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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Aus der Jugendzeit

Lehrer, Küster, Geistliche oder ein fest angestellter städtischer Musikdirektor von der
weit über das gewöhnliche Maß hinausgehenden Qualität wie die David Rohes
sich schwer dazu versteh", solche Liebesgaben für ihre amtlichen Leistungen in solcher
Weise selbst einzusammeln. Damals fand man darin nichts. David Rose war ein
vorzüglicher Dirigent seines Orchesters, hatte einige größere Kirchenmusiken kompo¬
niert und beherrschte die Orchestermusik vollkommen. Er war in Quedlinburg ein
populärer Mann und hat sicher aus dem Neujahrblasen ein gut Stück Geld be¬
zogen. Die Quedlinburger konnten sich auf ihre ungewöhnlich gute Stadtmusik
etwas zugute tun. Diese führte die Mozartschen, Beethovenschen und Haydnschen
Symphonien ganz vortrefflich aus. Im Sommer spielte die Stadtmnsit allwöchentlich
an einem Nachmittag im Brühe, dem unmittelbar vor der Stadt unter dem Schlosse
gelegnen reizenden Stndtpark. Das waren nach ihrem Programm und dessen Aus¬
führung gute Konzerte, auf die von den wohlhabender" Familien abonniere wurde
Zur Brühlmusik gingen namentlich die Mütter dieser Familien mit Vorliebe, um
dort im Freien zu sitzen, Kaffee zu trinken und Musik zu hören. Die Mütter
zogen dazu ihr seidnes Kleid an, die Jungen durften sich in ihrer besten Jacke
mit frischem weißem Kragen als wohlerzogne Kinder präsentieren. Harmlose Ver¬
gnügungen, aber für uns Jungen doch ein Zwang, dem wir uns lieber entzogen.
David Rose aber dirigierte seine Brühl- und andre Konzerte ausgezeichnet. Er
erfreute sich auch eines gewissen gesellschaftlichen Ansehens. Im "Schwarzen Bären,"
damals dein angesehensten Wirtshause der Stadt, saß er als Stammgast unter den
geachtetsten Bürger". Dort trank er Vormittags vor Tisch täglich zum Früh¬
schoppen sein Viertelchen Rotwein. In seiner jovialen Art hielt er, bevor er trank,
das gefüllte Glas mit den Worten gegen das Licht: "Freue dich, Kehle, es kommt
ein Platzregen. Prost David!" Dann antwortete er schmunzelnd sich selber:
"Schön Dank, Rose!" Das war ein geflügeltes Wort geworden. David Rose
war eins der damals noch ziemlich zahlreichen Quedlinburger Originale, und zwar
eins der feinern. Die meisten übrigen, wie zum Beispiel die Brüder Rabe, von
deren einem oben die Rede war, mochten nicht weniger witzig und jovial sein, aber
sie erschienen um ein gut Teil massiver.

Bald nach Neujahr, am 6. Januar, ist der Dreikönigstag. In meiner frühesten
Jugend kamen am Abend drei oder vier mit weißen Hemden über den Kleidern
und einigem Flitter aufgeputzte Kinder und führten in einer Art Wechselrede, und
wenn ich mich recht entsinne, auch mit Gesaug etwas auf, was die Legende von
den heiligen drei Königen darstellen sollte. Von dem Text habe ich nichts be¬
halten. Ich weiß deshalb auch nicht, inwieweit diese Darstellung mehr in evan¬
gelischem oder mehr in katholischem Sinne gemeint war. Die Kinder bekamen
zwar, wenn sie fertig waren, eine kleine Geldspende, aber mein Vater hielt von
dieser Aufführung nicht viel und mag sie sich wohl verbeten haben. Sie hatte auch
vorwiegend das Gepräge eiues Vorwauds zur Bettelei.

In der Passionszeit von Aschermittwoch bis Ostern bestand in Quedlinburg
eine ganz eigne kirchliche Sitte. In den Kirchen der Stadt wurde an den Sonn¬
tagen die sogenannte Passion gesungen, und zwar an, Sonntag Juvoeavit zuerst
in der Ägidienkirche und dann der Reihe nach bis zum Karfreitag jedesmal in
einer andern, mit alleiniger Ausnahme der Markt- oder Benediktikirche. In dieser
hatten sie die rationalistischen Geistlichen abgeschafft. Es war das eine musikalische,
nahezu dramatische, oratorienhafte Darstellung der Passion unsers Heilands mit
eingelegten Chorälen, Arien, Nezitativen nach der Art der Bachschen Matthäns¬
oder Johannespassion. Der Text war in alter, stiftischer Zeit nach den synoptischen
Evangelien zusammengestellt. Auch die Musik war alt, nud wie mau allgemein
annahm, in Quedlinburg entstanden. Das Ganze war aber mehrfach überarbeitet
worden, zuletzt in musikalischer Hinsicht von David Rose, und in der ausgesprochnen
Absicht, es zu kürzen und zu vereinfachen. Ans stiftischer Zeit bestanden noch ge¬
wisse Stiftungen, aus denen dem Gymnasialchor, dessen Dirigenten und der Stadt-


