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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Gobineau in französischer Beleuchtung

mit einem Ruck auf die höchste Stufe des Heldentums empor und wird ein
Heiliger. Es ist schon gesagt worden, daß Gobineau nach 1870 für diese Auf¬
fassung des Heldentums nicht unzugänglich war, sodaß sich also in dieser Be¬
ziehung allenfalls ein Kompromiß zwischen den drei Weisen aus dem Morgen-
lnnde (oder vier, wenn wir Nietzsche hinzunehmen) herstellen ließe. Dagegen
wäre Gobineau so wenig wie Nietzsche jemals in das Cönaeulum des Montsal-
watsch hineinzubringen gewesen. Bei Wagner ist es der Anblick des Gekreu¬
zigten, der letzten und furchtbarsten Wirkung des allgemeinen Verderbens, was
im Helden den Entschluß der Bekehrung reift, und sollte das Blut des Weißen
ehedem einen Vorzug vor dem der andern Rassen gehabt haben, so verschwindet
dieser doch mit dem Eintritt des Erlösers in die Weltgeschichte. Dessen Blut
ist die Quintessenz des Blutes des Völkcrchaos, der leidenden Menschheit, dieses
Blut gehört als das Symbol der Einheit des Menschengeschlechts allen Rassen,
es hat sich in die Adern der Christenheit ergossen, und deren Blut kann also
nicht unheilbar verdorben sein. Zwischen den Geschichtsphilosophicn der beiden
Männer ist hiernach keine Versöhnung möglich. Was sie verband, sie ihren
Gegensatz vergessen machte, das war die Liebe zu den schönen Künsten. In
dein Buch über die asiatischen Religionen findet Seilliere ein ganz wagnerisches
Kapitel. Es handelt von dem persischen Volksdrama, zu dem die bekannte
Feier, die zu Ehren des ermordeten Kalifen Ali alljährlich begangen wird,
nicht lange vor Gobineaus Ankunft in Teheran umgestaltet worden war.
Der phantasiereiche Mann war entzückt davon. Er fand, daß hier etwas ähn¬
liches geschaffen sei wie im religiösen Volksdrama des Äschylus und in den
mittelalterlichen Mysterien, und er sah damit eine neue Periode für das
Schauspiel anbrechen, das bei uns zu einem leeren Zeitvertreib für gro߬
städtische Müßiggänger herabgesunken sei. Das schrieb er in der Zeit, wo
Wagner dieselbe Idee zu verwirklichen suchte, und wo der Tannhäuser von
dem frivolen Publikum der Pariser Oper ausgepfiffen wurde, zwanzig Jahre
vor seiner Bekanntschaft mit Bayreuth. Diese Seelenvernmndtschaft gerade in
dem, was Wagners Lebensinhalt ausmachte, genügt für sich allein schon, die
lebhafte Zuneigung zu erklären, die die beiden Männer vom ersten Augenblick
ihrer Bekauntschaft für einander empfanden.

Die letzten beiden Werke Gobineaus sind Amadis, eine Rittergeschichte
ni Versen, die vollständig erst nach des Verfassers Tode herausgegeben worden
ist, und die Seilliere sehr schwach findet, und die 1879 erschienene Geschichte
des skandinavischen Seeränbers Ottar Jarl. In diesem Helden verehrte
Gobineau seinen Ahnherrn, und das Buch erzählt, wie Ottar das x^L 6e
in der Normandie erobert hat, und wie seine Nachkommen zu süd-
fwnzösischeu Gobineaus geworden sind. Seilliere unterzieht diesen Versuch einer
Stammbanmkonstruktiou, die das umgekehrte des natürlichen Baumwachstums
sel, indem sie die Wurzeln in die blane Luft hinauswachsen lasse, einer aus¬
führlichen und vernichtenden Kritik. In der Familientradition der bordelai-
sischen Kaufleute und Parlamentsrüte, von denen Gobineau abstamme, sinde
sich keine Spur, die auf normannische Herkunft deute. Mit dieser fabelhaften
Geschichte habe der Dichterphilosoph in der Kunst, seine den persönlichsten


