Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zwei Seelen

gekommen war. Aber ich merkte es nicht, sondern stürzte mich kopfüber mitten
hinein und machte dcirin ein Gesprndel und ein Leben, daß die ganze Stadt auf¬
merksam werden mußte, und während sonst derlei Geschichten in aller Heimlichkeit
abgemacht werden, die meinigen an alle" Familientischen besprochen wurde". Hatte
ich bisher schon viel auf mein Äußeres gegeben, aber so, daß ich mich wie ein vor¬
nehmer Mann hielt, der stille, ruhige Farben bevorzugt, so begann ich nun, hier
und da an mir etwas buntes anzubringen, eine Blume im Knopfloch, eine Feder
am Hut, ein leuchtendes Tüchelchen um den Hals mit einer Nadel, worin ein
farbiges Glasstück glänzte, eine glitzernde Kette über den Magen, und was der¬
gleichen Nichtigkeiten mehr sind. Der alte Meister hatte trotz seiner Weltabgekehrt-
heit ein scharfes Auge für die Torheiten der Welt, so lies; er sich denn auch
diese kleinen Veränderungen meines auswendigen Menschen nicht entgehn, sondern
beobachtete sie wie den Zeiger des Wetterglases, und nach seinein öftern .Kopf¬
schütteln mußte es ein sonderbares Wetter sein, das sich da ankündigte. Wenn ich
des Morgens in meiner Pracht bei ihm erschien, dann schob er gewöhnlich die
Hornbrille hoch hinauf in die Stirn und folgte nun mit Spannung der Meta¬
morphose, der ich mich zu unterziehn hatte: wie da das aufgetakelte Hütchen, das
bunte Tüchelchen, das modische Röckchen eins nach dem andern abgelegt wurden,
und sich der schöne Schmetterling nach und nach in eine unscheinbare Raupe ver¬
wandelte, die dann auf den Arbeitstisch hinauf kroch und dort viele Stunden sitzen
blieb. Und Abends folgte er mit derselben Neugier und mit einem stillen Lächeln
der umgekehrten Verwandlung, wie da die arme Raupe aus ihrer Haut heraus¬
kroch und um zu einem schönen Schmetterling wurde, der mit beiden Flügeln hinaus¬
drängte ins Licht und in den Sonnenschein. Dabei blitzten mich die klugen
Augen in dem feinen Greisenkopf lebhaft an, als wollten sie fragen, was für ein
Tierchen bei dieser Aus- und Neugeburt, die sich da unter seinen Blicken zu voll-
ziehn schien, schließlich zum Vorschein kommen werde.

Ein andres Schauspiel von nicht geringerer Augenweide bereiteten dem Meister
die heranwachsenden Mädchen der Stadt, die seit einiger Zeit ihre hübschen Sommer¬
kleider auf dem Pfad hinter unserm Hause in die Wald- und Wiesengründe
hinaustrugen. Eines Tages, als wieder solch ein Trupp vorbeizog, singend in
die grüne Fläche hineinspazierte und sich darin verstreute, sodaß es aussah, als
seien auf der Wiese plötzlich große blaue, rote und gelbe Blumen aufgeblüht, sah
der Meister seine Tochter schalkhaft an, deren Augen mißtrauisch auf die hübschen
Gestalten ihrer Geschlechtsgenossinnen gerichtet wnreu, und sagte: Es will mir
scheinen, Mariechen, als ob unser Hans in letzter Zeit auf das Weibervölkchen wie
ein Magnet wirke. Ich meine noch in keinem Jahre so viele hübsche Mädchen
gesehen zu haben, als in diesem, und es geht keins vorüber, ohne mir einen Gruß
zuzuwerfen. Am Ende kommt das hübsche Volk gnr meinetwegen hier heraus.

Mariechen lachte und sagte: Es geht das Gerücht, es sei hier herum ein
wunderliches Tier zu sehe", ich weiß nicht, ein lockrer Zeisig oder ein Affe. So
was sehen die jungen Mädchen immer gern.

