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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Ekkehard der Lrste von Se. Gallen und das Walrharilied

und so fort bis ins unendliche bezeichnet wird, so beweist das im besten Falle
nur. daß dem Dichter der Stil der altdeutschen Poesie nicht unbekannt war.
im Grunde jedoch ist diese Abwechslung nichts andres als der Notbehelf
des Anfängers, der immer uach Varianten sucht, weil es ihm nicht immer
gelingen will, den durch die Situation geforderten oder nächstliegenden Aus¬
druck in den Vers zu bringen.

Und ebenso steht es mit dem oftmals angerufnen Zeugnis der Realien
in Ekkehards Dichtung. Allerdings beweisen der Trotz und der Spott, den
die Helden nach ihrer Verwundung üben, die Heiligkeit der Blutrache, die
Erwähnung Wielands des Schmieds, das Angebot von Ringen und Spangen
als Mittel, den Streit zu schlichten, und andres, daß die Dichtung ihre
Wurzeln tief in das heidnische Altertum hinabsenkt, aber für ein ftabreimeudes
Gedicht folgt nichts daraus. Und nun hat sich gar noch herausgestellt, daß
man in dem Bestreben, heidnische Altertümer im Wnlthariliede zu suchen, viel
zu weit gegangen ist. Wenn man z. B. bei der Äußerung Hadawarts, Walther
werde nicht entkommen, auch wenn er Fittiche anlege und sich in einen Vogel
verwandle, an die altgermanischen Schwanenweiber hat denken wollen, so hat
sich diese Meinung als das Truggebilde einer befangnen und gutgläubigen
Textauslegung erwiesen. Ebensowenig haben die 1?rtmvi nvoulonss mit den
Nibelungen gemein, die sind nicht die Nornen, der I^rwrv.8 nicht das
heidnische Niftheim, und die mächtige Esche, von der es in einem Vergleiche
einmal heißt, daß sie bis zu deu Sternen emporrage, während ihre Wurzeln
bis in die Unterwelt hinabreichen, ist nicht die aus der Edda bekannte Esche
Nggdrnsill. Auch der Ausdruck vunvns, der einmal von der Aufstellung der
Kämpfer gebraucht wird, ist keineswegs auf den altgermanischen Schweinskopf
^ so nannte man die gewohnte keilförmige Schlachtordnung nach der Ähn¬
lichkeit -- zu beziehen. Vielmehr sind alle diese Ausdrücke lateinisch gedacht
und stammen fast alle -- und damit kommen wir zu einem der wesentlichsten
Punkte unsrer Ausführungen -- ans dein Virgil.

Die Abhängigkeit Ekkehards von Virgil ist natürlich längst erkannt
worden, man weiß, daß der junge Dichter von seinem römischen Vorbilde nicht
nur einzelne Ausdrücke, sondern auch Phrasen lind ganze Verse geborgt lind
diese Zutaten wie mehr oder minder glitzernde Steine in das Gefüge
seiner Rede eingesetzt hat. In derselben Weise hat er anch Anleihen bei
der Vulgatn und bei dem Prudentins, einem Dichter des angehenden Mittel-
nlters aus der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts, der vorzugsweise
religiöse Stoffe behandelt hat, gemacht. Ihm daraus einen Vorwurf machen
S" wollen, wäre töricht! seine Vorgänger Nlkuiu, Theodulf, Ermoldus,
N'gellius und andre arbeiten ähnlich wie Ekkehard mit dem Phrasenschatze
des Altertums. Ja bei Lichte besehen machen es alle Dichter so, und nicht
nur die Dichter, sondern alle, die die Sprache zum Zwecke der Mitteilung
handhaben. Wir alle zehren hente noch von der Hinterlassenschaft der
Wihern Geschlechter, wir brauchen die Ausdrücke, die Redewendungen, die ge¬
kugelten Worte, die vor Jahr und Tag geprägt worden sind -- lind der Unter-
lchled ist 5,^ daß Ekkehard und seine Vorgänger das mit Absicht und


Ekkehard der Lrste von Se. Gallen und das Walrharilied

und so fort bis ins unendliche bezeichnet wird, so beweist das im besten Falle
nur. daß dem Dichter der Stil der altdeutschen Poesie nicht unbekannt war.
im Grunde jedoch ist diese Abwechslung nichts andres als der Notbehelf
des Anfängers, der immer uach Varianten sucht, weil es ihm nicht immer
gelingen will, den durch die Situation geforderten oder nächstliegenden Aus¬
druck in den Vers zu bringen.

