Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.Aus der Jugendzeit Stunde much dem grünen Hause. Dort trafen wir auch wohl die Tilkcrvdcr Ge¬ Man erzählte sich in meiner Jngend von einer solchen Sauhatz eine drollige Aus der Jugendzeit Stunde much dem grünen Hause. Dort trafen wir auch wohl die Tilkcrvdcr Ge¬ Man erzählte sich in meiner Jngend von einer solchen Sauhatz eine drollige <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0554" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/241768"/> <fw type="header" place="top"> Aus der Jugendzeit</fw><lb/> <p xml:id="ID_2191" prev="#ID_2190"> Stunde much dem grünen Hause. Dort trafen wir auch wohl die Tilkcrvdcr Ge¬<lb/> schwister, und Onkel wie Tante Bornemann taten das Mögliche, den Aufenthalt<lb/> in ihrem Hanse freundlich und gastlich zu gestalten. Später, als ich in die höhern<lb/> Klassen des Gymnasituns ausrückte, nahm meine Mutter mich bei solchen Gelegen¬<lb/> heiten in Ballenstedt auch mit ins Hoftheater. Dort traf man regelmäßig eine<lb/> Menge Quedlinburger. Sie sahen das herzogliche Theater wie eine Art Zubehör<lb/> zu unsrer Vaterstadt um, und wenn der herzogliche Hof einmal durch Quedlinburg<lb/> fuhr, dann blieben die Bürger stehn und grüßten respektvoll. Auch auf die Schwächen<lb/> des letzten Herzogs von Anhalt-Bernburg, Alexander Karl, der geistesschwach war<lb/> und zuweilen im Theater auffällig laut sprach und lachte, nahmen die Quedlin-<lb/> burger selbstverständlich respektvolle Rücksicht. Näher hatte ihnen freilich der lebens¬<lb/> frohe Vater des Herzogs, Alexius Friedrich Christian, gestanden. Zwischen ihm<lb/> und deu Quedlinburgeru hatte sich förmlich ein freundnachbarliches Verhältnis aus¬<lb/> gebildet. Er wurde, wenn er Quedlinburg passierte, mit Ehrerbietung gegrüßt,<lb/> und wenn er bei den: Sternhaufe über Gernrode seine großen Saujagden veran¬<lb/> staltete, so fuhr oder wanderte halb Quedlinburg dahin, um sich die Sauhatz mit<lb/> anzusehen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2192" next="#ID_2193"> Man erzählte sich in meiner Jngend von einer solchen Sauhatz eine drollige<lb/> Geschichte. Ein riesiger Keiler hatte im Saugarten, in den die jagdbaren Wild¬<lb/> schweine eingetrieben wurden, die ganze Meute mit seinen Gewehren dergestalt zu¬<lb/> gerichtet, daß die Hunde nicht mehr an den gefährlichen Gegner heranzubringen<lb/> waren. Der Herzog „Alexis" — so nannten ihn die Quedlinburger — stand mit<lb/> seinen fürstlichen Jagdgästen in einiger Verlegenheit abseits von dem wütenden<lb/> Schwarztiere. Plötzlich erhob sich draußen vor der Bretterwand der "Saubucht in<lb/> der dort zahlreich versammelten Corona ein ungewöhnlicher Lärm und lautes Ge¬<lb/> lächter. Der Herzog schickte aus diesem Anlaß einen seiner Leibjäger mit dem<lb/> Auftrage dorthin, er solle sich erkundigen, was da los sei. Der Jäger kam mit<lb/> mühsam verhaltnen Lächeln zurück und meldete, dort draußen stehe unter dem<lb/> Publikum ein ungewöhnlich großer und starker Mann aus Quedlinburg immens<lb/> Rabe, der sich berühme, er könne den Keiler mit seinem Taschenmesser abfangen und<lb/> zur Strecke bringen. Der Herzog lachte und befahl dem Leibjäger, er möge den<lb/> Mann bitten, doch einmal zu ihm, dem