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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Ans der Jugendzeit

Eines Tngs nahm er mich mit zu einem in unsrer Nähe wohnenden Beutler-
meister, ließ mir dort Maß nehmen und bestellte für mich eine wildlederne Hose.
Wirklich kam bald nachher die schönste silbergraue Lederhose für mich an und mit
ihr ein Paar neuer, sogenannter steifer Stulpstiefel. Es half kein Sträuben und
Weinen. Am andern Morgen wurde" mir die enge, wildlederne Hose und die
Stulpstiefel angezogen, und ich mußte damit zu Herrn Kleinere in die Klasse gehn.
Diese Tracht war für städtische Jungen damals unerhört. Nur die Bauernjungen
nuf dem Lande trugen sie. In der Schule ergoß sich denn auch von feiten der
andern Jungen über mich eine Flut des verächtlichsten Hohns. Als wir nach der
Schule auf die Straße kamen, um nach Hause zu gehn, wurde ich von den Jungen
nicht nur ausgelacht, sondern auch "ausgeätscht." Einer rief mir zu: "Meßenke."
Schließlich wurde ich wütend und fing an, ans die unverschämten Bengel einzu¬
hauen. Es gab eine richtige Prügelei, aber mehr als über die Prügel ärgerte ich
mich über den unerhörten Schimpfnamen: Meßenke, d. h. Mistenke. Mistenken
hießen in Quedlinburg die jüngsten Ackerknechte der Ökonomen, weil sie den Dünger
auf die Äcker zu fahren hatten. Ich kam, braun und blau geschlagen, nach Hause
und erklärte meinen Eltern heulend, aber mit aller Bestimmtheit, daß keine Macht
der Erde mich mit der Lederhose wieder in die Schule bringen würde. Zu meinem
eignen Erstaunen nahm mein Vater die Sache von der humoristischen Seite. Er
gab nach. Ich durfte die silbergraue, wildlederne wieder ausziehn und ging schon
Nachmittags wieder in meinem gewöhnlichen Anzüge zur Schule. Die Dummheit
der Jungen hatte gesiegt. Ich habe die wildlederne Hose nie wieder in der Schule
getragen. Nur als wir Jungen später anfingen, kleine Theaterstücke aufzuführen,
wurde sie ein äußerst willkommenes Garderobestück, das uus für die Rollen von
Bauernburschen und Bauern gute Dienste leistete.

Während meiner Volksschulzeit verkündeten eines Tags Anschlagzettel von bis
dahin unerhörter Größe, daß die Brillhosfsche Kunstreitertrnppe, damals die be¬
rühmteste ihrer Zeit, nach Quedlinburg gekommen sei und in einem eigens dazu
erbauten Zirkus Vorstellungen geben werde. Für unsre kleine Stadt war das ein
bis dahin unerhörtes Ereignis. Ganz Quedlinburg stand vier bis sechs Wochen
lang ausschließlich unter dem Zeichen des Zirkus. Meinen Vater interessierten die
schönen Pferde und das geschickte Schul- und Quadrillereiten der Brillhoffschen
Gesellschaft, und er besuchte mit uns die Vorstellungen ziemlich häufig, für uns
ein um so überraschenderes Vergnügen, als wir bei seiner Abneigung gegen das
Theater gar nicht auf eine sich öfter wiederholende Erlaubnis zum Besuch des
Zirkus gerechnet hatten. Uns Jungen interessierte dort am meisten der erste Foree-
reiter der Truppe, Ernst Renz. Er war damals ein junger, schöner, athletisch ge¬
bauter Mann, der vorzüglich ritt und auf gesattelten und ungesatteltem Pferden
die unglaublichsten Kunststücke produzierte. Daneben ritt er Pferde zu und ver¬
kaufte sie für seine Rechnung. Damit hat er den Grund zu seinem nachmaligen,
nach Millionen zählenden Vermögen gelegt. Denn nach Brillhoffs Tode übernahm
er die Truppe als Direktor und ist als solcher weltbekannt geworden. Er und ein
andres Mitglied der Truppe, Herr Salomonsti, dessen Bravourstück der Lendenritt
""f ungesatteltem Pferde war, wurden vou uus Jungen als wahre Helden stürmisch
bewundert. Für ein halbes Jahr spielten wir nur noch Zirkus. Ich arrangierte
einen Sechserzug vou Spielkameraden, den ich, ans den Schultern des hintersten
und stärkste" stehend, lenkte. Ebenso produzierte ich auf unserm Saale oder Boden
den Lendenritt des Herrn Salvmvnski auf der Schulter eines etwas größern Jungen
""t erstaunlicher und vielbewnnderter Virtuosität.

