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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Aus der Jugendzeit

stand ein großer, viereckiger Eßtisch, zwischen ihm und dem Fenster eine mit weißer
Ölfarbe gestrichne Bank ohne Lehne und eine ebensolche an der Wand nach der
Küche zu. Bei Tisch saßen die Mägde und wir Kinder auf den beiden Banken.
An den andern beiden Seiten des Tisches saßen auf birknen Rohrstühlen die Eltern
und die auswärtigen Schüler des Gymnasiums, denen mein Vater einen Freitisch
gewährte. An zwei oder drei Tagen der Woche, zuweilen auch noch öfter, kam
ein solcher Schüler bei uns zu Tisch. Es waren immer Söhne von Landgeist-
ltchen oder Lehrern, denen auf diese Weise die Möglichkeit gewährt wurde, sich in
anständigen Familien durchmessen. Eine schöne und wertvolle Mildtätigkeit, die
für wohlhabende Bürgerhäuser in Quedlinburg damals so ziemlich als selbstverständ¬
lich galt. Davon wurde nicht das mindeste Aufheben gemacht. Daß die Mägde
mit am Tisch aßen, war alt hergebracht. Meine zweite Mutter stellte es aber bald
ab. Diese Tischgemeinschaft mit dem Gesinde hatte ihre nützlichen und guten Seiten,
kam aber allmählich mehr und mehr anßer Gebrauch. Gegessen wurde von blank
geputzten Zinntellern, deren wir eine große Menge besaßen. Auf die Mitte des
Tellers war ein blankes Kreuz gescheuert, Wohl weniger als Symbol als zum
Schmuck. Nur die Suppe wurde von schlichten, Weißen Porzellantellern gegessen.
Eltern, Kinder und Freitischschüler aßen mit silbernen Löffeln, die Dienstboten mit
Zinnlöffeln. Messer und Gabeln waren von Stahl mit schwarzen Holzgriffen.
Einen Braten gab es zu Mittag äußerst selten. Das Essen war aber schmackhaft
und kräftig. Die Zeit des Mittagessens war pünktlich um zwölf Uhr. Abends
aßen die Dienstboten nicht mit uns am Tische. Auch das Abendessen bestand regel¬
mäßig in einem warmen Gericht, einer Eierspeise, Kartoffeln in der Schale mit
einer entsprechenden Zukost oder auch gebratnem Fleisch. Nur des Sonntags kamen
die Dienstboten auch Abends zum Essen. Dann gab es immer einen Braten zum
Abendessen, den die Mutter vorschritt und verteilte. Diese einfache, gute Ernährung
hat sicherlich viel zu meiner gesunden körperlichen Entwicklung beigetragen. Ge¬
trunken wurde bei Tisch überhaupt uicht, weder Wein, noch Bier, noch Wasser.
Dagegen gab es Abends nach Tisch ein Glas leichten Braunbiers oder Broihcms.
Zum zweiten Frühstück oder Nachmittags zum sogenannten Viertemahl (Vesper¬
oder Vieruhrbrot) bekamen wir ein einfaches Butter- oder Schmalzbrot. Belegte
Butterbrode galten als "doppelte Fourage" und als ungehöriger Luxus. War ein¬
mal keine Butter zur Hand, so gab es auch wohl ein einfaches Stück Schwarzbrot,
das mit Salz bestreut war. Dazu sagte die Mutter dann zur Ermunterung jedes¬
mal: "Salz und Brot macht die Backen rot." Manche unsrer Spielkameraden
setzten zwar hinzu: "Aber Butterbröter machen sie noch röter"; allein uns schmeckte
auch Salz und Brot ganz prächtig, und nie haben wir uns über schmale Kost anch
nur andeutend eine Klage erlaubt.

Für den Besuch von Honoratioren hatte mein Vater immer einen mäßigen
Vorrat guten, sogenannten Weißen Franzweins (Haut Sauterue) oder anch roten
Bordeauxweins im Keller. Er bezog ihn von der Weinhandlung Pappe'e und
Buschoff in Braunschweig. Alljährlich einmal stellte sich Herr Buschoff persönlich
bei uns ein, um sich seine Bestellung abzuholen. Er war mit einer Quedlinburgerin
verheiratet, nannte aus diesem Grunde, obwohl die Verwandtschaft kaum noch fest¬
zustellen war, meinen Vater "Herr Vetter" und war der Typus eines elegant ge¬
kleideten, etwas überhöflichen Geschäftsreisenden. Einmal war später auch davon
die Rede, daß ich als Lehrling in sein Geschäft eintreten und Weinhändler werden
sollte. Ich hatte aber keine Lust dazu. Als ich ungefähr elf Jahre alt war, nahm
mein Vater mich einmal mit auf eine Geschäftsreise. Sie führte uns anch nach
Braunschweig, wo wir Herrn Buschoff besuchten. Seine luxuriös ausgestattete
Wohnung machte auf mich einen imponierender Eindruck. Er ging damals mit
uns in das herzogliche Hoftheater. Ich entsinne mich aber nicht einmal mehr,
welches Stück gegeben wurde. Jedenfalls habe ich aber einen tiefern Eindruck
davon mitgenommen.


