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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Graf Bülows Reden

Die ältesten und ergebensten Freunde Bismarcks waren durchaus befriedigt:
dem höchsten Verdienst war gerechterweise die höchste Ehre zuteil geworden.
Graf Bülow hatte sich als aufrichtiger und warmer Verehrer seines großen
Borgängers vor aller Welt bekannt, ohne dabei die Selbständigkeit seines
Urteils und seiner eignen Auffassung preiszugeben. Denn jede Zeit hat ihre
eignen Aufgaben, und neben den unerschütterliche Grundzügen, die ein Reich
nur durch die geschichtlich berechtigten Mittel erhalten lassen, durch die es
geschaffen worden ist, schreiben mancherlei neue Erscheinungen und anders ge¬
artete Umstände von Fall zu Fall die Gesetze des Handelns vor.

Die Persönlichkeit Kaiser Wilhelms des Zweiten mit ihrer auf allen
Gebieten stark und tatkräftig auftretenden Initiative hat es zur unvermeidlichen
Folge, daß sich die öffentliche Meinung eingehender mit der Art des Monarchen
beschäftigt, als wir das früher in Preußen und in Deutschland gewöhnt waren.
Man muß sehr weit in der Geschichte zurückgreifen, wenn mau einen Herrscher
finden will, der in so häufigen und vielseitigen Verkehr -- wie soeben noch auf dein
Sängerfest in Frankfurt -- mit seinen Untertanen getreten ist, lind dessen an¬
regendes Interesse alle Gebiete des öffentlichen Lebens so umfaßt, wie das bei
unserm setzigen Kaiser der Fall ist. Natürlich hat sich ihm auch die Aufmerksamkeit
der politischen Parteien mehr zugewandt, und die parlamentarische" Erörterungen
über Äußerungen und Handlungen des Monarchen sind im Gegensatz zu früher
ziemlich häufig geworden. Graf Bülow hat, meinen wir, den richtigen Ton
getroffen, sich auch mit diesem delikaten Thema abzufinden. Er hat einerseits
entschieden und im Sinne der Verfassung verlangt, daß mau sich wegen
Handlungen und Reden des Kaisers nicht an die Person des Monarchen,
sondern an ihn als den Verantwortlicher Reichskanzler halte, der seine Ver¬
antwortlichkeit nicht nur der Form nach für den Kaiser einsetze, so lange es
mit seiner eignen Überzeugung irgend verträglich sei. Sodann aber hat sich
der Kanzler mit vollster Offenheit anch über die Persönlichkeit seines kaiser¬
lichen Herrn ausgesprochen, dessen Vorurteilslosigkeit ihm dabei Wohl ein guter
Helfer gewesen ist. Von besondrer Bedeutung ist hierbei die Rede in der
Reichstagssitzung vom 21. Januar d. I., worin Graf Bülow nach dein Hinweise
auf die fremden Länder, in denen er lange Jahre gelebt hatte, und in denen
man mit einer ganz effaeierten Haltung der Monarchie oft wenig einverstanden
war, im Gegenteil ihre stärkere Aeeentnieruug gewünscht habe, wörtlich sagte:
"Auch diejenigen, die mit dem Gang unsrer Politik nicht einverstanden sind,
sollten nicht ungerecht sein für das tatkräftige und redliche Wollen unsers
Kaisers, nicht ungerecht für den großen Zug in seinem Wesen, nicht ungerecht
für seinen freien und vorurteilsloser Sinn. Ich sage das ohne jeden Byzan¬
tinismus: an ihm ist nichts Kleinliches. Was Sie ihm auch vorwerfen mögen,
ein Philister ist er nicht, und das ist viel wert, sehr viel wert, Herr Vebel,
im zwanzigsten Jahrhundert." Bei einem frühern Anlaß hatte Graf Bülow
u. a. gefagt: "Unser Kaiser verträgt sehr gut Widerspruch; er will gar keinen
Reichskanzler haben, der nicht nnter Umständen einen Widerspruch erhebt. Ich
wünschte, Sie vertrügen den Widerspruch so gut und wären so wenig vorein¬
genommen wie Seine Majestät der Kaiser."


