Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.Deutsche Rechtsaltertiimer in unsrer heutigen deutschen Sprache der Gerichtsverhandlung, besonders eines Kriminalverfahrens, pflegten (auf dem Schon in ältester Zeit wurde der Prozeß beherrscht von einem steigen Deutsche Rechtsaltertiimer in unsrer heutigen deutschen Sprache der Gerichtsverhandlung, besonders eines Kriminalverfahrens, pflegten (auf dem Schon in ältester Zeit wurde der Prozeß beherrscht von einem steigen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0691" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/241907"/> <fw type="header" place="top"> Deutsche Rechtsaltertiimer in unsrer heutigen deutschen Sprache</fw><lb/> <p xml:id="ID_2812" prev="#ID_2811"> der Gerichtsverhandlung, besonders eines Kriminalverfahrens, pflegten (auf dem<lb/> Lande, in Ansiedl.engen mit Kirchen) die Glocken geläutet zu werden (das sogenannte<lb/> Belänten des Dinges), wie Glockengeläute auch erscholl, wenn es nach ruchbar<lb/> gewordner Missetat die schnelle Verfolgung und Ergreifung eines sehn tigem<lb/> ins Werk zu scheu galt. An solches Läuten der großen Gericht»- (Mord-,<lb/> Varu- oder Sturm)glocke auch bei der Erklärung der Redensart ..etwas an<lb/> die große Glocke hängen" oder „schlagen" zu denken, erscheint wohl znlas ig<lb/> und 'jedenfalls weniger gesucht, als die Herleitung von dem nirgends besagten<lb/> Anhängen von Klagezetteln an Glocken oder von der durch Karl den Großen<lb/> verbotnen Sitte, Zettel „propwr ^-rnckwcmi" (d. h. zur Abwendung von Hagel¬<lb/> schauern) an dem Glockeiistrange zu befestigen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2813" next="#ID_2814"> Schon in ältester Zeit wurde der Prozeß beherrscht von einem steigen<lb/> Formalismus, der besonders auch in der genau geordiieteu Rede und Wider¬<lb/> rede der Parteien zutage tritt. Frühzeitig begegnet uns deshalb tap ^ort<lb/> „Rede" (übt. rväie.,, rc).la,, »ist. schon recke), das wir heute wohl für „Ge¬<lb/> spräch" schlechthin, namentlich aber für deu „kuustmäßigeu Vortrag' ^einerlei<lb/> welchen Inhalts - gebrauchen, als technische Bezeichnung der „vor Gericht<lb/> geführten Rede" (daher auch „Redner" früher soviel wie ^nrsprech, An¬<lb/> walt vor Gericht, Wortführer und der noch moderne juristische Ausdruck<lb/> „Einrede" ^ Widerrede im Prozeß neben „Einspruch" und „Widerspruch )<lb/> Freilich ist das Wort „Rede" zu dieser speziellen Bedeutung selbst erst auf<lb/> Umwegen gelangt während es von vornherein einen juristischen Sinn gehabt<lb/> hat. Es bedeutete nämlich ursprünglich so viel wie „die vor Gericht abgelegte<lb/> Nechmmg" oder Rechenschaft" (vgl. das lat. rickio und MAtro), dann weiter<lb/> sowohl die Rechtssache" als auch das „Recht" in objektivem Sinne (j^<lb/> l'ustitm, ox, ordo), endlich „das Mittel, wodurch >nan Rechenschaft gewährte," das<lb/> eben regelmäßig jn die gerichtliche Rede war. Ans diesem Entwicklungsgange<lb/> werden uns auch moderne Wendungen wie „Rede stehen" für „Rechenschaft<lb/> geben" und „jemand zur Rede stellen" oder „setzen" für „zur Rechenschaft<lb/> ziehen," „Rede und Antwort geben" u. a. in. verständlich; ja auch das Eigen¬<lb/> schaftswort redlich" ist zunächst von der Bedeutung „so viel als man verant¬<lb/> worten kaun" abgegangen (vgl. die Allitemtion: „recht und redlich.") Daß<lb/> auch in dem bekannten, jetzt in ganz allgemeiner Weise verwandteii Sprichworte:<lb/> "Eines Manuel Rede ist keines Mannes Rede" die „Rede" urjprniiglich<lb/> nur in dem frühern juristischen Sinne (Rede vor Gericht) zu verstehn gewesen<lb/> ist. das zeigt ganz deutlich dessen ältere und ausführlichere Fassung: „miiW wMns»<lb/> reck i«t sin laid rcxl ur^r sol alis part vkrlivr«zu d«(Z< die die Sprich-<lb/> wörtersamuiluugen seit Anfang des sechzehnten Jahrhunderts keimen und<lb/> Sebastian Franck schon als Inschriften der Rathäuser zu Nürnberg und<lb/> Ulm anführt. Daß uoch verschiedne andre Variationen dieses, anch schon den<lb/> Römern geläufig gewesenen Grundsatzes („imckmtnr se »Itsr» p-u^", v. 1. 3, (.va.<lb/> >U'»t. 7. 43) bestanden haben, ist sicher; allzu gesucht erscheint es dagegen, mit<lb/> Sachße (Zeitschr. f. deutsch. Recht. XVI, S. 93 ff.) auch dem Spruche „Ein¬<lb/> mal ist keinmal," der allerdings gleichfalls eine Beziehung zum Rechtsleben<lb/> gehabt zu haben scheint, denselben Sinn beizulegen, indem man das Wort<lb/> .,'man" in „Einmal" (^ Ein Mal) mit dem altdeutschen (und, altnordischen)weil (natal, in-alunt ^ Gerichtsverhandlung, Klage, Rede) identifiziert. Nochunzulässiger ist es aber, das heute noch oft angeführte Sprichwort „Wer<lb/> zuerst kommt, mahlt zuerst" — das z.B. der Sachsenspiegel ganz unzwei¬<lb/> deutig als eine speziell das Mühlenrecht betreffende Nechtsparömie erkennen<lb/> laßt — dadurch aus den Rechtsstreit der Parteien zu beziehen „Wer zuerstvor Gericht kommt, soll zuerst vom Richter gehört werden"), daß man auch hier<lb/> das „malen" (als aus dein althd. mirlr-ckjmi entstanden) in einen Zusammenhangmit dem ..Mal" oder der „Mahlstatt" bringt. Mehr Wahrscheinlichkeit</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0691]
Deutsche Rechtsaltertiimer in unsrer heutigen deutschen Sprache
der Gerichtsverhandlung, besonders eines Kriminalverfahrens, pflegten (auf dem
Lande, in Ansiedl.engen mit Kirchen) die Glocken geläutet zu werden (das sogenannte
Belänten des Dinges), wie Glockengeläute auch erscholl, wenn es nach ruchbar
gewordner Missetat die schnelle Verfolgung und Ergreifung eines sehn tigem
ins Werk zu scheu galt. An solches Läuten der großen Gericht»- (Mord-,
Varu- oder Sturm)glocke auch bei der Erklärung der Redensart ..etwas an
die große Glocke hängen" oder „schlagen" zu denken, erscheint wohl znlas ig
und 'jedenfalls weniger gesucht, als die Herleitung von dem nirgends besagten
Anhängen von Klagezetteln an Glocken oder von der durch Karl den Großen
verbotnen Sitte, Zettel „propwr ^-rnckwcmi" (d. h. zur Abwendung von Hagel¬
schauern) an dem Glockeiistrange zu befestigen.