Wahrscheinlich waren die Mädchen ganz zufällig darauf verfallen, das Schneider-
s"us als Einfallstelle in die Wiesen zu wählen, und als dies das erstemal zu
aller Befriedigung geschehn war, waren sie, wie ein Wassertropfen den andern nach¬
läuft, dabei verblieben. Mariechen witterte jedoch in dem Zufall eine neue Un¬
tugend ihres Geschlechts, und wenn sie es irgend machen konnte, so setzte sie sich
um die Zeit, wo die Mädchen ansznschwärmen pflegten, unter die Tür und scheuchte
durch ihren Anblick das lustige Volk schnell ins Weite. Mich selber aber behan¬
delte sie nun schon eine geraume Zeit wie einen frischen Salat, der eines guten
Gusses vou Essig bedarf, um genießbar zu werden, wie denu für das Aufkommen
einer zarten Neigung zwischen uns längst jeder Boden verloren gegangen war.
Jeder für uns steuerte für sich allein dnrch dieses Sturm- und drangvolle Dasein,
und mich erfaßte fast ein Grausen, wenn ich mich daran erinnerte, daß ich jemals


Zwei Seelen

gekommen war. Aber ich merkte es nicht, sondern stürzte mich kopfüber mitten
hinein und machte dcirin ein Gesprndel und ein Leben, daß die ganze Stadt auf¬
merksam werden mußte, und während sonst derlei Geschichten in aller Heimlichkeit
abgemacht werden, die meinigen an alle» Familientischen besprochen wurde«. Hatte
ich bisher schon viel auf mein Äußeres gegeben, aber so, daß ich mich wie ein vor¬
nehmer Mann hielt, der stille, ruhige Farben bevorzugt, so begann ich nun, hier
und da an mir etwas buntes anzubringen, eine Blume im Knopfloch, eine Feder
am Hut, ein leuchtendes Tüchelchen um den Hals mit einer Nadel, worin ein
farbiges Glasstück glänzte, eine glitzernde Kette über den Magen, und was der¬
gleichen Nichtigkeiten mehr sind. Der alte Meister hatte trotz seiner Weltabgekehrt-
heit ein scharfes Auge für die Torheiten der Welt, so lies; er sich denn auch
diese kleinen Veränderungen meines auswendigen Menschen nicht entgehn, sondern
beobachtete sie wie den Zeiger des Wetterglases, und nach seinein öftern .Kopf¬
schütteln mußte es ein sonderbares Wetter sein, das sich da ankündigte. Wenn ich
des Morgens in meiner Pracht bei ihm erschien, dann schob er gewöhnlich die
Hornbrille hoch hinauf in die Stirn und folgte nun mit Spannung der Meta¬
morphose, der ich mich zu unterziehn hatte: wie da das aufgetakelte Hütchen, das
bunte Tüchelchen, das modische Röckchen eins nach dem andern abgelegt wurden,
und sich der schöne Schmetterling nach und nach in eine unscheinbare Raupe ver¬
wandelte, die dann auf den Arbeitstisch hinauf kroch und dort viele Stunden sitzen
blieb. Und Abends folgte er mit derselben Neugier und mit einem stillen Lächeln
der umgekehrten Verwandlung, wie da die arme Raupe aus ihrer Haut heraus¬
kroch und um zu einem schönen Schmetterling wurde, der mit beiden Flügeln hinaus¬
drängte ins Licht und in den Sonnenschein. Dabei blitzten mich die klugen
Augen in dem feinen Greisenkopf lebhaft an, als wollten sie fragen, was für ein
Tierchen bei dieser Aus- und Neugeburt, die sich da unter seinen Blicken zu voll-
ziehn schien, schließlich zum Vorschein kommen werde.

Ein andres Schauspiel von nicht geringerer Augenweide bereiteten dem Meister
die heranwachsenden Mädchen der Stadt, die seit einiger Zeit ihre hübschen Sommer¬
kleider auf dem Pfad hinter unserm Hause in die Wald- und Wiesengründe
hinaustrugen. Eines Tages, als wieder solch ein Trupp vorbeizog, singend in
die grüne Fläche hineinspazierte und sich darin verstreute, sodaß es aussah, als
seien auf der Wiese plötzlich große blaue, rote und gelbe Blumen aufgeblüht, sah
der Meister seine Tochter schalkhaft an, deren Augen mißtrauisch auf die hübschen
Gestalten ihrer Geschlechtsgenossinnen gerichtet wnreu, und sagte: Es will mir
scheinen, Mariechen, als ob unser Hans in letzter Zeit auf das Weibervölkchen wie
ein Magnet wirke. Ich meine noch in keinem Jahre so viele hübsche Mädchen
gesehen zu haben, als in diesem, und es geht keins vorüber, ohne mir einen Gruß
zuzuwerfen. Am Ende kommt das hübsche Volk gnr meinetwegen hier heraus.