Graf Bülows Reden

Die ältesten und ergebensten Freunde Bismarcks waren durchaus befriedigt:
dem höchsten Verdienst war gerechterweise die höchste Ehre zuteil geworden.
Graf Bülow hatte sich als aufrichtiger und warmer Verehrer seines großen
Borgängers vor aller Welt bekannt, ohne dabei die Selbständigkeit seines
Urteils und seiner eignen Auffassung preiszugeben. Denn jede Zeit hat ihre
eignen Aufgaben, und neben den unerschütterliche Grundzügen, die ein Reich
nur durch die geschichtlich berechtigten Mittel erhalten lassen, durch die es
geschaffen worden ist, schreiben mancherlei neue Erscheinungen und anders ge¬
artete Umstände von Fall zu Fall die Gesetze des Handelns vor.

Die Persönlichkeit Kaiser Wilhelms des Zweiten mit ihrer auf allen
Gebieten stark und tatkräftig auftretenden Initiative hat es zur unvermeidlichen
Folge, daß sich die öffentliche Meinung eingehender mit der Art des Monarchen
beschäftigt, als wir das früher in Preußen und in Deutschland gewöhnt waren.
Man muß sehr weit in der Geschichte zurückgreifen, wenn mau einen Herrscher
finden will, der in so häufigen und vielseitigen Verkehr — wie soeben noch auf dein
Sängerfest in Frankfurt — mit seinen Untertanen getreten ist, lind dessen an¬
regendes Interesse alle Gebiete des öffentlichen Lebens so umfaßt, wie das bei
unserm setzigen Kaiser der Fall ist. Natürlich hat sich ihm auch die Aufmerksamkeit
der politischen Parteien mehr zugewandt, und die parlamentarische« Erörterungen
über Äußerungen und Handlungen des Monarchen sind im Gegensatz zu früher
ziemlich häufig geworden. Graf Bülow hat, meinen wir, den richtigen Ton
getroffen, sich auch mit diesem delikaten Thema abzufinden. Er hat einerseits
entschieden und im Sinne der Verfassung verlangt, daß mau sich wegen
Handlungen und Reden des Kaisers nicht an die Person des Monarchen,
sondern an ihn als den Verantwortlicher Reichskanzler halte, der seine Ver¬
antwortlichkeit nicht nur der Form nach für den Kaiser einsetze, so lange es
mit seiner eignen Überzeugung irgend verträglich sei. Sodann aber hat sich
der Kanzler mit vollster Offenheit anch über die Persönlichkeit seines kaiser¬
lichen Herrn ausgesprochen, dessen Vorurteilslosigkeit ihm dabei Wohl ein guter
Helfer gewesen ist. Von besondrer Bedeutung ist hierbei die Rede in der
Reichstagssitzung vom 21. Januar d. I., worin Graf Bülow nach dein Hinweise
auf die fremden Länder, in denen er lange Jahre gelebt hatte, und in denen
man mit einer ganz effaeierten Haltung der Monarchie oft wenig einverstanden
war, im Gegenteil ihre stärkere Aeeentnieruug gewünscht habe, wörtlich sagte:
„Auch diejenigen, die mit dem Gang unsrer Politik nicht einverstanden sind,
sollten nicht ungerecht sein für das tatkräftige und redliche Wollen unsers
Kaisers, nicht ungerecht für den großen Zug in seinem Wesen, nicht ungerecht
für seinen freien und vorurteilsloser Sinn. Ich sage das ohne jeden Byzan¬
tinismus: an ihm ist nichts Kleinliches. Was Sie ihm auch vorwerfen mögen,
ein Philister ist er nicht, und das ist viel wert, sehr viel wert, Herr Vebel,
im zwanzigsten Jahrhundert." Bei einem frühern Anlaß hatte Graf Bülow
u. a. gefagt: „Unser Kaiser verträgt sehr gut Widerspruch; er will gar keinen
Reichskanzler haben, der nicht nnter Umständen einen Widerspruch erhebt. Ich
wünschte, Sie vertrügen den Widerspruch so gut und wären so wenig vorein¬
genommen wie Seine Majestät der Kaiser."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/31>, abgerufen am 09.11.2024.