Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache zeitweise "lagerten" Körperschaften erweiterthat (vgl. "Reichstag/' "Land¬ Einen fast noch ausfälligern Bedentungswcchsel als das "Ding hat unsre Auch der ältere und engere Sinn des Wortes ("Sache" ^ Rechtssache) 'l ^ welchen sonderbaren Wegen die Entwicklung unsrer Sprache sich aber Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache zeitweise „lagerten" Körperschaften erweiterthat (vgl. „Reichstag/' „Land¬ Einen fast noch ausfälligern Bedentungswcchsel als das „Ding hat unsre Auch der ältere und engere Sinn des Wortes („Sache" ^ Rechtssache) 'l ^ welchen sonderbaren Wegen die Entwicklung unsrer Sprache sich aber <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0687" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/241903"/> <fw type="header" place="top"> Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache</fw><lb/> <p xml:id="ID_2801" prev="#ID_2800"> zeitweise „lagerten" Körperschaften erweiterthat (vgl. „Reichstag/' „Land¬<lb/> tag"). Endlich unterliegt es Wohl keinem Zweifel, daß mit der ältern juristischen<lb/> Bedeutung des Wortes „Ding" (namentlich im Sinne der Gerichts- bezw. Volks¬<lb/> versammlung) auch der Name unsers zweiten Wochentages, Dienstag (nicht<lb/> '.Dienstag" oder gar „Diensttag" zu schreiben, obwohl er volksetymologisch an<lb/> Dienst angelehnt ist) in Zusammenhang gebracht werden darf. Dafür spricht<lb/> nicht nur die ältere nieder- und mitteldeutsche Form „Dingstag" (Dingsdag),<lb/> sondern auch der Umstand, daß bei den Germanen, wie nachgewiesen ist, mit Vor¬<lb/> liebe der Dienstag (neben dem Donnerstage) zum Gerichtstage gewählt wurde,<lb/> Wenn man jetzt auch vorzieht, das Wort zunächst auf den in einer germanisch¬<lb/> lateinischen Inschrift als „Nars rillnAsus" bezeichneten germanischen Kriegsgott<lb/> ^in oder Ao (vergl. das griech. ^sus, altgerm. Ilvvg.2, cmgels. ?lo, altnord. ?yr)<lb/> zu beziehen, der übrigens — nach einer weitverbreiteten Ansicht — zugleich auch<lb/> Gott des Dinges, d.h. der Versammlungen und der Gerichte, gewesen sein soll.<lb/> Diesen Tatsachen entspricht einerseits das französische „mÄrcli" (und das italienische<lb/> „MNteäi," latein. Nartis alios), andrerseits das englische „wohn-^" (cmgels.<lb/> twvsll-«»', altnord. t^sa^gr, schwedisch tiscl^', dänisch tirsä-ig-) und das ober¬<lb/> deutsche, besonders auf alemannischem Gebiete heimische Ziestag (ÄstÄg', nsstig',<lb/> Zischtig bei.^edel), das zuweilen vom Volke auch in „Zinstag" umgewandelt<lb/> worden ist."</p><lb/> <p xml:id="ID_2802"> Einen fast noch ausfälligern Bedentungswcchsel als das „Ding hat unsre<lb/> "Sache" im Laufe der Zellen durchmachen müssen. Denn „Sache" (ahd.<lb/> 8Kllllg., sAelliz,, altsüchs. sal«. got. Silly'o, altnord. sole) war einst zunächst nur<lb/> gleichbedeutend mit Streit, Kampf, Verfolgung (daher „Ursache" im ältern<lb/> Sprachgebrauch oft„Veranlassung zum Streit"), nahm aber schon früh den<lb/> Ipeziellern Begriff „gerichtlicher Streit, Rechtshändel, Rechtssache, Streit¬<lb/> objekt" um (vergl. Luther: „eine Sache miteinander oder wider einen haben")<lb/> und verallgemeinerte sich dann von da ans wieder in ähnlicher Weise wie<lb/> „Ätng," sodaß es heute für alle möglichen „greifbaren" Gegenstände (vgl. das<lb/> "Sachenrecht" dingliches Recht, 'im Gegensatze bes. zum Personenrechte, und<lb/> ^ .'beweglichen" und „unbeweglichen Sachen" der Juristen), daneben<lb/> awer auch noch — in abstrakter Weise — für jede Art von „Geschäft, Obliegcn-<lb/> ^it, Angelegenheit, Vorgang" verwandt werden kann (so z. B.: „er macht<lb/> et"le Sache'gut," „das ist seine jnicht meines Sache," Sache des Taktes,"<lb/> " ^ne böseSa es e," „ u n verrichteter S a es e," „das tut n i es t s z u r (L? a es e,"<lb/> "Kur Sache kommen" usw.).</p><lb/> <p xml:id="ID_2803"> Auch der ältere und engere Sinn des Wortes („Sache" ^ Rechtssache)<lb/> ^se zwar aus dem Sprachgebrauche der Gegenwart noch nicht ganz verschwunden;<lb/> n finden es aber doch nicht mehr bloß komisch, sondern anch schon verzeihlich,<lb/> wen» der „in Sachen seines Vaters" vor Gericht geladne junge Bauer mit<lb/> w ihm viel zu weiten Kleidungsstücken seines Erzeugers angetan vor den er-<lb/> raunten Augen der gestrengen Zerren Richter erscheint. Etwas deutlicher em-<lb/> pfinden wir die Beziehung zu der „Sache" als „gerichtlicher Streitsache" wohl<lb/> was in den znsammengesetllen Hauptwörtern „Widersacher" (ahd. vict^rsinzln)<lb/> ^ergl^ hin-in«^ streiten >, d.'h. zunächst Gegner im Rechtsstreite, dann überhaupt<lb/> ^guer) „Sachwalter" (d. h. der, der jemandes Rechtssache führt, der<lb/> 'uem^auwalt, Verteidiger), ferner in den dem Juristen noch recht geläufigen<lb/> '^. '"Wesen," „Strafsachen" u. a. in. (z. B. Neichsgcrichtseutschei'dungen in<lb/> ^ vnstuhcn „Kammern für Handelssachen") sowie in dein heute allerdings schon<lb/> «nao veralteten Zeitworte „sachfäll ig werden" für „im Prozesse unterliegen."</p><lb/> <p xml:id="ID_2804" next="#ID_2805"> 'l ^ welchen sonderbaren Wegen die Entwicklung unsrer Sprache sich aber<lb/> wor? P c^^.! ^"^'^ lehrreiches Beispiel das Schicksal des Zeit¬<lb/> ig „tosen." Denn daß auch dieses einst in einem Zusammenhange mit<lb/> "^acye un altern Wortsinne gestanden hat, ist heute wohl uur noch dein Sprach-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0687]
Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache
zeitweise „lagerten" Körperschaften erweiterthat (vgl. „Reichstag/' „Land¬
tag"). Endlich unterliegt es Wohl keinem Zweifel, daß mit der ältern juristischen
Bedeutung des Wortes „Ding" (namentlich im Sinne der Gerichts- bezw. Volks¬
versammlung) auch der Name unsers zweiten Wochentages, Dienstag (nicht
'.Dienstag" oder gar „Diensttag" zu schreiben, obwohl er volksetymologisch an
Dienst angelehnt ist) in Zusammenhang gebracht werden darf. Dafür spricht
nicht nur die ältere nieder- und mitteldeutsche Form „Dingstag" (Dingsdag),
sondern auch der Umstand, daß bei den Germanen, wie nachgewiesen ist, mit Vor¬
liebe der Dienstag (neben dem Donnerstage) zum Gerichtstage gewählt wurde,
Wenn man jetzt auch vorzieht, das Wort zunächst auf den in einer germanisch¬
lateinischen Inschrift als „Nars rillnAsus" bezeichneten germanischen Kriegsgott
^in oder Ao (vergl. das griech. ^sus, altgerm. Ilvvg.2, cmgels. ?lo, altnord. ?yr)
zu beziehen, der übrigens — nach einer weitverbreiteten Ansicht — zugleich auch
Gott des Dinges, d.h. der Versammlungen und der Gerichte, gewesen sein soll.
