Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Sprachen- und Becuntenfrage in Böhmen

sich aber dabei um eine Änderung der Staatsgrundgesetze handelt, wofür eine
Zweidrittelmehrheit im Abgeordnetenhause notwendig ist, so kann bei dem
heutigen Standpunkt der Parteien, bevor nicht ein Kompromiß zwischen
Deutschen und Tschechen vorausgegangen ist, überhaupt keine Entscheidung
herbeigeführt werden. Seitdem durch die Episode der Badenischen Sprachen¬
verordnungen in beiden nationalen Lagern der Radikalismus die Agitation
beherrscht und die friedlichem Parteien Angst vor Mandatsverlusten an die
Radikalen haben, ist jede Verständigung in weite Ferne gerückt, und alle Be¬
mühungen des Ministeriums Körber, durch Verhandlungen einen Kompromiß
anzubahnen, sind erfolglos geblieben. Die deutschen Parteien sind augen¬
blicklich in einer günstigern Lage, weil sich die Deutschradikalen durch die
bösen Anfeindungen zwischen schönerer und Wolf um ihr früheres Ansehen
gebracht haben, die Jungtschechen dagegen obstruieren und intransigiereu
weiter, weil sie alle Ursache haben, sich vor den tschechischen Radikalen zu
fürchten.

Die heute nach Aufhebung der Badenischen wieder geltenden Stremahrschen
Sprachenverordnungen bestimmten, daß bei den politischen und den Justiz¬
behörden in Böhmen und in Mähren die Erledigung und Entscheidung in der
Sprache des eingereichten Gesuchs, die Aufnahme von Parteierklärungen und
Zeugenaussagen in der Sprache der Partei und der Zeugen, endlich die Ver¬
ständigung der Parteien in der bei ihnen vorauszusetzenden Sprache zu er¬
folgen habe; endlich sollten strafgerichtliche Verhandlungen in der Sprache des
Angeklagten durchgeführt werden, außer wo das öffentliche Interesse sz. B. bei
Schwurgerichten) eine Ausnahme erfordert; die Eintragung in öffentliche
Bücher und Register soll in der Sprache der Partei geschehen. Mit Ausnahme
der letzten Bestimmung, die einen ziemlichen Wirrwarr in die Grundbücher
gebracht hat, enthalten die übrigen Anordnungen nichts, was sich nicht voll¬
kommen rechtfertigen ließe und bei Beamten aus der Büchschen Zeit auch
nicht auf die geringsten Schwierigkeiten gestoßen wäre. Für die deutscheu
Beamten freilich, die darauf pochten, nicht tschechisch lernen zu müssen, war
die Sache schwierig; sie konnten nur in deutschen Bezirken gebraucht werden.
Die Badenischen Sprachenverordnungen gingen nun viel weiter, dehnten die
Zweisprachigkeit auf sämtliche Staatsbehörden aus und bestimmten, daß die
Sprache des Ansuchens der Partei auch für die Behandlung in den obern
Instanzen maßgebend sei. wodurch die tschechische Sprache der deutschen als
innere Landessprache vollkommen gleichgestellt wurde. Um diesen Zweck zu
erreichen, wurde als Regel aufgestellt, daß alle Staatsbeamten in ganz Böhmen
und Mührer, die nach dem 1. Juli 1901 angestellt würden, die Kenntnis
beider Landessprachen in Wort und Schrift nachweisen und sich darin einer
Prüfung unterziehn müßten. Namentlich diese Bestimmung zeigte, daß die
Sprachenverordnungen weit über das tatsächliche Bedürfnis hinausgingen und
der frühe Termin von 1901 wenigstens für einige Jahre den deutschen Be-
nmtennachwuchs unmöglich machen sollte. Der erbitterte Widerstand der
Deutschen hiergegen war ebenso begreiflich wie gerechtfertigt, es muß jedoch
darauf hingewiesen werden, daß er schwerlich die ausschreitenden Formen, die


