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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Zwei Seelen

für mich zu behalten, wie ja auch ihr Einkommen und ihr gutes Leben darauf
beruhten, daß sie zu schweigen verstanden und sich vor den Leuten einen Schein zu
geben wußten.

Der festliche Tag fand mich in einer fehr muschelichem Verfassung. Wir
hatten in der Nacht zuvor wieder einen unsrer Raubzüge unternommen und dabei
eine außergewöhnlich reiche Ernte gehabt, sodaß wir, um unsre Schätze weg¬
zuschaffen, auch noch einen Handwagen stehlen mußten. Darüber herrschte um in
der schönen Familie große Freude, und wie man darin einen Anlaß zu einem
freundschaftlichen Gelage nicht leicht ans dem Wege ging, so hatte uus Frau Schöne
ein lukullisches Mahl versprochen, das an meinem Konfirmationstage mit aller
Fröhlichkeit, deren die Familie fähig war, vor sich gehn sollte. Als ich an dem
Morgen, der mir so mannigfache, wenn auch in sich widerspruchsvolle Genüsse in
Aussicht stellte, verschlafen in unser Wohnzimmer trat, fand ich Besuch vor, einen
alten Mann mit einem Holzbein, und eine ebenso alte Frau von robustem Körperbau,
meine Eltern, die zu meinem Ehrentage erschiene" waren. Mein erster Gedanke
war die Befürchtung, daß unser Festmahl gestört würde. Was wollten die Leute
eigentlich? Sie waren mir vollkommen fremd und hätten sehr gut wegbleibe" können.
Ja wären sie vor Jahren gekommen, wo ich ein verlassener Junge war und mich
uach Liebe herzlich sehnte, so Hütte mir das wohlgetan, jetzt aber stand ich schon
fest auf meinen eignen Füßen, hatte meine bestimmten Pläne im Kopf und konnte
ohne sie fertig werden. Meine Mutter mag mir den Verdruß angesehen haben, denn
sie hielt sich fern von mir, der Vater aber sah ihn entweder nicht oder wollte ihn
nicht sehen, er war freundlich und mir in seiner stillen Art, drückte mir die Hand
und streichelte mir das Gesicht, ganz als ob wir immer auf vertrautem Fuße mit-
einander gelebt hätten. In solcher Stimmung ging ich zur Kirche, und ich will
lieber über alles schweigen, was in mir vorging. Als wir wieder zu Haus waren,
hatte die Tante ein einfaches Mahl bereitet, um den Gästen nach ihren geringen
Mitteln Ehre anzutun. Sobald ich konnte, versuchte ich mich beiseite zu schleichen,
um Schönes zu benachrichtigen. Der Vater sah meine Unrnhe und sagte freundlich:
Es zieht ihn zu feine" Gespielen. Nun geh noch einmal zu ihnen, aber halte
dich bereit auf fünf Uhr, da reisen wir. Nun erfuhr ich, daß ich mit meinen Eltern
nach Hause fahren sollte, und daß ich schon durch ihre Vermittlung eine Lehrstelle
bei einem Schlosser erhalten hatte. Diese Mitteilung schlug mich vollends nieder,
und Tränen traten mir in die Augen. Sogar meine Tante wurde gerührt, da sie
glaubte, daß das Wasser in meinen Augen aus edeln Quellen stamme und ein
Zeichen der Anhänglichkeit und Dankbarkeit sei, die sie trotz allem, was geschehn
war, bei mir erwarten durfte.

Ich lief zu Schönes und überbrachte ihnen die Neuigkeit. Der alte Schöne
war außer sich: Das fehlte noch, rief er. Ihr Leben lang haben sie sich nicht um
dich bekümmert, und jetzt, wo du etwas wert bist, stellen sie sich Pflichtschuldigst ein.
Wir habe" alles getan, dich zu einem tüchtigen Kerl herauszuputzen, und das ist
nun alles sür die Hunde gewesen. Daraus wird nichts.

Und nun fingen sie an, miteinander zu wispern und zu flüstern, und das
Ergebnis war, ich sollte nach Leipzig fahren und mich bei einem ihrer Bekannten
einige Tage aufhalten. Nachher, wenn die Alten abgereist wären, wollte Schöne
mit meinem Onkel reden, daß ich hier in der Stadt eine Lehrstelle annehmen dürfe.
Die Schlosserei Paßte ihm, aber ich sollte mich dann nicht in dem verwunschnem
Neste, worin meine Eltern wohnten, unterweisen lassen, sondern bei einem Meister,
der mit der Zeit fortgeschritten und eines offnen Kopfes wie des meinen würdig wäre.

Das gefiel mir alles sehr Wohl, und auch von der Rede, die Schöne nach
seiner Gewohnheit, über alles eine Brühe nach seinem Geschmacke zu gießen, an
mich hielt, behagte mir vieles und prägte sich meinem Gedächtnis ein. Vor allem,
sagte er, mußt du, was du lernst, gründlich lernen, etwas halb zu lernen hat ganz
und gar keinen Zweck und ist unsinnige Zeitvergeudung. Wenn einer nichts ordent-


Zwei Seelen

für mich zu behalten, wie ja auch ihr Einkommen und ihr gutes Leben darauf
beruhten, daß sie zu schweigen verstanden und sich vor den Leuten einen Schein zu
geben wußten.

