Um den Widerstand der Magyaren zu brechen, hielt man es für zweckmäßig, ihrem Pochen auf die ungarische Verfassung, die durch die Revolution nicht verwirkt sei, das von Palacky nen erfundne böhmische Staatsrecht, das durch die Schlacht am Weißen Berge ebenfalls nicht erloschen sei, gegenüberzustellen. Beleredi teilte übrigens vollkommen die politischen Anschauungen der Tschechen, und wenn man in Betracht zieht, daß seine Berufung an die Spitze des Mini¬ steriums in die entscheidungsvolle Zeit füllt, wo die kriegerische Allseinander¬ setzung mit Preußen drohte, die erst durch deu Gasteiner Vertrag (16. August) auf ein Jahr vertagt wurde, so fällt noch ein andres Licht auf die unver¬ mittelte Heranziehung der Tschechen. Es bestand noch 1866 die Absicht, Schlesien wieder voll Preußen abzureißen, und da Schlesien früher zu Böhmen gehört hatte, so tauchte das Phantom der heiligen Wenzelskrvne aus den Träumereien der Tschechen plötzlich an das Licht hervor, das einen Anspruch des Königs von Böhmen an Schlesien begründen sollte. Diese erste offizielle Billigung, wenn nicht Anerkennung der tschechischen Bestrebungen ist von verhänglnsvollen Folgen für die hnbsburgische Monarchie gewesen, denn seit dieser Zeit haben die Tschechen eine amtliche Beglaubigung für ihr "Staatsrecht," und es hängt bloß noch von den Umständen ub, ob sie auch die Macht erreichen, es durchzusetzen. Daß Belercdi den Tschechen schmeichelte nud die Deutschen vernachlässigte, verstand sich von selbst. Schon am 18. Januar 1866 erließ er eine Sprachenverordnuug, die die deutschen Kinder in Böhmen zwang, Tschechisch in den Schulen zu lernen, an der Universität Prag sollte nicht mehr bloß Deutsch, sondern mich Tschechisch gelehrt werden, und Rieger stellte darum auch schou am 29. März im Prager Landtag den Antrag auf vollständige Tschechisierung der Universität. Aber die ganze neue tschechische Herrlichkeit zerstob bei dein Donner der Kanonen von Königgrütz. Die Aussicht ans Schlesien war zerronnen, und damit auch der Zauber der Wenzelskrvne. Man kehrte einfach zum "System Schmerling," natürlich mit andern Männern, zurück.
Graf Beust war zum Ministerpräsidenten berufen worden, daß er die Re¬ vanche für 1866 durchführe. Zu diesem Zwecke wurde der Ausgleich mit Ungarn geschlossen, eine Versöhnung mit den slawischen Nationen im Auge behalten; durch die Politik des Liberalismus, der Vorurteilslosigkeit sollten die notwendigen moralischen Sympathien erobert werden. Man betrachtete in der Tat das Hin- ansdrüngen Österreichs ans Deutschland als eine dauernde Gefahr für den Bestand der Monarchie. Die Dentschösterreicher empfanden ebenso und fühlten sich befriedigt, als man ihren Liberalismus gewähren ließ. Auf der alten Schmerlingschen Grundlage wurden mit Berücksichtigung der Zweiteilung der Monarchie die neuen Staatsgrundgesetze aufgebaut. Man bezeichnet sie fälsch¬ licherweise als eine zentralistische Verfassung. Das ist sie wohl der äußern Form uach, aber dazu fehlen ihr die staatsmmmisch klaren Umrisse und jede Politische Voraussicht; sie ist nichts als die phrasenhafte Übertragung der libe¬ ralen Theorie der vierziger Jahre, nach der alle Welt durch eine freiheitliche Verfassung von selber glücklich werden müsse, ans die damals bestehenden innern Politischen und Verwaltliilgsverhültnisse "der im Reichsrate vertretnen König¬ reiche und Länder" mit der deutlich erkennbaren Absicht, die ungemein praktisch
Böhmen
