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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Lügen Mouton

verkauft; die Frau besorgt den Haushalt und die Kinder. In der Nacht aber --
da ist er wieder der afrikanische Wilde. Unter geheimnisvollem Geflüster
treibt er Zaubereien, oder er feiert wilde Tanzorgien. Das ermattet ehr acht
etwa; seine Körperkraft und Elastizität sind unverwüstlich; er bedarf fast gar
keines Schlafes; er mag die Nacht durchtobt oder, was die jungen Männer
oft tun, auf einer meilenweit entfernten Plantage bei einem Mädchen zugebracht
haben, am andern Morgen sieht man ihn vollkommen frisch zur Arbert gehen.
Dabei essen die Schwarzen nicht viel und gar kein Fleisch, das mögen sie acht;
nur Pflanzenkost und Fisch, berauschen sich häufig und erreichen meistens ein
hohes Alter -- in einem mörderischen Klima. "Sollten sich die Kulturmenschen
einmal durch ihre Laster umbringen, so würden die Neger die Erde muss neue
bevölkern." Die Orgien findet Mouton an sich nicht schlimm; europäische
Trunkenbolde trieben es am hellen lichten Tage nicht weniger arg als die
Neger des Nachts; was diesen Orgien einen unheimlichen Charakter perlende,
das seien die Verschwörungen, die dabei ausgeheckt würden, und deren Ergebnis
gewöhnlich die Vergiftung eines Mitsklaven oder eines Mitgliedes der.Herren¬
familie sei; der Beweggrund sei gewöhnlich Eifersucht gegen andre Schwarze,
die ihnen um der Herrschaft vorgezogen würden. Christen würden diese Wilden
so wie so nicht; ihr ganzes Christentum bestehe dciriu, daß sie ohne eine Spur
von Verständnis den Katechismus nachplappern, sich der katholischen Symbole
bedienen und die Kirche besuchen. Heiter sind die Neger zu jeder Zeit, während
der Zuckerfabrikation aber steigert sich ihre Lustigkeit zur Ausgelassenheit; der
Zucker, von dem sie während der Kampagne essen dürfen, so viel sie wollen,
macht sie fett, und der Rum, den sie ohne Erlaubnis stibitzen, gibt der ganzen
Plantage Schwung. Im Jahre 1(>85 hatte eine königliche Deklaration die
Rechte nud die Pflichten der Herren geregelt. (Daran hat der Verfasser nicht
gedacht, als er schrieb, die Herren seien gütig gewesen, so lange noch kein Gesetz
ihre Herrenrechte beschränkte.) Diese "vom römischen Recht, vom Christentum
und von der Humanität eingegebne" Verordnung unterwarf alle Lebeusverhült-
nisfe und Vorkommnisse bis zum Begräbnis den genausten Vorschriften. Sie
gebot, den Neger in der katholischen Religion unterrichten zu lassen, bestimmte,
heit arbeitsunfähig gewordnen Schwarzen den Unterhalt zu gewähren, so wurde
der Mensch ins Hospital aufgenommen, und der Herr hatte an dieses für jeden
Tag sechs Sous zu zahlen. Als kriminelle und diszipliuäre Strafmittel wurden
dem Herrn Fesselung. Gefängnis, Schläge, Knebel und Brandmarkung erlaubt,
aber nicht die Folter; auf Überschreitung des Züchtigungsrechts wurden Strafen
gesetzt, als höchste die Todesstrafe. Die Kreolen hatten bei ihrer natürlichen
Güte solche Gesetze gar nicht nötig. Grausamkeiten sind manchmal vorgekommen,
aber die sie verübten, waren entweder Mulatten oder neue Ankömmlinge; sie
wurden uuter dem Beifall der ganzen Kreolcnbevölkerung streng bestraft. Ab¬
gesehen von solchen einzelnen Arkaden, die übrigens in den Kolonien bei weitem
'"ehe so hänfig waren, wie während der Revolutionszeit in Frankreich, erscheint


