Allmonatlich wurden die Kästchen gewechselt. Das sollte nur der Anfang einer größern Organisation sein, aber das Jahr 1870 machte der Sache ein Ende. Und das war gut, meint er, denn Volksbibliotheken können zwar unendlichen Segen, aber in schlechten Händen auch unsägliches Unheil stiften; über die Gefahr des zweiten sei man noch lange nicht hinaus; möge die Einrichtung, wünscht er, vorläufig schlafen und erst wiedererweckt werden, wenn Frankreich wieder vernünftig geworden sein wird!
In der zweiten Hälfte seiner Dienstzeit arbeitete er sieben Jahre lang täglich sieben bis acht Stunden -- das wird wohl ein bißchen reichlich gezählt sein -- an einem großen Werke über die Strafgesetze; später, als sein Kopf schwächer geworden war, kam es ihm so schwierig (prot'ora sagt er) und lang¬ weilig vor, daß er nicht einmal mehr drin lesen konnte. Sobald es erschienen war und seinen literarischen Ruf begründet hatte, quittierte er den Dienst gegen den Rat seiner Frau; es sei das, bemerkt er, der einzige Fall gewesen, wo sie sich in Beziehung auf das Interesse der Familie getauscht habe. Eine Klatsch¬ geschichte hatte ihm das Mißfallen einiger Gebietenden zugezogen, und wenn er die Ratstelle in Montpellier, die man ihm schließlich geben wollte, bekommen hätte, so wäre ihm weder der Ort noch das Amt angenehm gewesen, und dieses würde er noch dazu als gut kaiserlich gesinnter Mann bei der großen "puration <Je la mgM8ri-Ätur"z nach 1870 verloren haben. Obwohl er in der Provinz die Verhältnisse gesunder, die Menschen besser und vernünftiger fand, namentlich auch, wenn sie das Amt des Geschwornen ausübten, erschien ihm doch das Leben fern von Paris als eine Verbannung. Dahin siedelte also die Familie im Sommer 1868 über. Sie hatten ein bescheidnes Vermögen, und seine Zu¬ versicht, mit Schriftstellern werde er sich so viel verdienen, wie ihm sein Amt gebracht hatte, rechtfertigte der Erfolg. Die Minister empfingen ihn huldvoll. Zunächst bekam er sogar eine Professur an der neugegründeten veolo Okrscm, einer mit der Sorbonne verbundnen Anstalt, die in der Kommunezeit wieder einging; er lehrte dort anderthalb Jahre das Strafrecht. Dann wollte er Deputierter werden, da die Regierung der anschwellenden Opposition gegenüber Leute von seinem Schlage, die reden könnten, notwendig brauche; aber damit war es nichts. Romber fragte ihn, ob er "ein Wahlkollegium" habe. Nein, er gedenke als Regieruugskandidat gewählt zu werden. Dann haben Sie keine Aussicht, erwiderte ihm der Minister, die Zeit, wo wir unsre Kandidaten wie Kokil in die Kammer befördern konnten, ist vorüber. Dafür wurde er beim "Moniteur" angestellt, der in das "Journal officiel" umgetauft worden war. Journalist hatte er eigentlich, als Würdenträger, nicht werden wollen, aber, dachte er, das ist doch mehr ein Negierungsamt als eine Nedakteurstelle. Seine Würde erlitt jedoch bei der Art, wie er hineinkam, eine kleine Beschädigung- Er gedachte in demi Blatte der Regierung als gelehrter Jurist zu dienen, der Leiter aber sprach beim ersten Besuch, den ihm Mouton machte, nicht von dem großen Werke über die Strafgesetze, das er gar nicht zu kennen schien, sondern von dem allerliebsten Invaliden mit dem hölzernen Kopf, den der neue Kollege im Figaro veröffentlicht hatte, und sagte, er möge ihm nur recht viel solcher lustiger Sachen liefern. Mouton sagte zwar zu, dachte aber dabei: Nee, das
Lügen Mouton
Allmonatlich wurden die Kästchen gewechselt. Das sollte nur der Anfang einer größern Organisation sein, aber das Jahr 1870 machte der Sache ein Ende. Und das war gut, meint er, denn Volksbibliotheken können zwar unendlichen Segen, aber in schlechten Händen auch unsägliches Unheil stiften; über die Gefahr des zweiten sei man noch lange nicht hinaus; möge die Einrichtung, wünscht er, vorläufig schlafen und erst wiedererweckt werden, wenn Frankreich wieder vernünftig geworden sein wird!