Aus gegenüber auf dem andern Bodeufer wohnte ein Fischer Hieronymus,
"der wie seine Bekannten diesen Vornamen aussprachen, Jrvnimus. Er betrieb
einen schwunghaften Fischhandel. Für uns war es ein besondres Vergnügen, dnbei-
zustehn, wie er aus dem vor seinem Hause in der Bode liegenden Fischkasten mit
einem Hnndnetz eine Menge prächtiger, großer Karpfen und Schleie herauszog, sie


Ans der Jugendzeit

Eines Tngs nahm er mich mit zu einem in unsrer Nähe wohnenden Beutler-
meister, ließ mir dort Maß nehmen und bestellte für mich eine wildlederne Hose.
Wirklich kam bald nachher die schönste silbergraue Lederhose für mich an und mit
ihr ein Paar neuer, sogenannter steifer Stulpstiefel. Es half kein Sträuben und
Weinen. Am andern Morgen wurde« mir die enge, wildlederne Hose und die
Stulpstiefel angezogen, und ich mußte damit zu Herrn Kleinere in die Klasse gehn.
Diese Tracht war für städtische Jungen damals unerhört. Nur die Bauernjungen
nuf dem Lande trugen sie. In der Schule ergoß sich denn auch von feiten der
andern Jungen über mich eine Flut des verächtlichsten Hohns. Als wir nach der
Schule auf die Straße kamen, um nach Hause zu gehn, wurde ich von den Jungen
nicht nur ausgelacht, sondern auch „ausgeätscht." Einer rief mir zu: „Meßenke."
Schließlich wurde ich wütend und fing an, ans die unverschämten Bengel einzu¬
hauen. Es gab eine richtige Prügelei, aber mehr als über die Prügel ärgerte ich
mich über den unerhörten Schimpfnamen: Meßenke, d. h. Mistenke. Mistenken
hießen in Quedlinburg die jüngsten Ackerknechte der Ökonomen, weil sie den Dünger
auf die Äcker zu fahren hatten. Ich kam, braun und blau geschlagen, nach Hause
und erklärte meinen Eltern heulend, aber mit aller Bestimmtheit, daß keine Macht
der Erde mich mit der Lederhose wieder in die Schule bringen würde. Zu meinem
eignen Erstaunen nahm mein Vater die Sache von der humoristischen Seite. Er
gab nach. Ich durfte die silbergraue, wildlederne wieder ausziehn und ging schon
Nachmittags wieder in meinem gewöhnlichen Anzüge zur Schule. Die Dummheit
der Jungen hatte gesiegt. Ich habe die wildlederne Hose nie wieder in der Schule
getragen. Nur als wir Jungen später anfingen, kleine Theaterstücke aufzuführen,
wurde sie ein äußerst willkommenes Garderobestück, das uus für die Rollen von
Bauernburschen und Bauern gute Dienste leistete.

Während meiner Volksschulzeit verkündeten eines Tags Anschlagzettel von bis
dahin unerhörter Größe, daß die Brillhosfsche Kunstreitertrnppe, damals die be¬
rühmteste ihrer Zeit, nach Quedlinburg gekommen sei und in einem eigens dazu
erbauten Zirkus Vorstellungen geben werde. Für unsre kleine Stadt war das ein
bis dahin unerhörtes Ereignis. Ganz Quedlinburg stand vier bis sechs Wochen
lang ausschließlich unter dem Zeichen des Zirkus. Meinen Vater interessierten die
schönen Pferde und das geschickte Schul- und Quadrillereiten der Brillhoffschen
Gesellschaft, und er besuchte mit uns die Vorstellungen ziemlich häufig, für uns
ein um so überraschenderes Vergnügen, als wir bei seiner Abneigung gegen das
Theater gar nicht auf eine sich öfter wiederholende Erlaubnis zum Besuch des
Zirkus gerechnet hatten. Uns Jungen interessierte dort am meisten der erste Foree-
reiter der Truppe, Ernst Renz. Er war damals ein junger, schöner, athletisch ge¬
bauter Mann, der vorzüglich ritt und auf gesattelten und ungesatteltem Pferden
die unglaublichsten Kunststücke produzierte. Daneben ritt er Pferde zu und ver¬
kaufte sie für seine Rechnung. Damit hat er den Grund zu seinem nachmaligen,
nach Millionen zählenden Vermögen gelegt. Denn nach Brillhoffs Tode übernahm
er die Truppe als Direktor und ist als solcher weltbekannt geworden. Er und ein
andres Mitglied der Truppe, Herr Salomonsti, dessen Bravourstück der Lendenritt
""f ungesatteltem Pferde war, wurden vou uus Jungen als wahre Helden stürmisch
bewundert. Für ein halbes Jahr spielten wir nur noch Zirkus. Ich arrangierte
einen Sechserzug vou Spielkameraden, den ich, ans den Schultern des hintersten
und stärkste» stehend, lenkte. Ebenso produzierte ich auf unserm Saale oder Boden
den Lendenritt des Herrn Salvmvnski auf der Schulter eines etwas größern Jungen
""t erstaunlicher und vielbewnnderter Virtuosität.

