Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache Vogelfrei erklären" (d. h. ihn verrufen, aus der Gesellschaft ausstoßen) Wohl Grenzboten III 1903 4"
Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache Vogelfrei erklären" (d. h. ihn verrufen, aus der Gesellschaft ausstoßen) Wohl Grenzboten III 1903 4»
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0369" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/241583"/> <fw type="header" place="top"> Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache</fw><lb/> <p xml:id="ID_1430" prev="#ID_1429" next="#ID_1431"> Vogelfrei erklären" (d. h. ihn verrufen, aus der Gesellschaft ausstoßen) Wohl<lb/> nicht mit Unrecht einen Zusammenhang erkennen wollen mit der uralten Strafe<lb/> der Friedlosigkeit, die bei den Germanen anfangs die regelmäßige Folge der<lb/> schwersten — als „Fricdcnsbrüche" aufgefaßten — Missetaten war. Ein<lb/> solcher Friedloser wurde nicht nnr abgeschlossen aus der Friedens- und<lb/> Rechtsgemeinschaft, er konnte, ja er sollte auch als Feind des Volks von<lb/> jedermann straflos getötet werden, wie das wilde Tier, der Wolf im Walde,<lb/> weshalb für ihn auch wohl die Ausdrücke Waldgängcr (angels. v^v-MMriM, im<lb/> salfräuk. Gesehen „Iwino, ari por silvsz» og.<lit") und Wolf (aient. varg-r, got.<lb/> vaiM, ahd> -v^rrg', alae. ^Argas) vorkommen. Wie ein solches Wild galt auch<lb/> er, wenn er erschlagen wurde oder sonst ums Leben kam, als „g.vidu8 xsririiWns "<lb/> d- h. zur Speise preisgegeben „den Vögeln in den Lüften," also in diesem<lb/> Sinn als „vogelfrei." Bei deu weniger schweren Delikten griff in der Urzeit<lb/> zunächst die Privatrache (Fehde) des Verletzten Platz, die aber im Laufe der<lb/> Zeiten immer mehr durch die Zulässigkeit einer Sühne, die Erlegung einer<lb/> Buße an den Verletzten oder seine Sippegeuvssen zurückgedrängt wurde. Wie<lb/> schou das Wort „Buße (althd. KuoW, ahd. rmonv) erkennen läßt, das, stamm¬<lb/> verwandt mit „baß," „besser," „best," daher auch „büßen" — ausbessern, ersetzen,<lb/> noch erhalten im „Lückenbüßer") ursprünglich so viel wie Besserung, Abhilfe<lb/> gegen etwas, dann besonders Schadenersatz, Vergütung, Geldbuße bedeutete und<lb/> erst später auch auf das sittlich-religiöse Gebiet übertragen ist, stellen sich diese<lb/> Zuwendungen des Schuldigen an die verletzte Gegenpartei als eine Verbesserung<lb/> von deren Besitz- und Vermögensverhältnissen dar. Dagegen bestanden sie<lb/> ü? der ältesten Zeit natürlich noch nicht in bestimmten Summen geprägter<lb/> Münzen — wie wir sie zur Zeit des sogenannten „Kompositionensystems" (von<lb/> vmnponvrs — „beilegen," nämlich: die Fehde) in den Volksrechten in sehr<lb/> genauer, kasuistischer Weise für die einzelnen Fülle festgesetzt finden —, sondern<lb/> in dem damals ja noch allein bekannten Zahlungsmittel, den Viehhäuptern, was<lb/> uns auch Taeitus in Kap. 12 seiner „Germania" ausdrücklich