Die Sprachen- und Becuntenfrage in Böhmen

sich aber dabei um eine Änderung der Staatsgrundgesetze handelt, wofür eine
Zweidrittelmehrheit im Abgeordnetenhause notwendig ist, so kann bei dem
heutigen Standpunkt der Parteien, bevor nicht ein Kompromiß zwischen
Deutschen und Tschechen vorausgegangen ist, überhaupt keine Entscheidung
herbeigeführt werden. Seitdem durch die Episode der Badenischen Sprachen¬
verordnungen in beiden nationalen Lagern der Radikalismus die Agitation
beherrscht und die friedlichem Parteien Angst vor Mandatsverlusten an die
Radikalen haben, ist jede Verständigung in weite Ferne gerückt, und alle Be¬
mühungen des Ministeriums Körber, durch Verhandlungen einen Kompromiß
anzubahnen, sind erfolglos geblieben. Die deutschen Parteien sind augen¬
blicklich in einer günstigern Lage, weil sich die Deutschradikalen durch die
bösen Anfeindungen zwischen schönerer und Wolf um ihr früheres Ansehen
gebracht haben, die Jungtschechen dagegen obstruieren und intransigiereu
weiter, weil sie alle Ursache haben, sich vor den tschechischen Radikalen zu
fürchten.

Die heute nach Aufhebung der Badenischen wieder geltenden Stremahrschen
Sprachenverordnungen bestimmten, daß bei den politischen und den Justiz¬
behörden in Böhmen und in Mähren die Erledigung und Entscheidung in der
Sprache des eingereichten Gesuchs, die Aufnahme von Parteierklärungen und
Zeugenaussagen in der Sprache der Partei und der Zeugen, endlich die Ver¬
ständigung der Parteien in der bei ihnen vorauszusetzenden Sprache zu er¬
folgen habe; endlich sollten strafgerichtliche Verhandlungen in der Sprache des
Angeklagten durchgeführt werden, außer wo das öffentliche Interesse sz. B. bei
Schwurgerichten) eine Ausnahme erfordert; die Eintragung in öffentliche
Bücher und Register soll in der Sprache der Partei geschehen. Mit Ausnahme
der letzten Bestimmung, die einen ziemlichen Wirrwarr in die Grundbücher
gebracht hat, enthalten die übrigen Anordnungen nichts, was sich nicht voll¬
kommen rechtfertigen ließe und bei Beamten aus der Büchschen Zeit auch
nicht auf die geringsten Schwierigkeiten gestoßen wäre. Für die deutscheu
Beamten freilich, die darauf pochten, nicht tschechisch lernen zu müssen, war
die Sache schwierig; sie konnten nur in deutschen Bezirken gebraucht werden.
Die Badenischen Sprachenverordnungen gingen nun viel weiter, dehnten die
Zweisprachigkeit auf sämtliche Staatsbehörden aus und bestimmten, daß die
Sprache des Ansuchens der Partei auch für die Behandlung in den obern
Instanzen maßgebend sei. wodurch die tschechische Sprache der deutschen als
innere Landessprache vollkommen gleichgestellt wurde. Um diesen Zweck zu
erreichen, wurde als Regel aufgestellt, daß alle Staatsbeamten in ganz Böhmen
und Mührer, die nach dem 1. Juli 1901 angestellt würden, die Kenntnis
beider Landessprachen in Wort und Schrift nachweisen und sich darin einer
Prüfung unterziehn müßten. Namentlich diese Bestimmung zeigte, daß die
Sprachenverordnungen weit über das tatsächliche Bedürfnis hinausgingen und
der frühe Termin von 1901 wenigstens für einige Jahre den deutschen Be-
nmtennachwuchs unmöglich machen sollte. Der erbitterte Widerstand der
Deutschen hiergegen war ebenso begreiflich wie gerechtfertigt, es muß jedoch
darauf hingewiesen werden, daß er schwerlich die ausschreitenden Formen, die


