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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

weil die Hirse gewissermaßen den Eindruck von Tausend mache. Die Tcmsend-
frucht wäre dann ein Seitenstück zu den Tausendmann, deu lateinischen Nilitos,
die so hießen, weil jede Tribus ihrer tausend zu stelle" hatte.

Solche Begriffe haben oft gar keinen Singular; sie bilden das, was die
Grammatiker eine Nur-Mehrzahl nennen. Diese Tausende, diese Gemeinen, diese
Vielzuvielen sind die Leute -- die unzählbaren Feiertage der Studenten: die
Ferien -- die Nickel, an denen wir Überfluß haben: die Moneten -- und
die ärgerlichen kleinen Ausgaben, die gar kein Ende nehmen, machen alle zusammen
die Steuern, die Kosten ans. Wer wollte im Deutschen Reiche nur vou Einer
Steuer und von Einer Kohle reden? -- Man hat nichts als Kosten und Unkosten.

Wenn aber ein Singular da ist, so setzen wir ihn nicht, wenigstens nicht im
Einzelsinne, sondern die mikroskopischen Wesen haben das Eigentümliche, daß sie
sich untereinander aufs Haar gleichen, daß sie gar nicht zu unterscheiden sind und
eine gleichartige Masse bilden wie die Fischeier den Rogen. Und deshalb ist ein
Individuum gut für die ganze Menge, wir brauchen nur ein einziges Exemplar
namhaft zu macheu, denu eins sieht aus wie das andre. Eben das Haar ist ein
gutes Beispiel. Wir haben so viele Haare auf dem Kopfe, angeblich hunderttausend
und in Ktlometerlänge; sie sind, versichert das Evangelium, alle gezählt. Und doch
sagen wir für alle zusammen nur das Haar; einer hat schwarzes, ein andrer
rotes, ein dritter weißes Haar. Die Gelehrten helfen sich damit, daß Haar in
diesem Falle ein Sammelwort sei; vou solchen Sammelwörtern haben sie eine ganze
Sammlung, das Laub, das Gras, das Holz, das Volk gehört dazu, letzteres im
Englischen uur im Plural üblich (poor evils, via evils, ^oung' evils). Aber mit
dem Sammelworte wird gar nichts erklärt; es sind überhaupt keine Sammelwörter,
diese müßten, wie Gewürm oder Gebüsch, mit der Vorsilbe Ge-- anfangen, es
sind einfache Singuläre. Wie kommen sie denn nun dazu, die Mehrheit auszu¬
drücken? Weil man, wenn man eins gesehen hat, die ganze Gattung kennt.

Zwei klassische Beispiele sind die Rute und der Besen.

Ich denke hier um die Rute, die hinter dem Spiegel steckt, und mit der die
Kinder gezüchtigt werden, die auch der Knecht Ruprecht in der Hand hat. Jeder¬
mann erinnert sich aus seiner Kindheit, daß sie aus mehreren Ruten zusammen¬
gebunden und ein ganzes Bündel von Birkenreisern ist. Trotzdem ist die Rute
ein Singular. Warum nur ein Singular? -- Beim Besen läßt sich der Hergang
noch genauer verfolge".

Der Besen ist nämlich ebenfalls eine Rute; diese Bedeutung, im Mittelalter
die stehende, lebt noch in der Zusamiucusetzung Staupbeseu fort. Du soll wehen
unter deines Mannes Besen! -- spricht Gott der Herr zu Eva; das wird
der jungen Frau noch heute bei der Trauung vom Geistlichen vorgehalten. Sie
soll ihrem Mann Untertan sein. Aber wie die Rute, so ist der Besen verviel¬
fältigt und gebunden, ja sogar an einem hölzernen Stiele befestigt worden; das
Mädchen führt ihn, um die Stube damit zu kehren. Es sind von Rechts wegen
mehrere Besen; es sind Besemen. Wer besönne sich nicht auf die Stelle im Evan¬
gelium, Wo der unsaubre Geist zurückkommt und findet das Haus mit Besemen
gekehret und geschmücket? -- Diese Reminiszenz findet sich noch bei Goethe.
Man muß nämlich wissen, daß der Besen ursprünglich der Besen hieß, wie der
Faden: Faden oder wie das französische risn: Rhin im Lateinischen. Besen
wieder hieß eigentlich: Beseme; dieses bildete den Plural Besemen, wie Bote den
Plural Boten. Wir aber kennen keine Besemen mehr, sondern nur noch einen
Besen, geradeso wie die Italiener keine Soopao mehr haben, sondern nur uoch eine
Loopa. Loopa war das alte lateinische Wort für eine Rute.

Umgekehrt, wir scheu die Haare und die Ruten auch, wie es sich gebührt, im
Plural, macheu aber von neuem einen Singular daraus, sodaß der Plural verkappt
und ignoriert wird und nicht zu seinem Rechte kommt. Ein klassisches Beispiel dieser
Plural-Singuläre haben wir in der Bürste.

