Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.Rußland in vorderasien russisches Heer seinen Fuß hinsetzt, schafft es keine Hörigen, sondern russische Diesen wesentlichsten Unterschied zwischen der Kolonisation Rußlands und Bei der Betrachtung russischer Kolonisation in Vorderasien unterscheiden In Turkestan bestand neben der ansässigen Bevölkerung der Sarten eine Mit diesem durchgreifenden Vorgehn von Geol Tepe haben die Russen Rußland in vorderasien russisches Heer seinen Fuß hinsetzt, schafft es keine Hörigen, sondern russische Diesen wesentlichsten Unterschied zwischen der Kolonisation Rußlands und Bei der Betrachtung russischer Kolonisation in Vorderasien unterscheiden In Turkestan bestand neben der ansässigen Bevölkerung der Sarten eine Mit diesem durchgreifenden Vorgehn von Geol Tepe haben die Russen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0522" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/241736"/> <fw type="header" place="top"> Rußland in vorderasien</fw><lb/> <p xml:id="ID_2091" prev="#ID_2090"> russisches Heer seinen Fuß hinsetzt, schafft es keine Hörigen, sondern russische<lb/> Bürger." Diese Worte sind übertrieben, aber sie bezeichnen doch im Grunde<lb/> zutreffend die Art, wie in Asien der russische Staat seinem neugewonnenen<lb/> Gebiete gegenübertritt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2092"> Diesen wesentlichsten Unterschied zwischen der Kolonisation Rußlands und<lb/> der andrer Nationen muß man sich immer vor Augen halten, wenn man die<lb/> eigentümliche Stärke des russischen Fortschreitens in Asien, die innern Gründe<lb/> seiner Erfolge in den gewonnenen Gebieten erfassen will.</p><lb/> <p xml:id="ID_2093"> Bei der Betrachtung russischer Kolonisation in Vorderasien unterscheiden<lb/> sich scharf zwei Gebiete: das Land östlich und das westlich von dem Kaspischen<lb/> Meere, Turkestan und Transkaukasien. In diesen beiden Gebieten hat die<lb/> russische Kulturarbeit unter ganz verschiednen Verhältnissen begonnen. Sie<lb/> fand in Turkestan ein Land von reicher Produktionsfähigkeit, in der ansässigen<lb/> Bevölkerung der Sarten einen tüchtigen Stamm von Arbeitern. In Trans¬<lb/> kaukasien bietet das Land zum Teil nur geringen Ertrag; da, wo Klima und<lb/> Bewässerung einen gesteigerte:: Anbau zulassen, an den Hängen des Kaukasus,<lb/> sind die Verbindungen so ungünstig, daß eine lohnende Ausbeute ausgeschlossen<lb/> ist. Die Bevölkerung endlich ist teils indolent, wie die Georgier, teils zum<lb/> Landbau ungeeignet, wie die Armenier. So ist in beiden Gebieten die Grund¬<lb/> lage der russischen Arbeit eine andre; verschieden muß sie sich betätigen, und<lb/> ich werde versuchen auszuführen, wie uns auf der einen Seite, in Turkestnn,<lb/> die außerordentliche Leistungsfähigkeit der Russen im Kolonisieren, auf der<lb/> andern, in Transkaukasien, die Begrenztheit ihrer Fähigkeiten entgegentritt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2094"> In Turkestan bestand neben der ansässigen Bevölkerung der Sarten eine<lb/> zweite, die nomadischen Stämme der Turkmenen in den Steppen zwischen dem<lb/> Kaspi und dem Ann-Darja, die für jede Kulturarbeit unverwendbar waren-<lb/> Bis zu ihrer Unterwerfung durch die Russen waren die Turkmenen eine furcht¬<lb/> bare Plage für die benachbarten persischen Grenzgebiete. Bis weit nach<lb/> Chorassan hinein gingen ihre Raubzüge; wen sie nicht als Gefangnen mit¬<lb/> schleppten, dem wurden Hände und Füße abgehackt. Gegen Ende der siebziger<lb/> Jahre sollen über hunderttausend Perser in turkmenischer Gefangenschaft ge¬<lb/> legen haben. Diesem Treiben haben die Russen unter Skobelew nach mehr¬<lb/> maligen Mißerfolgen mit der Eroberung von Geol Tepe im Jahre 1382 ein<lb/> Ende gemacht. Wieviel Menschen beim Sturme auf die Festung eigentlich<lb/> niedergemetzelt wurden, hat man nicht erfahren. Amtlich zugestanden wurden<lb/> von den Russen sechstausend. Damals ging eine große Entrüstung über diese<lb/> russische Barbarei durch die westeuropäische Welt. Wenn mau aber heute in<lb/> der Wüste von Merw dem Turüneuen begegnet, mit dem unbeschreiblichen<lb/> Ausdruck von Hinterlist und Grausamkeit in den Angen, so kann man sich<lb/> nur schwer des wenig humanen Gedankens erwehren: je mehr von diesen Ge¬<lb/> sellen im Feuer der Kosaken liegen blieben, desto besser für die Menschheit.</p><lb/> <p xml:id="ID_2095" next="#ID_2096"> Mit diesem durchgreifenden Vorgehn von Geol Tepe haben die Russen<lb/> ein Resultat erreicht, das weit über den lokalen Erfolg hinaus wirkte. Nicht<lb/> nur, daß sich die Turkmenen von Merw ohne einen Flintenschuß ergaben; bis<lb/> weit nach Persien und in die asiatische Türkei hinein wirkte die Kunde. Ich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0522]
Rußland in vorderasien
russisches Heer seinen Fuß hinsetzt, schafft es keine Hörigen, sondern russische
Bürger." Diese Worte sind übertrieben, aber sie bezeichnen doch im Grunde
zutreffend die Art, wie in Asien der russische Staat seinem neugewonnenen
Gebiete gegenübertritt.
