tuas an. Zur Zeit Neros gab es kaum noch freie Arbeit. Ähnlich wie heute, hatten das Großkapital und die große Unternehmung den kleinen Landwirt und den Handwerker vernichtet. Das Proletariat organisierte sich. Die Regierung überwachte und unterdrückte zwar seine Genossenschaften, ließ aber die Be- crdigungsvercine ziemlich unbehelligt, und durch diese Lücke der Gesetzgebung schlüpfte das Christentum in den Staatskörper hinein. Die Kirchengemeinden waren nichts als Arbeitersyndikate. Wie sie gediehen, das beweist die An¬ häufung von Reichtümern in den christlichen Tempeln. Mit einer anarchistischen Propaganda fing die Sache an, führte zur Gründung von Arbeitergenossen¬ schaften und endigte mit einer neuen Form der Kapitalherrschaft. Jesus von Nazareth spielt dabei nur eine Nebenrolle. Der eigentliche Gründer der christ¬ lichen Kirche ist Paulus, und Nero war sein mächtigster, wenn auch unfrei¬ williger Mitarbeiter. Paulus hatte den genialen Einfall, daß wenn man die Lehren der Humanität, einer Moral der Bruderliebe, dem Zimmermaunssohne in den Mund legte, der den Sklaventod gestorben und zugleich der Sohn Gottes sei, das ganz anders mächtig wirken müsse als die gelehrten Redensarten der griechischen Philosophen. Diese Idee war ihm bei der Steinigung des Stephanus gekommen, der Diener einer der kommunistischen Genossenschaften war, mit denen sich das jüdische Volk einigermaßen der Ausbeutung erwehrte. Diese Genossen¬ schaften aber verwickelten sich zunächst in einen Konflikt mit den jüdischen Be¬ hörden, deren Mitglieder aus dem Monopol des Handels mit Opferfleisch großen Gewinn zogen. Aber natürlich wurde dieser Beweggrund zur Bekämpfung der Christen nicht verraten, sondern man klagte sie des Frevels gegen das heilige Gesetz Gottes an. Hütte Stephanus das Fleisch, das seine Genossenschaft brauchte, bei den Priestern gekauft, so würde man ihn wahrscheinlich nicht ge¬ steinigt haben. Das ganze jüdische Zeremonialgesetz ist niemals etwas andres gewesen als eine Regelung des innern Geschäftsverkehrs, zunächst zum besten privilegierter Klassen von Unternehmern und Händlern, doch auch zum besten der dienenden Stände, indem sie diese vor der Ausbeutung durch das Ausland schützte. Das mosaische Gesetz ist also aus dem Magen, nicht aus dem Gehirn hervorgegangen. Zum mindesten wird man diesem kühnen Ausspruch wohl die Form geben müssen: aus dem Gehirn zum besten des Magens; denn so mächtig dieser Unverschämte sein mag, das Ersinner muß er doch dem Gehirn über¬ lassen. Die Leser können nun, wenn sie Lust haben, nach der angedeuteten Methode das Neue Testament und die Kirchengeschichte selbst weiter auslegen. Aber die Zeitschrift ist nicht einseitig und nimmt eine sehr gründliche Abhandlung von G. Sorel auf, worin dieser nachweist, daß der sogenannte ökonomische Materialismus unwissenschaftlich ist, und daß sein Begründer, Karl Marx, von willkürlichen Voraussetzungen ausgeht; damit ist denn auch schon die materia¬ listische Geschichtskonstruktion abgetan. -- Im Anschluß an die deutsche Bcrn- steindebatte behandelt Domela Nieuwenhuis den Zusammenbruch des Marxis¬ mus. Wenn wir den Schluß des langen Artikels mitteilen, können wir uns alles übrige ersparen. "Bernstein kann in seiner zweideutigen Lage nicht beharren, sondern muß entweder zur Sozialdemokratie zurückkehren und Buße tun, oder eine neue, bloß demokratische, nicht sozialistische Reform-
Aus einer französischen Zeitschrift
