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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache

dcutschland, wo es auch als Schimpfwort gebraucht wird, noch seine Grundbe¬
deutung bewahrt (daher auch: "sich jabjrackefrül" im Sinne von "eine mühselige
Arbeit verrichten, sich fabjschinden"), diese im ganzen aber doch schon so ab¬
geschwächt, daß es sogar als Bezeichnung für ein junges Mädchen vorkommt,
um deren Findigkeit, ja unwiderstehlichen Reiz auszudrücken. Die Bezeichnung
"Schelm" aber ist vollends jetzt fast nur noch als Kosename gebräuchlich,
und doch bedeutete gerade dieses Wort (echt. seal-no, ahd. Schelms) ursprünglich
soviel wie -- Aas, totes (geschnndnes) Vieh, auch Seuche (Grundbedeutung
vielleicht Geschnittenes, Getrenntes, abzuleiten von der Wurzel stak, schueideii,
trennen, vergl.: Schale). Hierdurch wird auch die Benennung des Abdeckers
als "Schelmenschinder" verständlich. Im Laufe der Zeit wurde dann
"Schelm" ähnlich wie noch heute Aas, Luder und andre Worte vielfach als
Schimpfname für Personen gebraucht und erhielt dadurch die Nebenbedeutung
eines gemeinen, namentlich betrügerischen Mensche", Diesen Sinn hat
das Wort unter andern in dem "Schelmenschelten" des ältern Rechts, in
der uns noch jetzt verständlichen Redensart: "Du sollst mich einen Schelm
heißen" (wenn ich dies oder das tue) und in dem Sprichwort: "Ein Schelm
gibt mehr, als er hat." Kein Wunder also, daß mau als Schelm einst
auch den Nachrichter selbst bezeichnete (vergl,: "Der Schelm von Bergen" bei
Simrock und Heine), Von da aus hat dann das Wort endlich in neuerer
Zeit unter dem Einflüsse der volkstümliche", derb scherzhaften Redeweise seine
Bedeutung immer mehr gemildert, bis es (ebenso wie Schalk) geradezu zu einem
Kosenamen für einen harmlos neckenden, "schalkhaften" Menschen geworden ist.

Beachtenswert ist es, daß das Wort Schelm in dein Sinne, den es auf
der zweiten Stufe seiner Entwicklung hatte (gemeiner Mensch, Schurke), in
früherer Zeit auch für den verurteilten Missetäter vorkommt. Wenn dieser nach
älteren Sprachgebrauch daher als "armer Schelm" ("armer Mensch," "armer
Sünder" oder auch wohl bloß der "Arme") bezeichnet wird, so ist das keines¬
wegs -- wie wir heute vielleicht annehmen möchten -- als ein vom Mitleid
für die bevorstehenden Qualen des Bedauernswerten diktierter Ausdruck auf¬
zufassen, denn auch das Eigenschaftswort "arm" bedeutet in dieser Verbindung
nur soviel wie "von der Rechtsgemeinschaft ausgeschlossen." Der "arme
Sünder" aber, der z. B. noch in dem österreichischen, unter Maria Theresia
erlassenen Strafgesetzbuch von 1768 als juristische Bezeichnung des verurteilten
Delinquenten vorkommt, ist auch unsrer Volksrede noch jetzt ziemlich geläufig
geblieben, namentlich in zusammengesetzten Formen, wie die "Armesünder¬
miene" ("Armesündergesicht") und das "Armesünderglöcklein," dessen
Läuten bei Hinrichtungen z. B. noch ausdrücklich im preußische" Strafgesetz¬
buch von 1851 vorgeschrieben war und altem Herkommen gemäß Wohl jetzt
noch stattfindet, ferner die "Armesünderzelle," die den Todeskandidaten in der
letzten Nacht beherbergt, der "Armesünderstuhl" oder die "Armesünder¬
bank" u. a, in. Auf den letzten Gang eines solchen armen Sünders zur Richt-
stüttc oder zum "Rabenstein" (so genannt nach den vielen Naben, die sich
bentelauernd dort aufzuhalten pflegten) soll sich nach einer Meinung, die manches
für sich zu haben scheint, eine ihrem Ursprünge nach sonst noch bestrittene
Redensart unsrer Sprache beziehen, nämlich: "Manschetten vor etwas
haben." Denn dabei hat man wohl nicht an unser heutiges Kleidungsstück
oder an die einst beim Kampfe der Fechter gebrauchten Manschetten (mMeüottczs
et"z" botto") zu denken, sondern die Manschetten, die wahre Todesangst, das
wahre "Manschettenfieber" erzeugten, dürften "die Handschellen" gewesen
sein, die der Henker dem armen Sünder auf seinem Gange zum NichtPlatz anlegte.
Unterstützung findet diese Ansicht auch dadurch, daß es im Althochdeutscheu für
die Handschellen ein Wort mannlin, gab, eine Umbildung des lateinischen
ramea, das unsrer Sprache später wieder abhanden gekommen ist, während


Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache

dcutschland, wo es auch als Schimpfwort gebraucht wird, noch seine Grundbe¬
deutung bewahrt (daher auch: „sich jabjrackefrül" im Sinne von „eine mühselige
Arbeit verrichten, sich fabjschinden"), diese im ganzen aber doch schon so ab¬
geschwächt, daß es sogar als Bezeichnung für ein junges Mädchen vorkommt,
um deren Findigkeit, ja unwiderstehlichen Reiz auszudrücken. Die Bezeichnung
„Schelm" aber ist vollends jetzt fast nur noch als Kosename gebräuchlich,
und doch bedeutete gerade dieses Wort (echt. seal-no, ahd. Schelms) ursprünglich
soviel wie — Aas, totes (geschnndnes) Vieh, auch Seuche (Grundbedeutung
vielleicht Geschnittenes, Getrenntes, abzuleiten von der Wurzel stak, schueideii,
trennen, vergl.: Schale). Hierdurch wird auch die Benennung des Abdeckers
als „Schelmenschinder" verständlich. Im Laufe der Zeit wurde dann
„Schelm" ähnlich wie noch heute Aas, Luder und andre Worte vielfach als
Schimpfname für Personen gebraucht und erhielt dadurch die Nebenbedeutung
eines gemeinen, namentlich betrügerischen Mensche», Diesen Sinn hat
das Wort unter andern in dem „Schelmenschelten" des ältern Rechts, in
der uns noch jetzt verständlichen Redensart: „Du sollst mich einen Schelm
heißen" (wenn ich dies oder das tue) und in dem Sprichwort: „Ein Schelm
gibt mehr, als er hat." Kein Wunder also, daß mau als Schelm einst
auch den Nachrichter selbst bezeichnete (vergl,: „Der Schelm von Bergen" bei
Simrock und Heine), Von da aus hat dann das Wort endlich in neuerer
Zeit unter dem Einflüsse der volkstümliche«, derb scherzhaften Redeweise seine
Bedeutung immer mehr gemildert, bis es (ebenso wie Schalk) geradezu zu einem
Kosenamen für einen harmlos neckenden, „schalkhaften" Menschen geworden ist.

Beachtenswert ist es, daß das Wort Schelm in dein Sinne, den es auf
der zweiten Stufe seiner Entwicklung hatte (gemeiner Mensch, Schurke), in
früherer Zeit auch für den verurteilten Missetäter vorkommt. Wenn dieser nach
älteren Sprachgebrauch daher als „armer Schelm" („armer Mensch," „armer
Sünder" oder auch wohl bloß der „Arme") bezeichnet wird, so ist das keines¬
wegs — wie wir heute vielleicht annehmen möchten — als ein vom Mitleid
für die bevorstehenden Qualen des Bedauernswerten diktierter Ausdruck auf¬
zufassen, denn auch das Eigenschaftswort „arm" bedeutet in dieser Verbindung
nur soviel wie „von der Rechtsgemeinschaft ausgeschlossen." Der „arme
Sünder" aber, der z. B. noch in dem österreichischen, unter Maria Theresia
erlassenen Strafgesetzbuch von 1768 als juristische Bezeichnung des verurteilten
Delinquenten vorkommt, ist auch unsrer Volksrede noch jetzt ziemlich geläufig
geblieben, namentlich in zusammengesetzten Formen, wie die „Armesünder¬
miene" („Armesündergesicht") und das „Armesünderglöcklein," dessen
Läuten bei Hinrichtungen z. B. noch ausdrücklich im preußische» Strafgesetz¬
buch von 1851 vorgeschrieben war und altem Herkommen gemäß Wohl jetzt
noch stattfindet, ferner die „Armesünderzelle," die den Todeskandidaten in der
letzten Nacht beherbergt, der „Armesünderstuhl" oder die „Armesünder¬
bank" u. a, in. Auf den letzten Gang eines solchen armen Sünders zur Richt-
stüttc oder zum „Rabenstein" (so genannt nach den vielen Naben, die sich
bentelauernd dort aufzuhalten pflegten) soll sich nach einer Meinung, die manches
für sich zu haben scheint, eine ihrem Ursprünge nach sonst noch bestrittene
Redensart unsrer Sprache beziehen, nämlich: „Manschetten vor etwas
haben." Denn dabei hat man wohl nicht an unser heutiges Kleidungsstück
oder an die einst beim Kampfe der Fechter gebrauchten Manschetten (mMeüottczs
et«z« botto«) zu denken, sondern die Manschetten, die wahre Todesangst, das
wahre „Manschettenfieber" erzeugten, dürften „die Handschellen" gewesen
sein, die der Henker dem armen Sünder auf seinem Gange zum NichtPlatz anlegte.
Unterstützung findet diese Ansicht auch dadurch, daß es im Althochdeutscheu für
die Handschellen ein Wort mannlin, gab, eine Umbildung des lateinischen
ramea, das unsrer Sprache später wieder abhanden gekommen ist, während


