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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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vom alten Struck

Wurde, daß er bis an sein Lebensende daran zu tragen hatte; in diesem Falle
war die Krankheit durch passende Verordnungen bald beseitigt, und Struck wurde
der Hausarzt seines Patienten. Fast aber wäre dieses Verhältnis nicht von
langer Dauer gewesen, denn nach Strncks Beförderung drohte seine Versetzung,
weil die entsprechende Stelle in Frankfurt erst kurz vorher frisch besetzt worden
war. Als alle Vorstellungen bei der Militärbehörde nichts halfen, gab Bismarck
Struck den Rat, abzugehn und sich in Frankfurt als praktischer Arzt nieder¬
zulassen; Struck war auch bereit, aber die Frankfurter Mcdizinalbehörde ver¬
langte von dem preußischen Ausländer ein Examen, womit dieser nicht einver¬
standen war, da ihm das Ansinnen beleidigend erschien, und weil er wußte, daß
die feindlich gesinnten Frankfurter Kollegen ihm eine Falle stellen und zum
Durchfällen verhelfen würden. Als sich Herr von Bismarck noch einmal energisch
ins Mittel legte, gab man sich großmütig mit einem Kolloquium zufrieden, das
aber ebenfalls abgelehnt wurde. Jetzt teilte der preußische Bundesgesandte
amtlich dem hohen Rate der Stadt Frankfurt mit, daß er wegen angegriffner
Gesundheit seinen bisherigen Arzt nicht entbehren könne und deshalb zu seinem
Bedauern genötigt sei, den Wohnsitz in die Nächstliegende preußische Stadt zu
verlegen, falls dein Ausländer Dr. Struck nicht erlaubt würde, sich bedingungs¬
los in Frankfurt niederzulassen. Bismarck erfreute sich damals in den vor¬
nehmen Kreisen Frankfurts einer großen Beliebtheit und galt auch wohl allge¬
mein als das geistig hervorragendste Mitglied der Herren vom deutschen Bundes¬
tage; die Drohung hatte also die gewünschte Wirkung, und Struck erhielt mit
der ärztlichen Approbation zugleich seinen Abschied aus dem Militärdienst und
den preußische"? Sanitätsratstitel. Jetzt nahm seine Praxis noch mehr zu, in
demselben Maße aber auch die Unbeliebtheit bei seinen Frankfurter Kollegen, die
ihn auf der Straße sogar anulkten, als er sich für seine Besuche zum ersten¬
mal eines Wagens bediente. "Hurra, da fährt der Preuße schon in der Kutsche!"
Wenn mir der alte Herr das erzählte, pflegte er jedesmal hinzuzufügen: "Nehmen
Sie sich vor den Frankfurter!, in acht!" ohne dabei zu bedenken, daß ja auch
dort jetzt alles anders geworden ist, und daß die alte Freie Reichsstadt unter
Preußischer Oberhoheit einen Aufschwung genommen hat, der wohl auf das
Gemüt des schlimmsten Partikularsten versöhnlich wirken muß. Sechs Jahre
lang war Struck der vertraute Hausarzt des Herrn von Bismarck, da wurde dieser
abberufen, damit er sich in Petersburg und Paris auf seine höhere Bestimmung
vorbereite; dorthin konnte Struck freilich nicht folgen, er blieb aber auch in der
Ferne der Berater seines Patienten, und als das Pflaster des Petersburger
Quacksalbers den preußischen Gesandten fast an den Rand des Grabes gebracht
hatte, übernahm er wieder die Behandlung und brachte durch passende Kuren
in Bad Nauheim und Wiesbaden die Folgen der Krankheit für längere Zeit
zum Schwinden.