Aus der Jugendzeit

Lehrer, Küster, Geistliche oder ein fest angestellter städtischer Musikdirektor von der
weit über das gewöhnliche Maß hinausgehenden Qualität wie die David Rohes
sich schwer dazu versteh», solche Liebesgaben für ihre amtlichen Leistungen in solcher
Weise selbst einzusammeln. Damals fand man darin nichts. David Rose war ein
vorzüglicher Dirigent seines Orchesters, hatte einige größere Kirchenmusiken kompo¬
niert und beherrschte die Orchestermusik vollkommen. Er war in Quedlinburg ein
populärer Mann und hat sicher aus dem Neujahrblasen ein gut Stück Geld be¬
zogen. Die Quedlinburger konnten sich auf ihre ungewöhnlich gute Stadtmusik
etwas zugute tun. Diese führte die Mozartschen, Beethovenschen und Haydnschen
Symphonien ganz vortrefflich aus. Im Sommer spielte die Stadtmnsit allwöchentlich
an einem Nachmittag im Brühe, dem unmittelbar vor der Stadt unter dem Schlosse
gelegnen reizenden Stndtpark. Das waren nach ihrem Programm und dessen Aus¬
führung gute Konzerte, auf die von den wohlhabender» Familien abonniere wurde
Zur Brühlmusik gingen namentlich die Mütter dieser Familien mit Vorliebe, um
dort im Freien zu sitzen, Kaffee zu trinken und Musik zu hören. Die Mütter
zogen dazu ihr seidnes Kleid an, die Jungen durften sich in ihrer besten Jacke
mit frischem weißem Kragen als wohlerzogne Kinder präsentieren. Harmlose Ver¬
gnügungen, aber für uns Jungen doch ein Zwang, dem wir uns lieber entzogen.
David Rose aber dirigierte seine Brühl- und andre Konzerte ausgezeichnet. Er
erfreute sich auch eines gewissen gesellschaftlichen Ansehens. Im „Schwarzen Bären,"
damals dein angesehensten Wirtshause der Stadt, saß er als Stammgast unter den
geachtetsten Bürger». Dort trank er Vormittags vor Tisch täglich zum Früh¬
schoppen sein Viertelchen Rotwein. In seiner jovialen Art hielt er, bevor er trank,
das gefüllte Glas mit den Worten gegen das Licht: „Freue dich, Kehle, es kommt
ein Platzregen. Prost David!" Dann antwortete er schmunzelnd sich selber:
„Schön Dank, Rose!" Das war ein geflügeltes Wort geworden. David Rose
war eins der damals noch ziemlich zahlreichen Quedlinburger Originale, und zwar
eins der feinern. Die meisten übrigen, wie zum Beispiel die Brüder Rabe, von
deren einem oben die Rede war, mochten nicht weniger witzig und jovial sein, aber
sie erschienen um ein gut Teil massiver.

Bald nach Neujahr, am 6. Januar, ist der Dreikönigstag. In meiner frühesten
Jugend kamen am Abend drei oder vier mit weißen Hemden über den Kleidern
und einigem Flitter aufgeputzte Kinder und führten in einer Art Wechselrede, und
wenn ich mich recht entsinne, auch mit Gesaug etwas auf, was die Legende von
den heiligen drei Königen darstellen sollte. Von dem Text habe ich nichts be¬
halten. Ich weiß deshalb auch nicht, inwieweit diese Darstellung mehr in evan¬
gelischem oder mehr in katholischem Sinne gemeint war. Die Kinder bekamen
zwar, wenn sie fertig waren, eine kleine Geldspende, aber mein Vater hielt von
dieser Aufführung nicht viel und mag sie sich wohl verbeten haben. Sie hatte auch
vorwiegend das Gepräge eiues Vorwauds zur Bettelei.

In der Passionszeit von Aschermittwoch bis Ostern bestand in Quedlinburg
eine ganz eigne kirchliche Sitte. In den Kirchen der Stadt wurde an den Sonn¬
tagen die sogenannte Passion gesungen, und zwar an, Sonntag Juvoeavit zuerst
in der Ägidienkirche und dann der Reihe nach bis zum Karfreitag jedesmal in
einer andern, mit alleiniger Ausnahme der Markt- oder Benediktikirche. In dieser
hatten sie die rationalistischen Geistlichen abgeschafft. Es war das eine musikalische,
nahezu dramatische, oratorienhafte Darstellung der Passion unsers Heilands mit
eingelegten Chorälen, Arien, Nezitativen nach der Art der Bachschen Matthäns¬
oder Johannespassion. Der Text war in alter, stiftischer Zeit nach den synoptischen
Evangelien zusammengestellt. Auch die Musik war alt, nud wie mau allgemein
annahm, in Quedlinburg entstanden. Das Ganze war aber mehrfach überarbeitet
worden, zuletzt in musikalischer Hinsicht von David Rose, und in der ausgesprochnen
Absicht, es zu kürzen und zu vereinfachen. Ans stiftischer Zeit bestanden noch ge¬
wisse Stiftungen, aus denen dem Gymnasialchor, dessen Dirigenten und der Stadt-


