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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr.

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Leipziger Dramaturgie

aber auf der andern ein reines Gewissen bewahrt haben. Das soll nur bemerkt
werden, damit sich jeder dem Widerwillen gegen den heimlichen Laurer mit vollem
Bewußtsein hingeben könne, obwohl es Schiller vermieden hat, eine moralische
Hinrichtung von Ilios "falscher Katze" durch einen andern als den mit Recht ent¬
rüsteten Wallenstein vorzunehmen. Nur diese Entrüstung und die wohlverdiente
Schicksalsstrafe treffen den Verräter: in dem Augenblicke, wo ihm für seine schimpf¬
liche Handlungsweise die Fürstenkrone zuteil wird, hat sie nach dem Heldentode
seines Sohnes jeden Wert für ihn verloren. Das ist wahre Tragik, und damit
ist auch unserm Gerechtigkeitsgefühl einigermaßen genügt. Je mehr Octavio von
der Ehrbarkeit seiner Handlungsweise durchdrungen erscheint, um so widriger wird
er dem Zuschauer, und man kann behaupten, daß der Schauspieler, wie das in der
Tat auch meist geschieht, die Rolle als Tugendheld spielen kann, ohne uns auch
nur für einen einzigen Augenblick zu täuschen, und ohne daß es der bekannten
Winke mit dem Scheuneutor bedürfte, durch die in andern Rollen von Zeit zu Zeit
der Intrigant das Bekenntnis ablegt: "Ich bin ein Schurke und weiß es."

In gewissem Sinne muß man von Questenberg etwas ähnliches sagen. Zum
Spionieren und zum Überbringer geheimer Instruktionen des kaiserlichen Beicht¬
vaters brauchte sich ein Kammerherr und Kriegsrat uicht mißbrauchen zu lassen;
daß er das dennoch tut, zeigt deutlich, daß er das Herz nicht auf dem rechten
Flecke hat, und seine Unterredung mit Oetaviv (im dritten Auftritt des ersten Akts
der Piccolomini) darf uns über den wahren Sachverhalt nicht täuschen. Diplo¬
maten der alten Schule war es erlaubt, solche Missionen zu übernehmen, denn sie
hatten die Sprache uur, um ihre Gedanken zu verbergen, und niemand traute ihnen
über den Weg. Da sie auf diese Weise niemandes Vertrauen täuschten, so konnte
ihnen ans den Täuschungen, die sie verübten, eigentlich ebensowenig ein Vorwurf
gemacht werden als dem Prestidigitateur, dessen Motto: "Geschwindigkeit ist keine
Hexerei," die sonstige boiur na"8 des berufsmäßig auf Täuschung ausgehenden nach¬
weisen soll. Ein kaiserlicher Kommissar aber, der mit Befehlen an den Generalissimus
in dessen Lager abgeschickt ist und in einem zweiten Sacke geheime Instruktionen
für dessen Untergebnen hat, durch die der Sturz eben dieses Chefs vorbereitet
werden soll, ist trotz seines Kammerherrnschlüssels und seiner goldnen Gnadenkette
ein gemeiner Lump, den, abgesehen von der "schuldigen Achtung gegen seinen
Kaiser," jedes Kriegsgericht zum Tode verurteilt haben würde. Ein rechter Kerl
würde dem Pater gesagt haben: Für dergleichen bin ich zu gut, schickt einen andern.
Und doch darf man, wenn man sieht, was heutzutage aus blinder Hingebung an
den Staat und dessen Interessen geschieht, auch die Vergangenheit nicht zu hart
beurteilen. Wenn der ritterlichste Stand im Staate, das Offizierkorps, es fertig
bringt, Spionage zu treiben und Spionage zu rechtfertigen, so muß mau doch zu
der Überzeugung kommen, daß nicht bloß Politik und Moral, sondern auch Standes-
ehre und Moral zweierlei sind.

Da sich die beide", Piccolomini und Questenberg, zwar als kaiserliche Schild¬
halter gebärden, aber selbst nicht handeln wollen, so würde sich der Herzog der
ihm besonders zusagenden Stellung eines Herkules am Scheidewege noch länger
haben erfreuen können, wenn die Katastrophe nicht gleich in den ersten Auftritten
von "Wallensteins Tod" durch die eintreffende Meldung, daß der Zwischenträger
Schina gefangen genommen und bei ihm gefährliche Schriftstücke gefunden worden
seien, überraschend herbeigeführt würde.

