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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Der Marquis von lNarigny

sich ihr Hofstaat und der Apparat, der die Bestimmung hatte, ihre geheiligten
Perjvnen und ihr kostbares Leben zu schieben. Der alte Korporal Roll, in dessen
Hände" bisher die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung gelegen hatte, mußte
seine Autorität jetzt mit einem ganzen Aufgebot französischer Polizisten teilen. Die
Folge davon war, daß er jetzt noch öfter als sonst ein Extraspeziälcheu aufstand, in
den Kneipen und Tabagien "in der Bracke" ausgiebig auf das ganze fremdländische
"Saupnck" schimpfte und seinem Ärger gelegentlich mit dem Haselstocke Luft machte,
wenn er, was freilich selten genug geschah, einen der jüngern Kavaliere dabei er¬
wischte, wie er sein Reitpferd mitten durch die Beete des Hofgartens tummelte.

Ein Regent -- den" als solcher wurde der Graf vou der Provence nun von
mehreren Höfen anerkannt --, ein Regent ohne Armee Ware uudenkbnr gewesen,
und so begann man denn zu rüsten. Was den Kompagnien, die bei dieser seltsamen
Mobilmachung die Regimenter ersetzen mußten, an Stärke, Disziplin und einheit¬
licher Organisation abging, ersetzten sie durch ihre Zahl, durch den Klang ihrer
Ruinen und die Pracht der Uniformen. Da gab es vier Kompagnien königlicher
Leibgarde, je eine Kompagnie Gardes de Monsieur, Gardes d'Artois, Musketiere,
leichte Reiter und Gendarmen, ferner die Kompagnie des heiligen Ludwig, die
Knrabiniers, die Dragoner de Monsieur, d'Artois und d'Angouleme, die Ritter der
Krone und endlich eine Reihe von Kompagnien, die sich aus dem Adel der einzelnen
Provinzen rekrutierten. Der alte Marschnll vou Broglio übernahm in dieser lustigen
Armee den Oberbefehl; alte Generale traten um die Spitze der Kompagnien, von
denen übrigens manche nur auf dem Papier existierte". Mau übte sich im Fechten,
allerdings mehr mit dem Munde als mit den Waffe", man sparte für den bevor¬
stehenden Feldzug, indem man nichts mehr bar bezahlte, und entschädigte sich im
voraus für die kommenden Strapazen, indem mau die Freuden der Liebe, des
Weines und der Tafel bis auf den letzten Rest auskostete. Über die Art, wie
man die Rebellen im Vaterlande züchtigen wollte, war man nicht durchaus einig,
aber soviel stand fest: wehe den Demokraten, wenn dieses Heer von betreßter
Knaben und besternten Greisen seineu Einzug in Paris hielt!

Die kriegerische Stimmung blieb nicht ohne Einfluß auf die äußern Umstände
des Marquis vou Marigny und seines Schwiegersohns. Die Galndiners, die
Jagdfestlichkeiteu und Maskenbälle, mit deuen Clemens Wenzeslaus wohl oder übel
seinen französischen Neffen die Langeweile vertreiben mußte, stellten immer höhere
Ansprüche an die Kochkunst des alten Herrn, und da er es nicht verschmähte, sich
seine wunderbaren Leistungen wie ein echter Künstler bezahlen zu lassen, so kam
er gar nicht in die Lage, die Familienjuwelen verkaufen zu müssen. Im Gegen¬
teil: er konnte nicht nur von seiner Hände Arbeit gemächlich leben, sondern erzielte
noch ansehnliche Überschüsse. Wenn andre Sterbliche das Einstreichen des Honorars
als den annehmlichsten Teil ihrer auf Erwerb gerichteten Tätigkeit betrachten, so
war bei dem alten Aristokraten das Umgekehrte der Fall. Er kochte mit Be¬
geisterung und nahm die Röllchen neugeprägter trierischer Gulden, die ihm die
kurfürstliche Muudküchenkmnmer allmonatlich zweimal übermittelte, mit Widerstreben.
Er vermied es sogar, das Geld beim Empfange mit der Hand zu berühren und
hatte einen Modus des Einkassiereus erfunden, der wesentlich zur Beruhigung seines
aristokratischen Gewissens beitrug. Wenn der Kanzleidiener mit dem Honorar in
der Mansarde des "Englischen Grußes" erschien -- an solchen Tagen war der
Marquis zufälligerweise stets zuhause! --, lag die fertig geschriebne Quittung nebst
dem üblichen Gulden Douceur für den Boten schon auf dein Tische. Dann mußte
der Beamte, einer genau getroffnen Verabredung gemäß, ohne Mariguy zu grüßen
oder auch nur vou seiner Anwesenheit Notiz zu nehmen, die Geldrollen auf den
Tisch legen und schweigend, wie er gekommen, mit Quittung und Douceur wieder
verschwinden. War er fort, so erhob sich der Marquis, zog die Schieblade des
Tisches auf und hob diesen selbst an der entgegengesetzten Seite mit einem kräftigen
Ruck empor, daß die Rollen in die Schieblade hüpften, die dann durch einen Stoß