tuas an. Zur Zeit Neros gab es kaum noch freie Arbeit. Ähnlich wie heute, hatten das Großkapital und die große Unternehmung den kleinen Landwirt und den Handwerker vernichtet. Das Proletariat organisierte sich. Die Regierung überwachte und unterdrückte zwar seine Genossenschaften, ließ aber die Be- crdigungsvercine ziemlich unbehelligt, und durch diese Lücke der Gesetzgebung schlüpfte das Christentum in den Staatskörper hinein. Die Kirchengemeinden waren nichts als Arbeitersyndikate. Wie sie gediehen, das beweist die An¬ häufung von Reichtümern in den christlichen Tempeln. Mit einer anarchistischen Propaganda fing die Sache an, führte zur Gründung von Arbeitergenossen¬ schaften und endigte mit einer neuen Form der Kapitalherrschaft. Jesus von Nazareth spielt dabei nur eine Nebenrolle. Der eigentliche Gründer der christ¬ lichen Kirche ist Paulus, und Nero war sein mächtigster, wenn auch unfrei¬ williger Mitarbeiter. Paulus hatte den genialen Einfall, daß wenn man die Lehren der Humanität, einer Moral der Bruderliebe, dem Zimmermaunssohne in den Mund legte, der den Sklaventod gestorben und zugleich der Sohn Gottes sei, das ganz anders mächtig wirken müsse als die gelehrten Redensarten der griechischen Philosophen. Diese Idee war ihm bei der Steinigung des Stephanus gekommen, der Diener einer der kommunistischen Genossenschaften war, mit denen sich das jüdische Volk einigermaßen der Ausbeutung erwehrte. Diese Genossen¬ schaften aber verwickelten sich zunächst in einen Konflikt mit den jüdischen Be¬ hörden, deren Mitglieder aus dem Monopol des Handels mit Opferfleisch großen Gewinn zogen. Aber natürlich wurde dieser Beweggrund zur Bekämpfung der Christen nicht verraten, sondern man klagte sie des Frevels gegen das heilige Gesetz Gottes an. Hütte Stephanus das Fleisch, das seine Genossenschaft brauchte, bei den Priestern gekauft, so würde man ihn wahrscheinlich nicht ge¬ steinigt haben. Das ganze jüdische Zeremonialgesetz ist niemals etwas andres gewesen als eine Regelung des innern Geschäftsverkehrs, zunächst zum besten privilegierter Klassen von Unternehmern und Händlern, doch auch zum besten der dienenden Stände, indem sie diese vor der Ausbeutung durch das Ausland schützte. Das mosaische Gesetz ist also aus dem Magen, nicht aus dem Gehirn hervorgegangen. Zum mindesten wird man diesem kühnen Ausspruch wohl die Form geben müssen: aus dem Gehirn zum besten des Magens; denn so mächtig dieser Unverschämte sein mag, das Ersinner muß er doch dem Gehirn über¬ lassen. Die Leser können nun, wenn sie Lust haben, nach der angedeuteten Methode das Neue Testament und die Kirchengeschichte selbst weiter auslegen. Aber die Zeitschrift ist nicht einseitig und nimmt eine sehr gründliche Abhandlung von G. Sorel auf, worin dieser nachweist, daß der sogenannte ökonomische Materialismus unwissenschaftlich ist, und daß sein Begründer, Karl Marx, von willkürlichen Voraussetzungen ausgeht; damit ist denn auch schon die materia¬ listische Geschichtskonstruktion abgetan. — Im Anschluß an die deutsche Bcrn- steindebatte behandelt Domela Nieuwenhuis den Zusammenbruch des Marxis¬ mus. Wenn wir den Schluß des langen Artikels mitteilen, können wir uns alles übrige ersparen. „Bernstein kann in seiner zweideutigen Lage nicht beharren, sondern muß entweder zur Sozialdemokratie zurückkehren und Buße tun, oder eine neue, bloß demokratische, nicht sozialistische Reform-
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hatten das Großkapital und die große Unternehmung den kleinen Landwirt und