Herzog, zu kommen. Der Leibjnger ging<lb/> also nochmals aus dem Saugarten hinaus und durch das schon aufmerksam ge-<lb/> wordne Publikum auf Rabe zu, grüßte diesen sehr höflich und sagte ihm, Seine<lb/> Durchlaucht der Herzog — damals führten die regierenden deutschen Herzöge noch<lb/> nicht das Prädikat Hoheit — lasse ihn bitten, ob er sich nicht einmal zu ihm be¬<lb/> mühn wolle. Andreas Rabe, ein wegen seiner ungeschlachten Derbheit stadtbekanntes<lb/> Original, übrigens ein wohlhabender „Ökonom," wie man damals in Quedlinburg<lb/> die Ackerbürger nannte, erwiderte: „Wat? cet soll bi'u Herzog kommen? Wat soll<lb/> cet'n da?— „Das weiß ich nicht, sagte der Jäger, aber ich bitte Sie, mitzukommen,<lb/> es wird Ihnen nichts geschehn." — „Dat wee cet alleene, sagte Rabe, na, orna<lb/> denn niche, cet gab met." Das ohnehin belustigte Publikum brach in lantes Johlen<lb/> aus, machte aber Platz, und Rabe schritt hinter dem Leibjäger her in den Sau¬<lb/> garten hinein auf den Herzog zu, zog vor diesem seine Mütze ub, machte einen<lb/> Kratzfuß und sagte: „Gun Dag ook, Herr Herzog! Hier bin cet. Wat soll cet?"<lb/> Höchst belustigt durch die halb verlegner, halb trotzigen Manieren des reckenhaften<lb/> Mannes sagte der Herzog: „Guten Tag, Herr Rabe, ich habe gehört, daß Sie sich<lb/> berühmt hätten, Sie könnten den Keiler dort mit Ihrem Taschenmesser erlegen." ^<lb/> „Beriehmt hebbe cet mel nich, Herr Herzog, aber dat Schwin da, dat is richtig,<lb/> dat stak et met nimm Fickenmesser bot. Wenn cet man dörftel" — „Ja, H^'<lb/> Rabe, meinte der Herzog, das sagen Sie wohl; aber der Keiler ist wild und der<lb/> stärkste, den ich im Reviere habe. Fürchten Sie sich denn gar nicht, daß Ihnen<lb/> etwas passieren könnte?" — „Nee, Herr Herzog, wat soll mel passieren? un förchten<lb/> den feck kein Rabe ut Quellenborg." — „Nun, Herr Robe, dann versuchen Sie</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0554]
Aus der Jugendzeit
Stunde much dem grünen Hause. Dort trafen wir auch wohl die Tilkcrvdcr Ge¬
schwister, und Onkel wie Tante Bornemann taten das Mögliche, den Aufenthalt
in ihrem Hanse freundlich und gastlich zu gestalten. Später, als ich in die höhern
Klassen des Gymnasituns ausrückte, nahm meine Mutter mich bei solchen Gelegen¬
heiten in Ballenstedt auch mit ins Hoftheater. Dort traf man regelmäßig eine
Menge Quedlinburger. Sie sahen das herzogliche Theater wie eine Art Zubehör
zu unsrer Vaterstadt um, und wenn der herzogliche Hof einmal durch Quedlinburg
fuhr, dann blieben die Bürger stehn und grüßten respektvoll. Auch auf die Schwächen
des letzten Herzogs von Anhalt-Bernburg, Alexander Karl, der geistesschwach war
und zuweilen im Theater auffällig laut sprach und lachte, nahmen die Quedlin-
burger selbstverständlich respektvolle Rücksicht. Näher hatte ihnen freilich der lebens¬
frohe Vater des Herzogs, Alexius Friedrich Christian, gestanden. Zwischen ihm
und deu Quedlinburgeru hatte sich förmlich ein freundnachbarliches Verhältnis aus¬
gebildet. Er wurde, wenn er Quedlinburg passierte, mit Ehrerbietung gegrüßt,
und wenn er bei den: Sternhaufe über Gernrode seine großen Saujagden veran¬
staltete, so fuhr oder wanderte halb Quedlinburg dahin, um sich die Sauhatz mit
anzusehen.
