Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.Die orientalische Frage bleiben. Serbien und Bulgarien könnten dieselbe (!) Regierungsform erhalten, Hätte die Revolution 1848, besonders in Frankreich, gesiegt, dann wäre Der Krieg war von den Westmächten schlecht vorbereitet worden, und Die orientalische Frage bleiben. Serbien und Bulgarien könnten dieselbe (!) Regierungsform erhalten, Hätte die Revolution 1848, besonders in Frankreich, gesiegt, dann wäre Der Krieg war von den Westmächten schlecht vorbereitet worden, und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0278" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/241492"/> <fw type="header" place="top"> Die orientalische Frage</fw><lb/> <p xml:id="ID_1121" prev="#ID_1120"> bleiben. Serbien und Bulgarien könnten dieselbe (!) Regierungsform erhalten,<lb/> Ägypten und Kreta dagegen an England fallen. — Man sieht, wie uneigen¬<lb/> nützig Kaiser Nikolaus war. Daß dieser Teilungsplau ernst gemeint war, ist<lb/> übrigens kaum anzunehmen; England sollte damit wohl nur hingehalten<lb/> werden, bis man in Petersburg den geplanten Angriffskrieg gegen die Türkei<lb/> diplomatisch vorbereitet hätte, kurz man wollte für diesen Fall ein englisch-<lb/> französisches Gegenbünduis verhindern. In diesem Punkte täuschte sich Nikolaus<lb/> allerdings. Napoleon der Dritte war ein andrer Diplomat als die Minister<lb/> Louis Philipps. Montenegro hatte schon losgeschlagen, und Österreich hatte<lb/> durch den Grafen Leiningen in Konstantinopel im Interesse der Erhaltung<lb/> des Friedens interveniert, um die Pläne Rußlands zu durchkreuzen. Dies zu<lb/> verhindern mußte Nußland durch Mentschikows Sendung den Abbruch der<lb/> diplomatischen Beziehungen zur Pforte herbeiführen, ohne daß das Peters¬<lb/> burger Kabinett mit dem Londoner vorher vollständig ins reine gekommen<lb/> wäre. — Der Ausbruch und der Verlauf des Krimkrieges sind zu bekannt, als<lb/> daß er wiederholt zu werden brauchte, uur einige Bemerkungen über die Hal¬<lb/> tung Österreichs und die Gesamtlage scheinen am Platze.</p><lb/> <p xml:id="ID_1122"> Hätte die Revolution 1848, besonders in Frankreich, gesiegt, dann wäre<lb/> Kaiser Nikolaus zweifellos die Möglichkeit geboten gewesen, seine Pläne durch¬<lb/> zuführen nud mit der Türkei zu Ende zu kommen. Indem es jedoch Napoleon<lb/> gelang, die revolutionäre Bewegung zu meistern, schuf er damit nicht nur die<lb/> Möglichkeit eines französisch-englischen Bündnisses gegen Rußland, soudern<lb/> gab auch Österreich den nötigen Rückhalt, sich trotz seiner voraufgegauguen<lb/> Demütigung vor Nußland diesem in den Weg zu werfen. — Die Politik Öster¬<lb/> reichs im Krimkriege ist fast durchweg abfällig beurteilt worden. Vom rein öster¬<lb/> reichischen Standpunkt betrachtet ist diese Kritik berechtigt; von einer Undank¬<lb/> barkeit Österreichs gegen Rußland kann man jedoch nicht sprechen. Es standen<lb/> Österreich damals zwei Wege offen, entweder eine Verständigung mit Ru߬<lb/> land zum Zweck einer gemeinsamen Intervention in Konstantinopel, oder<lb/> aber ein Bündnis mit den Westmächten. Österreich konnte sich für keinen der<lb/> beiden Wege entscheiden, sondern wählte, zwischen der Wahrnehmung seiner<lb/> Interessen und der Rücksicht auf Rußland schwankend, einen kostspieligen und<lb/> nicht sehr rühmlichen Mittelweg, auf dem es wohl die direkte Bedrohung<lb/> seiner Orientintcressen verhinderte, sich aber den Haß Rußlands erwarb, ohne<lb/> dem Petersburger Kabinette Respekt und den Westmächten Achtung eingeflößt<lb/> zu haben. Dabei muß jedoch bemerkt werden, daß Österreichs Tatkraft auch<lb/> sehr wesentlich durch die Rücksicht auf Preußen gehemmt war, das unter<lb/> russischem Einflüsse stand, und von dem besorgt werden mußte, daß es die<lb/> übrigen deutschen Staaten hindern werde, Österreich zu unterstützen, falls es<lb/> in einen Krieg mit Rußland verwickelt würde.</p><lb/> <p xml:id="ID_1123" next="#ID_1124"> Der Krieg war von den Westmächten schlecht vorbereitet worden, und<lb/> die Unsicherheit der deutschen Verhältnisse hatte die russische Diplomatie<lb/> wesentlich gefördert; trotzdem beweist der scheinbar geringfügige Inhalt des<lb/> Pariser Friedens, daß in der Entwicklung der orientalischen Frage eine be¬<lb/> deutungsvolle Wendung eingetreten war. Der Pariser Friede berichtigte die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0278]