Und ebenso steht es mit dem oftmals angerufnen Zeugnis der Realien
in Ekkehards Dichtung. Allerdings beweisen der Trotz und der Spott, den
die Helden nach ihrer Verwundung üben, die Heiligkeit der Blutrache, die
Erwähnung Wielands des Schmieds, das Angebot von Ringen und Spangen
als Mittel, den Streit zu schlichten, und andres, daß die Dichtung ihre
Wurzeln tief in das heidnische Altertum hinabsenkt, aber für ein ftabreimeudes
Gedicht folgt nichts daraus. Und nun hat sich gar noch herausgestellt, daß
man in dem Bestreben, heidnische Altertümer im Wnlthariliede zu suchen, viel
zu weit gegangen ist. Wenn man z. B. bei der Äußerung Hadawarts, Walther
werde nicht entkommen, auch wenn er Fittiche anlege und sich in einen Vogel
verwandle, an die altgermanischen Schwanenweiber hat denken wollen, so hat
sich diese Meinung als das Truggebilde einer befangnen und gutgläubigen
Textauslegung erwiesen. Ebensowenig haben die 1?rtmvi nvoulonss mit den
Nibelungen gemein, die sind nicht die Nornen, der I^rwrv.8 nicht das
heidnische Niftheim, und die mächtige Esche, von der es in einem Vergleiche
einmal heißt, daß sie bis zu deu Sternen emporrage, während ihre Wurzeln
bis in die Unterwelt hinabreichen, ist nicht die aus der Edda bekannte Esche
Nggdrnsill. Auch der Ausdruck vunvns, der einmal von der Aufstellung der
Kämpfer gebraucht wird, ist keineswegs auf den altgermanischen Schweinskopf
^ so nannte man die gewohnte keilförmige Schlachtordnung nach der Ähn¬
lichkeit — zu beziehen. Vielmehr sind alle diese Ausdrücke lateinisch gedacht
und stammen fast alle — und damit kommen wir zu einem der wesentlichsten
Punkte unsrer Ausführungen — ans dein Virgil.

Die Abhängigkeit Ekkehards von Virgil ist natürlich längst erkannt
worden, man weiß, daß der junge Dichter von seinem römischen Vorbilde nicht
nur einzelne Ausdrücke, sondern auch Phrasen lind ganze Verse geborgt lind
diese Zutaten wie mehr oder minder glitzernde Steine in das Gefüge
seiner Rede eingesetzt hat. In derselben Weise hat er anch Anleihen bei
der Vulgatn und bei dem Prudentins, einem Dichter des angehenden Mittel-
nlters aus der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts, der vorzugsweise
religiöse Stoffe behandelt hat, gemacht. Ihm daraus einen Vorwurf machen
S" wollen, wäre töricht! seine Vorgänger Nlkuiu, Theodulf, Ermoldus,
N'gellius und andre arbeiten ähnlich wie Ekkehard mit dem Phrasenschatze
des Altertums. Ja bei Lichte besehen machen es alle Dichter so, und nicht
nur die Dichter, sondern alle, die die Sprache zum Zwecke der Mitteilung
handhaben. Wir alle zehren hente noch von der Hinterlassenschaft der
Wihern Geschlechter, wir brauchen die Ausdrücke, die Redewendungen, die ge¬
kugelten Worte, die vor Jahr und Tag geprägt worden sind — lind der Unter-
lchled ist 5,^ daß Ekkehard und seine Vorgänger das mit Absicht und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/293>, abgerufen am 26.11.2024.