den Handwerker vernichtet. Das Proletariat organisierte sich. Die Regierung
überwachte und unterdrückte zwar seine Genossenschaften, ließ aber die Be-
crdigungsvercine ziemlich unbehelligt, und durch diese Lücke der Gesetzgebung
schlüpfte das Christentum in den Staatskörper hinein. Die Kirchengemeinden
waren nichts als Arbeitersyndikate. Wie sie gediehen, das beweist die An¬
häufung von Reichtümern in den christlichen Tempeln. Mit einer anarchistischen
Propaganda fing die Sache an, führte zur Gründung von Arbeitergenossen¬
schaften und endigte mit einer neuen Form der Kapitalherrschaft. Jesus von
Nazareth spielt dabei nur eine Nebenrolle. Der eigentliche Gründer der christ¬
lichen Kirche ist Paulus, und Nero war sein mächtigster, wenn auch unfrei¬
williger Mitarbeiter. Paulus hatte den genialen Einfall, daß wenn man die
Lehren der Humanität, einer Moral der Bruderliebe, dem Zimmermaunssohne
in den Mund legte, der den Sklaventod gestorben und zugleich der Sohn Gottes
sei, das ganz anders mächtig wirken müsse als die gelehrten Redensarten der
griechischen Philosophen. Diese Idee war ihm bei der Steinigung des Stephanus
gekommen, der Diener einer der kommunistischen Genossenschaften war, mit denen
sich das jüdische Volk einigermaßen der Ausbeutung erwehrte. Diese Genossen¬
schaften aber verwickelten sich zunächst in einen Konflikt mit den jüdischen Be¬
hörden, deren Mitglieder aus dem Monopol des Handels mit Opferfleisch großen
Gewinn zogen. Aber natürlich wurde dieser Beweggrund zur Bekämpfung der
Christen nicht verraten, sondern man klagte sie des Frevels gegen das heilige
Gesetz Gottes an. Hütte Stephanus das Fleisch, das seine Genossenschaft
brauchte, bei den Priestern gekauft, so würde man ihn wahrscheinlich nicht ge¬
steinigt haben. Das ganze jüdische Zeremonialgesetz ist niemals etwas andres
gewesen als eine Regelung des innern Geschäftsverkehrs, zunächst zum besten
privilegierter Klassen von Unternehmern und Händlern, doch auch zum besten
der dienenden Stände, indem sie diese vor der Ausbeutung durch das Ausland
schützte. Das mosaische Gesetz ist also aus dem Magen, nicht aus dem Gehirn
hervorgegangen. Zum mindesten wird man diesem kühnen Ausspruch wohl die
Form geben müssen: aus dem Gehirn zum besten des Magens; denn so mächtig
dieser Unverschämte sein mag, das Ersinner muß er doch dem Gehirn über¬
lassen. Die Leser können nun, wenn sie Lust haben, nach der angedeuteten
Methode das Neue Testament und die Kirchengeschichte selbst weiter auslegen.
Aber die Zeitschrift ist nicht einseitig und nimmt eine sehr gründliche Abhandlung
von G. Sorel auf, worin dieser nachweist, daß der sogenannte ökonomische
Materialismus unwissenschaftlich ist, und daß sein Begründer, Karl Marx, von
willkürlichen Voraussetzungen ausgeht; damit ist denn auch schon die materia¬
listische Geschichtskonstruktion abgetan. — Im Anschluß an die deutsche Bcrn-
steindebatte behandelt Domela Nieuwenhuis den Zusammenbruch des Marxis¬
mus. Wenn wir den Schluß des langen Artikels mitteilen, können wir
uns alles übrige ersparen. „Bernstein kann in seiner zweideutigen Lage
nicht beharren, sondern muß entweder zur Sozialdemokratie zurückkehren und
Buße tun, oder eine neue, bloß demokratische, nicht sozialistische Reform-
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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_242067/118>, abgerufen am 22.07.2024.
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