Mariechen lachte und sagte: Es geht das Gerücht, es sei hier herum ein
wunderliches Tier zu sehe», ich weiß nicht, ein lockrer Zeisig oder ein Affe. So
was sehen die jungen Mädchen immer gern.

Wahrscheinlich waren die Mädchen ganz zufällig darauf verfallen, das Schneider-
s"us als Einfallstelle in die Wiesen zu wählen, und als dies das erstemal zu
aller Befriedigung geschehn war, waren sie, wie ein Wassertropfen den andern nach¬
läuft, dabei verblieben. Mariechen witterte jedoch in dem Zufall eine neue Un¬
tugend ihres Geschlechts, und wenn sie es irgend machen konnte, so setzte sie sich
um die Zeit, wo die Mädchen ansznschwärmen pflegten, unter die Tür und scheuchte
durch ihren Anblick das lustige Volk schnell ins Weite. Mich selber aber behan¬
delte sie nun schon eine geraume Zeit wie einen frischen Salat, der eines guten
Gusses vou Essig bedarf, um genießbar zu werden, wie denu für das Aufkommen
einer zarten Neigung zwischen uns längst jeder Boden verloren gegangen war.
Jeder für uns steuerte für sich allein dnrch dieses Sturm- und drangvolle Dasein,
und mich erfaßte fast ein Grausen, wenn ich mich daran erinnerte, daß ich jemals


