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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Böhmen

^7"^-.ruhiger die Wellen vor den Dämmen sind, die im Westen
Deutschlands Kaiser Wilhelm der Erste mit seinem märkischen Deich¬
hauptmann gegen die gallische Sturmflut gebant hat, desto
mächtiger bremsen jetzt von Osten her die slawischen Wogen gegen
das deutsche Volkstum. Der nationale Kampf ist ja selbst in
dem vorherrschenden Bundesstaate des jungen Deutschen Reiches, in Preußen, ent¬
brannt, und es wird der unerschütterlichen Energie der Regierung wie der
hingebenden Mitarbeit der parlamentarischen Parteien bedürfen, soll gegen den
Polnischen "Übermut," der auch eine noch volkstümlichere Bezeichnung verdiente,
ein im deutschen nationalen Interesse liegender Erfolg errungen werden, damit
nicht, wie nach dem großen Kulturkampfe -- damals durch die Abschwenkung
der Linksliberalen zur Opposition -- oder bei dem Kampfe gegen die Sozial¬
demokratie durch die Lässigkeit der Parteien, ein Umschwung eintritt, der jetzt
in der Stellung des Zentrums als der stärksten und in den Sozialdemokraten
als der ausschlaggebenden Partei seinen Ausdruck findet.

Das ist alles noch in der Ära Bismarck geschehen, von der heute alle,
deren Parteigeschüfte die Negierung nicht besorgen will, einmütig behaupten,
damals sei immer alles klar gewesen, man habe allemal gewußt, wohin die
Negierung wolle. Und doch hat man sie im Stiche gelassen. Was bei der
heutigen Unbelehrbarst des Zentrums, das uicht einmal durch die unzwei¬
deutige Absicht der Polen gewitzigt wird, bei der Neigung aller demokratischen
Schattierungen, die Reihen ihrer Opposition gleichviel woher zu verstärken, bei
der infolge der Agitation des Banernbunds immer weiter fortschreitenden Demo¬
kratisierung der Konservativen, sobald die Landarbeiterfrage ins Spiel kommt,
noch alles geschehn kann, wagen wir gar nicht auszudenken. Möge das
Schwarzseherei sein und -- bleiben! Jedenfalls ist der langwierige Kampf gegen
das Polentum erst begonnen und noch nicht gewonnen.

Doch steht es auf dieser Seite uoch verhältnismäßig gut, anders sieht es
V^erreichischen Gebiet aus, wo nicht nur die oberflächlichen Germanisieruugs-
bestrebungM der Habsburger abgeschüttelt werden, sondern auch die alten
Zutschen Einwandrnngen und Marken bedroht erscheinen. Man braucht darüber'


Grenzboten III 1903 33


Böhmen

^7«^-.ruhiger die Wellen vor den Dämmen sind, die im Westen
Deutschlands Kaiser Wilhelm der Erste mit seinem märkischen Deich¬
hauptmann gegen die gallische Sturmflut gebant hat, desto
mächtiger bremsen jetzt von Osten her die slawischen Wogen gegen
das deutsche Volkstum. Der nationale Kampf ist ja selbst in
dem vorherrschenden Bundesstaate des jungen Deutschen Reiches, in Preußen, ent¬
brannt, und es wird der unerschütterlichen Energie der Regierung wie der
hingebenden Mitarbeit der parlamentarischen Parteien bedürfen, soll gegen den
Polnischen „Übermut," der auch eine noch volkstümlichere Bezeichnung verdiente,
ein im deutschen nationalen Interesse liegender Erfolg errungen werden, damit
nicht, wie nach dem großen Kulturkampfe — damals durch die Abschwenkung
der Linksliberalen zur Opposition — oder bei dem Kampfe gegen die Sozial¬
demokratie durch die Lässigkeit der Parteien, ein Umschwung eintritt, der jetzt
in der Stellung des Zentrums als der stärksten und in den Sozialdemokraten
als der ausschlaggebenden Partei seinen Ausdruck findet.