bestätigt hat<lb/> („sqnornrn pseorurnWe rnunsro ocmvivti mrilotMitiri?"). Der gewiß nicht selten<lb/> gewesene Brauch, auch die Häute geschlachteter Haustiere als Bußgeld zu ver¬<lb/> wende», mag dann vielleicht die Veranlassung zur Entstehung des Ausdrucks<lb/> „seine Haut zu Markt tragen" geworden sein, der später, als sein ursprüng¬<lb/> licher Sinn sich zu verwische» begann, auch auf die menschliche Haut übertragen<lb/> wurde. Bei Tötungen bezeichnete mau bekanntlich die Buße speziell als „Wer-<lb/> geld," d. h. den Entgelt für den Wert eines freien, wehrhaften Mannes, wörtlich<lb/> also „Manngeld," abzuleiten von ahd. ^ver, Manu (tat. vir, sanskr. v!r-i«),<lb/> das auch in dem Worte „Welt" (ahd. -veralt, ahd. ^verlr, engl. porta, eigentlich<lb/> — Mannes- oder Menschenalter, dann Menschengeschlecht, Menschheit, Zeitalter)<lb/> steckt und deutlicher noch in dem „Werwolf" des Volksaberglaubens (wohl<lb/> — Mannwvlf) zu erkennen ist Wenn in den mittelalterlichen Rechtsquellen zu¬<lb/> weilen auch vou einem Wergelde für getötete Haustiere die Rede ist, so kann<lb/> das freilich wohl nur durch eine Art Personifizierung dieser Tierarten erklärt<lb/> werden. Mit dem Verschwinden des Rechtsiustituts ' selbst ist unsrer Sprache<lb/> auch das Wort „Wergeld" so gut wie abhanden gekommen, dagegen hat sich<lb/> der mittelalterliche Ausdruck „Brüche" (niederd. drüks oder droks) für Gcld-<lb/> und Viehbuße bis in die Gegenwart erhalten, wenn man nämlich die Ansicht<lb/> teilt, daß unsre Redensart ,',in die Brüche gehn" (oder „kommen, fallen."<lb/> früher auch „jemand in die Brüche nehmen" strafen) hierauf und nicht viel¬<lb/> mehr auf deu uns geläufigeru „Bruch" im Gegensatze zur ganzen Zahl zurück¬<lb/> zuführen ist. Wenn Buße oder Wergeld gerichtlich eingeklagt wurden, so hatte<lb/> schon in ältester Zeit der Schuldige mich noch einen bestimmten Betrag an die<lb/> öffentliche Gewalt, und zwar zunächst als Preis für deren Eingreifen bei der<lb/> Wiederherstellung des Friedens, zu entrichte». Das war das sogenannte Friedens-</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten III 1903 4»</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0369]
Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache
Vogelfrei erklären" (d. h. ihn verrufen, aus der Gesellschaft ausstoßen) Wohl
nicht mit Unrecht einen Zusammenhang erkennen wollen mit der uralten Strafe
der Friedlosigkeit, die bei den Germanen anfangs die regelmäßige Folge der
schwersten — als „Fricdcnsbrüche" aufgefaßten — Missetaten war. Ein
solcher Friedloser wurde nicht nnr abgeschlossen aus der Friedens- und
Rechtsgemeinschaft, er konnte, ja er sollte auch als Feind des Volks von
jedermann straflos getötet werden, wie das wilde Tier, der Wolf im Walde,
weshalb für ihn auch wohl die Ausdrücke Waldgängcr (angels. v^v-MMriM, im
salfräuk. Gesehen „Iwino, ari por silvsz» og.<lit") und Wolf (aient. varg-r, got.