Lügen Mouton

verkauft; die Frau besorgt den Haushalt und die Kinder. In der Nacht aber —
da ist er wieder der afrikanische Wilde. Unter geheimnisvollem Geflüster
treibt er Zaubereien, oder er feiert wilde Tanzorgien. Das ermattet ehr acht
etwa; seine Körperkraft und Elastizität sind unverwüstlich; er bedarf fast gar
keines Schlafes; er mag die Nacht durchtobt oder, was die jungen Männer
oft tun, auf einer meilenweit entfernten Plantage bei einem Mädchen zugebracht
haben, am andern Morgen sieht man ihn vollkommen frisch zur Arbert gehen.
Dabei essen die Schwarzen nicht viel und gar kein Fleisch, das mögen sie acht;
nur Pflanzenkost und Fisch, berauschen sich häufig und erreichen meistens ein
hohes Alter — in einem mörderischen Klima. „Sollten sich die Kulturmenschen
einmal durch ihre Laster umbringen, so würden die Neger die Erde muss neue
bevölkern." Die Orgien findet Mouton an sich nicht schlimm; europäische
Trunkenbolde trieben es am hellen lichten Tage nicht weniger arg als die
Neger des Nachts; was diesen Orgien einen unheimlichen Charakter perlende,
das seien die Verschwörungen, die dabei ausgeheckt würden, und deren Ergebnis
gewöhnlich die Vergiftung eines Mitsklaven oder eines Mitgliedes der.Herren¬
familie sei; der Beweggrund sei gewöhnlich Eifersucht gegen andre Schwarze,
die ihnen um der Herrschaft vorgezogen würden. Christen würden diese Wilden
so wie so nicht; ihr ganzes Christentum bestehe dciriu, daß sie ohne eine Spur
von Verständnis den Katechismus nachplappern, sich der katholischen Symbole
bedienen und die Kirche besuchen. Heiter sind die Neger zu jeder Zeit, während
der Zuckerfabrikation aber steigert sich ihre Lustigkeit zur Ausgelassenheit; der
Zucker, von dem sie während der Kampagne essen dürfen, so viel sie wollen,
macht sie fett, und der Rum, den sie ohne Erlaubnis stibitzen, gibt der ganzen
Plantage Schwung. Im Jahre 1(>85 hatte eine königliche Deklaration die
Rechte nud die Pflichten der Herren geregelt. (Daran hat der Verfasser nicht
gedacht, als er schrieb, die Herren seien gütig gewesen, so lange noch kein Gesetz
ihre Herrenrechte beschränkte.) Diese „vom römischen Recht, vom Christentum
und von der Humanität eingegebne" Verordnung unterwarf alle Lebeusverhült-
nisfe und Vorkommnisse bis zum Begräbnis den genausten Vorschriften. Sie
gebot, den Neger in der katholischen Religion unterrichten zu lassen, bestimmte,
heit arbeitsunfähig gewordnen Schwarzen den Unterhalt zu gewähren, so wurde
der Mensch ins Hospital aufgenommen, und der Herr hatte an dieses für jeden
Tag sechs Sous zu zahlen. Als kriminelle und diszipliuäre Strafmittel wurden
dem Herrn Fesselung. Gefängnis, Schläge, Knebel und Brandmarkung erlaubt,
aber nicht die Folter; auf Überschreitung des Züchtigungsrechts wurden Strafen
gesetzt, als höchste die Todesstrafe. Die Kreolen hatten bei ihrer natürlichen
Güte solche Gesetze gar nicht nötig. Grausamkeiten sind manchmal vorgekommen,
aber die sie verübten, waren entweder Mulatten oder neue Ankömmlinge; sie
wurden uuter dem Beifall der ganzen Kreolcnbevölkerung streng bestraft. Ab¬
gesehen von solchen einzelnen Arkaden, die übrigens in den Kolonien bei weitem
'"ehe so hänfig waren, wie während der Revolutionszeit in Frankreich, erscheint