In der zweiten Hälfte seiner Dienstzeit arbeitete er sieben Jahre lang täglich sieben bis acht Stunden — das wird wohl ein bißchen reichlich gezählt sein — an einem großen Werke über die Strafgesetze; später, als sein Kopf schwächer geworden war, kam es ihm so schwierig (prot'ora sagt er) und lang¬ weilig vor, daß er nicht einmal mehr drin lesen konnte. Sobald es erschienen war und seinen literarischen Ruf begründet hatte, quittierte er den Dienst gegen den Rat seiner Frau; es sei das, bemerkt er, der einzige Fall gewesen, wo sie sich in Beziehung auf das Interesse der Familie getauscht habe. Eine Klatsch¬ geschichte hatte ihm das Mißfallen einiger Gebietenden zugezogen, und wenn er die Ratstelle in Montpellier, die man ihm schließlich geben wollte, bekommen hätte, so wäre ihm weder der Ort noch das Amt angenehm gewesen, und dieses würde er noch dazu als gut kaiserlich gesinnter Mann bei der großen »puration <Je la mgM8ri-Ätur«z nach 1870 verloren haben. Obwohl er in der Provinz die Verhältnisse gesunder, die Menschen besser und vernünftiger fand, namentlich auch, wenn sie das Amt des Geschwornen ausübten, erschien ihm doch das Leben fern von Paris als eine Verbannung. Dahin siedelte also die Familie im Sommer 1868 über. Sie hatten ein bescheidnes Vermögen, und seine Zu¬ versicht, mit Schriftstellern werde er sich so viel verdienen, wie ihm sein Amt gebracht hatte, rechtfertigte der Erfolg. Die Minister empfingen ihn huldvoll. Zunächst bekam er sogar eine Professur an der neugegründeten veolo Okrscm, einer mit der Sorbonne verbundnen Anstalt, die in der Kommunezeit wieder einging; er lehrte dort anderthalb Jahre das Strafrecht. Dann wollte er Deputierter werden, da die Regierung der anschwellenden Opposition gegenüber Leute von seinem Schlage, die reden könnten, notwendig brauche; aber damit war es nichts. Romber fragte ihn, ob er „ein Wahlkollegium" habe. Nein, er gedenke als Regieruugskandidat gewählt zu werden. Dann haben Sie keine Aussicht, erwiderte ihm der Minister, die Zeit, wo wir unsre Kandidaten wie Kokil in die Kammer befördern konnten, ist vorüber. Dafür wurde er beim „Moniteur" angestellt, der in das „Journal officiel" umgetauft worden war. Journalist hatte er eigentlich, als Würdenträger, nicht werden wollen, aber, dachte er, das ist doch mehr ein Negierungsamt als eine Nedakteurstelle. Seine Würde erlitt jedoch bei der Art, wie er hineinkam, eine kleine Beschädigung- Er gedachte in demi Blatte der Regierung als gelehrter Jurist zu dienen, der Leiter aber sprach beim ersten Besuch, den ihm Mouton machte, nicht von dem großen Werke über die Strafgesetze, das er gar nicht zu kennen schien, sondern von dem allerliebsten Invaliden mit dem hölzernen Kopf, den der neue Kollege im Figaro veröffentlicht hatte, und sagte, er möge ihm nur recht viel solcher lustiger Sachen liefern. Mouton sagte zwar zu, dachte aber dabei: Nee, das
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Allmonatlich wurden die Kästchen gewechselt. Das sollte nur der Anfang einer
größern Organisation sein, aber das Jahr 1870 machte der Sache ein Ende.