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[0372] Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache dcutschland, wo es auch als Schimpfwort gebraucht wird, noch seine Grundbe¬ deutung bewahrt (daher auch: „sich jabjrackefrül" im Sinne von „eine mühselige Arbeit verrichten, sich fabjschinden"), diese im ganzen aber doch schon so ab¬ geschwächt, daß es sogar als Bezeichnung für ein junges Mädchen vorkommt, um deren Findigkeit, ja unwiderstehlichen Reiz auszudrücken. Die Bezeichnung „Schelm" aber ist vollends jetzt fast nur noch als Kosename gebräuchlich, und doch bedeutete gerade dieses Wort (echt. seal-no, ahd. Schelms) ursprünglich soviel wie — Aas, totes (geschnndnes) Vieh, auch Seuche (Grundbedeutung vielleicht Geschnittenes, Getrenntes, abzuleiten von der Wurzel stak, schueideii, trennen, vergl.: Schale). Hierdurch wird auch die Benennung des Abdeckers als „Schelmenschinder" verständlich. Im Laufe der Zeit wurde dann „Schelm" ähnlich wie noch heute Aas, Luder und andre Worte vielfach als Schimpfname für Personen gebraucht und erhielt dadurch die Nebenbedeutung eines gemeinen, namentlich betrügerischen Mensche», Diesen Sinn hat das Wort unter andern in dem „Schelmenschelten" des ältern Rechts, in der uns noch jetzt verständlichen Redensart: „Du sollst mich einen Schelm heißen" (wenn ich dies oder das tue) und in dem Sprichwort: „Ein Schelm gibt mehr, als er hat." Kein Wunder also, daß mau als Schelm einst auch den Nachrichter selbst bezeichnete (vergl,: „Der Schelm von Bergen" bei Simrock und Heine), Von da aus hat dann das Wort endlich in neuerer Zeit unter dem Einflüsse der volkstümliche«, derb scherzhaften Redeweise seine Bedeutung immer mehr gemildert, bis es (ebenso wie Schalk) geradezu zu einem Kosenamen für einen harmlos neckenden, „schalkhaften" Menschen geworden ist. Beachtenswert ist es, daß das Wort Schelm in dein Sinne, den es auf der zweiten Stufe seiner Entwicklung hatte (gemeiner Mensch, Schurke), in früherer Zeit auch für den verurteilten Missetäter vorkommt. Wenn dieser nach älteren Sprachgebrauch daher als „armer Schelm" („armer Mensch," „armer Sünder" oder auch wohl bloß der „Arme") bezeichnet wird, so ist das keines¬ wegs — wie wir heute vielleicht annehmen möchten — als ein vom Mitleid für die bevorstehenden Qualen des Bedauernswerten diktierter Ausdruck auf¬ zufassen, denn auch das Eigenschaftswort „arm" bedeutet in dieser Verbindung nur soviel wie „von der Rechtsgemeinschaft ausgeschlossen." Der „arme Sünder" aber, der z. B. noch in dem österreichischen, unter Maria Theresia erlassenen Strafgesetzbuch von 1768 als juristische Bezeichnung des verurteilten Delinquenten vorkommt, ist auch unsrer Volksrede noch jetzt ziemlich geläufig geblieben, namentlich in zusammengesetzten Formen, wie die „Armesünder¬ miene" („Armesündergesicht") und das „Armesünderglöcklein," dessen Läuten bei Hinrichtungen z. B. noch ausdrücklich im preußische» Strafgesetz¬ buch von 1851 vorgeschrieben war und altem Herkommen gemäß Wohl jetzt noch stattfindet, ferner die „Armesünderzelle," die den Todeskandidaten in der letzten Nacht beherbergt, der „Armesünderstuhl" oder die „Armesünder¬ bank" u. a, in. Auf den letzten Gang eines solchen armen Sünders zur Richt- stüttc oder zum „Rabenstein" (so genannt nach den vielen Naben, die sich bentelauernd dort aufzuhalten pflegten) soll sich nach einer Meinung, die manches für sich zu haben scheint, eine ihrem Ursprünge nach sonst noch bestrittene Redensart unsrer Sprache beziehen, nämlich: „Manschetten vor etwas haben." Denn dabei hat man wohl nicht an unser heutiges Kleidungsstück oder an die einst beim Kampfe der Fechter gebrauchten Manschetten (mMeüottczs et«z« botto«) zu denken, sondern die Manschetten, die wahre Todesangst, das wahre „Manschettenfieber" erzeugten, dürften „die Handschellen" gewesen sein, die der Henker dem armen Sünder auf seinem Gange zum NichtPlatz anlegte. Unterstützung findet diese Ansicht auch dadurch, daß es im Althochdeutscheu für die Handschellen ein Wort mannlin, gab, eine Umbildung des lateinischen ramea, das unsrer Sprache später wieder abhanden gekommen ist, während

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/372>, abgerufen am 01.09.2024.