Gobineau in französischer Beleuchtung

mit einem Ruck auf die höchste Stufe des Heldentums empor und wird ein
Heiliger. Es ist schon gesagt worden, daß Gobineau nach 1870 für diese Auf¬
fassung des Heldentums nicht unzugänglich war, sodaß sich also in dieser Be¬
ziehung allenfalls ein Kompromiß zwischen den drei Weisen aus dem Morgen-
lnnde (oder vier, wenn wir Nietzsche hinzunehmen) herstellen ließe. Dagegen
wäre Gobineau so wenig wie Nietzsche jemals in das Cönaeulum des Montsal-
watsch hineinzubringen gewesen. Bei Wagner ist es der Anblick des Gekreu¬
zigten, der letzten und furchtbarsten Wirkung des allgemeinen Verderbens, was
im Helden den Entschluß der Bekehrung reift, und sollte das Blut des Weißen
ehedem einen Vorzug vor dem der andern Rassen gehabt haben, so verschwindet
dieser doch mit dem Eintritt des Erlösers in die Weltgeschichte. Dessen Blut
ist die Quintessenz des Blutes des Völkcrchaos, der leidenden Menschheit, dieses
Blut gehört als das Symbol der Einheit des Menschengeschlechts allen Rassen,
es hat sich in die Adern der Christenheit ergossen, und deren Blut kann also
nicht unheilbar verdorben sein. Zwischen den Geschichtsphilosophicn der beiden
Männer ist hiernach keine Versöhnung möglich. Was sie verband, sie ihren
Gegensatz vergessen machte, das war die Liebe zu den schönen Künsten. In
dein Buch über die asiatischen Religionen findet Seilliere ein ganz wagnerisches
Kapitel. Es handelt von dem persischen Volksdrama, zu dem die bekannte
Feier, die zu Ehren des ermordeten Kalifen Ali alljährlich begangen wird,
nicht lange vor Gobineaus Ankunft in Teheran umgestaltet worden war.
Der phantasiereiche Mann war entzückt davon. Er fand, daß hier etwas ähn¬
liches geschaffen sei wie im religiösen Volksdrama des Äschylus und in den
mittelalterlichen Mysterien, und er sah damit eine neue Periode für das
Schauspiel anbrechen, das bei uns zu einem leeren Zeitvertreib für gro߬
städtische Müßiggänger herabgesunken sei. Das schrieb er in der Zeit, wo
Wagner dieselbe Idee zu verwirklichen suchte, und wo der Tannhäuser von
dem frivolen Publikum der Pariser Oper ausgepfiffen wurde, zwanzig Jahre
vor seiner Bekanntschaft mit Bayreuth. Diese Seelenvernmndtschaft gerade in
dem, was Wagners Lebensinhalt ausmachte, genügt für sich allein schon, die
lebhafte Zuneigung zu erklären, die die beiden Männer vom ersten Augenblick
ihrer Bekauntschaft für einander empfanden.

Die letzten beiden Werke Gobineaus sind Amadis, eine Rittergeschichte
ni Versen, die vollständig erst nach des Verfassers Tode herausgegeben worden
ist, und die Seilliere sehr schwach findet, und die 1879 erschienene Geschichte
des skandinavischen Seeränbers Ottar Jarl. In diesem Helden verehrte
Gobineau seinen Ahnherrn, und das Buch erzählt, wie Ottar das x^L 6e
in der Normandie erobert hat, und wie seine Nachkommen zu süd-
fwnzösischeu Gobineaus geworden sind. Seilliere unterzieht diesen Versuch einer
Stammbanmkonstruktiou, die das umgekehrte des natürlichen Baumwachstums
sel, indem sie die Wurzeln in die blane Luft hinauswachsen lasse, einer aus¬
führlichen und vernichtenden Kritik. In der Familientradition der bordelai-
sischen Kaufleute und Parlamentsrüte, von denen Gobineau abstamme, sinde
sich keine Spur, die auf normannische Herkunft deute. Mit dieser fabelhaften
Geschichte habe der Dichterphilosoph in der Kunst, seine den persönlichsten