Und das war gut, meint er, denn Volksbibliotheken können zwar unendlichen
Segen, aber in schlechten Händen auch unsägliches Unheil stiften; über die
Gefahr des zweiten sei man noch lange nicht hinaus; möge die Einrichtung,
wünscht er, vorläufig schlafen und erst wiedererweckt werden, wenn Frankreich
wieder vernünftig geworden sein wird!
In der zweiten Hälfte seiner Dienstzeit arbeitete er sieben Jahre lang
täglich sieben bis acht Stunden — das wird wohl ein bißchen reichlich gezählt
sein — an einem großen Werke über die Strafgesetze; später, als sein Kopf
schwächer geworden war, kam es ihm so schwierig (prot'ora sagt er) und lang¬
weilig vor, daß er nicht einmal mehr drin lesen konnte. Sobald es erschienen
war und seinen literarischen Ruf begründet hatte, quittierte er den Dienst gegen
den Rat seiner Frau; es sei das, bemerkt er, der einzige Fall gewesen, wo sie
sich in Beziehung auf das Interesse der Familie getauscht habe. Eine Klatsch¬
geschichte hatte ihm das Mißfallen einiger Gebietenden zugezogen, und wenn
er die Ratstelle in Montpellier, die man ihm schließlich geben wollte, bekommen
hätte, so wäre ihm weder der Ort noch das Amt angenehm gewesen, und dieses
würde er noch dazu als gut kaiserlich gesinnter Mann bei der großen »puration
<Je la mgM8ri-Ätur«z nach 1870 verloren haben. Obwohl er in der Provinz
die Verhältnisse gesunder, die Menschen besser und vernünftiger fand, namentlich
auch, wenn sie das Amt des Geschwornen ausübten, erschien ihm doch das
Leben fern von Paris als eine Verbannung. Dahin siedelte also die Familie
im Sommer 1868 über. Sie hatten ein bescheidnes Vermögen, und seine Zu¬
versicht, mit Schriftstellern werde er sich so viel verdienen, wie ihm sein Amt
gebracht hatte, rechtfertigte der Erfolg. Die Minister empfingen ihn huldvoll.
Zunächst bekam er sogar eine Professur an der neugegründeten veolo Okrscm,
einer mit der Sorbonne verbundnen Anstalt, die in der Kommunezeit wieder
einging; er lehrte dort anderthalb Jahre das Strafrecht. Dann wollte er
Deputierter werden, da die Regierung der anschwellenden Opposition gegenüber
Leute von seinem Schlage, die reden könnten, notwendig brauche; aber damit
war es nichts. Romber fragte ihn, ob er „ein Wahlkollegium" habe. Nein,
er gedenke als Regieruugskandidat gewählt zu werden. Dann haben Sie keine
Aussicht, erwiderte ihm der Minister, die Zeit, wo wir unsre Kandidaten wie
Kokil in die Kammer befördern konnten, ist vorüber. Dafür wurde er beim
„Moniteur" angestellt, der in das „Journal officiel" umgetauft worden war.
Journalist hatte er eigentlich, als Würdenträger, nicht werden wollen, aber,
dachte er, das ist doch mehr ein Negierungsamt als eine Nedakteurstelle. Seine
Würde erlitt jedoch bei der Art, wie er hineinkam, eine kleine Beschädigung-
Er gedachte in demi Blatte der Regierung als gelehrter Jurist zu dienen, der
Leiter aber sprach beim ersten Besuch, den ihm Mouton machte, nicht von dem
großen Werke über die Strafgesetze, das er gar nicht zu kennen schien, sondern
von dem allerliebsten Invaliden mit dem hölzernen Kopf, den der neue Kollege
im Figaro veröffentlicht hatte, und sagte, er möge ihm nur recht viel solcher
lustiger Sachen liefern. Mouton sagte zwar zu, dachte aber dabei: Nee, das
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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/618>, abgerufen am 23.11.2024.
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