Um den Widerstand der Magyaren zu brechen, hielt man es für zweckmäßig, ihrem Pochen auf die ungarische Verfassung, die durch die Revolution nicht verwirkt sei, das von Palacky nen erfundne böhmische Staatsrecht, das durch die Schlacht am Weißen Berge ebenfalls nicht erloschen sei, gegenüberzustellen. Beleredi teilte übrigens vollkommen die politischen Anschauungen der Tschechen, und wenn man in Betracht zieht, daß seine Berufung an die Spitze des Mini¬ steriums in die entscheidungsvolle Zeit füllt, wo die kriegerische Allseinander¬ setzung mit Preußen drohte, die erst durch deu Gasteiner Vertrag (16. August) auf ein Jahr vertagt wurde, so fällt noch ein andres Licht auf die unver¬ mittelte Heranziehung der Tschechen. Es bestand noch 1866 die Absicht, Schlesien wieder voll Preußen abzureißen, und da Schlesien früher zu Böhmen gehört hatte, so tauchte das Phantom der heiligen Wenzelskrvne aus den Träumereien der Tschechen plötzlich an das Licht hervor, das einen Anspruch des Königs von Böhmen an Schlesien begründen sollte. Diese erste offizielle Billigung, wenn nicht Anerkennung der tschechischen Bestrebungen ist von verhänglnsvollen Folgen für die hnbsburgische Monarchie gewesen, denn seit dieser Zeit haben die Tschechen eine amtliche Beglaubigung für ihr „Staatsrecht," und es hängt bloß noch von den Umständen ub, ob sie auch die Macht erreichen, es durchzusetzen. Daß Belercdi den Tschechen schmeichelte nud die Deutschen vernachlässigte, verstand sich von selbst. Schon am 18. Januar 1866 erließ er eine Sprachenverordnuug, die die deutschen Kinder in Böhmen zwang, Tschechisch in den Schulen zu lernen, an der Universität Prag sollte nicht mehr bloß Deutsch, sondern mich Tschechisch gelehrt werden, und Rieger stellte darum auch schou am 29. März im Prager Landtag den Antrag auf vollständige Tschechisierung der Universität. Aber die ganze neue tschechische Herrlichkeit zerstob bei dein Donner der Kanonen von Königgrütz. Die Aussicht ans Schlesien war zerronnen, und damit auch der Zauber der Wenzelskrvne. Man kehrte einfach zum „System Schmerling," natürlich mit andern Männern, zurück.
Graf Beust war zum Ministerpräsidenten berufen worden, daß er die Re¬ vanche für 1866 durchführe. Zu diesem Zwecke wurde der Ausgleich mit Ungarn geschlossen, eine Versöhnung mit den slawischen Nationen im Auge behalten; durch die Politik des Liberalismus, der Vorurteilslosigkeit sollten die notwendigen moralischen Sympathien erobert werden. Man betrachtete in der Tat das Hin- ansdrüngen Österreichs ans Deutschland als eine dauernde Gefahr für den Bestand der Monarchie. Die Dentschösterreicher empfanden ebenso und fühlten sich befriedigt, als man ihren Liberalismus gewähren ließ. Auf der alten Schmerlingschen Grundlage wurden mit Berücksichtigung der Zweiteilung der Monarchie die neuen Staatsgrundgesetze aufgebaut. Man bezeichnet sie fälsch¬ licherweise als eine zentralistische Verfassung. Das ist sie wohl der äußern Form uach, aber dazu fehlen ihr die staatsmmmisch klaren Umrisse und jede Politische Voraussicht; sie ist nichts als die phrasenhafte Übertragung der libe¬ ralen Theorie der vierziger Jahre, nach der alle Welt durch eine freiheitliche Verfassung von selber glücklich werden müsse, ans die damals bestehenden innern Politischen und Verwaltliilgsverhültnisse „der im Reichsrate vertretnen König¬ reiche und Länder" mit der deutlich erkennbaren Absicht, die ungemein praktisch
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[0351]
Böhmen
Um den Widerstand der Magyaren zu brechen, hielt man es für zweckmäßig,
ihrem Pochen auf die ungarische Verfassung, die durch die Revolution nicht
verwirkt sei, das von Palacky nen erfundne böhmische Staatsrecht, das durch
die Schlacht am Weißen Berge ebenfalls nicht erloschen sei, gegenüberzustellen.