Wallensteins unheilbringenden Entschluß, sich mit den Schweden zu verbinden
und zu diesem Zweck dem Kaiser die Armee abtrünnig zu machen, haben zwar
schon Terzlh und Illo auf ihre Weise zu zeitigen gesucht, und sie lassen es auch
im entscheidenden Augenblick an dringendem Zureden nicht schien, aber den noch
immer vorsichtig und unentschlossen zögernden zum entscheidenden, unwiderruflichen
letzten Schritte zu überreden gelingt erst der Schwester der Herzogin, der Gräfin
Therese Terzky. Man sollte Schiller den posthumen Gefallen tun, diese Dame


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aber auf der andern ein reines Gewissen bewahrt haben. Das soll nur bemerkt
werden, damit sich jeder dem Widerwillen gegen den heimlichen Laurer mit vollem
Bewußtsein hingeben könne, obwohl es Schiller vermieden hat, eine moralische
Hinrichtung von Ilios „falscher Katze" durch einen andern als den mit Recht ent¬
rüsteten Wallenstein vorzunehmen. Nur diese Entrüstung und die wohlverdiente
Schicksalsstrafe treffen den Verräter: in dem Augenblicke, wo ihm für seine schimpf¬
liche Handlungsweise die Fürstenkrone zuteil wird, hat sie nach dem Heldentode
seines Sohnes jeden Wert für ihn verloren. Das ist wahre Tragik, und damit
ist auch unserm Gerechtigkeitsgefühl einigermaßen genügt. Je mehr Octavio von
der Ehrbarkeit seiner Handlungsweise durchdrungen erscheint, um so widriger wird
er dem Zuschauer, und man kann behaupten, daß der Schauspieler, wie das in der
Tat auch meist geschieht, die Rolle als Tugendheld spielen kann, ohne uns auch
nur für einen einzigen Augenblick zu täuschen, und ohne daß es der bekannten
Winke mit dem Scheuneutor bedürfte, durch die in andern Rollen von Zeit zu Zeit
der Intrigant das Bekenntnis ablegt: „Ich bin ein Schurke und weiß es."

In gewissem Sinne muß man von Questenberg etwas ähnliches sagen. Zum
Spionieren und zum Überbringer geheimer Instruktionen des kaiserlichen Beicht¬
vaters brauchte sich ein Kammerherr und Kriegsrat uicht mißbrauchen zu lassen;
daß er das dennoch tut, zeigt deutlich, daß er das Herz nicht auf dem rechten
Flecke hat, und seine Unterredung mit Oetaviv (im dritten Auftritt des ersten Akts
der Piccolomini) darf uns über den wahren Sachverhalt nicht täuschen. Diplo¬
maten der alten Schule war es erlaubt, solche Missionen zu übernehmen, denn sie
hatten die Sprache uur, um ihre Gedanken zu verbergen, und niemand traute ihnen
über den Weg. Da sie auf diese Weise niemandes Vertrauen täuschten, so konnte
ihnen ans den Täuschungen, die sie verübten, eigentlich ebensowenig ein Vorwurf
gemacht werden als dem Prestidigitateur, dessen Motto: „Geschwindigkeit ist keine
Hexerei," die sonstige boiur na«8 des berufsmäßig auf Täuschung ausgehenden nach¬
weisen soll. Ein kaiserlicher Kommissar aber, der mit Befehlen an den Generalissimus
in dessen Lager abgeschickt ist und in einem zweiten Sacke geheime Instruktionen
für dessen Untergebnen hat, durch die der Sturz eben dieses Chefs vorbereitet
werden soll, ist trotz seines Kammerherrnschlüssels und seiner goldnen Gnadenkette
ein gemeiner Lump, den, abgesehen von der „schuldigen Achtung gegen seinen
Kaiser," jedes Kriegsgericht zum Tode verurteilt haben würde. Ein rechter Kerl
würde dem Pater gesagt haben: Für dergleichen bin ich zu gut, schickt einen andern.
Und doch darf man, wenn man sieht, was heutzutage aus blinder Hingebung an
den Staat und dessen Interessen geschieht, auch die Vergangenheit nicht zu hart
beurteilen. Wenn der ritterlichste Stand im Staate, das Offizierkorps, es fertig
bringt, Spionage zu treiben und Spionage zu rechtfertigen, so muß mau doch zu
der Überzeugung kommen, daß nicht bloß Politik und Moral, sondern auch Standes-
ehre und Moral zweierlei sind.

Da sich die beide», Piccolomini und Questenberg, zwar als kaiserliche Schild¬
halter gebärden, aber selbst nicht handeln wollen, so würde sich der Herzog der
ihm besonders zusagenden Stellung eines Herkules am Scheidewege noch länger
haben erfreuen können, wenn die Katastrophe nicht gleich in den ersten Auftritten
von „Wallensteins Tod" durch die eintreffende Meldung, daß der Zwischenträger
Schina gefangen genommen und bei ihm gefährliche Schriftstücke gefunden worden
seien, überraschend herbeigeführt würde.

