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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Die orientalische Frage

Rene Bazin mit den grellsten Farben geschildert wird, ist im Schwinden be¬
griffen; den Anfang einer vollständigen Verschmelzung durch eormubium und
"zomraeroiuin -- Heiraten und Familienverkehr -- kann man schon deutlich
erkennen. Im Jahre 1879 wäre es gar nicht möglich gewesen, daß die Ge¬
meinderäte der drei größten Städte des Landes -- Straßburg, Mülhausen
und Metz -- freiwillig Altdeutsche zu Bürgermeistern wühlten, daß Mül¬
hausen (damals die Hochburg des Franzosentums) einen Altdeutschen in den
Landesausschuß schickte, und daß die ebenfalls stockfranzösischen Städte Kolmar
und Metz Altdeutsche durch Verleihung des Ehrenbürgerrechts auszeichneten.
Bei den letzten Reichstagswahlen hat die Abstammung der Kandidaten nur
eine ganz untergeordnete Rolle gespielt; die Altdeutschen Alexander Hohen-
lohe, Wildberger, Löffler und Beckmann sind von Eingebornen aufgestellt und
unterstützt worden. Bei diesen Wahlen hat ferner der letzte Vertreter der
Protestpartei, Rechtsanwalt Preiß von Kolmar, seinen frühern politischen
Stnndpnukt gänzlich verlassen und das Versprechen abgegeben, sein Mandat
.zum Wohle des Deutschen Reichs, Elsaß-Lothringens und des Wahlkreises
Kolmar ausüben zu wollen." Im ganzen Reichslande gibt es heute keinen
einzigen Politiker mehr, der offen die Wiedervereinigung des Landes mit
Frankreich verlangte. Schluß folgt)




Die orientalische Frage
v Julius Patzelt onin
(Schluß)

ußland ist seiner Balkanpvlitik bis auf den heutigen Tag treu
geblieben; die Ermordung Stambulows bewies, daß sie bei der
Verfolgung ihres Zweckes auch vor verbrecherische" Mitteln nicht
zurückschreckte, aber ebenso wie Rumänien sich der Übeln und
eigennützigen Vormundschaft Rußlands entzog, so bricht sich
auch unter den Balkanslawen immer mehr die Überzeugung Bahn, daß sie
von der russischen Politik nicht gefördert, sondern mißbraucht werden. -- Vor
Jahr und Tag klagte mir der frühere serbische Ministerpräsident or. Wladan
Georgiewitsch: Rußlands ganze Oricntpolitik bestehe darin, Rumänen, Bul¬
garen, Serben und Griechen untereinander zu verhetzen, um jedem dieser
Völker die Aussicht auf eine gedeihliche politische und kulturelle Entwicklung
W nehmen. -- Derselbe Gedanke kehrte in einer Rede wieder, die vor einigen
Monaten ein andrer, der Präsident des makedonischer Komitees, Michailowski,
w einer Versammlung in Sofia gehalten hat, und wer Gelegenheit hat, die
bulgarische Intelligenz kennen zu lernen, kann sich davon überzeugen, welche
tiefe Abneigung sie gegen Rußland empfindet, und mit welcher Zuversicht sie
die Anschauung vertritt, daß Nußland auf der Balkanhalbinsel nichts mehr zu
suchen habe. -- Fürst Ferdinand von Bulgarien ist kein Staatsmann erster


Grenzboten III 1903 42
Die orientalische Frage

Rene Bazin mit den grellsten Farben geschildert wird, ist im Schwinden be¬
griffen; den Anfang einer vollständigen Verschmelzung durch eormubium und
«zomraeroiuin — Heiraten und Familienverkehr — kann man schon deutlich
erkennen. Im Jahre 1879 wäre es gar nicht möglich gewesen, daß die Ge¬
meinderäte der drei größten Städte des Landes — Straßburg, Mülhausen
und Metz — freiwillig Altdeutsche zu Bürgermeistern wühlten, daß Mül¬
hausen (damals die Hochburg des Franzosentums) einen Altdeutschen in den
Landesausschuß schickte, und daß die ebenfalls stockfranzösischen Städte Kolmar
und Metz Altdeutsche durch Verleihung des Ehrenbürgerrechts auszeichneten.
Bei den letzten Reichstagswahlen hat die Abstammung der Kandidaten nur
eine ganz untergeordnete Rolle gespielt; die Altdeutschen Alexander Hohen-
lohe, Wildberger, Löffler und Beckmann sind von Eingebornen aufgestellt und
unterstützt worden. Bei diesen Wahlen hat ferner der letzte Vertreter der
Protestpartei, Rechtsanwalt Preiß von Kolmar, seinen frühern politischen
Stnndpnukt gänzlich verlassen und das Versprechen abgegeben, sein Mandat
.zum Wohle des Deutschen Reichs, Elsaß-Lothringens und des Wahlkreises
Kolmar ausüben zu wollen." Im ganzen Reichslande gibt es heute keinen
einzigen Politiker mehr, der offen die Wiedervereinigung des Landes mit
Frankreich verlangte. Schluß folgt)




