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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Der Kampf um den Weltmarkt
^. Volks- und Weltwirtschaft

n einer Reihe von Aufsätzen wollen wir versuchen, den Kampf
um den Weltmarkt, wie er sich jetzt in dem Wettbewerb zwischen
den großen führenden Handelsstaaten: England, dein Deutschen
Reich und den Vereinigten Staaten von Nordamerika, wider¬
spiegelt, zu beleuchten. Suchen wir zunächst den Standpunkt,
von dem wir ausgehn wollen, kurz zu kennzeichnen.

Seit der Vereinigung der deutschen Stämme unter preußischer Führung
und seit der Begründung unsers neuen Kaiserreichs hat unser deutsches Volt
seine politischen Ideale mehr und mehr verlassen, und auf neuen Wegen sucht
es, fast kann man sagen, tastet es nach neuen Zielen seines Staatslebens.
Standen früher die politischen Kämpfe im Vordergrund des allgemeinen Inter¬
esses, so dreht sich jetzt das öffentliche Leben um materielle Fragen. In der
letzten Zeit haben große politische Parteien maßgebenden Einfluß allein dadurch
erlangt, daß sie sich der Verteidigung materieller Interessen einzelner Volks¬
klassen fast ausschließlich widmeten. Leider haben mit dieser Wandlung unsers
öffentlichen Lebens die politischen Kämpfe an Erbitterung zugenommen. Sie
werden jetzt mit einer Leidenschaftlichkeit, mit einer Schärfe geführt, die man
früher nicht gekannt hat.

Die Ursachen, die diesen Wechsel herbeigeführt haben, sind verhältnis¬
mäßig leicht erkennbar. Im alten Deutschland arbeitete unser Volk an der
Hebung und der Vertiefung seiner innern Kultur. Damals nannten uns die
Engländer das Volk der Denker. Mischte sich wohl auch in die Anerkennung,
die in diesen Worten lag, ein feiner Spott bei, so waren sie doch für das
damalige Deutschland bezeichnend. Wir strebten nicht in die weite Welt hinaus,
wir begnügten uus, unsern heimischen Boden zu bestellen. Wir waren ein wirt¬
schaftlich selbstgenügsames Volk.

Ganz anders im neuen Deutsche" Reich. Heute sehen wir, wie in unserm
Volke der Wert der sittlichen und der geistigen Kultur unterschätzt, der Wert des
Geldes und der materiellen Macht überschätzt wird. Waren wir lange in der
Entwicklung unsrer natürlichen Hilfsmittel gegen Frankreich und England zurück¬
geblieben, so suchten Nur jetzt i" sprnnghaftem Vorgehn die Westmächte eiuzu-


Grenzboten III 1903 1


Der Kampf um den Weltmarkt
^. Volks- und Weltwirtschaft

n einer Reihe von Aufsätzen wollen wir versuchen, den Kampf
um den Weltmarkt, wie er sich jetzt in dem Wettbewerb zwischen
den großen führenden Handelsstaaten: England, dein Deutschen
Reich und den Vereinigten Staaten von Nordamerika, wider¬
spiegelt, zu beleuchten. Suchen wir zunächst den Standpunkt,
von dem wir ausgehn wollen, kurz zu kennzeichnen.

Seit der Vereinigung der deutschen Stämme unter preußischer Führung
und seit der Begründung unsers neuen Kaiserreichs hat unser deutsches Volt
seine politischen Ideale mehr und mehr verlassen, und auf neuen Wegen sucht
es, fast kann man sagen, tastet es nach neuen Zielen seines Staatslebens.
Standen früher die politischen Kämpfe im Vordergrund des allgemeinen Inter¬
esses, so dreht sich jetzt das öffentliche Leben um materielle Fragen. In der
letzten Zeit haben große politische Parteien maßgebenden Einfluß allein dadurch
erlangt, daß sie sich der Verteidigung materieller Interessen einzelner Volks¬
klassen fast ausschließlich widmeten. Leider haben mit dieser Wandlung unsers
öffentlichen Lebens die politischen Kämpfe an Erbitterung zugenommen. Sie
werden jetzt mit einer Leidenschaftlichkeit, mit einer Schärfe geführt, die man
früher nicht gekannt hat.