Der Marquis von lNarigny

sich ihr Hofstaat und der Apparat, der die Bestimmung hatte, ihre geheiligten
Perjvnen und ihr kostbares Leben zu schieben. Der alte Korporal Roll, in dessen
Hände» bisher die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung gelegen hatte, mußte
seine Autorität jetzt mit einem ganzen Aufgebot französischer Polizisten teilen. Die
Folge davon war, daß er jetzt noch öfter als sonst ein Extraspeziälcheu aufstand, in
den Kneipen und Tabagien „in der Bracke" ausgiebig auf das ganze fremdländische
„Saupnck" schimpfte und seinem Ärger gelegentlich mit dem Haselstocke Luft machte,
wenn er, was freilich selten genug geschah, einen der jüngern Kavaliere dabei er¬
wischte, wie er sein Reitpferd mitten durch die Beete des Hofgartens tummelte.

Ein Regent — den» als solcher wurde der Graf vou der Provence nun von
mehreren Höfen anerkannt —, ein Regent ohne Armee Ware uudenkbnr gewesen,
und so begann man denn zu rüsten. Was den Kompagnien, die bei dieser seltsamen
Mobilmachung die Regimenter ersetzen mußten, an Stärke, Disziplin und einheit¬
licher Organisation abging, ersetzten sie durch ihre Zahl, durch den Klang ihrer
Ruinen und die Pracht der Uniformen. Da gab es vier Kompagnien königlicher
Leibgarde, je eine Kompagnie Gardes de Monsieur, Gardes d'Artois, Musketiere,
leichte Reiter und Gendarmen, ferner die Kompagnie des heiligen Ludwig, die
Knrabiniers, die Dragoner de Monsieur, d'Artois und d'Angouleme, die Ritter der
Krone und endlich eine Reihe von Kompagnien, die sich aus dem Adel der einzelnen
Provinzen rekrutierten. Der alte Marschnll vou Broglio übernahm in dieser lustigen
Armee den Oberbefehl; alte Generale traten um die Spitze der Kompagnien, von
denen übrigens manche nur auf dem Papier existierte». Mau übte sich im Fechten,
allerdings mehr mit dem Munde als mit den Waffe«, man sparte für den bevor¬
stehenden Feldzug, indem man nichts mehr bar bezahlte, und entschädigte sich im
voraus für die kommenden Strapazen, indem mau die Freuden der Liebe, des
Weines und der Tafel bis auf den letzten Rest auskostete. Über die Art, wie
man die Rebellen im Vaterlande züchtigen wollte, war man nicht durchaus einig,
aber soviel stand fest: wehe den Demokraten, wenn dieses Heer von betreßter
Knaben und besternten Greisen seineu Einzug in Paris hielt!

Die kriegerische Stimmung blieb nicht ohne Einfluß auf die äußern Umstände
des Marquis vou Marigny und seines Schwiegersohns. Die Galndiners, die
Jagdfestlichkeiteu und Maskenbälle, mit deuen Clemens Wenzeslaus wohl oder übel
seinen französischen Neffen die Langeweile vertreiben mußte, stellten immer höhere
Ansprüche an die Kochkunst des alten Herrn, und da er es nicht verschmähte, sich
seine wunderbaren Leistungen wie ein echter Künstler bezahlen zu lassen, so kam
er gar nicht in die Lage, die Familienjuwelen verkaufen zu müssen. Im Gegen¬
teil: er konnte nicht nur von seiner Hände Arbeit gemächlich leben, sondern erzielte
noch ansehnliche Überschüsse. Wenn andre Sterbliche das Einstreichen des Honorars
als den annehmlichsten Teil ihrer auf Erwerb gerichteten Tätigkeit betrachten, so
war bei dem alten Aristokraten das Umgekehrte der Fall. Er kochte mit Be¬
geisterung und nahm die Röllchen neugeprägter trierischer Gulden, die ihm die
kurfürstliche Muudküchenkmnmer allmonatlich zweimal übermittelte, mit Widerstreben.
Er vermied es sogar, das Geld beim Empfange mit der Hand zu berühren und
hatte einen Modus des Einkassiereus erfunden, der wesentlich zur Beruhigung seines
aristokratischen Gewissens beitrug. Wenn der Kanzleidiener mit dem Honorar in
der Mansarde des „Englischen Grußes" erschien — an solchen Tagen war der
Marquis zufälligerweise stets zuhause! —, lag die fertig geschriebne Quittung nebst
dem üblichen Gulden Douceur für den Boten schon auf dein Tische. Dann mußte
der Beamte, einer genau getroffnen Verabredung gemäß, ohne Mariguy zu grüßen
oder auch nur vou seiner Anwesenheit Notiz zu nehmen, die Geldrollen auf den
Tisch legen und schweigend, wie er gekommen, mit Quittung und Douceur wieder
verschwinden. War er fort, so erhob sich der Marquis, zog die Schieblade des
Tisches auf und hob diesen selbst an der entgegengesetzten Seite mit einem kräftigen
Ruck empor, daß die Rollen in die Schieblade hüpften, die dann durch einen Stoß