vaiM, ahd> -v^rrg', alae. ^Argas) vorkommen. Wie ein solches Wild galt auch
er, wenn er erschlagen wurde oder sonst ums Leben kam, als „g.vidu8 xsririiWns "
d- h. zur Speise preisgegeben „den Vögeln in den Lüften," also in diesem
Sinn als „vogelfrei." Bei deu weniger schweren Delikten griff in der Urzeit
zunächst die Privatrache (Fehde) des Verletzten Platz, die aber im Laufe der
Zeiten immer mehr durch die Zulässigkeit einer Sühne, die Erlegung einer
Buße an den Verletzten oder seine Sippegeuvssen zurückgedrängt wurde. Wie
schou das Wort „Buße (althd. KuoW, ahd. rmonv) erkennen läßt, das, stamm¬
verwandt mit „baß," „besser," „best," daher auch „büßen" — ausbessern, ersetzen,
noch erhalten im „Lückenbüßer") ursprünglich so viel wie Besserung, Abhilfe
gegen etwas, dann besonders Schadenersatz, Vergütung, Geldbuße bedeutete und
erst später auch auf das sittlich-religiöse Gebiet übertragen ist, stellen sich diese
Zuwendungen des Schuldigen an die verletzte Gegenpartei als eine Verbesserung
von deren Besitz- und Vermögensverhältnissen dar. Dagegen bestanden sie
ü? der ältesten Zeit natürlich noch nicht in bestimmten Summen geprägter
Münzen — wie wir sie zur Zeit des sogenannten „Kompositionensystems" (von
vmnponvrs — „beilegen," nämlich: die Fehde) in den Volksrechten in sehr
genauer, kasuistischer Weise für die einzelnen Fülle festgesetzt finden —, sondern
in dem damals ja noch allein bekannten Zahlungsmittel, den Viehhäuptern, was
uns auch Taeitus in Kap. 12 seiner „Germania" ausdrücklich bestätigt hat
(„sqnornrn pseorurnWe rnunsro ocmvivti mrilotMitiri?"). Der gewiß nicht selten
gewesene Brauch, auch die Häute geschlachteter Haustiere als Bußgeld zu ver¬
wende», mag dann vielleicht die Veranlassung zur Entstehung des Ausdrucks
„seine Haut zu Markt tragen" geworden sein, der später, als sein ursprüng¬
licher Sinn sich zu verwische» begann, auch auf die menschliche Haut übertragen
wurde. Bei Tötungen bezeichnete mau bekanntlich die Buße speziell als „Wer-
geld," d. h. den Entgelt für den Wert eines freien, wehrhaften Mannes, wörtlich
also „Manngeld," abzuleiten von ahd. ^ver, Manu (tat. vir, sanskr. v!r-i«),
das auch in dem Worte „Welt" (ahd. -veralt, ahd. ^verlr, engl. porta, eigentlich
— Mannes- oder Menschenalter, dann Menschengeschlecht, Menschheit, Zeitalter)
steckt und deutlicher noch in dem „Werwolf" des Volksaberglaubens (wohl
— Mannwvlf) zu erkennen ist Wenn in den mittelalterlichen Rechtsquellen zu¬
weilen auch vou einem Wergelde für getötete Haustiere die Rede ist, so kann
das freilich wohl nur durch eine Art Personifizierung dieser Tierarten erklärt
werden. Mit dem Verschwinden des Rechtsiustituts ' selbst ist unsrer Sprache
auch das Wort „Wergeld" so gut wie abhanden gekommen, dagegen hat sich
der mittelalterliche Ausdruck „Brüche" (niederd. drüks oder droks) für Gcld-
und Viehbuße bis in die Gegenwart erhalten, wenn man nämlich die Ansicht
teilt, daß unsre Redensart ,',in die Brüche gehn" (oder „kommen, fallen."
früher auch „jemand in die Brüche nehmen" strafen) hierauf und nicht viel¬
mehr auf deu uns geläufigeru „Bruch" im Gegensatze zur ganzen Zahl zurück¬
zuführen ist. Wenn Buße oder Wergeld gerichtlich eingeklagt wurden, so hatte
schon in ältester Zeit der Schuldige mich noch einen bestimmten Betrag an die
öffentliche Gewalt, und zwar zunächst als Preis für deren Eingreifen bei der
Wiederherstellung des Friedens, zu entrichte». Das war das sogenannte Friedens-
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