Aus der Jugendzeit

stand ein großer, viereckiger Eßtisch, zwischen ihm und dem Fenster eine mit weißer
Ölfarbe gestrichne Bank ohne Lehne und eine ebensolche an der Wand nach der
Küche zu. Bei Tisch saßen die Mägde und wir Kinder auf den beiden Banken.
An den andern beiden Seiten des Tisches saßen auf birknen Rohrstühlen die Eltern
und die auswärtigen Schüler des Gymnasiums, denen mein Vater einen Freitisch
gewährte. An zwei oder drei Tagen der Woche, zuweilen auch noch öfter, kam
ein solcher Schüler bei uns zu Tisch. Es waren immer Söhne von Landgeist-
ltchen oder Lehrern, denen auf diese Weise die Möglichkeit gewährt wurde, sich in
anständigen Familien durchmessen. Eine schöne und wertvolle Mildtätigkeit, die
für wohlhabende Bürgerhäuser in Quedlinburg damals so ziemlich als selbstverständ¬
lich galt. Davon wurde nicht das mindeste Aufheben gemacht. Daß die Mägde
mit am Tisch aßen, war alt hergebracht. Meine zweite Mutter stellte es aber bald
ab. Diese Tischgemeinschaft mit dem Gesinde hatte ihre nützlichen und guten Seiten,
kam aber allmählich mehr und mehr anßer Gebrauch. Gegessen wurde von blank
geputzten Zinntellern, deren wir eine große Menge besaßen. Auf die Mitte des
Tellers war ein blankes Kreuz gescheuert, Wohl weniger als Symbol als zum
Schmuck. Nur die Suppe wurde von schlichten, Weißen Porzellantellern gegessen.
Eltern, Kinder und Freitischschüler aßen mit silbernen Löffeln, die Dienstboten mit
Zinnlöffeln. Messer und Gabeln waren von Stahl mit schwarzen Holzgriffen.
Einen Braten gab es zu Mittag äußerst selten. Das Essen war aber schmackhaft
und kräftig. Die Zeit des Mittagessens war pünktlich um zwölf Uhr. Abends
aßen die Dienstboten nicht mit uns am Tische. Auch das Abendessen bestand regel¬
mäßig in einem warmen Gericht, einer Eierspeise, Kartoffeln in der Schale mit
einer entsprechenden Zukost oder auch gebratnem Fleisch. Nur des Sonntags kamen
die Dienstboten auch Abends zum Essen. Dann gab es immer einen Braten zum
Abendessen, den die Mutter vorschritt und verteilte. Diese einfache, gute Ernährung
hat sicherlich viel zu meiner gesunden körperlichen Entwicklung beigetragen. Ge¬
trunken wurde bei Tisch überhaupt uicht, weder Wein, noch Bier, noch Wasser.
Dagegen gab es Abends nach Tisch ein Glas leichten Braunbiers oder Broihcms.
Zum zweiten Frühstück oder Nachmittags zum sogenannten Viertemahl (Vesper¬
oder Vieruhrbrot) bekamen wir ein einfaches Butter- oder Schmalzbrot. Belegte
Butterbrode galten als „doppelte Fourage" und als ungehöriger Luxus. War ein¬
mal keine Butter zur Hand, so gab es auch wohl ein einfaches Stück Schwarzbrot,
das mit Salz bestreut war. Dazu sagte die Mutter dann zur Ermunterung jedes¬
mal: „Salz und Brot macht die Backen rot." Manche unsrer Spielkameraden
setzten zwar hinzu: „Aber Butterbröter machen sie noch röter"; allein uns schmeckte
auch Salz und Brot ganz prächtig, und nie haben wir uns über schmale Kost anch
nur andeutend eine Klage erlaubt.

Für den Besuch von Honoratioren hatte mein Vater immer einen mäßigen
Vorrat guten, sogenannten Weißen Franzweins (Haut Sauterue) oder anch roten
Bordeauxweins im Keller. Er bezog ihn von der Weinhandlung Pappe'e und
Buschoff in Braunschweig. Alljährlich einmal stellte sich Herr Buschoff persönlich
bei uns ein, um sich seine Bestellung abzuholen. Er war mit einer Quedlinburgerin
verheiratet, nannte aus diesem Grunde, obwohl die Verwandtschaft kaum noch fest¬
zustellen war, meinen Vater „Herr Vetter" und war der Typus eines elegant ge¬
kleideten, etwas überhöflichen Geschäftsreisenden. Einmal war später auch davon
die Rede, daß ich als Lehrling in sein Geschäft eintreten und Weinhändler werden
sollte. Ich hatte aber keine Lust dazu. Als ich ungefähr elf Jahre alt war, nahm
mein Vater mich einmal mit auf eine Geschäftsreise. Sie führte uns anch nach
Braunschweig, wo wir Herrn Buschoff besuchten. Seine luxuriös ausgestattete
Wohnung machte auf mich einen imponierender Eindruck. Er ging damals mit
uns in das herzogliche Hoftheater. Ich entsinne mich aber nicht einmal mehr,
welches Stück gegeben wurde. Jedenfalls habe ich aber einen tiefern Eindruck
davon mitgenommen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/430>, abgerufen am 01.09.2024.