Diesen wesentlichsten Unterschied zwischen der Kolonisation Rußlands und
der andrer Nationen muß man sich immer vor Augen halten, wenn man die
eigentümliche Stärke des russischen Fortschreitens in Asien, die innern Gründe
seiner Erfolge in den gewonnenen Gebieten erfassen will.
Bei der Betrachtung russischer Kolonisation in Vorderasien unterscheiden
sich scharf zwei Gebiete: das Land östlich und das westlich von dem Kaspischen
Meere, Turkestan und Transkaukasien. In diesen beiden Gebieten hat die
russische Kulturarbeit unter ganz verschiednen Verhältnissen begonnen. Sie
fand in Turkestan ein Land von reicher Produktionsfähigkeit, in der ansässigen
Bevölkerung der Sarten einen tüchtigen Stamm von Arbeitern. In Trans¬
kaukasien bietet das Land zum Teil nur geringen Ertrag; da, wo Klima und
Bewässerung einen gesteigerte:: Anbau zulassen, an den Hängen des Kaukasus,
sind die Verbindungen so ungünstig, daß eine lohnende Ausbeute ausgeschlossen
ist. Die Bevölkerung endlich ist teils indolent, wie die Georgier, teils zum
Landbau ungeeignet, wie die Armenier. So ist in beiden Gebieten die Grund¬
lage der russischen Arbeit eine andre; verschieden muß sie sich betätigen, und
ich werde versuchen auszuführen, wie uns auf der einen Seite, in Turkestnn,
die außerordentliche Leistungsfähigkeit der Russen im Kolonisieren, auf der
andern, in Transkaukasien, die Begrenztheit ihrer Fähigkeiten entgegentritt.
In Turkestan bestand neben der ansässigen Bevölkerung der Sarten eine
zweite, die nomadischen Stämme der Turkmenen in den Steppen zwischen dem
Kaspi und dem Ann-Darja, die für jede Kulturarbeit unverwendbar waren-
Bis zu ihrer Unterwerfung durch die Russen waren die Turkmenen eine furcht¬
bare Plage für die benachbarten persischen Grenzgebiete. Bis weit nach
Chorassan hinein gingen ihre Raubzüge; wen sie nicht als Gefangnen mit¬
schleppten, dem wurden Hände und Füße abgehackt. Gegen Ende der siebziger
Jahre sollen über hunderttausend Perser in turkmenischer Gefangenschaft ge¬
legen haben. Diesem Treiben haben die Russen unter Skobelew nach mehr¬
maligen Mißerfolgen mit der Eroberung von Geol Tepe im Jahre 1382 ein
Ende gemacht. Wieviel Menschen beim Sturme auf die Festung eigentlich
niedergemetzelt wurden, hat man nicht erfahren. Amtlich zugestanden wurden
von den Russen sechstausend. Damals ging eine große Entrüstung über diese
russische Barbarei durch die westeuropäische Welt. Wenn mau aber heute in
der Wüste von Merw dem Turüneuen begegnet, mit dem unbeschreiblichen
Ausdruck von Hinterlist und Grausamkeit in den Angen, so kann man sich
nur schwer des wenig humanen Gedankens erwehren: je mehr von diesen Ge¬
sellen im Feuer der Kosaken liegen blieben, desto besser für die Menschheit.
Mit diesem durchgreifenden Vorgehn von Geol Tepe haben die Russen
ein Resultat erreicht, das weit über den lokalen Erfolg hinaus wirkte. Nicht
nur, daß sich die Turkmenen von Merw ohne einen Flintenschuß ergaben; bis
weit nach Persien und in die asiatische Türkei hinein wirkte die Kunde. Ich
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