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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Die orientalische Frage

Organisierung des Numünentmns eine Beunruhigung seiner Rumänen be¬
fürchtete. Die Sache wurde wie so oft nicht durch einen Vertrag sondern
durch den Gang der Ereignisse erledigt, indem 1859 Alexander Cusa in beiden
Fürstentümern zum Hospodcir gewählt wurde. Fürs erste schien Rußland
Recht behalten zu sollen, jedoch mit der Vertreibung Alexanders und der
Wahl des Prinzen Karl von Hohenzollern vollzog sich ein Ereignis, das die
Berechnungen aller Interessenten an der rumänischen Frage täuschte. Gerade
die Vereinigung der beiden Fürstentümer, die Österreich gefürchtet und Nu߬
land gewünscht hatte, hat die wichtige strategische Linie der untern Dornen
dauernd Nußland entzogen, Österreich im Südosten gedeckt und der russischen
Angriffspolitik einen Riegel vorgeschoben, den sie anch 1876 nicht zu sprengen
vermochte.

Freilich hatten sich mittlerweile auch an andern Punkten Ereignisse voll¬
zogen, die das Gesicht der orientalischen Frage gründlich veränderten. Öster¬
reich hatte nicht nur seine italienische"! Besitzungen verloren, sondern war 1866
auch aus Deutschland dauernd ausgeschieden. Seine Entwicklung nach diesen
beiden Seiten war abgeschlossen, zumal da der Verlauf des deutsch-französischen
Krieges und die Wiederaufrichtung des Deutschen Reichs unter Preußens
Führung die Ergebnisse des Jahres 1866 sanktioniert hatten. Österreich war
unter der Mitwirkung Rußlands geschwächt worden, aber dieses hatte keinen
Gewinn davon; war Österreich vor dem Jahre 1866 nach drei Seiten hin offen
gewesen, d. h. mußte es auf drei auseinanderliegende Punkte seine Aufmerk¬
samkeit verteilen: auf Deutschland, Italien und den Orient, so konnte es nach
dem Jahre 1871 seine tätige auswärtige Politik auf die orientalischen Dinge
beschränken. Ihre auswärtigen Bedürfnisse wie auch der begreifliche Wunsch
der Dynastie, die erlittnen Verluste zu ersetzen, ermöglichten der Monarchie
nunmehr, als weit leistungsfähigerer Konkurrent Rußlands in der orientalischen
Frage aufzutreten. Die Aufgabe der Wiener auswärtigen Politik war ver¬
einfacht worden- Daneben hatte aber auch die Neugründung des Deutschen
Reiches die Beziehungen der Mächte zur orientalischen Frage außerordentlich
beeinflußt.

Das bekannte Wort Bismarcks von den Knochen des pommerschen
Grenadiers, die Deutschland nicht dem Orient opfern dürfe, hat, richtig ver¬
standen, wohl auch heute uoch seine Giltigkeit; aber man würde irren, wollte
man daraus schließen, daß erstens Deutschland kein Interesse an der Ent¬
wicklung der Dinge auf der Balkanhalbinsel habe, und daß es zweitens niemals
in die Lage gekommen sei, sie zu beeinflussen. Wir haben gesehen, daß eine
der Hauptbedingungen für das Anwachsen Rußlands zu einer europäischen
Großmacht die politische Ohnmacht des Deutschen Reichs war; daß die preußisch¬
österreichische Rivalität beide Staaten unter das Gebot Rußlands beugte, und
daß sowohl Kaunitz als auch Friedrich der Große nur in einer Sammlung
der deutschen Kräfte ein Mittel zur Abwehr der europäischen Herrschaft Ru߬
lands sahen. Erst hundert Jahre später sollten sich diese Hoffnungen ver¬
wirklichen. Rußland hatte den Ausbruch des deutsch-französischen Krieges
benützt, sich der lästigen Beschränkungen zu entledigen, die ihm der Pariser