Die Ursachen, die diesen Wechsel herbeigeführt haben, sind verhältnis¬
mäßig leicht erkennbar. Im alten Deutschland arbeitete unser Volk an der
Hebung und der Vertiefung seiner innern Kultur. Damals nannten uns die
Engländer das Volk der Denker. Mischte sich wohl auch in die Anerkennung,
die in diesen Worten lag, ein feiner Spott bei, so waren sie doch für das
damalige Deutschland bezeichnend. Wir strebten nicht in die weite Welt hinaus,
wir begnügten uus, unsern heimischen Boden zu bestellen. Wir waren ein wirt¬
schaftlich selbstgenügsames Volk.

Ganz anders im neuen Deutsche» Reich. Heute sehen wir, wie in unserm
Volke der Wert der sittlichen und der geistigen Kultur unterschätzt, der Wert des
Geldes und der materiellen Macht überschätzt wird. Waren wir lange in der
Entwicklung unsrer natürlichen Hilfsmittel gegen Frankreich und England zurück¬
geblieben, so suchten Nur jetzt i» sprnnghaftem Vorgehn die Westmächte eiuzu-


Grenzboten III 1903 1
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[0009] [Abbildung] Der Kampf um den Weltmarkt ^. Volks- und Weltwirtschaft n einer Reihe von Aufsätzen wollen wir versuchen, den Kampf um den Weltmarkt, wie er sich jetzt in dem Wettbewerb zwischen den großen führenden Handelsstaaten: England, dein Deutschen Reich und den Vereinigten Staaten von Nordamerika, wider¬ spiegelt, zu beleuchten. Suchen wir zunächst den Standpunkt, von dem wir ausgehn wollen, kurz zu kennzeichnen. Seit der Vereinigung der deutschen Stämme unter preußischer Führung und seit der Begründung unsers neuen Kaiserreichs hat unser deutsches Volt seine politischen Ideale mehr und mehr verlassen, und auf neuen Wegen sucht es, fast kann man sagen, tastet es nach neuen Zielen seines Staatslebens. Standen früher die politischen Kämpfe im Vordergrund des allgemeinen Inter¬ esses, so dreht sich jetzt das öffentliche Leben um materielle Fragen. In der letzten Zeit haben große politische Parteien maßgebenden Einfluß allein dadurch erlangt, daß sie sich der Verteidigung materieller Interessen einzelner Volks¬ klassen fast ausschließlich widmeten. Leider haben mit dieser Wandlung unsers öffentlichen Lebens die politischen Kämpfe an Erbitterung zugenommen. Sie werden jetzt mit einer Leidenschaftlichkeit, mit einer Schärfe geführt, die man früher nicht gekannt hat. Die Ursachen, die diesen Wechsel herbeigeführt haben, sind verhältnis¬ mäßig leicht erkennbar. Im alten Deutschland arbeitete unser Volk an der Hebung und der Vertiefung seiner innern Kultur. Damals nannten uns die Engländer das Volk der Denker. Mischte sich wohl auch in die Anerkennung, die in diesen Worten lag, ein feiner Spott bei, so waren sie doch für das damalige Deutschland bezeichnend. Wir strebten nicht in die weite Welt hinaus, wir begnügten uus, unsern heimischen Boden zu bestellen. Wir waren ein wirt¬ schaftlich selbstgenügsames Volk. Ganz anders im neuen Deutsche» Reich. Heute sehen wir, wie in unserm Volke der Wert der sittlichen und der geistigen Kultur unterschätzt, der Wert des Geldes und der materiellen Macht überschätzt wird. Waren wir lange in der Entwicklung unsrer natürlichen Hilfsmittel gegen Frankreich und England zurück¬ geblieben, so suchten Nur jetzt i» sprnnghaftem Vorgehn die Westmächte eiuzu- Grenzboten III 1903 1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/9>, abgerufen am 26.11.2024.