Als nach den Strapazen und seelischen Erregungen des Krieges 1866 die
Gesundheit des Bundeskanzlers besonders zu wünschen übrig ließ, erhielt Struck
ein Schreiben des Herrn von Keudell, der ihn im Auftrage seines Chefs auf¬
forderte, den Wohnsitz nach dein jetzt im Aufblühn begriffnen Berlin zu ver¬
legen, dn ein Mann von seinen Gaben unbedingt in der künftigen Reichshanpt-


vom alten Struck

Wurde, daß er bis an sein Lebensende daran zu tragen hatte; in diesem Falle
war die Krankheit durch passende Verordnungen bald beseitigt, und Struck wurde
der Hausarzt seines Patienten. Fast aber wäre dieses Verhältnis nicht von
langer Dauer gewesen, denn nach Strncks Beförderung drohte seine Versetzung,
weil die entsprechende Stelle in Frankfurt erst kurz vorher frisch besetzt worden
war. Als alle Vorstellungen bei der Militärbehörde nichts halfen, gab Bismarck
Struck den Rat, abzugehn und sich in Frankfurt als praktischer Arzt nieder¬
zulassen; Struck war auch bereit, aber die Frankfurter Mcdizinalbehörde ver¬
langte von dem preußischen Ausländer ein Examen, womit dieser nicht einver¬
standen war, da ihm das Ansinnen beleidigend erschien, und weil er wußte, daß
die feindlich gesinnten Frankfurter Kollegen ihm eine Falle stellen und zum
Durchfällen verhelfen würden. Als sich Herr von Bismarck noch einmal energisch
ins Mittel legte, gab man sich großmütig mit einem Kolloquium zufrieden, das
aber ebenfalls abgelehnt wurde. Jetzt teilte der preußische Bundesgesandte
amtlich dem hohen Rate der Stadt Frankfurt mit, daß er wegen angegriffner
Gesundheit seinen bisherigen Arzt nicht entbehren könne und deshalb zu seinem
Bedauern genötigt sei, den Wohnsitz in die Nächstliegende preußische Stadt zu
verlegen, falls dein Ausländer Dr. Struck nicht erlaubt würde, sich bedingungs¬
los in Frankfurt niederzulassen. Bismarck erfreute sich damals in den vor¬
nehmen Kreisen Frankfurts einer großen Beliebtheit und galt auch wohl allge¬
mein als das geistig hervorragendste Mitglied der Herren vom deutschen Bundes¬
tage; die Drohung hatte also die gewünschte Wirkung, und Struck erhielt mit
der ärztlichen Approbation zugleich seinen Abschied aus dem Militärdienst und
den preußische»? Sanitätsratstitel. Jetzt nahm seine Praxis noch mehr zu, in
demselben Maße aber auch die Unbeliebtheit bei seinen Frankfurter Kollegen, die
ihn auf der Straße sogar anulkten, als er sich für seine Besuche zum ersten¬
mal eines Wagens bediente. „Hurra, da fährt der Preuße schon in der Kutsche!"
Wenn mir der alte Herr das erzählte, pflegte er jedesmal hinzuzufügen: „Nehmen
Sie sich vor den Frankfurter!, in acht!" ohne dabei zu bedenken, daß ja auch
dort jetzt alles anders geworden ist, und daß die alte Freie Reichsstadt unter
Preußischer Oberhoheit einen Aufschwung genommen hat, der wohl auf das
Gemüt des schlimmsten Partikularsten versöhnlich wirken muß. Sechs Jahre
lang war Struck der vertraute Hausarzt des Herrn von Bismarck, da wurde dieser
abberufen, damit er sich in Petersburg und Paris auf seine höhere Bestimmung
vorbereite; dorthin konnte Struck freilich nicht folgen, er blieb aber auch in der
Ferne der Berater seines Patienten, und als das Pflaster des Petersburger
Quacksalbers den preußischen Gesandten fast an den Rand des Grabes gebracht
hatte, übernahm er wieder die Behandlung und brachte durch passende Kuren
in Bad Nauheim und Wiesbaden die Folgen der Krankheit für längere Zeit
zum Schwinden.

Als nach den Strapazen und seelischen Erregungen des Krieges 1866 die
Gesundheit des Bundeskanzlers besonders zu wünschen übrig ließ, erhielt Struck
ein Schreiben des Herrn von Keudell, der ihn im Auftrage seines Chefs auf¬
forderte, den Wohnsitz nach dein jetzt im Aufblühn begriffnen Berlin zu ver¬
legen, dn ein Mann von seinen Gaben unbedingt in der künftigen Reichshanpt-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/359>, abgerufen am 25.11.2024.