Der festliche Tag fand mich in einer fehr muschelichem Verfassung. Wir
hatten in der Nacht zuvor wieder einen unsrer Raubzüge unternommen und dabei
eine außergewöhnlich reiche Ernte gehabt, sodaß wir, um unsre Schätze weg¬
zuschaffen, auch noch einen Handwagen stehlen mußten. Darüber herrschte um in
der schönen Familie große Freude, und wie man darin einen Anlaß zu einem
freundschaftlichen Gelage nicht leicht ans dem Wege ging, so hatte uus Frau Schöne
ein lukullisches Mahl versprochen, das an meinem Konfirmationstage mit aller
Fröhlichkeit, deren die Familie fähig war, vor sich gehn sollte. Als ich an dem
Morgen, der mir so mannigfache, wenn auch in sich widerspruchsvolle Genüsse in
Aussicht stellte, verschlafen in unser Wohnzimmer trat, fand ich Besuch vor, einen
alten Mann mit einem Holzbein, und eine ebenso alte Frau von robustem Körperbau,
meine Eltern, die zu meinem Ehrentage erschiene« waren. Mein erster Gedanke
war die Befürchtung, daß unser Festmahl gestört würde. Was wollten die Leute
eigentlich? Sie waren mir vollkommen fremd und hätten sehr gut wegbleibe» können.
Ja wären sie vor Jahren gekommen, wo ich ein verlassener Junge war und mich
uach Liebe herzlich sehnte, so Hütte mir das wohlgetan, jetzt aber stand ich schon
fest auf meinen eignen Füßen, hatte meine bestimmten Pläne im Kopf und konnte
ohne sie fertig werden. Meine Mutter mag mir den Verdruß angesehen haben, denn
sie hielt sich fern von mir, der Vater aber sah ihn entweder nicht oder wollte ihn
nicht sehen, er war freundlich und mir in seiner stillen Art, drückte mir die Hand
und streichelte mir das Gesicht, ganz als ob wir immer auf vertrautem Fuße mit-
einander gelebt hätten. In solcher Stimmung ging ich zur Kirche, und ich will
lieber über alles schweigen, was in mir vorging. Als wir wieder zu Haus waren,
hatte die Tante ein einfaches Mahl bereitet, um den Gästen nach ihren geringen
Mitteln Ehre anzutun. Sobald ich konnte, versuchte ich mich beiseite zu schleichen,
um Schönes zu benachrichtigen. Der Vater sah meine Unrnhe und sagte freundlich:
Es zieht ihn zu feine» Gespielen. Nun geh noch einmal zu ihnen, aber halte
dich bereit auf fünf Uhr, da reisen wir. Nun erfuhr ich, daß ich mit meinen Eltern
nach Hause fahren sollte, und daß ich schon durch ihre Vermittlung eine Lehrstelle
bei einem Schlosser erhalten hatte. Diese Mitteilung schlug mich vollends nieder,
und Tränen traten mir in die Augen. Sogar meine Tante wurde gerührt, da sie
glaubte, daß das Wasser in meinen Augen aus edeln Quellen stamme und ein
Zeichen der Anhänglichkeit und Dankbarkeit sei, die sie trotz allem, was geschehn
war, bei mir erwarten durfte.

Ich lief zu Schönes und überbrachte ihnen die Neuigkeit. Der alte Schöne
war außer sich: Das fehlte noch, rief er. Ihr Leben lang haben sie sich nicht um
dich bekümmert, und jetzt, wo du etwas wert bist, stellen sie sich Pflichtschuldigst ein.
Wir habe» alles getan, dich zu einem tüchtigen Kerl herauszuputzen, und das ist
nun alles sür die Hunde gewesen. Daraus wird nichts.

Und nun fingen sie an, miteinander zu wispern und zu flüstern, und das
Ergebnis war, ich sollte nach Leipzig fahren und mich bei einem ihrer Bekannten
einige Tage aufhalten. Nachher, wenn die Alten abgereist wären, wollte Schöne
mit meinem Onkel reden, daß ich hier in der Stadt eine Lehrstelle annehmen dürfe.
Die Schlosserei Paßte ihm, aber ich sollte mich dann nicht in dem verwunschnem
Neste, worin meine Eltern wohnten, unterweisen lassen, sondern bei einem Meister,
der mit der Zeit fortgeschritten und eines offnen Kopfes wie des meinen würdig wäre.