Es ist jn eigentlich nicht recht logisch und geschieht nur der Kürze halber, die
vielen Haare als das Haar und ein ganzes Rutenbündel als eine einzige Rute zu


Maßgebliches und Unmaßgebliches

weil die Hirse gewissermaßen den Eindruck von Tausend mache. Die Tcmsend-
frucht wäre dann ein Seitenstück zu den Tausendmann, deu lateinischen Nilitos,
die so hießen, weil jede Tribus ihrer tausend zu stelle» hatte.

Solche Begriffe haben oft gar keinen Singular; sie bilden das, was die
Grammatiker eine Nur-Mehrzahl nennen. Diese Tausende, diese Gemeinen, diese
Vielzuvielen sind die Leute — die unzählbaren Feiertage der Studenten: die
Ferien — die Nickel, an denen wir Überfluß haben: die Moneten — und
die ärgerlichen kleinen Ausgaben, die gar kein Ende nehmen, machen alle zusammen
die Steuern, die Kosten ans. Wer wollte im Deutschen Reiche nur vou Einer
Steuer und von Einer Kohle reden? — Man hat nichts als Kosten und Unkosten.

Wenn aber ein Singular da ist, so setzen wir ihn nicht, wenigstens nicht im
Einzelsinne, sondern die mikroskopischen Wesen haben das Eigentümliche, daß sie
sich untereinander aufs Haar gleichen, daß sie gar nicht zu unterscheiden sind und
eine gleichartige Masse bilden wie die Fischeier den Rogen. Und deshalb ist ein
Individuum gut für die ganze Menge, wir brauchen nur ein einziges Exemplar
namhaft zu macheu, denu eins sieht aus wie das andre. Eben das Haar ist ein
gutes Beispiel. Wir haben so viele Haare auf dem Kopfe, angeblich hunderttausend
und in Ktlometerlänge; sie sind, versichert das Evangelium, alle gezählt. Und doch
sagen wir für alle zusammen nur das Haar; einer hat schwarzes, ein andrer
rotes, ein dritter weißes Haar. Die Gelehrten helfen sich damit, daß Haar in
diesem Falle ein Sammelwort sei; vou solchen Sammelwörtern haben sie eine ganze
Sammlung, das Laub, das Gras, das Holz, das Volk gehört dazu, letzteres im
Englischen uur im Plural üblich (poor evils, via evils, ^oung' evils). Aber mit
dem Sammelworte wird gar nichts erklärt; es sind überhaupt keine Sammelwörter,
diese müßten, wie Gewürm oder Gebüsch, mit der Vorsilbe Ge— anfangen, es
sind einfache Singuläre. Wie kommen sie denn nun dazu, die Mehrheit auszu¬
drücken? Weil man, wenn man eins gesehen hat, die ganze Gattung kennt.

Zwei klassische Beispiele sind die Rute und der Besen.

Ich denke hier um die Rute, die hinter dem Spiegel steckt, und mit der die
Kinder gezüchtigt werden, die auch der Knecht Ruprecht in der Hand hat. Jeder¬
mann erinnert sich aus seiner Kindheit, daß sie aus mehreren Ruten zusammen¬
gebunden und ein ganzes Bündel von Birkenreisern ist. Trotzdem ist die Rute
ein Singular. Warum nur ein Singular? — Beim Besen läßt sich der Hergang
noch genauer verfolge».

Der Besen ist nämlich ebenfalls eine Rute; diese Bedeutung, im Mittelalter
die stehende, lebt noch in der Zusamiucusetzung Staupbeseu fort. Du soll wehen
unter deines Mannes Besen! — spricht Gott der Herr zu Eva; das wird
der jungen Frau noch heute bei der Trauung vom Geistlichen vorgehalten. Sie
soll ihrem Mann Untertan sein. Aber wie die Rute, so ist der Besen verviel¬
fältigt und gebunden, ja sogar an einem hölzernen Stiele befestigt worden; das
Mädchen führt ihn, um die Stube damit zu kehren. Es sind von Rechts wegen
mehrere Besen; es sind Besemen. Wer besönne sich nicht auf die Stelle im Evan¬
gelium, Wo der unsaubre Geist zurückkommt und findet das Haus mit Besemen
gekehret und geschmücket? — Diese Reminiszenz findet sich noch bei Goethe.
Man muß nämlich wissen, daß der Besen ursprünglich der Besen hieß, wie der
Faden: Faden oder wie das französische risn: Rhin im Lateinischen. Besen
wieder hieß eigentlich: Beseme; dieses bildete den Plural Besemen, wie Bote den
Plural Boten. Wir aber kennen keine Besemen mehr, sondern nur noch einen
Besen, geradeso wie die Italiener keine Soopao mehr haben, sondern nur uoch eine
Loopa. Loopa war das alte lateinische Wort für eine Rute.

Umgekehrt, wir scheu die Haare und die Ruten auch, wie es sich gebührt, im
Plural, macheu aber von neuem einen Singular daraus, sodaß der Plural verkappt
und ignoriert wird und nicht zu seinem Rechte kommt. Ein klassisches Beispiel dieser
Plural-Singuläre haben wir in der Bürste.