Die orientalische Frage

Organisierung des Numünentmns eine Beunruhigung seiner Rumänen be¬
fürchtete. Die Sache wurde wie so oft nicht durch einen Vertrag sondern
durch den Gang der Ereignisse erledigt, indem 1859 Alexander Cusa in beiden
Fürstentümern zum Hospodcir gewählt wurde. Fürs erste schien Rußland
Recht behalten zu sollen, jedoch mit der Vertreibung Alexanders und der
Wahl des Prinzen Karl von Hohenzollern vollzog sich ein Ereignis, das die
Berechnungen aller Interessenten an der rumänischen Frage täuschte. Gerade
die Vereinigung der beiden Fürstentümer, die Österreich gefürchtet und Nu߬
land gewünscht hatte, hat die wichtige strategische Linie der untern Dornen
dauernd Nußland entzogen, Österreich im Südosten gedeckt und der russischen
Angriffspolitik einen Riegel vorgeschoben, den sie anch 1876 nicht zu sprengen
vermochte.

Freilich hatten sich mittlerweile auch an andern Punkten Ereignisse voll¬
zogen, die das Gesicht der orientalischen Frage gründlich veränderten. Öster¬
reich hatte nicht nur seine italienische»! Besitzungen verloren, sondern war 1866
auch aus Deutschland dauernd ausgeschieden. Seine Entwicklung nach diesen
beiden Seiten war abgeschlossen, zumal da der Verlauf des deutsch-französischen
Krieges und die Wiederaufrichtung des Deutschen Reichs unter Preußens
Führung die Ergebnisse des Jahres 1866 sanktioniert hatten. Österreich war
unter der Mitwirkung Rußlands geschwächt worden, aber dieses hatte keinen
Gewinn davon; war Österreich vor dem Jahre 1866 nach drei Seiten hin offen
gewesen, d. h. mußte es auf drei auseinanderliegende Punkte seine Aufmerk¬
samkeit verteilen: auf Deutschland, Italien und den Orient, so konnte es nach
dem Jahre 1871 seine tätige auswärtige Politik auf die orientalischen Dinge
beschränken. Ihre auswärtigen Bedürfnisse wie auch der begreifliche Wunsch
der Dynastie, die erlittnen Verluste zu ersetzen, ermöglichten der Monarchie
nunmehr, als weit leistungsfähigerer Konkurrent Rußlands in der orientalischen
Frage aufzutreten. Die Aufgabe der Wiener auswärtigen Politik war ver¬
einfacht worden- Daneben hatte aber auch die Neugründung des Deutschen
Reiches die Beziehungen der Mächte zur orientalischen Frage außerordentlich
beeinflußt.

Das bekannte Wort Bismarcks von den Knochen des pommerschen
Grenadiers, die Deutschland nicht dem Orient opfern dürfe, hat, richtig ver¬
standen, wohl auch heute uoch seine Giltigkeit; aber man würde irren, wollte
man daraus schließen, daß erstens Deutschland kein Interesse an der Ent¬
wicklung der Dinge auf der Balkanhalbinsel habe, und daß es zweitens niemals
in die Lage gekommen sei, sie zu beeinflussen. Wir haben gesehen, daß eine
der Hauptbedingungen für das Anwachsen Rußlands zu einer europäischen
Großmacht die politische Ohnmacht des Deutschen Reichs war; daß die preußisch¬
österreichische Rivalität beide Staaten unter das Gebot Rußlands beugte, und
daß sowohl Kaunitz als auch Friedrich der Große nur in einer Sammlung
der deutschen Kräfte ein Mittel zur Abwehr der europäischen Herrschaft Ru߬
lands sahen. Erst hundert Jahre später sollten sich diese Hoffnungen ver¬
wirklichen. Rußland hatte den Ausbruch des deutsch-französischen Krieges
benützt, sich der lästigen Beschränkungen zu entledigen, die ihm der Pariser


