Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.Aus der Jugendzeit hätte sie sicher in dasselbe Gericht gebracht; aber wir sahen ihnen das Wohlgefallen Immerhin muß ich bezeugen, daß uus die übel angebrachte Strafe nicht ge¬ Auch der Respekt vor unserm Lehrer, Herrn Scharfe, hat unter dieser un¬ Mit unauslöschlichem, dankbarem Respekt denke ich an meine ersten Lehrer Aus der Jugendzeit hätte sie sicher in dasselbe Gericht gebracht; aber wir sahen ihnen das Wohlgefallen Immerhin muß ich bezeugen, daß uus die übel angebrachte Strafe nicht ge¬ Auch der Respekt vor unserm Lehrer, Herrn Scharfe, hat unter dieser un¬ Mit unauslöschlichem, dankbarem Respekt denke ich an meine ersten Lehrer <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0306" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/241520"/> <fw type="header" place="top"> Aus der Jugendzeit</fw><lb/> <p xml:id="ID_1200" prev="#ID_1199"> hätte sie sicher in dasselbe Gericht gebracht; aber wir sahen ihnen das Wohlgefallen<lb/> an der unparteiischen Behandlung der Jungen von der ersten Bank an den Augen<lb/> an. Und doch war diese Strafe unverdient und eine ganz unverständliche pädagogische<lb/> Verkehrtheit. Wir bekamen die Schläge, weil wir trotz vorhergegangner Belehrung<lb/> in einem Diktat das Wörtchen „hat" mit einem doppelten t geschrieben hatten.<lb/> Das war sicherlich ein Fehler, der seine Rüge und vielleicht auch Strafe verdiente.<lb/> Aber eine körperliche Züchtigung würde in einem solchen Falle heute glücklicher¬<lb/> weise kein Lehrer mehr anwenden. Es würde ihm auch mit Recht übel bekommen.<lb/> Wie der sonst ungemein einsichtige und ruhige Herr Scharfe zu diesem groben<lb/> Mißgriff gekommen war, ist mir immer ein Rätsel geblieben.</p><lb/> <p xml:id="ID_1201"> Immerhin muß ich bezeugen, daß uus die übel angebrachte Strafe nicht ge¬<lb/> schadet hat. Wir fanden sie zwar hart und ungerecht, mochten aber wohl das<lb/> Bewußtsein haben, daß wir für manche verborgen gebliebne Jungenstreiche Strafe<lb/> verdient hatten. Uns zuhause bei den Eltern über erltttnes Unrecht zu beklagen,<lb/> kam uns gar nicht in den Sinn. Bei mir wenigstens wäre mit Sicherheit darauf<lb/> zu rechnen gewesen, daß der Versuch einer solchen Beschwerde mir noch eine weitere<lb/> häusliche Strafe eingetragen hätte. In den Augen meines Vaters war der Junge<lb/> dem Lehrer gegenüber von vornherein ini Unrecht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1202"> Auch der Respekt vor unserm Lehrer, Herrn Scharfe, hat unter dieser un¬<lb/> gerechten Strafe nicht gelitten, und ebensowenig unser Verhältnis zu den ärmern<lb/> Kameraden in der Klasse. Im allgemeinen wurde auch von den Lehrern unsrer<lb/> Klippschule von der körperlichen Züchtigung ein sehr mäßiger Gebrauch gemacht.