Es ist jn eigentlich nicht recht logisch und geschieht nur der Kürze halber, die
vielen Haare als das Haar und ein ganzes Rutenbündel als eine einzige Rute zu


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[0063] Maßgebliches und Unmaßgebliches weil die Hirse gewissermaßen den Eindruck von Tausend mache. Die Tcmsend- frucht wäre dann ein Seitenstück zu den Tausendmann, deu lateinischen Nilitos, die so hießen, weil jede Tribus ihrer tausend zu stelle» hatte. Solche Begriffe haben oft gar keinen Singular; sie bilden das, was die Grammatiker eine Nur-Mehrzahl nennen. Diese Tausende, diese Gemeinen, diese Vielzuvielen sind die Leute — die unzählbaren Feiertage der Studenten: die Ferien — die Nickel, an denen wir Überfluß haben: die Moneten — und die ärgerlichen kleinen Ausgaben, die gar kein Ende nehmen, machen alle zusammen die Steuern, die Kosten ans. Wer wollte im Deutschen Reiche nur vou Einer Steuer und von Einer Kohle reden? — Man hat nichts als Kosten und Unkosten. Wenn aber ein Singular da ist, so setzen wir ihn nicht, wenigstens nicht im Einzelsinne, sondern die mikroskopischen Wesen haben das Eigentümliche, daß sie sich untereinander aufs Haar gleichen, daß sie gar nicht zu unterscheiden sind und eine gleichartige Masse bilden wie die Fischeier den Rogen. Und deshalb ist ein Individuum gut für die ganze Menge, wir brauchen nur ein einziges Exemplar namhaft zu macheu, denu eins sieht aus wie das andre. Eben das Haar ist ein gutes Beispiel. Wir haben so viele Haare auf dem Kopfe, angeblich hunderttausend und in Ktlometerlänge; sie sind, versichert das Evangelium, alle gezählt. Und doch sagen wir für alle zusammen nur das Haar; einer hat schwarzes, ein andrer rotes, ein dritter weißes Haar. Die Gelehrten helfen sich damit, daß Haar in diesem Falle ein Sammelwort sei; vou solchen Sammelwörtern haben sie eine ganze Sammlung, das Laub, das Gras, das Holz, das Volk gehört dazu, letzteres im Englischen uur im Plural üblich (poor evils, via evils, ^oung' evils). Aber mit dem Sammelworte wird gar nichts erklärt; es sind überhaupt keine Sammelwörter, diese müßten, wie Gewürm oder Gebüsch, mit der Vorsilbe Ge— anfangen, es sind einfache Singuläre. Wie kommen sie denn nun dazu, die Mehrheit auszu¬ drücken? Weil man, wenn man eins gesehen hat, die ganze Gattung kennt. Zwei klassische Beispiele sind die Rute und der Besen. Ich denke hier um die Rute, die hinter dem Spiegel steckt, und mit der die Kinder gezüchtigt werden, die auch der Knecht Ruprecht in der Hand hat. Jeder¬ mann erinnert sich aus seiner Kindheit, daß sie aus mehreren Ruten zusammen¬ gebunden und ein ganzes Bündel von Birkenreisern ist. Trotzdem ist die Rute ein Singular. Warum nur ein Singular? — Beim Besen läßt sich der Hergang noch genauer verfolge». Der Besen ist nämlich ebenfalls eine Rute; diese Bedeutung, im Mittelalter die stehende, lebt noch in der Zusamiucusetzung Staupbeseu fort. Du soll wehen unter deines Mannes Besen! — spricht Gott der Herr zu Eva; das wird der jungen Frau noch heute bei der Trauung vom Geistlichen vorgehalten. Sie soll ihrem Mann Untertan sein. Aber wie die Rute, so ist der Besen verviel¬ fältigt und gebunden, ja sogar an einem hölzernen Stiele befestigt worden; das Mädchen führt ihn, um die Stube damit zu kehren. Es sind von Rechts wegen mehrere Besen; es sind Besemen. Wer besönne sich nicht auf die Stelle im Evan¬ gelium, Wo der unsaubre Geist zurückkommt und findet das Haus mit Besemen gekehret und geschmücket? — Diese Reminiszenz findet sich noch bei Goethe. Man muß nämlich wissen, daß der Besen ursprünglich der Besen hieß, wie der Faden: Faden oder wie das französische risn: Rhin im Lateinischen. Besen wieder hieß eigentlich: Beseme; dieses bildete den Plural Besemen, wie Bote den Plural Boten. Wir aber kennen keine Besemen mehr, sondern nur noch einen Besen, geradeso wie die Italiener keine Soopao mehr haben, sondern nur uoch eine Loopa. Loopa war das alte lateinische Wort für eine Rute. Umgekehrt, wir scheu die Haare und die Ruten auch, wie es sich gebührt, im Plural, macheu aber von neuem einen Singular daraus, sodaß der Plural verkappt und ignoriert wird und nicht zu seinem Rechte kommt. Ein klassisches Beispiel dieser Plural-Singuläre haben wir in der Bürste. Es ist jn eigentlich nicht recht logisch und geschieht nur der Kürze halber, die vielen Haare als das Haar und ein ganzes Rutenbündel als eine einzige Rute zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/63>, abgerufen am 01.09.2024.