Diesen Tatsachen entspricht einerseits das französische „mÄrcli" (und das italienische
„MNteäi," latein. Nartis alios), andrerseits das englische „wohn-^" (cmgels.
twvsll-«»', altnord. t^sa^gr, schwedisch tiscl^', dänisch tirsä-ig-) und das ober¬
deutsche, besonders auf alemannischem Gebiete heimische Ziestag (ÄstÄg', nsstig',
Zischtig bei.^edel), das zuweilen vom Volke auch in „Zinstag" umgewandelt
worden ist."
Einen fast noch ausfälligern Bedentungswcchsel als das „Ding hat unsre
"Sache" im Laufe der Zellen durchmachen müssen. Denn „Sache" (ahd.
8Kllllg., sAelliz,, altsüchs. sal«. got. Silly'o, altnord. sole) war einst zunächst nur
gleichbedeutend mit Streit, Kampf, Verfolgung (daher „Ursache" im ältern
Sprachgebrauch oft„Veranlassung zum Streit"), nahm aber schon früh den
Ipeziellern Begriff „gerichtlicher Streit, Rechtshändel, Rechtssache, Streit¬
objekt" um (vergl. Luther: „eine Sache miteinander oder wider einen haben")
und verallgemeinerte sich dann von da ans wieder in ähnlicher Weise wie
„Ätng," sodaß es heute für alle möglichen „greifbaren" Gegenstände (vgl. das
"Sachenrecht" dingliches Recht, 'im Gegensatze bes. zum Personenrechte, und
^ .'beweglichen" und „unbeweglichen Sachen" der Juristen), daneben
awer auch noch — in abstrakter Weise — für jede Art von „Geschäft, Obliegcn-
^it, Angelegenheit, Vorgang" verwandt werden kann (so z. B.: „er macht
et"le Sache'gut," „das ist seine jnicht meines Sache," Sache des Taktes,"
" ^ne böseSa es e," „ u n verrichteter S a es e," „das tut n i es t s z u r (L? a es e,"
"Kur Sache kommen" usw.).
Auch der ältere und engere Sinn des Wortes („Sache" ^ Rechtssache)
^se zwar aus dem Sprachgebrauche der Gegenwart noch nicht ganz verschwunden;
n finden es aber doch nicht mehr bloß komisch, sondern anch schon verzeihlich,
wen» der „in Sachen seines Vaters" vor Gericht geladne junge Bauer mit
w ihm viel zu weiten Kleidungsstücken seines Erzeugers angetan vor den er-
raunten Augen der gestrengen Zerren Richter erscheint. Etwas deutlicher em-
pfinden wir die Beziehung zu der „Sache" als „gerichtlicher Streitsache" wohl
was in den znsammengesetllen Hauptwörtern „Widersacher" (ahd. vict^rsinzln)
^ergl^ hin-in«^ streiten >, d.'h. zunächst Gegner im Rechtsstreite, dann überhaupt
^guer) „Sachwalter" (d. h. der, der jemandes Rechtssache führt, der
'uem^auwalt, Verteidiger), ferner in den dem Juristen noch recht geläufigen
'^. '"Wesen," „Strafsachen" u. a. in. (z. B. Neichsgcrichtseutschei'dungen in
^ vnstuhcn „Kammern für Handelssachen") sowie in dein heute allerdings schon
«nao veralteten Zeitworte „sachfäll ig werden" für „im Prozesse unterliegen."
'l ^ welchen sonderbaren Wegen die Entwicklung unsrer Sprache sich aber
wor? P c^^.! ^"^'^ lehrreiches Beispiel das Schicksal des Zeit¬
ig „tosen." Denn daß auch dieses einst in einem Zusammenhange mit
"^acye un altern Wortsinne gestanden hat, ist heute wohl uur noch dein Sprach-
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