Beleredi teilte übrigens vollkommen die politischen Anschauungen der Tschechen,
und wenn man in Betracht zieht, daß seine Berufung an die Spitze des Mini¬
steriums in die entscheidungsvolle Zeit füllt, wo die kriegerische Allseinander¬
setzung mit Preußen drohte, die erst durch deu Gasteiner Vertrag (16. August)
auf ein Jahr vertagt wurde, so fällt noch ein andres Licht auf die unver¬
mittelte Heranziehung der Tschechen. Es bestand noch 1866 die Absicht, Schlesien
wieder voll Preußen abzureißen, und da Schlesien früher zu Böhmen gehört
hatte, so tauchte das Phantom der heiligen Wenzelskrvne aus den Träumereien
der Tschechen plötzlich an das Licht hervor, das einen Anspruch des Königs
von Böhmen an Schlesien begründen sollte. Diese erste offizielle Billigung, wenn
nicht Anerkennung der tschechischen Bestrebungen ist von verhänglnsvollen Folgen
für die hnbsburgische Monarchie gewesen, denn seit dieser Zeit haben die Tschechen
eine amtliche Beglaubigung für ihr „Staatsrecht," und es hängt bloß noch von
den Umständen ub, ob sie auch die Macht erreichen, es durchzusetzen. Daß
Belercdi den Tschechen schmeichelte nud die Deutschen vernachlässigte, verstand
sich von selbst. Schon am 18. Januar 1866 erließ er eine Sprachenverordnuug,
die die deutschen Kinder in Böhmen zwang, Tschechisch in den Schulen zu lernen,
an der Universität Prag sollte nicht mehr bloß Deutsch, sondern mich Tschechisch
gelehrt werden, und Rieger stellte darum auch schou am 29. März im Prager
Landtag den Antrag auf vollständige Tschechisierung der Universität. Aber die
ganze neue tschechische Herrlichkeit zerstob bei dein Donner der Kanonen von
Königgrütz. Die Aussicht ans Schlesien war zerronnen, und damit auch der
Zauber der Wenzelskrvne. Man kehrte einfach zum „System Schmerling,"
natürlich mit andern Männern, zurück.
Graf Beust war zum Ministerpräsidenten berufen worden, daß er die Re¬
vanche für 1866 durchführe. Zu diesem Zwecke wurde der Ausgleich mit Ungarn
geschlossen, eine Versöhnung mit den slawischen Nationen im Auge behalten;
durch die Politik des Liberalismus, der Vorurteilslosigkeit sollten die notwendigen
moralischen Sympathien erobert werden. Man betrachtete in der Tat das Hin-
ansdrüngen Österreichs ans Deutschland als eine dauernde Gefahr für den
Bestand der Monarchie. Die Dentschösterreicher empfanden ebenso und fühlten
sich befriedigt, als man ihren Liberalismus gewähren ließ. Auf der alten
Schmerlingschen Grundlage wurden mit Berücksichtigung der Zweiteilung der
Monarchie die neuen Staatsgrundgesetze aufgebaut. Man bezeichnet sie fälsch¬
licherweise als eine zentralistische Verfassung. Das ist sie wohl der äußern
Form uach, aber dazu fehlen ihr die staatsmmmisch klaren Umrisse und jede
Politische Voraussicht; sie ist nichts als die phrasenhafte Übertragung der libe¬
ralen Theorie der vierziger Jahre, nach der alle Welt durch eine freiheitliche
Verfassung von selber glücklich werden müsse, ans die damals bestehenden innern
Politischen und Verwaltliilgsverhültnisse „der im Reichsrate vertretnen König¬
reiche und Länder" mit der deutlich erkennbaren Absicht, die ungemein praktisch
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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/351>, abgerufen am 25.11.2024.
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