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[0558] Aus der Jugendzeit Lehrer, Küster, Geistliche oder ein fest angestellter städtischer Musikdirektor von der weit über das gewöhnliche Maß hinausgehenden Qualität wie die David Rohes sich schwer dazu versteh», solche Liebesgaben für ihre amtlichen Leistungen in solcher Weise selbst einzusammeln. Damals fand man darin nichts. David Rose war ein vorzüglicher Dirigent seines Orchesters, hatte einige größere Kirchenmusiken kompo¬ niert und beherrschte die Orchestermusik vollkommen. Er war in Quedlinburg ein populärer Mann und hat sicher aus dem Neujahrblasen ein gut Stück Geld be¬ zogen. Die Quedlinburger konnten sich auf ihre ungewöhnlich gute Stadtmusik etwas zugute tun. Diese führte die Mozartschen, Beethovenschen und Haydnschen Symphonien ganz vortrefflich aus. Im Sommer spielte die Stadtmnsit allwöchentlich an einem Nachmittag im Brühe, dem unmittelbar vor der Stadt unter dem Schlosse gelegnen reizenden Stndtpark. Das waren nach ihrem Programm und dessen Aus¬ führung gute Konzerte, auf die von den wohlhabender» Familien abonniere wurde Zur Brühlmusik gingen namentlich die Mütter dieser Familien mit Vorliebe, um dort im Freien zu sitzen, Kaffee zu trinken und Musik zu hören. Die Mütter zogen dazu ihr seidnes Kleid an, die Jungen durften sich in ihrer besten Jacke mit frischem weißem Kragen als wohlerzogne Kinder präsentieren. Harmlose Ver¬ gnügungen, aber für uns Jungen doch ein Zwang, dem wir uns lieber entzogen. David Rose aber dirigierte seine Brühl- und andre Konzerte ausgezeichnet. Er erfreute sich auch eines gewissen gesellschaftlichen Ansehens. Im „Schwarzen Bären," damals dein angesehensten Wirtshause der Stadt, saß er als Stammgast unter den geachtetsten Bürger». Dort trank er Vormittags vor Tisch täglich zum Früh¬ schoppen sein Viertelchen Rotwein. In seiner jovialen Art hielt er, bevor er trank, das gefüllte Glas mit den Worten gegen das Licht: „Freue dich, Kehle, es kommt ein Platzregen. Prost David!" Dann antwortete er schmunzelnd sich selber: „Schön Dank, Rose!" Das war ein geflügeltes Wort geworden. David Rose war eins der damals noch ziemlich zahlreichen Quedlinburger Originale, und zwar eins der feinern. Die meisten übrigen, wie zum Beispiel die Brüder Rabe, von deren einem oben die Rede war, mochten nicht weniger witzig und jovial sein, aber sie erschienen um ein gut Teil massiver. Bald nach Neujahr, am 6. Januar, ist der Dreikönigstag. In meiner frühesten Jugend kamen am Abend drei oder vier mit weißen Hemden über den Kleidern und einigem Flitter aufgeputzte Kinder und führten in einer Art Wechselrede, und wenn ich mich recht entsinne, auch mit Gesaug etwas auf, was die Legende von den heiligen drei Königen darstellen sollte. Von dem Text habe ich nichts be¬ halten. Ich weiß deshalb auch nicht, inwieweit diese Darstellung mehr in evan¬ gelischem oder mehr in katholischem Sinne gemeint war. Die Kinder bekamen zwar, wenn sie fertig waren, eine kleine Geldspende, aber mein Vater hielt von dieser Aufführung nicht viel und mag sie sich wohl verbeten haben. Sie hatte auch vorwiegend das Gepräge eiues Vorwauds zur Bettelei. In der Passionszeit von Aschermittwoch bis Ostern bestand in Quedlinburg eine ganz eigne kirchliche Sitte. In den Kirchen der Stadt wurde an den Sonn¬ tagen die sogenannte Passion gesungen, und zwar an, Sonntag Juvoeavit zuerst in der Ägidienkirche und dann der Reihe nach bis zum Karfreitag jedesmal in einer andern, mit alleiniger Ausnahme der Markt- oder Benediktikirche. In dieser hatten sie die rationalistischen Geistlichen abgeschafft. Es war das eine musikalische, nahezu dramatische, oratorienhafte Darstellung der Passion unsers Heilands mit eingelegten Chorälen, Arien, Nezitativen nach der Art der Bachschen Matthäns¬ oder Johannespassion. Der Text war in alter, stiftischer Zeit nach den synoptischen Evangelien zusammengestellt. Auch die Musik war alt, nud wie mau allgemein annahm, in Quedlinburg entstanden. Das Ganze war aber mehrfach überarbeitet worden, zuletzt in musikalischer Hinsicht von David Rose, und in der ausgesprochnen Absicht, es zu kürzen und zu vereinfachen. Ans stiftischer Zeit bestanden noch ge¬ wisse Stiftungen, aus denen dem Gymnasialchor, dessen Dirigenten und der Stadt-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/558>, abgerufen am 01.09.2024.