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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Prözeßverschleppungen

Die Bejahung der eben aufgeworfnen Frage kann keinem Zweifel unter¬
liegen, wie sich aus folgender Betrachtung ergibt. Es liegt in der Natur
der Sache, daß die nicht am Laudgerichtssitze wohnenden Prozeßparteien,
und das sind, soweit nicht Großstädte in Betracht kommen, weitaus die meisten,
sich auch wegen der Landgerichtsprozesse gewöhnlich an die Anwälte ihres
Wohnorts wenden. Sind diese Anwälte nnn auch beim Landgerichte zuge¬
lassen, so können sie selbst als Prozeßbevollmüchtigte vor diesem auftreten.
Beschränkt sich dagegen ihre Zulassung auf das Amtsgericht ihres Wohnorts,
dann können sie nur als Korrespondenzmandatare des am Laudgerichtssitze
wohnenden Prozeßbevollmächtigtcn ihrer Mitbürger fungieren. Daß dadurch
viel Zeit vertrödelt wird, liegt auf der Hand. Zunächst kann, wenn der am
Sitz eines Amtsgerichts wohnende Landgerichtsanwalt als Prozeßbevollmächtigter
seiner Ortseingesessenen fungiert, dieser die Prozeßschriften selbst bei Gericht
einreichen und dem Gegner zustellen lassen, und braucht sich hierzu nicht eines
am Landgericht wohnenden Kollegen zu bedienen. Weiter erfolgt die Jnfor-
mationsanfnahme mit größerer Präzision und Schnelligkeit, wenn der am
Amtsgerichtssitze wohnende Anwalt sie für seinen Vortrag vor dem Land¬
gericht vornehmen kann, als wenn er dies für den entfernt wohnenden Prozeß-
bevollmächtigten tun soll, der in vielen Fällen trotzdem genötigt ist, die Partei
kommen zu lassen. In der Juristischen Wochenschrift führt B. A. den inter¬
essanten Nachweis, wieviel Zeit durch das Hin- und Herschreibeu und das
Aktenverfenden zwischen dem Korrespondenzmandatar und dem Prozeszbevoll-
mächtigten vergeudet wird, und sieht in der Stellung und der Tätigkeit der
Korrespondenzmandatare geradezu eine Quelle der Prozeßverzögerungen, ohne
freilich die sich hieraus ergebenden Konsequenzen zu ziehen. Die weitere Folge
der Tätigkeit der bei den auswärtigen Amtsgerichten wohnenden Anwälte als
Prozeßbevollmüchtigte bei den übergeordneten Landgerichten wird eine größere
Verteilung der Praxis unter den Anwälten herbeiführen. Nichts ist aber einer
raschen Erledigung der Prozesse mehr hinderlich, als die Konzentration der
Praxis in den Händen weniger. Man wird sogar im Zweifel Rückstände bei
Gerichten auf eine ganz unverhältnismäßige Ungleichheit der Praxis unter den
einzelnen Anwälten zurückführen müssen. Nicht nur kann ein überlasteter und
durch Nachtarbeiten nervös überreizter Anwalt bei der großen Menge des vor-
handnen und ihm fortgesetzt neu zufallenden Materials nicht alle angesetzten Sachen
zum Termine fertig bringen, sondern es werden sich durch das Anschwellen
der Praxis bei den verschiednen Gerichten und den verschiednen Kammern und
Senaten desselben Gerichts die Tcrminkollisionen fortgesetzt häufen, was zu
endlosen Vertagungen führen muß. Wird nun ein Anwalt mit einem solchen
Großbetrieb krank, dann gerät die ganze Justiz ins Stocken! Ferner werden
Vertagungen nicht so leicht erzielt werden tonnen, wenn ein Anwalt von
auswärts zugereist kommt, mag auch durch die fortgesetzte Entwicklung des
Verkehrswesens, insbesondre der.Kleinbahnen, die Wahrnehmung der Termine
durch die auswärtigen Landgerichtsanwälte erleichtert werden. Endlich wird
ein weiterer Zeitgewinn durch Zulassung auswärtiger Amtsgerichtsanwälte
beim übergeordneten Landgericht durch die raschere Erledigung der Berufungs-


Prözeßverschleppungen

Die Bejahung der eben aufgeworfnen Frage kann keinem Zweifel unter¬
liegen, wie sich aus folgender Betrachtung ergibt. Es liegt in der Natur
der Sache, daß die nicht am Laudgerichtssitze wohnenden Prozeßparteien,
und das sind, soweit nicht Großstädte in Betracht kommen, weitaus die meisten,
sich auch wegen der Landgerichtsprozesse gewöhnlich an die Anwälte ihres
Wohnorts wenden. Sind diese Anwälte nnn auch beim Landgerichte zuge¬
lassen, so können sie selbst als Prozeßbevollmüchtigte vor diesem auftreten.
