stimmen wollte.

Als dann in historischer Folge Rokoko und Empirestil die ernste Renaissance
verdrängten, sah man sich nach den zierlichen, zartfarbnen Almanachen und
Taschenbüchern um aus der Zeit, wo der Großvater die Großmutter nahm,
und glücklich schätzte sich der Mann, der das seidengebundne Stammbuch einer
— echten oder fiktiven — Urgroßmutter aufweisen konnte.

Nur die Bücher des achtzehnten Jahrhunderts hatten sich der Gunst der
Mode nie zu erfreuen. Freilich wurden ihre Röckchen immer schlichter; statt
des goldgepreßten Leders überzog die Deckel ein gelbbraunes oder bunt¬
gemasertes Papier, und nur der Rücken und die Ecken behaupteten noch ihren
Anspruch auf Lederbekleidung. Das dünne und oft unreine Druckpapier ließ
den Druck durchschlagen, und die eng zusammenrückenden Typen erschienen
grau auf grau.

Doch die Ausstattung sei, wie sie wolle, einem Bücherfreunde wird die
Originalausgabe immer die liebste sein, und zwar nicht allein aus kritischen
Gründen. Denn am unmittelbarsten redet ein Autor zu uns, wenn wir ihn
in einer Ausgabe seiner Zeit lesen. Die Orthographie, die Titelkupfer und
Vignetten, die Initialen und Leisten, der Vermerk, daß das Buch mit aller-
gnädigster >L Freiheit erscheine, oder auch das vvrgedruckte Privileg selbst,
Einband, Druck und Papier, all das sind Obertöne, die harmonisch mitschwingen.
Die alte Zeit wird uns lebendig, und wir sind fast betroffen, wenn einmal
auch eine Saite gestreift wird, deren Klang an die gewohnten Weisen von
heutzutage erinnert, wenn wir in Lichtenbergs geistvollen Aphorismen mit¬
unter einem Worte begegnen, das einer der modernsten Theorien entnommen
sein könnte, wenn der alte Brockes von der vielstufigen Leiter spricht, darauf
der Affe „dem Menschen näher stehet, als es fast der Stolz erlaubt," oder
wenn der rheinische Hausfreund die grüne Farbe der Eidechsen für natürliche
Schutzfärbung erklärt. („Bekanntlich haben nicht alle diese Tiere einerlei Farbe;
aber eine Art derselben muß um ihrer Nahrung willen sich am meisten aus
dem dunkeln Gebüsch heraus ins Grüne wagen. Darum ist auch ihre Farbe
grün. In dieser Farbe wird sie im Gras weder von den Tieren, welchen sie
nachstellt, so leicht entdeckt, noch von dem Storch, der ihr selber aufs Leben
geht." Hebel, Die Eidexen.) Manche Leute verstehn sich auch darauf, aus
solchen Verlornen Anklängen allerlei wunderbare Dinge herauszuhören, davon
sich der Verfasser nichts träumen ließ, und wer weiß, ob es nicht noch einmal
einem übereifriger Verehrer Calderons einfällt, den Dichter, der einem alten
Volksglauben in den Worten Ausdruck gibt:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/244>, abgerufen am 01.07.2024.