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[0053] Der Marquis von lNarigny sich ihr Hofstaat und der Apparat, der die Bestimmung hatte, ihre geheiligten Perjvnen und ihr kostbares Leben zu schieben. Der alte Korporal Roll, in dessen Hände» bisher die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung gelegen hatte, mußte seine Autorität jetzt mit einem ganzen Aufgebot französischer Polizisten teilen. Die Folge davon war, daß er jetzt noch öfter als sonst ein Extraspeziälcheu aufstand, in den Kneipen und Tabagien „in der Bracke" ausgiebig auf das ganze fremdländische „Saupnck" schimpfte und seinem Ärger gelegentlich mit dem Haselstocke Luft machte, wenn er, was freilich selten genug geschah, einen der jüngern Kavaliere dabei er¬ wischte, wie er sein Reitpferd mitten durch die Beete des Hofgartens tummelte. Ein Regent — den» als solcher wurde der Graf vou der Provence nun von mehreren Höfen anerkannt —, ein Regent ohne Armee Ware uudenkbnr gewesen, und so begann man denn zu rüsten. Was den Kompagnien, die bei dieser seltsamen Mobilmachung die Regimenter ersetzen mußten, an Stärke, Disziplin und einheit¬ licher Organisation abging, ersetzten sie durch ihre Zahl, durch den Klang ihrer Ruinen und die Pracht der Uniformen. Da gab es vier Kompagnien königlicher Leibgarde, je eine Kompagnie Gardes de Monsieur, Gardes d'Artois, Musketiere, leichte Reiter und Gendarmen, ferner die Kompagnie des heiligen Ludwig, die Knrabiniers, die Dragoner de Monsieur, d'Artois und d'Angouleme, die Ritter der Krone und endlich eine Reihe von Kompagnien, die sich aus dem Adel der einzelnen Provinzen rekrutierten. Der alte Marschnll vou Broglio übernahm in dieser lustigen Armee den Oberbefehl; alte Generale traten um die Spitze der Kompagnien, von denen übrigens manche nur auf dem Papier existierte». Mau übte sich im Fechten, allerdings mehr mit dem Munde als mit den Waffe«, man sparte für den bevor¬ stehenden Feldzug, indem man nichts mehr bar bezahlte, und entschädigte sich im voraus für die kommenden Strapazen, indem mau die Freuden der Liebe, des Weines und der Tafel bis auf den letzten Rest auskostete. Über die Art, wie man die Rebellen im Vaterlande züchtigen wollte, war man nicht durchaus einig, aber soviel stand fest: wehe den Demokraten, wenn dieses Heer von betreßter Knaben und besternten Greisen seineu Einzug in Paris hielt! Die kriegerische Stimmung blieb nicht ohne Einfluß auf die äußern Umstände des Marquis vou Marigny und seines Schwiegersohns. Die Galndiners, die Jagdfestlichkeiteu und Maskenbälle, mit deuen Clemens Wenzeslaus wohl oder übel seinen französischen Neffen die Langeweile vertreiben mußte, stellten immer höhere Ansprüche an die Kochkunst des alten Herrn, und da er es nicht verschmähte, sich seine wunderbaren Leistungen wie ein echter Künstler bezahlen zu lassen, so kam er gar nicht in die Lage, die Familienjuwelen verkaufen zu müssen. Im Gegen¬ teil: er konnte nicht nur von seiner Hände Arbeit gemächlich leben, sondern erzielte noch ansehnliche Überschüsse. Wenn andre Sterbliche das Einstreichen des Honorars als den annehmlichsten Teil ihrer auf Erwerb gerichteten Tätigkeit betrachten, so war bei dem alten Aristokraten das Umgekehrte der Fall. Er kochte mit Be¬ geisterung und nahm die Röllchen neugeprägter trierischer Gulden, die ihm die kurfürstliche Muudküchenkmnmer allmonatlich zweimal übermittelte, mit Widerstreben. Er vermied es sogar, das Geld beim Empfange mit der Hand zu berühren und hatte einen Modus des Einkassiereus erfunden, der wesentlich zur Beruhigung seines aristokratischen Gewissens beitrug. Wenn der Kanzleidiener mit dem Honorar in der Mansarde des „Englischen Grußes" erschien — an solchen Tagen war der Marquis zufälligerweise stets zuhause! —, lag die fertig geschriebne Quittung nebst dem üblichen Gulden Douceur für den Boten schon auf dein Tische. Dann mußte der Beamte, einer genau getroffnen Verabredung gemäß, ohne Mariguy zu grüßen oder auch nur vou seiner Anwesenheit Notiz zu nehmen, die Geldrollen auf den Tisch legen und schweigend, wie er gekommen, mit Quittung und Douceur wieder verschwinden. War er fort, so erhob sich der Marquis, zog die Schieblade des Tisches auf und hob diesen selbst an der entgegengesetzten Seite mit einem kräftigen Ruck empor, daß die Rollen in die Schieblade hüpften, die dann durch einen Stoß

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/53>, abgerufen am 26.11.2024.