Beschränkt sich dagegen ihre Zulassung auf das Amtsgericht ihres Wohnorts,
dann können sie nur als Korrespondenzmandatare des am Laudgerichtssitze
wohnenden Prozeßbevollmächtigtcn ihrer Mitbürger fungieren. Daß dadurch
viel Zeit vertrödelt wird, liegt auf der Hand. Zunächst kann, wenn der am
Sitz eines Amtsgerichts wohnende Landgerichtsanwalt als Prozeßbevollmächtigter
seiner Ortseingesessenen fungiert, dieser die Prozeßschriften selbst bei Gericht
einreichen und dem Gegner zustellen lassen, und braucht sich hierzu nicht eines
am Landgericht wohnenden Kollegen zu bedienen. Weiter erfolgt die Jnfor-
mationsanfnahme mit größerer Präzision und Schnelligkeit, wenn der am
Amtsgerichtssitze wohnende Anwalt sie für seinen Vortrag vor dem Land¬
gericht vornehmen kann, als wenn er dies für den entfernt wohnenden Prozeß-
bevollmächtigten tun soll, der in vielen Fällen trotzdem genötigt ist, die Partei
kommen zu lassen. In der Juristischen Wochenschrift führt B. A. den inter¬
essanten Nachweis, wieviel Zeit durch das Hin- und Herschreibeu und das
Aktenverfenden zwischen dem Korrespondenzmandatar und dem Prozeszbevoll-
mächtigten vergeudet wird, und sieht in der Stellung und der Tätigkeit der
Korrespondenzmandatare geradezu eine Quelle der Prozeßverzögerungen, ohne
freilich die sich hieraus ergebenden Konsequenzen zu ziehen. Die weitere Folge
der Tätigkeit der bei den auswärtigen Amtsgerichten wohnenden Anwälte als
Prozeßbevollmüchtigte bei den übergeordneten Landgerichten wird eine größere
Verteilung der Praxis unter den Anwälten herbeiführen. Nichts ist aber einer
raschen Erledigung der Prozesse mehr hinderlich, als die Konzentration der
Praxis in den Händen weniger. Man wird sogar im Zweifel Rückstände bei
Gerichten auf eine ganz unverhältnismäßige Ungleichheit der Praxis unter den
einzelnen Anwälten zurückführen müssen. Nicht nur kann ein überlasteter und
durch Nachtarbeiten nervös überreizter Anwalt bei der großen Menge des vor-
handnen und ihm fortgesetzt neu zufallenden Materials nicht alle angesetzten Sachen
zum Termine fertig bringen, sondern es werden sich durch das Anschwellen
der Praxis bei den verschiednen Gerichten und den verschiednen Kammern und
Senaten desselben Gerichts die Tcrminkollisionen fortgesetzt häufen, was zu
endlosen Vertagungen führen muß. Wird nun ein Anwalt mit einem solchen
Großbetrieb krank, dann gerät die ganze Justiz ins Stocken! Ferner werden
Vertagungen nicht so leicht erzielt werden tonnen, wenn ein Anwalt von
auswärts zugereist kommt, mag auch durch die fortgesetzte Entwicklung des
Verkehrswesens, insbesondre der.Kleinbahnen, die Wahrnehmung der Termine
durch die auswärtigen Landgerichtsanwälte erleichtert werden. Endlich wird
ein weiterer Zeitgewinn durch Zulassung auswärtiger Amtsgerichtsanwälte
beim übergeordneten Landgericht durch die raschere Erledigung der Berufungs-