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[0539] Lügen Mouton verkauft; die Frau besorgt den Haushalt und die Kinder. In der Nacht aber — da ist er wieder der afrikanische Wilde. Unter geheimnisvollem Geflüster treibt er Zaubereien, oder er feiert wilde Tanzorgien. Das ermattet ehr acht etwa; seine Körperkraft und Elastizität sind unverwüstlich; er bedarf fast gar keines Schlafes; er mag die Nacht durchtobt oder, was die jungen Männer oft tun, auf einer meilenweit entfernten Plantage bei einem Mädchen zugebracht haben, am andern Morgen sieht man ihn vollkommen frisch zur Arbert gehen. Dabei essen die Schwarzen nicht viel und gar kein Fleisch, das mögen sie acht; nur Pflanzenkost und Fisch, berauschen sich häufig und erreichen meistens ein hohes Alter — in einem mörderischen Klima. „Sollten sich die Kulturmenschen einmal durch ihre Laster umbringen, so würden die Neger die Erde muss neue bevölkern." Die Orgien findet Mouton an sich nicht schlimm; europäische Trunkenbolde trieben es am hellen lichten Tage nicht weniger arg als die Neger des Nachts; was diesen Orgien einen unheimlichen Charakter perlende, das seien die Verschwörungen, die dabei ausgeheckt würden, und deren Ergebnis gewöhnlich die Vergiftung eines Mitsklaven oder eines Mitgliedes der.Herren¬ familie sei; der Beweggrund sei gewöhnlich Eifersucht gegen andre Schwarze, die ihnen um der Herrschaft vorgezogen würden. Christen würden diese Wilden so wie so nicht; ihr ganzes Christentum bestehe dciriu, daß sie ohne eine Spur von Verständnis den Katechismus nachplappern, sich der katholischen Symbole bedienen und die Kirche besuchen. Heiter sind die Neger zu jeder Zeit, während der Zuckerfabrikation aber steigert sich ihre Lustigkeit zur Ausgelassenheit; der Zucker, von dem sie während der Kampagne essen dürfen, so viel sie wollen, macht sie fett, und der Rum, den sie ohne Erlaubnis stibitzen, gibt der ganzen Plantage Schwung. Im Jahre 1(>85 hatte eine königliche Deklaration die Rechte nud die Pflichten der Herren geregelt. (Daran hat der Verfasser nicht gedacht, als er schrieb, die Herren seien gütig gewesen, so lange noch kein Gesetz ihre Herrenrechte beschränkte.) Diese „vom römischen Recht, vom Christentum und von der Humanität eingegebne" Verordnung unterwarf alle Lebeusverhült- nisfe und Vorkommnisse bis zum Begräbnis den genausten Vorschriften. Sie gebot, den Neger in der katholischen Religion unterrichten zu lassen, bestimmte, heit arbeitsunfähig gewordnen Schwarzen den Unterhalt zu gewähren, so wurde der Mensch ins Hospital aufgenommen, und der Herr hatte an dieses für jeden Tag sechs Sous zu zahlen. Als kriminelle und diszipliuäre Strafmittel wurden dem Herrn Fesselung. Gefängnis, Schläge, Knebel und Brandmarkung erlaubt, aber nicht die Folter; auf Überschreitung des Züchtigungsrechts wurden Strafen gesetzt, als höchste die Todesstrafe. Die Kreolen hatten bei ihrer natürlichen Güte solche Gesetze gar nicht nötig. Grausamkeiten sind manchmal vorgekommen, aber die sie verübten, waren entweder Mulatten oder neue Ankömmlinge; sie wurden uuter dem Beifall der ganzen Kreolcnbevölkerung streng bestraft. Ab¬ gesehen von solchen einzelnen Arkaden, die übrigens in den Kolonien bei weitem '"ehe so hänfig waren, wie während der Revolutionszeit in Frankreich, erscheint

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/539>, abgerufen am 24.11.2024.