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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Graf Lüloivs Reden

enthalten keine Widersprüche, ihr Grundton ist vom Anfang bis zum Schluß
derselbe. Das tortitsr in r"z, "rmvitsr in rnoclo ist selten von einem politischen
Redner, der als Steuermann das Staatsschiff auf sehr bewegtem Meere zu steuern
hat, so konsequent und folgerichtig angewandt worden. So konnte er noch im
Januar d. I. den Altdeutschen entgegenhalten: "Jeder Kaufmann wird Ihnen sagen
können, daß Geschäfte uicht notwendig mit schlechten Manieren geführt zu
werden brauchen, Grobheit ist noch nicht Würde, und Kratzbürstigkeit ist noch
uicht Festigkeit. Chauvinismus und Vaterlandsliebe sind nicht identische Be¬
griffe." Andrerseits fand er im März v. I. Anlaß, den Parteien gegenüber
zu betonen, daß die Regierung notwendigen Konflikten nicht aus dem
Wege gehn werde. Das Gegenteil anzunehmen sei ein grober Irrtum, Kon¬
flikten, die im Interesse des Staats, im Interesse der Gesamtheit ausgefochten
werden müßten, werde er sicherlich nicht ausweichen. "Notwendige Konflikte
müssen aufgenommen, und sie müssen durchgeführt werden, unnötige Konflikte
zu provozieren, das ist freilich töricht." Ebenso bestimmt sagte Graf Bülow
in derselben Rede: "Die Regierung dieses Landes kann Wohl zeitweise mit
dieser oder jener Partei regieren, sie kann sich aber und wird sich von keiner
Partei regieren lassen."

Von Person friedlich, wohlwollend und menschenfreundlich, deu idealen
Regungen in dein Leben des eignen Volkes wie in dem fremder Völker zugetan,
ohne Standeshochmut oder bureaukratischen Dunkel, gleich liebenswürdig im
amtlichen wie im privaten Verkehr, ohne dabei den politischen Zweck aus
dem Auge zu verlieren, mit offnem Blick und mit Verständnis für die Vor¬
gänge des heimischen öffentlichen Lebeus nicht minder wie für das diplo-
matische Widerspiel des Auslandes hat Graf Bülow mit seinen Vorgängern,
zumal mit Bismarck und Hohenlohe, wohl manche Eigenschaft gemeinsam,
und doch ist er ein wesentlich andrer als dieser. Als er ins Amt trat,
war er in der innern Politik ein uomo liovu8, ein nnbcschriebnes Blatt.
In der auswärtigen Politik waren die Geleise für den Staatswagen viel
zu fest und zu tief, als daß neue Wendungen ohne die Gefahr des Um¬
werfens möglich gewesen wären. Auch war Graf Bülow in Bukarest und in
Rom langjähriger überzeugter Verfechter der D reib und spolitik, die doch die
Angel für die Bewegungen der deutschen Staatskunst ist. Es konnte sich
dem Auslande gegenüber also wohl nur um das größere oder das geringere
Maß von Energie, Umsicht und weiten Blick, um das größere oder geringere
Maß von Geschicklichkeit in der Ausnutzung günstiger, in der Vermeidung oder
Beseitigung ungünstiger Uiustäude handeln; wir glauben im Gegensatz zu manchen
Beurteilern uicht, daß Graf Bülow es hierin hat fehlen lassen. Wenn, wie
glaubhaft berichtet worden ist, Bismarck in seinen letzten Lebensjahren, sobald
er im Vertrantenkreise um einen Nachfolger für Herrn von Marschall befragt
wurde, immer wieder auf den jetzigen Reichskanzler hingewiesen hat, so wird
jedes wirklich unbefangne Urteil heute zugeben dürfen, daß Bismarck darin
das Nichtige getroffen hatte. In den internationalen Beziehungen ist Graf
Bülow uach Möglichkeit auf den Bismarckischcn Wegen geblieben; neue Auf¬
gabe", die die neue Zeit gestellt hat, wie z. B. in China, sind bisher mit