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0197" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/242265"/>
            <fw type="header" place="top"> Zwei Seelen</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_641" prev="#ID_640"> gekommen war. Aber ich merkte es nicht, sondern stürzte mich kopfüber mitten<lb/>
hinein und machte dcirin ein Gesprndel und ein Leben, daß die ganze Stadt auf¬<lb/>
merksam werden mußte, und während sonst derlei Geschichten in aller Heimlichkeit<lb/>
abgemacht werden, die meinigen an alle» Familientischen besprochen wurde«. Hatte<lb/>
ich bisher schon viel auf mein Äußeres gegeben, aber so, daß ich mich wie ein vor¬<lb/>
nehmer Mann hielt, der stille, ruhige Farben bevorzugt, so begann ich nun, hier<lb/>
und da an mir etwas buntes anzubringen, eine Blume im Knopfloch, eine Feder<lb/>
am Hut, ein leuchtendes Tüchelchen um den Hals mit einer Nadel, worin ein<lb/>
farbiges Glasstück glänzte, eine glitzernde Kette über den Magen, und was der¬<lb/>
gleichen Nichtigkeiten mehr sind. Der alte Meister hatte trotz seiner Weltabgekehrt-<lb/>
heit ein scharfes Auge für die Torheiten der Welt, so lies; er sich denn auch<lb/>
diese kleinen Veränderungen meines auswendigen Menschen nicht entgehn, sondern<lb/>
beobachtete sie wie den Zeiger des Wetterglases, und nach seinein öftern .Kopf¬<lb/>
schütteln mußte es ein sonderbares Wetter sein, das sich da ankündigte. Wenn ich<lb/>
des Morgens in meiner Pracht bei ihm erschien, dann schob er gewöhnlich die<lb/>
Hornbrille hoch hinauf in die Stirn und folgte nun mit Spannung der Meta¬<lb/>
morphose, der ich mich zu unterziehn hatte: wie da das aufgetakelte Hütchen, das<lb/>
bunte Tüchelchen, das modische Röckchen eins nach dem andern abgelegt wurden,<lb/>
und sich der schöne Schmetterling nach und nach in eine unscheinbare Raupe ver¬<lb/>
wandelte, die dann auf den Arbeitstisch hinauf kroch und dort viele Stunden sitzen<lb/>
blieb. Und Abends folgte er mit derselben Neugier und mit einem stillen Lächeln<lb/>
der umgekehrten Verwandlung, wie da die arme Raupe aus ihrer Haut heraus¬<lb/>
kroch und um zu einem schönen Schmetterling wurde, der mit beiden Flügeln hinaus¬<lb/>
drängte ins Licht und in den Sonnenschein. Dabei blitzten mich die klugen<lb/>
Augen in dem feinen Greisenkopf lebhaft an, als wollten sie fragen, was für ein<lb/>
Tierchen bei dieser Aus- und Neugeburt, die sich da unter seinen Blicken zu voll-<lb/>
ziehn schien, schließlich zum Vorschein kommen werde.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_642"> Ein andres Schauspiel von nicht geringerer Augenweide bereiteten dem Meister<lb/>
die heranwachsenden Mädchen der Stadt, die seit einiger Zeit ihre hübschen Sommer¬<lb/>
kleider auf dem Pfad hinter unserm Hause in die Wald- und Wiesengründe<lb/>
hinaustrugen. Eines Tages, als wieder solch ein Trupp vorbeizog, singend in<lb/>
die grüne Fläche hineinspazierte und sich darin verstreute, sodaß es aussah, als<lb/>
seien auf der Wiese plötzlich große blaue, rote und gelbe Blumen aufgeblüht, sah<lb/>
der Meister seine Tochter schalkhaft an, deren Augen mißtrauisch auf die hübschen<lb/>
Gestalten ihrer Geschlechtsgenossinnen gerichtet wnreu, und sagte: Es will mir<lb/>
scheinen, Mariechen, als ob unser Hans in letzter Zeit auf das Weibervölkchen wie<lb/>
ein Magnet wirke. Ich meine noch in keinem Jahre so viele hübsche Mädchen<lb/>
gesehen zu haben, als in diesem, und es geht keins vorüber, ohne mir einen Gruß<lb/>
zuzuwerfen.  Am Ende kommt das hübsche Volk gnr meinetwegen hier heraus.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_643"> Mariechen lachte und sagte: Es geht das Gerücht, es sei hier herum ein<lb/>
wunderliches Tier zu sehe», ich weiß nicht, ein lockrer Zeisig oder ein Affe. So<lb/>
was sehen die jungen Mädchen immer gern.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_644" next="#ID_645"> Wahrscheinlich waren die Mädchen ganz zufällig darauf verfallen, das Schneider-<lb/>
s"us als Einfallstelle in die Wiesen zu wählen, und als dies das erstemal zu<lb/>
aller Befriedigung geschehn war, waren sie, wie ein Wassertropfen den andern nach¬<lb/>
läuft, dabei verblieben. Mariechen witterte jedoch in dem Zufall eine neue Un¬<lb/>
tugend ihres Geschlechts, und wenn sie es irgend machen konnte, so setzte sie sich<lb/>
um die Zeit, wo die Mädchen ansznschwärmen pflegten, unter die Tür und scheuchte<lb/>
durch ihren Anblick das lustige Volk schnell ins Weite. Mich selber aber behan¬<lb/>
delte sie nun schon eine geraume Zeit wie einen frischen Salat, der eines guten<lb/>
Gusses vou Essig bedarf, um genießbar zu werden, wie denu für das Aufkommen<lb/>