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[0606] Prözeßverschleppungen Die Bejahung der eben aufgeworfnen Frage kann keinem Zweifel unter¬ liegen, wie sich aus folgender Betrachtung ergibt. Es liegt in der Natur der Sache, daß die nicht am Laudgerichtssitze wohnenden Prozeßparteien, und das sind, soweit nicht Großstädte in Betracht kommen, weitaus die meisten, sich auch wegen der Landgerichtsprozesse gewöhnlich an die Anwälte ihres Wohnorts wenden. Sind diese Anwälte nnn auch beim Landgerichte zuge¬ lassen, so können sie selbst als Prozeßbevollmüchtigte vor diesem auftreten. Beschränkt sich dagegen ihre Zulassung auf das Amtsgericht ihres Wohnorts, dann können sie nur als Korrespondenzmandatare des am Laudgerichtssitze wohnenden Prozeßbevollmächtigtcn ihrer Mitbürger fungieren. Daß dadurch viel Zeit vertrödelt wird, liegt auf der Hand. Zunächst kann, wenn der am Sitz eines Amtsgerichts wohnende Landgerichtsanwalt als Prozeßbevollmächtigter seiner Ortseingesessenen fungiert, dieser die Prozeßschriften selbst bei Gericht einreichen und dem Gegner zustellen lassen, und braucht sich hierzu nicht eines am Landgericht wohnenden Kollegen zu bedienen. Weiter erfolgt die Jnfor- mationsanfnahme mit größerer Präzision und Schnelligkeit, wenn der am Amtsgerichtssitze wohnende Anwalt sie für seinen Vortrag vor dem Land¬ gericht vornehmen kann, als wenn er dies für den entfernt wohnenden Prozeß- bevollmächtigten tun soll, der in vielen Fällen trotzdem genötigt ist, die Partei kommen zu lassen. In der Juristischen Wochenschrift führt B. A. den inter¬ essanten Nachweis, wieviel Zeit durch das Hin- und Herschreibeu und das Aktenverfenden zwischen dem Korrespondenzmandatar und dem Prozeszbevoll- mächtigten vergeudet wird, und sieht in der Stellung und der Tätigkeit der Korrespondenzmandatare geradezu eine Quelle der Prozeßverzögerungen, ohne freilich die sich hieraus ergebenden Konsequenzen zu ziehen. Die weitere Folge der Tätigkeit der bei den auswärtigen Amtsgerichten wohnenden Anwälte als Prozeßbevollmüchtigte bei den übergeordneten Landgerichten wird eine größere Verteilung der Praxis unter den Anwälten herbeiführen. Nichts ist aber einer raschen Erledigung der Prozesse mehr hinderlich, als die Konzentration der Praxis in den Händen weniger. Man wird sogar im Zweifel Rückstände bei Gerichten auf eine ganz unverhältnismäßige Ungleichheit der Praxis unter den einzelnen Anwälten zurückführen müssen. Nicht nur kann ein überlasteter und durch Nachtarbeiten nervös überreizter Anwalt bei der großen Menge des vor- handnen und ihm fortgesetzt neu zufallenden Materials nicht alle angesetzten Sachen zum Termine fertig bringen, sondern es werden sich durch das Anschwellen der Praxis bei den verschiednen Gerichten und den verschiednen Kammern und Senaten desselben Gerichts die Tcrminkollisionen fortgesetzt häufen, was zu endlosen Vertagungen führen muß. Wird nun ein Anwalt mit einem solchen Großbetrieb krank, dann gerät die ganze Justiz ins Stocken! Ferner werden Vertagungen nicht so leicht erzielt werden tonnen, wenn ein Anwalt von auswärts zugereist kommt, mag auch durch die fortgesetzte Entwicklung des Verkehrswesens, insbesondre der.Kleinbahnen, die Wahrnehmung der Termine durch die auswärtigen Landgerichtsanwälte erleichtert werden. Endlich wird ein weiterer Zeitgewinn durch Zulassung auswärtiger Amtsgerichtsanwälte beim übergeordneten Landgericht durch die raschere Erledigung der Berufungs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/606>, abgerufen am 23.11.2024.