Die orientalische Frage
bleiben. Serbien und Bulgarien könnten dieselbe (!) Regierungsform erhalten,
Ägypten und Kreta dagegen an England fallen. — Man sieht, wie uneigen¬
nützig Kaiser Nikolaus war. Daß dieser Teilungsplau ernst gemeint war, ist
übrigens kaum anzunehmen; England sollte damit wohl nur hingehalten
werden, bis man in Petersburg den geplanten Angriffskrieg gegen die Türkei
diplomatisch vorbereitet hätte, kurz man wollte für diesen Fall ein englisch-
französisches Gegenbünduis verhindern. In diesem Punkte täuschte sich Nikolaus
allerdings. Napoleon der Dritte war ein andrer Diplomat als die Minister
Louis Philipps. Montenegro hatte schon losgeschlagen, und Österreich hatte
durch den Grafen Leiningen in Konstantinopel im Interesse der Erhaltung
des Friedens interveniert, um die Pläne Rußlands zu durchkreuzen. Dies zu
verhindern mußte Nußland durch Mentschikows Sendung den Abbruch der
diplomatischen Beziehungen zur Pforte herbeiführen, ohne daß das Peters¬
burger Kabinett mit dem Londoner vorher vollständig ins reine gekommen
wäre. — Der Ausbruch und der Verlauf des Krimkrieges sind zu bekannt, als
daß er wiederholt zu werden brauchte, uur einige Bemerkungen über die Hal¬
tung Österreichs und die Gesamtlage scheinen am Platze.
Hätte die Revolution 1848, besonders in Frankreich, gesiegt, dann wäre
Kaiser Nikolaus zweifellos die Möglichkeit geboten gewesen, seine Pläne durch¬
zuführen nud mit der Türkei zu Ende zu kommen. Indem es jedoch Napoleon
gelang, die revolutionäre Bewegung zu meistern, schuf er damit nicht nur die
Möglichkeit eines französisch-englischen Bündnisses gegen Rußland, soudern
gab auch Österreich den nötigen Rückhalt, sich trotz seiner voraufgegauguen
Demütigung vor Nußland diesem in den Weg zu werfen. — Die Politik Öster¬
reichs im Krimkriege ist fast durchweg abfällig beurteilt worden. Vom rein öster¬
reichischen Standpunkt betrachtet ist diese Kritik berechtigt; von einer Undank¬
barkeit Österreichs gegen Rußland kann man jedoch nicht sprechen. Es standen
Österreich damals zwei Wege offen, entweder eine Verständigung mit Ru߬
land zum Zweck einer gemeinsamen Intervention in Konstantinopel, oder
aber ein Bündnis mit den Westmächten. Österreich konnte sich für keinen der
beiden Wege entscheiden, sondern wählte, zwischen der Wahrnehmung seiner
Interessen und der Rücksicht auf Rußland schwankend, einen kostspieligen und
nicht sehr rühmlichen Mittelweg, auf dem es wohl die direkte Bedrohung
seiner Orientintcressen verhinderte, sich aber den Haß Rußlands erwarb, ohne
dem Petersburger Kabinette Respekt und den Westmächten Achtung eingeflößt
zu haben. Dabei muß jedoch bemerkt werden, daß Österreichs Tatkraft auch
sehr wesentlich durch die Rücksicht auf Preußen gehemmt war, das unter
russischem Einflüsse stand, und von dem besorgt werden mußte, daß es die
übrigen deutschen Staaten hindern werde, Österreich zu unterstützen, falls es
in einen Krieg mit Rußland verwickelt würde.
Der Krieg war von den Westmächten schlecht vorbereitet worden, und
die Unsicherheit der deutschen Verhältnisse hatte die russische Diplomatie
wesentlich gefördert; trotzdem beweist der scheinbar geringfügige Inhalt des
Pariser Friedens, daß in der Entwicklung der orientalischen Frage eine be¬
deutungsvolle Wendung eingetreten war. Der Pariser Friede berichtigte die
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