Aus gegenüber auf dem andern Bodeufer wohnte ein Fischer Hieronymus,
"der wie seine Bekannten diesen Vornamen aussprachen, Jrvnimus. Er betrieb
einen schwunghaften Fischhandel. Für uns war es ein besondres Vergnügen, dnbei-
zustehn, wie er aus dem vor seinem Hause in der Bode liegenden Fischkasten mit
einem Hnndnetz eine Menge prächtiger, großer Karpfen und Schleie herauszog, sie


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[0749] Ans der Jugendzeit Eines Tngs nahm er mich mit zu einem in unsrer Nähe wohnenden Beutler- meister, ließ mir dort Maß nehmen und bestellte für mich eine wildlederne Hose. Wirklich kam bald nachher die schönste silbergraue Lederhose für mich an und mit ihr ein Paar neuer, sogenannter steifer Stulpstiefel. Es half kein Sträuben und Weinen. Am andern Morgen wurde« mir die enge, wildlederne Hose und die Stulpstiefel angezogen, und ich mußte damit zu Herrn Kleinere in die Klasse gehn. Diese Tracht war für städtische Jungen damals unerhört. Nur die Bauernjungen nuf dem Lande trugen sie. In der Schule ergoß sich denn auch von feiten der andern Jungen über mich eine Flut des verächtlichsten Hohns. Als wir nach der Schule auf die Straße kamen, um nach Hause zu gehn, wurde ich von den Jungen nicht nur ausgelacht, sondern auch „ausgeätscht." Einer rief mir zu: „Meßenke." Schließlich wurde ich wütend und fing an, ans die unverschämten Bengel einzu¬ hauen. Es gab eine richtige Prügelei, aber mehr als über die Prügel ärgerte ich mich über den unerhörten Schimpfnamen: Meßenke, d. h. Mistenke. Mistenken hießen in Quedlinburg die jüngsten Ackerknechte der Ökonomen, weil sie den Dünger auf die Äcker zu fahren hatten. Ich kam, braun und blau geschlagen, nach Hause und erklärte meinen Eltern heulend, aber mit aller Bestimmtheit, daß keine Macht der Erde mich mit der Lederhose wieder in die Schule bringen würde. Zu meinem eignen Erstaunen nahm mein Vater die Sache von der humoristischen Seite. Er gab nach. Ich durfte die silbergraue, wildlederne wieder ausziehn und ging schon Nachmittags wieder in meinem gewöhnlichen Anzüge zur Schule. Die Dummheit der Jungen hatte gesiegt. Ich habe die wildlederne Hose nie wieder in der Schule getragen. Nur als wir Jungen später anfingen, kleine Theaterstücke aufzuführen, wurde sie ein äußerst willkommenes Garderobestück, das uus für die Rollen von Bauernburschen und Bauern gute Dienste leistete. Während meiner Volksschulzeit verkündeten eines Tags Anschlagzettel von bis dahin unerhörter Größe, daß die Brillhosfsche Kunstreitertrnppe, damals die be¬ rühmteste ihrer Zeit, nach Quedlinburg gekommen sei und in einem eigens dazu erbauten Zirkus Vorstellungen geben werde. Für unsre kleine Stadt war das ein bis dahin unerhörtes Ereignis. Ganz Quedlinburg stand vier bis sechs Wochen lang ausschließlich unter dem Zeichen des Zirkus. Meinen Vater interessierten die schönen Pferde und das geschickte Schul- und Quadrillereiten der Brillhoffschen Gesellschaft, und er besuchte mit uns die Vorstellungen ziemlich häufig, für uns ein um so überraschenderes Vergnügen, als wir bei seiner Abneigung gegen das Theater gar nicht auf eine sich öfter wiederholende Erlaubnis zum Besuch des Zirkus gerechnet hatten. Uns Jungen interessierte dort am meisten der erste Foree- reiter der Truppe, Ernst Renz. Er war damals ein junger, schöner, athletisch ge¬ bauter Mann, der vorzüglich ritt und auf gesattelten und ungesatteltem Pferden die unglaublichsten Kunststücke produzierte. Daneben ritt er Pferde zu und ver¬ kaufte sie für seine Rechnung. Damit hat er den Grund zu seinem nachmaligen, nach Millionen zählenden Vermögen gelegt. Denn nach Brillhoffs Tode übernahm er die Truppe als Direktor und ist als solcher weltbekannt geworden. Er und ein andres Mitglied der Truppe, Herr Salomonsti, dessen Bravourstück der Lendenritt ""f ungesatteltem Pferde war, wurden vou uus Jungen als wahre Helden stürmisch bewundert. Für ein halbes Jahr spielten wir nur noch Zirkus. Ich arrangierte einen Sechserzug vou Spielkameraden, den ich, ans den Schultern des hintersten und stärkste» stehend, lenkte. Ebenso produzierte ich auf unserm Saale oder Boden den Lendenritt des Herrn Salvmvnski auf der Schulter eines etwas größern Jungen ""t erstaunlicher und vielbewnnderter Virtuosität. Aus gegenüber auf dem andern Bodeufer wohnte ein Fischer Hieronymus, "der wie seine Bekannten diesen Vornamen aussprachen, Jrvnimus. Er betrieb einen schwunghaften Fischhandel. Für uns war es ein besondres Vergnügen, dnbei- zustehn, wie er aus dem vor seinem Hause in der Bode liegenden Fischkasten mit einem Hnndnetz eine Menge prächtiger, großer Karpfen und Schleie herauszog, sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/749>, abgerufen am 06.10.2024.