<lb/> Nur Herr Mahleke in der ersten Klasse stand in dem Rufe, daß die Jungen zwar<lb/> viel bei ihm lernten, daß er aber den Stock etwas gar zu lose sitzen habe. Uuter<lb/> uns Schuljuugeu gab es einen Reim auf die vier Lehrer, der, wenn richtig ver¬<lb/> standen, ihr Verhältnis zu ihrer Klasse vollkommen zutreffend schilderte. Er hieß:<lb/> „Herr Thieme ist ein guter Mann, Herr Kleinere der geht auch »och an, Herr<lb/> Scharfe ist ein Kribbelkopp, Herr Mahleke hängt die Jungens opp." Das be¬<lb/> deutete, daß Herr Thieme in der Abcklasse am sanftesten, freundlichste» und väter¬<lb/> lichsten mit den Kindern umging. Herr Kleinere in der dritte» Klasse zog schon<lb/> strengere Saiten auf, machte aber doch auch noch dann und wann einen kleinen<lb/> Spaß und streichelte auch wohl dem einen oder andern fleißige» Jungen einmal<lb/> liebkosend das Haar. Herr Scharfe, ein hagerer Mann mit einer Habichtsnase,<lb/> galt als ernst, streng, aber gerecht u»d kannte kein Ansehen der Person. Herr<lb/> Mahleke, unter dessen Schulszepter ich nicht mehr gelangt bin, machte freilich keine<lb/> Umstände und galt als gefürchteter Schulthrauu; er brachte aber die erste Klasse<lb/> bis zur Koufiriuation sogar über das Schulziel heraus. Namentlich war er ein<lb/> vorzüglicher Rechner und Necheulehrer, und nieiu Vater ließ mich später, als ich<lb/> schon das Gymnasium besuchte, eine Zeit lang Privatunterricht im Rechnen bei ihm<lb/> nehmen, weil er — nicht oh»e Grund — behauptete, daß in den für das praktische<lb/> Leben so wichtigen Elementen des Rechnens auf dem Gymnasium nicht alles so<lb/> gehandhabt werde, wie es hätte sein sollen. Genug, die Quedlinburger Volksschule<lb/> war ausgezeichnet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1203" next="#ID_1204"> Mit unauslöschlichem, dankbarem Respekt denke ich an meine ersten Lehrer<lb/> zurück, die nach heutige» Begriffen uuter ganz unglaublich dürftige» Verhältnissen<lb/> ihres Amtes mit mustergiltiger Treue warteten und in großem Sege» wirkten.<lb/> Der Eindruck, den ich von diesen meinen ersten Lehrern empfangen habe, hat mich<lb/> durch das ganze Leben begleitet. Auf diesen Eindruck ist ohne Zweifel der Respekt,<lb/> das Interesse, ja die Liebe und Daukbarkeit zurückzuführen, die ich für die preußische<lb/> Volksschule und ihre tüchtigen Lehrer allezeit behalten habe. Ich kann bezeugen,<lb/> daß einzelne Partien des schulmäßigen Wissens nur bis auf deu heutigen Tag fast<lb/> ausschließlich in der Form geläufig sind, in der ich sie in der Volksschule empfangen<lb/> und in mich aufgenommen habe. Das gilt sogar von gewissen Teilen der Welt-,<lb/> insbesondre der deutschen Geschichte, die uns von Herrn Scharfe in bewunderns-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0306]
Aus der Jugendzeit
hätte sie sicher in dasselbe Gericht gebracht; aber wir sahen ihnen das Wohlgefallen
an der unparteiischen Behandlung der Jungen von der ersten Bank an den Augen
an. Und doch war diese Strafe unverdient und eine ganz unverständliche pädagogische
Verkehrtheit. Wir bekamen die Schläge, weil wir trotz vorhergegangner Belehrung
in einem Diktat das Wörtchen „hat" mit einem doppelten t geschrieben hatten.
Das war sicherlich ein Fehler, der seine Rüge und vielleicht auch Strafe verdiente.
Aber eine körperliche Züchtigung würde in einem solchen Falle heute glücklicher¬
weise kein Lehrer mehr anwenden. Es würde ihm auch mit Recht übel bekommen.
Wie der sonst ungemein einsichtige und ruhige Herr Scharfe zu diesem groben
Mißgriff gekommen war, ist mir immer ein Rätsel geblieben.