Man erzählte sich in meiner Jngend von einer solchen Sauhatz eine drollige
Geschichte. Ein riesiger Keiler hatte im Saugarten, in den die jagdbaren Wild¬
schweine eingetrieben wurden, die ganze Meute mit seinen Gewehren dergestalt zu¬
gerichtet, daß die Hunde nicht mehr an den gefährlichen Gegner heranzubringen
waren. Der Herzog „Alexis" — so nannten ihn die Quedlinburger — stand mit
seinen fürstlichen Jagdgästen in einiger Verlegenheit abseits von dem wütenden
Schwarztiere. Plötzlich erhob sich draußen vor der Bretterwand der "Saubucht in
der dort zahlreich versammelten Corona ein ungewöhnlicher Lärm und lautes Ge¬
lächter. Der Herzog schickte aus diesem Anlaß einen seiner Leibjäger mit dem
Auftrage dorthin, er solle sich erkundigen, was da los sei. Der Jäger kam mit
mühsam verhaltnen Lächeln zurück und meldete, dort draußen stehe unter dem
Publikum ein ungewöhnlich großer und starker Mann aus Quedlinburg immens
Rabe, der sich berühme, er könne den Keiler mit seinem Taschenmesser abfangen und
zur Strecke bringen. Der Herzog lachte und befahl dem Leibjäger, er möge den
Mann bitten, doch einmal zu ihm, dem Herzog, zu kommen. Der Leibjnger ging
also nochmals aus dem Saugarten hinaus und durch das schon aufmerksam ge-
wordne Publikum auf Rabe zu, grüßte diesen sehr höflich und sagte ihm, Seine
Durchlaucht der Herzog — damals führten die regierenden deutschen Herzöge noch
nicht das Prädikat Hoheit — lasse ihn bitten, ob er sich nicht einmal zu ihm be¬
mühn wolle. Andreas Rabe, ein wegen seiner ungeschlachten Derbheit stadtbekanntes
Original, übrigens ein wohlhabender „Ökonom," wie man damals in Quedlinburg
die Ackerbürger nannte, erwiderte: „Wat? cet soll bi'u Herzog kommen? Wat soll
cet'n da?— „Das weiß ich nicht, sagte der Jäger, aber ich bitte Sie, mitzukommen,
es wird Ihnen nichts geschehn." — „Dat wee cet alleene, sagte Rabe, na, orna
denn niche, cet gab met." Das ohnehin belustigte Publikum brach in lantes Johlen
aus, machte aber Platz, und Rabe schritt hinter dem Leibjäger her in den Sau¬
garten hinein auf den Herzog zu, zog vor diesem seine Mütze ub, machte einen
Kratzfuß und sagte: „Gun Dag ook, Herr Herzog! Hier bin cet. Wat soll cet?"
Höchst belustigt durch die halb verlegner, halb trotzigen Manieren des reckenhaften
Mannes sagte der Herzog: „Guten Tag, Herr Rabe, ich habe gehört, daß Sie sich
berühmt hätten, Sie könnten den Keiler dort mit Ihrem Taschenmesser erlegen." ^
„Beriehmt hebbe cet mel nich, Herr Herzog, aber dat Schwin da, dat is richtig,
dat stak et met nimm Fickenmesser bot. Wenn cet man dörftel" — „Ja, H^'
Rabe, meinte der Herzog, das sagen Sie wohl; aber der Keiler ist wild und der
stärkste, den ich im Reviere habe. Fürchten Sie sich denn gar nicht, daß Ihnen
etwas passieren könnte?" — „Nee, Herr Herzog, wat soll mel passieren? un förchten
den feck kein Rabe ut Quellenborg." — „Nun, Herr Robe, dann versuchen Sie
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