Das ist alles noch in der Ära Bismarck geschehen, von der heute alle,
deren Parteigeschüfte die Negierung nicht besorgen will, einmütig behaupten,
damals sei immer alles klar gewesen, man habe allemal gewußt, wohin die
Negierung wolle. Und doch hat man sie im Stiche gelassen. Was bei der
heutigen Unbelehrbarst des Zentrums, das uicht einmal durch die unzwei¬
deutige Absicht der Polen gewitzigt wird, bei der Neigung aller demokratischen
Schattierungen, die Reihen ihrer Opposition gleichviel woher zu verstärken, bei
der infolge der Agitation des Banernbunds immer weiter fortschreitenden Demo¬
kratisierung der Konservativen, sobald die Landarbeiterfrage ins Spiel kommt,
noch alles geschehn kann, wagen wir gar nicht auszudenken. Möge das
Schwarzseherei sein und — bleiben! Jedenfalls ist der langwierige Kampf gegen
das Polentum erst begonnen und noch nicht gewonnen.

Doch steht es auf dieser Seite uoch verhältnismäßig gut, anders sieht es
V^erreichischen Gebiet aus, wo nicht nur die oberflächlichen Germanisieruugs-
bestrebungM der Habsburger abgeschüttelt werden, sondern auch die alten
Zutschen Einwandrnngen und Marken bedroht erscheinen. Man braucht darüber'


Grenzboten III 1903 33
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[0265] [Abbildung] Böhmen ^7«^-.ruhiger die Wellen vor den Dämmen sind, die im Westen Deutschlands Kaiser Wilhelm der Erste mit seinem märkischen Deich¬ hauptmann gegen die gallische Sturmflut gebant hat, desto mächtiger bremsen jetzt von Osten her die slawischen Wogen gegen das deutsche Volkstum. Der nationale Kampf ist ja selbst in dem vorherrschenden Bundesstaate des jungen Deutschen Reiches, in Preußen, ent¬ brannt, und es wird der unerschütterlichen Energie der Regierung wie der hingebenden Mitarbeit der parlamentarischen Parteien bedürfen, soll gegen den Polnischen „Übermut," der auch eine noch volkstümlichere Bezeichnung verdiente, ein im deutschen nationalen Interesse liegender Erfolg errungen werden, damit nicht, wie nach dem großen Kulturkampfe — damals durch die Abschwenkung der Linksliberalen zur Opposition — oder bei dem Kampfe gegen die Sozial¬ demokratie durch die Lässigkeit der Parteien, ein Umschwung eintritt, der jetzt in der Stellung des Zentrums als der stärksten und in den Sozialdemokraten als der ausschlaggebenden Partei seinen Ausdruck findet. Das ist alles noch in der Ära Bismarck geschehen, von der heute alle, deren Parteigeschüfte die Negierung nicht besorgen will, einmütig behaupten, damals sei immer alles klar gewesen, man habe allemal gewußt, wohin die Negierung wolle. Und doch hat man sie im Stiche gelassen. Was bei der heutigen Unbelehrbarst des Zentrums, das uicht einmal durch die unzwei¬ deutige Absicht der Polen gewitzigt wird, bei der Neigung aller demokratischen Schattierungen, die Reihen ihrer Opposition gleichviel woher zu verstärken, bei der infolge der Agitation des Banernbunds immer weiter fortschreitenden Demo¬ kratisierung der Konservativen, sobald die Landarbeiterfrage ins Spiel kommt, noch alles geschehn kann, wagen wir gar nicht auszudenken. Möge das Schwarzseherei sein und — bleiben! Jedenfalls ist der langwierige Kampf gegen das Polentum erst begonnen und noch nicht gewonnen. Doch steht es auf dieser Seite uoch verhältnismäßig gut, anders sieht es V^erreichischen Gebiet aus, wo nicht nur die oberflächlichen Germanisieruugs- bestrebungM der Habsburger abgeschüttelt werden, sondern auch die alten Zutschen Einwandrnngen und Marken bedroht erscheinen. Man braucht darüber' Grenzboten III 1903 33

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/265>, abgerufen am 09.11.2024.