Das gefiel mir alles sehr Wohl, und auch von der Rede, die Schöne nach
seiner Gewohnheit, über alles eine Brühe nach seinem Geschmacke zu gießen, an
mich hielt, behagte mir vieles und prägte sich meinem Gedächtnis ein. Vor allem,
sagte er, mußt du, was du lernst, gründlich lernen, etwas halb zu lernen hat ganz
und gar keinen Zweck und ist unsinnige Zeitvergeudung. Wenn einer nichts ordent-


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[0133] Zwei Seelen für mich zu behalten, wie ja auch ihr Einkommen und ihr gutes Leben darauf beruhten, daß sie zu schweigen verstanden und sich vor den Leuten einen Schein zu geben wußten. Der festliche Tag fand mich in einer fehr muschelichem Verfassung. Wir hatten in der Nacht zuvor wieder einen unsrer Raubzüge unternommen und dabei eine außergewöhnlich reiche Ernte gehabt, sodaß wir, um unsre Schätze weg¬ zuschaffen, auch noch einen Handwagen stehlen mußten. Darüber herrschte um in der schönen Familie große Freude, und wie man darin einen Anlaß zu einem freundschaftlichen Gelage nicht leicht ans dem Wege ging, so hatte uus Frau Schöne ein lukullisches Mahl versprochen, das an meinem Konfirmationstage mit aller Fröhlichkeit, deren die Familie fähig war, vor sich gehn sollte. Als ich an dem Morgen, der mir so mannigfache, wenn auch in sich widerspruchsvolle Genüsse in Aussicht stellte, verschlafen in unser Wohnzimmer trat, fand ich Besuch vor, einen alten Mann mit einem Holzbein, und eine ebenso alte Frau von robustem Körperbau, meine Eltern, die zu meinem Ehrentage erschiene« waren. Mein erster Gedanke war die Befürchtung, daß unser Festmahl gestört würde. Was wollten die Leute eigentlich? Sie waren mir vollkommen fremd und hätten sehr gut wegbleibe» können. Ja wären sie vor Jahren gekommen, wo ich ein verlassener Junge war und mich uach Liebe herzlich sehnte, so Hütte mir das wohlgetan, jetzt aber stand ich schon fest auf meinen eignen Füßen, hatte meine bestimmten Pläne im Kopf und konnte ohne sie fertig werden. Meine Mutter mag mir den Verdruß angesehen haben, denn sie hielt sich fern von mir, der Vater aber sah ihn entweder nicht oder wollte ihn nicht sehen, er war freundlich und mir in seiner stillen Art, drückte mir die Hand und streichelte mir das Gesicht, ganz als ob wir immer auf vertrautem Fuße mit- einander gelebt hätten. In solcher Stimmung ging ich zur Kirche, und ich will lieber über alles schweigen, was in mir vorging. Als wir wieder zu Haus waren, hatte die Tante ein einfaches Mahl bereitet, um den Gästen nach ihren geringen Mitteln Ehre anzutun. Sobald ich konnte, versuchte ich mich beiseite zu schleichen, um Schönes zu benachrichtigen. Der Vater sah meine Unrnhe und sagte freundlich: Es zieht ihn zu feine» Gespielen. Nun geh noch einmal zu ihnen, aber halte dich bereit auf fünf Uhr, da reisen wir. Nun erfuhr ich, daß ich mit meinen Eltern nach Hause fahren sollte, und daß ich schon durch ihre Vermittlung eine Lehrstelle bei einem Schlosser erhalten hatte. Diese Mitteilung schlug mich vollends nieder, und Tränen traten mir in die Augen. Sogar meine Tante wurde gerührt, da sie glaubte, daß das Wasser in meinen Augen aus edeln Quellen stamme und ein Zeichen der Anhänglichkeit und Dankbarkeit sei, die sie trotz allem, was geschehn war, bei mir erwarten durfte. Ich lief zu Schönes und überbrachte ihnen die Neuigkeit. Der alte Schöne war außer sich: Das fehlte noch, rief er. Ihr Leben lang haben sie sich nicht um dich bekümmert, und jetzt, wo du etwas wert bist, stellen sie sich Pflichtschuldigst ein. Wir habe» alles getan, dich zu einem tüchtigen Kerl herauszuputzen, und das ist nun alles sür die Hunde gewesen. Daraus wird nichts. Und nun fingen sie an, miteinander zu wispern und zu flüstern, und das Ergebnis war, ich sollte nach Leipzig fahren und mich bei einem ihrer Bekannten einige Tage aufhalten. Nachher, wenn die Alten abgereist wären, wollte Schöne mit meinem Onkel reden, daß ich hier in der Stadt eine Lehrstelle annehmen dürfe. Die Schlosserei Paßte ihm, aber ich sollte mich dann nicht in dem verwunschnem Neste, worin meine Eltern wohnten, unterweisen lassen, sondern bei einem Meister, der mit der Zeit fortgeschritten und eines offnen Kopfes wie des meinen würdig wäre. Das gefiel mir alles sehr Wohl, und auch von der Rede, die Schöne nach seiner Gewohnheit, über alles eine Brühe nach seinem Geschmacke zu gießen, an mich hielt, behagte mir vieles und prägte sich meinem Gedächtnis ein. Vor allem, sagte er, mußt du, was du lernst, gründlich lernen, etwas halb zu lernen hat ganz und gar keinen Zweck und ist unsinnige Zeitvergeudung. Wenn einer nichts ordent-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/133>, abgerufen am 03.07.2024.