Immerhin muß ich bezeugen, daß uus die übel angebrachte Strafe nicht ge¬
schadet hat. Wir fanden sie zwar hart und ungerecht, mochten aber wohl das
Bewußtsein haben, daß wir für manche verborgen gebliebne Jungenstreiche Strafe
verdient hatten. Uns zuhause bei den Eltern über erltttnes Unrecht zu beklagen,
kam uns gar nicht in den Sinn. Bei mir wenigstens wäre mit Sicherheit darauf
zu rechnen gewesen, daß der Versuch einer solchen Beschwerde mir noch eine weitere
häusliche Strafe eingetragen hätte. In den Augen meines Vaters war der Junge
dem Lehrer gegenüber von vornherein ini Unrecht.
Auch der Respekt vor unserm Lehrer, Herrn Scharfe, hat unter dieser un¬
gerechten Strafe nicht gelitten, und ebensowenig unser Verhältnis zu den ärmern
Kameraden in der Klasse. Im allgemeinen wurde auch von den Lehrern unsrer
Klippschule von der körperlichen Züchtigung ein sehr mäßiger Gebrauch gemacht.
Nur Herr Mahleke in der ersten Klasse stand in dem Rufe, daß die Jungen zwar
viel bei ihm lernten, daß er aber den Stock etwas gar zu lose sitzen habe. Uuter
uns Schuljuugeu gab es einen Reim auf die vier Lehrer, der, wenn richtig ver¬
standen, ihr Verhältnis zu ihrer Klasse vollkommen zutreffend schilderte. Er hieß:
„Herr Thieme ist ein guter Mann, Herr Kleinere der geht auch »och an, Herr
Scharfe ist ein Kribbelkopp, Herr Mahleke hängt die Jungens opp." Das be¬
deutete, daß Herr Thieme in der Abcklasse am sanftesten, freundlichste» und väter¬
lichsten mit den Kindern umging. Herr Kleinere in der dritte» Klasse zog schon
strengere Saiten auf, machte aber doch auch noch dann und wann einen kleinen
Spaß und streichelte auch wohl dem einen oder andern fleißige» Jungen einmal
liebkosend das Haar. Herr Scharfe, ein hagerer Mann mit einer Habichtsnase,
galt als ernst, streng, aber gerecht u»d kannte kein Ansehen der Person. Herr
Mahleke, unter dessen Schulszepter ich nicht mehr gelangt bin, machte freilich keine
Umstände und galt als gefürchteter Schulthrauu; er brachte aber die erste Klasse
bis zur Koufiriuation sogar über das Schulziel heraus. Namentlich war er ein
vorzüglicher Rechner und Necheulehrer, und nieiu Vater ließ mich später, als ich
schon das Gymnasium besuchte, eine Zeit lang Privatunterricht im Rechnen bei ihm
nehmen, weil er — nicht oh»e Grund — behauptete, daß in den für das praktische
Leben so wichtigen Elementen des Rechnens auf dem Gymnasium nicht alles so
gehandhabt werde, wie es hätte sein sollen. Genug, die Quedlinburger Volksschule
war ausgezeichnet.
Mit unauslöschlichem, dankbarem Respekt denke ich an meine ersten Lehrer
zurück, die nach heutige» Begriffen uuter ganz unglaublich dürftige» Verhältnissen
ihres Amtes mit mustergiltiger Treue warteten und in großem Sege» wirkten.
Der Eindruck, den ich von diesen meinen ersten Lehrern empfangen habe, hat mich
durch das ganze Leben begleitet. Auf diesen Eindruck ist ohne Zweifel der Respekt,
das Interesse, ja die Liebe und Daukbarkeit zurückzuführen, die ich für die preußische
Volksschule und ihre tüchtigen Lehrer allezeit behalten habe. Ich kann bezeugen,
daß einzelne Partien des schulmäßigen Wissens nur bis auf deu heutigen Tag fast
ausschließlich in der Form geläufig sind, in der ich sie in der Volksschule empfangen
und in mich aufgenommen habe. Das gilt sogar von gewissen Teilen der Welt-,
insbesondre der deutschen Geschichte, die uns von Herrn Scharfe in bewunderns-
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