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0794" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/242014"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Sprachen- und Becuntenfrage in Böhmen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_3369" prev="#ID_3368"> sich aber dabei um eine Änderung der Staatsgrundgesetze handelt, wofür eine<lb/>
Zweidrittelmehrheit im Abgeordnetenhause notwendig ist, so kann bei dem<lb/>
heutigen Standpunkt der Parteien, bevor nicht ein Kompromiß zwischen<lb/>
Deutschen und Tschechen vorausgegangen ist, überhaupt keine Entscheidung<lb/>
herbeigeführt werden. Seitdem durch die Episode der Badenischen Sprachen¬<lb/>
verordnungen in beiden nationalen Lagern der Radikalismus die Agitation<lb/>
beherrscht und die friedlichem Parteien Angst vor Mandatsverlusten an die<lb/>
Radikalen haben, ist jede Verständigung in weite Ferne gerückt, und alle Be¬<lb/>
mühungen des Ministeriums Körber, durch Verhandlungen einen Kompromiß<lb/>
anzubahnen, sind erfolglos geblieben. Die deutschen Parteien sind augen¬<lb/>
blicklich in einer günstigern Lage, weil sich die Deutschradikalen durch die<lb/>
bösen Anfeindungen zwischen schönerer und Wolf um ihr früheres Ansehen<lb/>
gebracht haben, die Jungtschechen dagegen obstruieren und intransigiereu<lb/>
weiter, weil sie alle Ursache haben, sich vor den tschechischen Radikalen zu<lb/>
fürchten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3370" next="#ID_3371"> Die heute nach Aufhebung der Badenischen wieder geltenden Stremahrschen<lb/>
Sprachenverordnungen bestimmten, daß bei den politischen und den Justiz¬<lb/>
behörden in Böhmen und in Mähren die Erledigung und Entscheidung in der<lb/>
Sprache des eingereichten Gesuchs, die Aufnahme von Parteierklärungen und<lb/>
Zeugenaussagen in der Sprache der Partei und der Zeugen, endlich die Ver¬<lb/>
ständigung der Parteien in der bei ihnen vorauszusetzenden Sprache zu er¬<lb/>
folgen habe; endlich sollten strafgerichtliche Verhandlungen in der Sprache des<lb/>
Angeklagten durchgeführt werden, außer wo das öffentliche Interesse sz. B. bei<lb/>
Schwurgerichten) eine Ausnahme erfordert; die Eintragung in öffentliche<lb/>
Bücher und Register soll in der Sprache der Partei geschehen. Mit Ausnahme<lb/>
der letzten Bestimmung, die einen ziemlichen Wirrwarr in die Grundbücher<lb/>
gebracht hat, enthalten die übrigen Anordnungen nichts, was sich nicht voll¬<lb/>
kommen rechtfertigen ließe und bei Beamten aus der Büchschen Zeit auch<lb/>
nicht auf die geringsten Schwierigkeiten gestoßen wäre. Für die deutscheu<lb/>
Beamten freilich, die darauf pochten, nicht tschechisch lernen zu müssen, war<lb/>
die Sache schwierig; sie konnten nur in deutschen Bezirken gebraucht werden.<lb/>
Die Badenischen Sprachenverordnungen gingen nun viel weiter, dehnten die<lb/>
Zweisprachigkeit auf sämtliche Staatsbehörden aus und bestimmten, daß die<lb/>
Sprache des Ansuchens der Partei auch für die Behandlung in den obern<lb/>
Instanzen maßgebend sei. wodurch die tschechische Sprache der deutschen als<lb/>
innere Landessprache vollkommen gleichgestellt wurde. Um diesen Zweck zu<lb/>
erreichen, wurde als Regel aufgestellt, daß alle Staatsbeamten in ganz Böhmen<lb/>
und Mührer, die nach dem 1. Juli 1901 angestellt würden, die Kenntnis<lb/>
beider Landessprachen in Wort und Schrift nachweisen und sich darin einer<lb/>
Prüfung unterziehn müßten. Namentlich diese Bestimmung zeigte, daß die<lb/>
Sprachenverordnungen weit über das tatsächliche Bedürfnis hinausgingen und<lb/>
der frühe Termin von 1901 wenigstens für einige Jahre den deutschen Be-<lb/>
nmtennachwuchs unmöglich machen sollte. Der erbitterte Widerstand der<lb/>