Die orientalische Frage
v Julius Patzelt onin
(Schluß)

ußland ist seiner Balkanpvlitik bis auf den heutigen Tag treu
geblieben; die Ermordung Stambulows bewies, daß sie bei der
Verfolgung ihres Zweckes auch vor verbrecherische» Mitteln nicht
zurückschreckte, aber ebenso wie Rumänien sich der Übeln und
eigennützigen Vormundschaft Rußlands entzog, so bricht sich
auch unter den Balkanslawen immer mehr die Überzeugung Bahn, daß sie
von der russischen Politik nicht gefördert, sondern mißbraucht werden. — Vor
Jahr und Tag klagte mir der frühere serbische Ministerpräsident or. Wladan
Georgiewitsch: Rußlands ganze Oricntpolitik bestehe darin, Rumänen, Bul¬
garen, Serben und Griechen untereinander zu verhetzen, um jedem dieser
Völker die Aussicht auf eine gedeihliche politische und kulturelle Entwicklung
W nehmen. — Derselbe Gedanke kehrte in einer Rede wieder, die vor einigen
Monaten ein andrer, der Präsident des makedonischer Komitees, Michailowski,
w einer Versammlung in Sofia gehalten hat, und wer Gelegenheit hat, die
bulgarische Intelligenz kennen zu lernen, kann sich davon überzeugen, welche
tiefe Abneigung sie gegen Rußland empfindet, und mit welcher Zuversicht sie
die Anschauung vertritt, daß Nußland auf der Balkanhalbinsel nichts mehr zu
suchen habe. — Fürst Ferdinand von Bulgarien ist kein Staatsmann erster


Grenzboten III 1903 42
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[0337] Die orientalische Frage Rene Bazin mit den grellsten Farben geschildert wird, ist im Schwinden be¬ griffen; den Anfang einer vollständigen Verschmelzung durch eormubium und «zomraeroiuin — Heiraten und Familienverkehr — kann man schon deutlich erkennen. Im Jahre 1879 wäre es gar nicht möglich gewesen, daß die Ge¬ meinderäte der drei größten Städte des Landes — Straßburg, Mülhausen und Metz — freiwillig Altdeutsche zu Bürgermeistern wühlten, daß Mül¬ hausen (damals die Hochburg des Franzosentums) einen Altdeutschen in den Landesausschuß schickte, und daß die ebenfalls stockfranzösischen Städte Kolmar und Metz Altdeutsche durch Verleihung des Ehrenbürgerrechts auszeichneten. Bei den letzten Reichstagswahlen hat die Abstammung der Kandidaten nur eine ganz untergeordnete Rolle gespielt; die Altdeutschen Alexander Hohen- lohe, Wildberger, Löffler und Beckmann sind von Eingebornen aufgestellt und unterstützt worden. Bei diesen Wahlen hat ferner der letzte Vertreter der Protestpartei, Rechtsanwalt Preiß von Kolmar, seinen frühern politischen Stnndpnukt gänzlich verlassen und das Versprechen abgegeben, sein Mandat .zum Wohle des Deutschen Reichs, Elsaß-Lothringens und des Wahlkreises Kolmar ausüben zu wollen." Im ganzen Reichslande gibt es heute keinen einzigen Politiker mehr, der offen die Wiedervereinigung des Landes mit Frankreich verlangte. Schluß folgt) Die orientalische Frage v Julius Patzelt onin (Schluß) ußland ist seiner Balkanpvlitik bis auf den heutigen Tag treu geblieben; die Ermordung Stambulows bewies, daß sie bei der Verfolgung ihres Zweckes auch vor verbrecherische» Mitteln nicht zurückschreckte, aber ebenso wie Rumänien sich der Übeln und eigennützigen Vormundschaft Rußlands entzog, so bricht sich auch unter den Balkanslawen immer mehr die Überzeugung Bahn, daß sie von der russischen Politik nicht gefördert, sondern mißbraucht werden. — Vor Jahr und Tag klagte mir der frühere serbische Ministerpräsident or. Wladan Georgiewitsch: Rußlands ganze Oricntpolitik bestehe darin, Rumänen, Bul¬ garen, Serben und Griechen untereinander zu verhetzen, um jedem dieser Völker die Aussicht auf eine gedeihliche politische und kulturelle Entwicklung W nehmen. — Derselbe Gedanke kehrte in einer Rede wieder, die vor einigen Monaten ein andrer, der Präsident des makedonischer Komitees, Michailowski, w einer Versammlung in Sofia gehalten hat, und wer Gelegenheit hat, die bulgarische Intelligenz kennen zu lernen, kann sich davon überzeugen, welche tiefe Abneigung sie gegen Rußland empfindet, und mit welcher Zuversicht sie die Anschauung vertritt, daß Nußland auf der Balkanhalbinsel nichts mehr zu suchen habe. — Fürst Ferdinand von Bulgarien ist kein Staatsmann erster Grenzboten III 1903 42

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/337>, abgerufen am 09.11.2024.