einer zarten Neigung zwischen uns längst jeder Boden verloren gegangen war.<lb/>
Jeder für uns steuerte für sich allein dnrch dieses Sturm- und drangvolle Dasein,<lb/>
und mich erfaßte fast ein Grausen, wenn ich mich daran erinnerte, daß ich jemals</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0197] Zwei Seelen gekommen war. Aber ich merkte es nicht, sondern stürzte mich kopfüber mitten hinein und machte dcirin ein Gesprndel und ein Leben, daß die ganze Stadt auf¬ merksam werden mußte, und während sonst derlei Geschichten in aller Heimlichkeit abgemacht werden, die meinigen an alle» Familientischen besprochen wurde«. Hatte ich bisher schon viel auf mein Äußeres gegeben, aber so, daß ich mich wie ein vor¬ nehmer Mann hielt, der stille, ruhige Farben bevorzugt, so begann ich nun, hier und da an mir etwas buntes anzubringen, eine Blume im Knopfloch, eine Feder am Hut, ein leuchtendes Tüchelchen um den Hals mit einer Nadel, worin ein farbiges Glasstück glänzte, eine glitzernde Kette über den Magen, und was der¬ gleichen Nichtigkeiten mehr sind. Der alte Meister hatte trotz seiner Weltabgekehrt- heit ein scharfes Auge für die Torheiten der Welt, so lies; er sich denn auch diese kleinen Veränderungen meines auswendigen Menschen nicht entgehn, sondern beobachtete sie wie den Zeiger des Wetterglases, und nach seinein öftern .Kopf¬ schütteln mußte es ein sonderbares Wetter sein, das sich da ankündigte. Wenn ich des Morgens in meiner Pracht bei ihm erschien, dann schob er gewöhnlich die Hornbrille hoch hinauf in die Stirn und folgte nun mit Spannung der Meta¬ morphose, der ich mich zu unterziehn hatte: wie da das aufgetakelte Hütchen, das bunte Tüchelchen, das modische Röckchen eins nach dem andern abgelegt wurden, und sich der schöne Schmetterling nach und nach in eine unscheinbare Raupe ver¬ wandelte, die dann auf den Arbeitstisch hinauf kroch und dort viele Stunden sitzen blieb. Und Abends folgte er mit derselben Neugier und mit einem stillen Lächeln der umgekehrten Verwandlung, wie da die arme Raupe aus ihrer Haut heraus¬ kroch und um zu einem schönen Schmetterling wurde, der mit beiden Flügeln hinaus¬ drängte ins Licht und in den Sonnenschein. Dabei blitzten mich die klugen Augen in dem feinen Greisenkopf lebhaft an, als wollten sie fragen, was für ein Tierchen bei dieser Aus- und Neugeburt, die sich da unter seinen Blicken zu voll- ziehn schien, schließlich zum Vorschein kommen werde. Ein andres Schauspiel von nicht geringerer Augenweide bereiteten dem Meister die heranwachsenden Mädchen der Stadt, die seit einiger Zeit ihre hübschen Sommer¬ kleider auf dem Pfad hinter unserm Hause in die Wald- und Wiesengründe hinaustrugen. Eines Tages, als wieder solch ein Trupp vorbeizog, singend in die grüne Fläche hineinspazierte und sich darin verstreute, sodaß es aussah, als seien auf der Wiese plötzlich große blaue, rote und gelbe Blumen aufgeblüht, sah der Meister seine Tochter schalkhaft an, deren Augen mißtrauisch auf die hübschen Gestalten ihrer Geschlechtsgenossinnen gerichtet wnreu, und sagte: Es will mir scheinen, Mariechen, als ob unser Hans in letzter Zeit auf das Weibervölkchen wie ein Magnet wirke. Ich meine noch in keinem Jahre so viele hübsche Mädchen gesehen zu haben, als in diesem, und es geht keins vorüber, ohne mir einen Gruß zuzuwerfen. Am Ende kommt das hübsche Volk gnr meinetwegen hier heraus. Mariechen lachte und sagte: Es geht das Gerücht, es sei hier herum ein wunderliches Tier zu sehe», ich weiß nicht, ein lockrer Zeisig oder ein Affe. So was sehen die jungen Mädchen immer gern. Wahrscheinlich waren die Mädchen ganz zufällig darauf verfallen, das Schneider- s"us als Einfallstelle in die Wiesen zu wählen, und als dies das erstemal zu aller Befriedigung geschehn war, waren sie, wie ein Wassertropfen den andern nach¬ läuft, dabei verblieben. Mariechen witterte jedoch in dem Zufall eine neue Un¬ tugend ihres Geschlechts, und wenn sie es irgend machen konnte, so setzte sie sich um die Zeit, wo die Mädchen ansznschwärmen pflegten, unter die Tür und scheuchte durch ihren Anblick das lustige Volk schnell ins Weite. Mich selber aber behan¬ delte sie nun schon eine geraume Zeit wie einen frischen Salat, der eines guten Gusses vou Essig bedarf, um genießbar zu werden, wie denu für das Aufkommen einer zarten Neigung zwischen uns längst jeder Boden verloren gegangen war. Jeder für uns steuerte für sich allein dnrch dieses Sturm- und drangvolle Dasein, und mich erfaßte fast ein Grausen, wenn ich mich daran erinnerte, daß ich jemals

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/197
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/197>, abgerufen am 03.07.2024.