Wallensteins unheilbringenden Entschluß, sich mit den Schweden zu verbinden
und zu diesem Zweck dem Kaiser die Armee abtrünnig zu machen, haben zwar
schon Terzlh und Illo auf ihre Weise zu zeitigen gesucht, und sie lassen es auch
im entscheidenden Augenblick an dringendem Zureden nicht schien, aber den noch
immer vorsichtig und unentschlossen zögernden zum entscheidenden, unwiderruflichen
letzten Schritte zu überreden gelingt erst der Schwester der Herzogin, der Gräfin
Therese Terzky. Man sollte Schiller den posthumen Gefallen tun, diese Dame


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[0123] Leipziger Dramaturgie aber auf der andern ein reines Gewissen bewahrt haben. Das soll nur bemerkt werden, damit sich jeder dem Widerwillen gegen den heimlichen Laurer mit vollem Bewußtsein hingeben könne, obwohl es Schiller vermieden hat, eine moralische Hinrichtung von Ilios „falscher Katze" durch einen andern als den mit Recht ent¬ rüsteten Wallenstein vorzunehmen. Nur diese Entrüstung und die wohlverdiente Schicksalsstrafe treffen den Verräter: in dem Augenblicke, wo ihm für seine schimpf¬ liche Handlungsweise die Fürstenkrone zuteil wird, hat sie nach dem Heldentode seines Sohnes jeden Wert für ihn verloren. Das ist wahre Tragik, und damit ist auch unserm Gerechtigkeitsgefühl einigermaßen genügt. Je mehr Octavio von der Ehrbarkeit seiner Handlungsweise durchdrungen erscheint, um so widriger wird er dem Zuschauer, und man kann behaupten, daß der Schauspieler, wie das in der Tat auch meist geschieht, die Rolle als Tugendheld spielen kann, ohne uns auch nur für einen einzigen Augenblick zu täuschen, und ohne daß es der bekannten Winke mit dem Scheuneutor bedürfte, durch die in andern Rollen von Zeit zu Zeit der Intrigant das Bekenntnis ablegt: „Ich bin ein Schurke und weiß es." In gewissem Sinne muß man von Questenberg etwas ähnliches sagen. Zum Spionieren und zum Überbringer geheimer Instruktionen des kaiserlichen Beicht¬ vaters brauchte sich ein Kammerherr und Kriegsrat uicht mißbrauchen zu lassen; daß er das dennoch tut, zeigt deutlich, daß er das Herz nicht auf dem rechten Flecke hat, und seine Unterredung mit Oetaviv (im dritten Auftritt des ersten Akts der Piccolomini) darf uns über den wahren Sachverhalt nicht täuschen. Diplo¬ maten der alten Schule war es erlaubt, solche Missionen zu übernehmen, denn sie hatten die Sprache uur, um ihre Gedanken zu verbergen, und niemand traute ihnen über den Weg. Da sie auf diese Weise niemandes Vertrauen täuschten, so konnte ihnen ans den Täuschungen, die sie verübten, eigentlich ebensowenig ein Vorwurf gemacht werden als dem Prestidigitateur, dessen Motto: „Geschwindigkeit ist keine Hexerei," die sonstige boiur na«8 des berufsmäßig auf Täuschung ausgehenden nach¬ weisen soll. Ein kaiserlicher Kommissar aber, der mit Befehlen an den Generalissimus in dessen Lager abgeschickt ist und in einem zweiten Sacke geheime Instruktionen für dessen Untergebnen hat, durch die der Sturz eben dieses Chefs vorbereitet werden soll, ist trotz seines Kammerherrnschlüssels und seiner goldnen Gnadenkette ein gemeiner Lump, den, abgesehen von der „schuldigen Achtung gegen seinen Kaiser," jedes Kriegsgericht zum Tode verurteilt haben würde. Ein rechter Kerl würde dem Pater gesagt haben: Für dergleichen bin ich zu gut, schickt einen andern. Und doch darf man, wenn man sieht, was heutzutage aus blinder Hingebung an den Staat und dessen Interessen geschieht, auch die Vergangenheit nicht zu hart beurteilen. Wenn der ritterlichste Stand im Staate, das Offizierkorps, es fertig bringt, Spionage zu treiben und Spionage zu rechtfertigen, so muß mau doch zu der Überzeugung kommen, daß nicht bloß Politik und Moral, sondern auch Standes- ehre und Moral zweierlei sind. Da sich die beide», Piccolomini und Questenberg, zwar als kaiserliche Schild¬ halter gebärden, aber selbst nicht handeln wollen, so würde sich der Herzog der ihm besonders zusagenden Stellung eines Herkules am Scheidewege noch länger haben erfreuen können, wenn die Katastrophe nicht gleich in den ersten Auftritten von „Wallensteins Tod" durch die eintreffende Meldung, daß der Zwischenträger Schina gefangen genommen und bei ihm gefährliche Schriftstücke gefunden worden seien, überraschend herbeigeführt würde. Wallensteins unheilbringenden Entschluß, sich mit den Schweden zu verbinden und zu diesem Zweck dem Kaiser die Armee abtrünnig zu machen, haben zwar schon Terzlh und Illo auf ihre Weise zu zeitigen gesucht, und sie lassen es auch im entscheidenden Augenblick an dringendem Zureden nicht schien, aber den noch immer vorsichtig und unentschlossen zögernden zum entscheidenden, unwiderruflichen letzten Schritte zu überreden gelingt erst der Schwester der Herzogin, der Gräfin Therese Terzky. Man sollte Schiller den posthumen Gefallen tun, diese Dame

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/123>, abgerufen am 22.07.2024.