Deutschen hiergegen war ebenso begreiflich wie gerechtfertigt, es muß jedoch<lb/>
darauf hingewiesen werden, daß er schwerlich die ausschreitenden Formen, die</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0794] Die Sprachen- und Becuntenfrage in Böhmen sich aber dabei um eine Änderung der Staatsgrundgesetze handelt, wofür eine Zweidrittelmehrheit im Abgeordnetenhause notwendig ist, so kann bei dem heutigen Standpunkt der Parteien, bevor nicht ein Kompromiß zwischen Deutschen und Tschechen vorausgegangen ist, überhaupt keine Entscheidung herbeigeführt werden. Seitdem durch die Episode der Badenischen Sprachen¬ verordnungen in beiden nationalen Lagern der Radikalismus die Agitation beherrscht und die friedlichem Parteien Angst vor Mandatsverlusten an die Radikalen haben, ist jede Verständigung in weite Ferne gerückt, und alle Be¬ mühungen des Ministeriums Körber, durch Verhandlungen einen Kompromiß anzubahnen, sind erfolglos geblieben. Die deutschen Parteien sind augen¬ blicklich in einer günstigern Lage, weil sich die Deutschradikalen durch die bösen Anfeindungen zwischen schönerer und Wolf um ihr früheres Ansehen gebracht haben, die Jungtschechen dagegen obstruieren und intransigiereu weiter, weil sie alle Ursache haben, sich vor den tschechischen Radikalen zu fürchten. Die heute nach Aufhebung der Badenischen wieder geltenden Stremahrschen Sprachenverordnungen bestimmten, daß bei den politischen und den Justiz¬ behörden in Böhmen und in Mähren die Erledigung und Entscheidung in der Sprache des eingereichten Gesuchs, die Aufnahme von Parteierklärungen und Zeugenaussagen in der Sprache der Partei und der Zeugen, endlich die Ver¬ ständigung der Parteien in der bei ihnen vorauszusetzenden Sprache zu er¬ folgen habe; endlich sollten strafgerichtliche Verhandlungen in der Sprache des Angeklagten durchgeführt werden, außer wo das öffentliche Interesse sz. B. bei Schwurgerichten) eine Ausnahme erfordert; die Eintragung in öffentliche Bücher und Register soll in der Sprache der Partei geschehen. Mit Ausnahme der letzten Bestimmung, die einen ziemlichen Wirrwarr in die Grundbücher gebracht hat, enthalten die übrigen Anordnungen nichts, was sich nicht voll¬ kommen rechtfertigen ließe und bei Beamten aus der Büchschen Zeit auch nicht auf die geringsten Schwierigkeiten gestoßen wäre. Für die deutscheu Beamten freilich, die darauf pochten, nicht tschechisch lernen zu müssen, war die Sache schwierig; sie konnten nur in deutschen Bezirken gebraucht werden. Die Badenischen Sprachenverordnungen gingen nun viel weiter, dehnten die Zweisprachigkeit auf sämtliche Staatsbehörden aus und bestimmten, daß die Sprache des Ansuchens der Partei auch für die Behandlung in den obern Instanzen maßgebend sei. wodurch die tschechische Sprache der deutschen als innere Landessprache vollkommen gleichgestellt wurde. Um diesen Zweck zu erreichen, wurde als Regel aufgestellt, daß alle Staatsbeamten in ganz Böhmen und Mührer, die nach dem 1. Juli 1901 angestellt würden, die Kenntnis beider Landessprachen in Wort und Schrift nachweisen und sich darin einer Prüfung unterziehn müßten. Namentlich diese Bestimmung zeigte, daß die Sprachenverordnungen weit über das tatsächliche Bedürfnis hinausgingen und der frühe Termin von 1901 wenigstens für einige Jahre den deutschen Be- nmtennachwuchs unmöglich machen sollte. Der erbitterte Widerstand der Deutschen hiergegen war ebenso begreiflich wie gerechtfertigt, es muß jedoch darauf hingewiesen werden, daß er schwerlich die ausschreitenden Formen, die

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/794
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/794>, abgerufen am 06.10.2024.