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[0280] Die orientalische Frage Organisierung des Numünentmns eine Beunruhigung seiner Rumänen be¬ fürchtete. Die Sache wurde wie so oft nicht durch einen Vertrag sondern durch den Gang der Ereignisse erledigt, indem 1859 Alexander Cusa in beiden Fürstentümern zum Hospodcir gewählt wurde. Fürs erste schien Rußland Recht behalten zu sollen, jedoch mit der Vertreibung Alexanders und der Wahl des Prinzen Karl von Hohenzollern vollzog sich ein Ereignis, das die Berechnungen aller Interessenten an der rumänischen Frage täuschte. Gerade die Vereinigung der beiden Fürstentümer, die Österreich gefürchtet und Nu߬ land gewünscht hatte, hat die wichtige strategische Linie der untern Dornen dauernd Nußland entzogen, Österreich im Südosten gedeckt und der russischen Angriffspolitik einen Riegel vorgeschoben, den sie anch 1876 nicht zu sprengen vermochte. Freilich hatten sich mittlerweile auch an andern Punkten Ereignisse voll¬ zogen, die das Gesicht der orientalischen Frage gründlich veränderten. Öster¬ reich hatte nicht nur seine italienische»! Besitzungen verloren, sondern war 1866 auch aus Deutschland dauernd ausgeschieden. Seine Entwicklung nach diesen beiden Seiten war abgeschlossen, zumal da der Verlauf des deutsch-französischen Krieges und die Wiederaufrichtung des Deutschen Reichs unter Preußens Führung die Ergebnisse des Jahres 1866 sanktioniert hatten. Österreich war unter der Mitwirkung Rußlands geschwächt worden, aber dieses hatte keinen Gewinn davon; war Österreich vor dem Jahre 1866 nach drei Seiten hin offen gewesen, d. h. mußte es auf drei auseinanderliegende Punkte seine Aufmerk¬ samkeit verteilen: auf Deutschland, Italien und den Orient, so konnte es nach dem Jahre 1871 seine tätige auswärtige Politik auf die orientalischen Dinge beschränken. Ihre auswärtigen Bedürfnisse wie auch der begreifliche Wunsch der Dynastie, die erlittnen Verluste zu ersetzen, ermöglichten der Monarchie nunmehr, als weit leistungsfähigerer Konkurrent Rußlands in der orientalischen Frage aufzutreten. Die Aufgabe der Wiener auswärtigen Politik war ver¬ einfacht worden- Daneben hatte aber auch die Neugründung des Deutschen Reiches die Beziehungen der Mächte zur orientalischen Frage außerordentlich beeinflußt. Das bekannte Wort Bismarcks von den Knochen des pommerschen Grenadiers, die Deutschland nicht dem Orient opfern dürfe, hat, richtig ver¬ standen, wohl auch heute uoch seine Giltigkeit; aber man würde irren, wollte man daraus schließen, daß erstens Deutschland kein Interesse an der Ent¬ wicklung der Dinge auf der Balkanhalbinsel habe, und daß es zweitens niemals in die Lage gekommen sei, sie zu beeinflussen. Wir haben gesehen, daß eine der Hauptbedingungen für das Anwachsen Rußlands zu einer europäischen Großmacht die politische Ohnmacht des Deutschen Reichs war; daß die preußisch¬ österreichische Rivalität beide Staaten unter das Gebot Rußlands beugte, und daß sowohl Kaunitz als auch Friedrich der Große nur in einer Sammlung der deutschen Kräfte ein Mittel zur Abwehr der europäischen Herrschaft Ru߬ lands sahen. Erst hundert Jahre später sollten sich diese Hoffnungen ver¬ wirklichen. Rußland hatte den Ausbruch des deutsch-französischen Krieges benützt, sich der lästigen Beschränkungen zu entledigen, die ihm der Pariser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/280>, abgerufen am 01.09.2024.