Graf Lüloivs Reden

enthalten keine Widersprüche, ihr Grundton ist vom Anfang bis zum Schluß
derselbe. Das tortitsr in r«z, «rmvitsr in rnoclo ist selten von einem politischen
Redner, der als Steuermann das Staatsschiff auf sehr bewegtem Meere zu steuern
hat, so konsequent und folgerichtig angewandt worden. So konnte er noch im
Januar d. I. den Altdeutschen entgegenhalten: „Jeder Kaufmann wird Ihnen sagen
können, daß Geschäfte uicht notwendig mit schlechten Manieren geführt zu
werden brauchen, Grobheit ist noch nicht Würde, und Kratzbürstigkeit ist noch
uicht Festigkeit. Chauvinismus und Vaterlandsliebe sind nicht identische Be¬
griffe." Andrerseits fand er im März v. I. Anlaß, den Parteien gegenüber
zu betonen, daß die Regierung notwendigen Konflikten nicht aus dem
Wege gehn werde. Das Gegenteil anzunehmen sei ein grober Irrtum, Kon¬
flikten, die im Interesse des Staats, im Interesse der Gesamtheit ausgefochten
werden müßten, werde er sicherlich nicht ausweichen. „Notwendige Konflikte
müssen aufgenommen, und sie müssen durchgeführt werden, unnötige Konflikte
zu provozieren, das ist freilich töricht." Ebenso bestimmt sagte Graf Bülow
in derselben Rede: „Die Regierung dieses Landes kann Wohl zeitweise mit
dieser oder jener Partei regieren, sie kann sich aber und wird sich von keiner
Partei regieren lassen."

Von Person friedlich, wohlwollend und menschenfreundlich, deu idealen
Regungen in dein Leben des eignen Volkes wie in dem fremder Völker zugetan,
ohne Standeshochmut oder bureaukratischen Dunkel, gleich liebenswürdig im
amtlichen wie im privaten Verkehr, ohne dabei den politischen Zweck aus
dem Auge zu verlieren, mit offnem Blick und mit Verständnis für die Vor¬
gänge des heimischen öffentlichen Lebeus nicht minder wie für das diplo-
matische Widerspiel des Auslandes hat Graf Bülow mit seinen Vorgängern,
zumal mit Bismarck und Hohenlohe, wohl manche Eigenschaft gemeinsam,
und doch ist er ein wesentlich andrer als dieser. Als er ins Amt trat,
war er in der innern Politik ein uomo liovu8, ein nnbcschriebnes Blatt.
In der auswärtigen Politik waren die Geleise für den Staatswagen viel
zu fest und zu tief, als daß neue Wendungen ohne die Gefahr des Um¬
werfens möglich gewesen wären. Auch war Graf Bülow in Bukarest und in
Rom langjähriger überzeugter Verfechter der D reib und spolitik, die doch die
Angel für die Bewegungen der deutschen Staatskunst ist. Es konnte sich
dem Auslande gegenüber also wohl nur um das größere oder das geringere
Maß von Energie, Umsicht und weiten Blick, um das größere oder geringere
Maß von Geschicklichkeit in der Ausnutzung günstiger, in der Vermeidung oder
Beseitigung ungünstiger Uiustäude handeln; wir glauben im Gegensatz zu manchen
Beurteilern uicht, daß Graf Bülow es hierin hat fehlen lassen. Wenn, wie
glaubhaft berichtet worden ist, Bismarck in seinen letzten Lebensjahren, sobald
er im Vertrantenkreise um einen Nachfolger für Herrn von Marschall befragt
wurde, immer wieder auf den jetzigen Reichskanzler hingewiesen hat, so wird
jedes wirklich unbefangne Urteil heute zugeben dürfen, daß Bismarck darin
das Nichtige getroffen hatte. In den internationalen Beziehungen ist Graf
Bülow uach Möglichkeit auf den Bismarckischcn Wegen geblieben; neue Auf¬
gabe«, die die neue Zeit gestellt hat, wie z. B. in China, sind bisher mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/28>, abgerufen am 22.11.2024.