Schon in ältester Zeit wurde der Prozeß beherrscht von einem steigen
Formalismus, der besonders auch in der genau geordiieteu Rede und Wider¬
rede der Parteien zutage tritt. Frühzeitig begegnet uns deshalb tap ^ort
„Rede" (übt. rväie.,, rc).la,, »ist. schon recke), das wir heute wohl für „Ge¬
spräch" schlechthin, namentlich aber für deu „kuustmäßigeu Vortrag' ^einerlei
welchen Inhalts - gebrauchen, als technische Bezeichnung der „vor Gericht
geführten Rede" (daher auch „Redner" früher soviel wie ^nrsprech, An¬
walt vor Gericht, Wortführer und der noch moderne juristische Ausdruck
„Einrede" ^ Widerrede im Prozeß neben „Einspruch" und „Widerspruch )
Freilich ist das Wort „Rede" zu dieser speziellen Bedeutung selbst erst auf
Umwegen gelangt während es von vornherein einen juristischen Sinn gehabt
hat. Es bedeutete nämlich ursprünglich so viel wie „die vor Gericht abgelegte
Nechmmg" oder Rechenschaft" (vgl. das lat. rickio und MAtro), dann weiter
sowohl die Rechtssache" als auch das „Recht" in objektivem Sinne (j^
l'ustitm, ox, ordo), endlich „das Mittel, wodurch >nan Rechenschaft gewährte," das
eben regelmäßig jn die gerichtliche Rede war. Ans diesem Entwicklungsgange
werden uns auch moderne Wendungen wie „Rede stehen" für „Rechenschaft
geben" und „jemand zur Rede stellen" oder „setzen" für „zur Rechenschaft
ziehen," „Rede und Antwort geben" u. a. in. verständlich; ja auch das Eigen¬
schaftswort redlich" ist zunächst von der Bedeutung „so viel als man verant¬
worten kaun" abgegangen (vgl. die Allitemtion: „recht und redlich.") Daß
auch in dem bekannten, jetzt in ganz allgemeiner Weise verwandteii Sprichworte:
"Eines Manuel Rede ist keines Mannes Rede" die „Rede" urjprniiglich
nur in dem frühern juristischen Sinne (Rede vor Gericht) zu verstehn gewesen
ist. das zeigt ganz deutlich dessen ältere und ausführlichere Fassung: „miiW wMns»
reck i«t sin laid rcxl ur^r sol alis part vkrlivr«zu d«(Z< die die Sprich-
wörtersamuiluugen seit Anfang des sechzehnten Jahrhunderts keimen und
Sebastian Franck schon als Inschriften der Rathäuser zu Nürnberg und
Ulm anführt. Daß uoch verschiedne andre Variationen dieses, anch schon den
Römern geläufig gewesenen Grundsatzes („imckmtnr se »Itsr» p-u^", v. 1. 3, (.va.
>U'»t. 7. 43) bestanden haben, ist sicher; allzu gesucht erscheint es dagegen, mit
Sachße (Zeitschr. f. deutsch. Recht. XVI, S. 93 ff.) auch dem Spruche „Ein¬
mal ist keinmal," der allerdings gleichfalls eine Beziehung zum Rechtsleben
gehabt zu haben scheint, denselben Sinn beizulegen, indem man das Wort
.,'man" in „Einmal" (^ Ein Mal) mit dem altdeutschen (und, altnordischen)weil (natal, in-alunt ^ Gerichtsverhandlung, Klage, Rede) identifiziert. Nochunzulässiger ist es aber, das heute noch oft angeführte Sprichwort „Wer
zuerst kommt, mahlt zuerst" — das z.B. der Sachsenspiegel ganz unzwei¬
deutig als eine speziell das Mühlenrecht betreffende Nechtsparömie erkennen
laßt — dadurch aus den Rechtsstreit der Parteien zu beziehen „Wer zuerstvor Gericht kommt, soll zuerst vom Richter gehört werden"), daß man auch hier
das „malen" (als aus dein althd. mirlr-ckjmi entstanden) in einen Zusammenhangmit dem ..Mal" oder der „Mahlstatt" bringt. Mehr Wahrscheinlichkeit
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