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[0747] Gobineau in französischer Beleuchtung mit einem Ruck auf die höchste Stufe des Heldentums empor und wird ein Heiliger. Es ist schon gesagt worden, daß Gobineau nach 1870 für diese Auf¬ fassung des Heldentums nicht unzugänglich war, sodaß sich also in dieser Be¬ ziehung allenfalls ein Kompromiß zwischen den drei Weisen aus dem Morgen- lnnde (oder vier, wenn wir Nietzsche hinzunehmen) herstellen ließe. Dagegen wäre Gobineau so wenig wie Nietzsche jemals in das Cönaeulum des Montsal- watsch hineinzubringen gewesen. Bei Wagner ist es der Anblick des Gekreu¬ zigten, der letzten und furchtbarsten Wirkung des allgemeinen Verderbens, was im Helden den Entschluß der Bekehrung reift, und sollte das Blut des Weißen ehedem einen Vorzug vor dem der andern Rassen gehabt haben, so verschwindet dieser doch mit dem Eintritt des Erlösers in die Weltgeschichte. Dessen Blut ist die Quintessenz des Blutes des Völkcrchaos, der leidenden Menschheit, dieses Blut gehört als das Symbol der Einheit des Menschengeschlechts allen Rassen, es hat sich in die Adern der Christenheit ergossen, und deren Blut kann also nicht unheilbar verdorben sein. Zwischen den Geschichtsphilosophicn der beiden Männer ist hiernach keine Versöhnung möglich. Was sie verband, sie ihren Gegensatz vergessen machte, das war die Liebe zu den schönen Künsten. In dein Buch über die asiatischen Religionen findet Seilliere ein ganz wagnerisches Kapitel. Es handelt von dem persischen Volksdrama, zu dem die bekannte Feier, die zu Ehren des ermordeten Kalifen Ali alljährlich begangen wird, nicht lange vor Gobineaus Ankunft in Teheran umgestaltet worden war. Der phantasiereiche Mann war entzückt davon. Er fand, daß hier etwas ähn¬ liches geschaffen sei wie im religiösen Volksdrama des Äschylus und in den mittelalterlichen Mysterien, und er sah damit eine neue Periode für das Schauspiel anbrechen, das bei uns zu einem leeren Zeitvertreib für gro߬ städtische Müßiggänger herabgesunken sei. Das schrieb er in der Zeit, wo Wagner dieselbe Idee zu verwirklichen suchte, und wo der Tannhäuser von dem frivolen Publikum der Pariser Oper ausgepfiffen wurde, zwanzig Jahre vor seiner Bekanntschaft mit Bayreuth. Diese Seelenvernmndtschaft gerade in dem, was Wagners Lebensinhalt ausmachte, genügt für sich allein schon, die lebhafte Zuneigung zu erklären, die die beiden Männer vom ersten Augenblick ihrer Bekauntschaft für einander empfanden. Die letzten beiden Werke Gobineaus sind Amadis, eine Rittergeschichte ni Versen, die vollständig erst nach des Verfassers Tode herausgegeben worden ist, und die Seilliere sehr schwach findet, und die 1879 erschienene Geschichte des skandinavischen Seeränbers Ottar Jarl. In diesem Helden verehrte Gobineau seinen Ahnherrn, und das Buch erzählt, wie Ottar das x^L 6e in der Normandie erobert hat, und wie seine Nachkommen zu süd- fwnzösischeu Gobineaus geworden sind. Seilliere unterzieht diesen Versuch einer Stammbanmkonstruktiou, die das umgekehrte des natürlichen Baumwachstums sel, indem sie die Wurzeln in die blane Luft hinauswachsen lasse, einer aus¬ führlichen und vernichtenden Kritik. In der Familientradition der bordelai- sischen Kaufleute und Parlamentsrüte, von denen Gobineau abstamme, sinde sich keine Spur, die auf normannische Herkunft deute. Mit dieser fabelhaften Geschichte habe der Dichterphilosoph in der Kunst, seine den persönlichsten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/747>, abgerufen am 09.11.2024.