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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache

mologie, die zum Teil durch den ältern Sprachgebrauch selbst Unterstützung
fand, da nach ihm z, B. öfter die Verbindung "Redner und Vormund" vor¬
kommt und ferner Vormund und Mündel als Bezeichnungen für den gericht¬
lichen Vorsprechcr und seine Partei gebraucht werden. Auch scheint das uns
heute noch geläufige Eigenschaftswort "mundtot" zur Bezeichnung des Ent¬
mündigten für die angegebne Herleitung des Wortes zu sprechen. Trotzdem
muß diese aber als unrichtig bezeichnet werden. Denn "Vormund" wie "Mündel"
haben zunächst beide nichts mit unserm sprech- und Kauwerkzeuge, dein c^>xo^
vo'ol^ein^ zu tun gehabt, gehen vielmehr zurück auf das althochdeutsche Wort
"die Mund" (althd. und ahd. nuurt, nordisch und angels. alma, latinisiert
inunäiurn) mit der Grundbedeutung "Hand," dann auch "Macht," "Schutz"
(vergleiche die ganz analoge Entwicklung des lateinischen MM^), die das Neu¬
hochdeutsche nur noch in deu schon erwähnten Verbindungen und Ableitungen
bewahrt hat, während z, B- das italienische inimovxckclo (oder zrwnckriolclo, vom
althd. murer -<><> durch Vermittlung des mittellateinischen inaurato-Tickuiz) und
ebenso das altfranzösische in-undcnir (von dem mittellateinischen mmuiüun'Nu-.
althd. mmrtporo, altsächs. nnnu>l">n,, ahd. imrntdor, Qionrxkr, Momber) den
Zusammenhang mit dem Stamme "Mund" (Hand) noch ziemlich deutlich zeigen.
Ob man nun auch berechtigt ist, in dem bekannten Sprichworte "Morgen¬
stunde hat Gold im Munde" den Mund (als "Mund") in der ursprüng¬
lichen Bedeutung "Hemd" aufzufassen, soll hier nicht entschieden werdeu. Da
das Sprichwort überhaupt erst verhältnismäßig jung ist, mag es wohl mindestens
ebensoviel für sich haben, seine Entstehung auf einen "steifleinenen Schul¬
meisterwitz über das Wort g-urora, (e^rrun, in or-s)" zurückzuführen (Brunner,
Deutsche Rechtsgeschichte I, Leipzig 1887, S. 71, Anm t>).

Wie in dein Worte Vormund (in seiner ursprünglichen Bedeutung), so zeigt
sich auch uoch in andern Ausdrücken der altdeutschen Rechtssprache deren Vor¬
liebe für sinnliche Begriffsbezeichnungen, die namentlich gerade in den Ber¬
gleichen der verschiednen Verwandtschaftsbeziehungcu mit den einzelnen Teilen
des menschlichen Körpers deutlich hervortritt. "Das Bild, in welchem sich der
Germane die Sippe veranschaulichte, war uicht das des "Stammbaums" mit
seinen Verästelungen und Verzweigungen, sondern das des menschlichen Körpers
mit seinen Gliedern und Gelenken, und auch uns ist davon übrig geblieben,
daß wir lieber von Verwandtschaftsgliederuug als von Verwandtschaftsverzweiguugl
lieber von Gliedern als von Zweigen der Sippe reden, obschon der Stamm¬
baum bei uns eingebürgert ist" (A. Heusler, Institutionen des deutschen
Privatrechts, II, Leipzig 1886, S 587). So bezeichnete man namentlich den
engern Kreis der Hausgenossen (Eltern, Kinder, Geschwister) als "Schoß" oder
"Busen," während sich die entferntem Sippegenossen nach "Knien" oder
"Gliedern" abstuften, und bei der schon dem ältesten Rechte bekannten An¬
nahme eines Fremden an Kindesstatt (Adoption, Geschlechtsteile) spielte die so¬
genannte "Schoß- (oder Knie)Setzung" als Symbol eine Rolle, womit wohl unser
Ausdruck "Schoßkind" noch in Zusammenhang gebracht werden darf (vergleiche
auch "Busenfreund"). Dagegen kann man zwischen dem Gebrauche des Wortes
"Enkel" für "Kindeskind" (spätcilthd. kirW"MI, ahd. misnlcol, "zuwllvl oder
auch <n>/>!<<?>, milt,'!, eigentlich Verkleinerung von Ahn, ahd. tuo, ahd. -no,
eng, Großvater, also Großvüterchen in absteigender Linie, Grvßvaterkind, Gro߬
kind: engl. N'Rick-sein) einerseits und der nur landschaftlich verbreiteten Ver¬
wendung desselben Wortes für den Fußknöchel andrerseits wohl keinen innern
Zusammenhang nachweisen.en

Besonders innig sind die Beziehungen unsrer Sprache zu dem altdeutsch
Eherecht, wofür matt die Erklärung leicht genng finden kann. Bei uns
nimmt ja das Volk -- wie von alter's her -- heute noch den regsten Anten
an jeder Eheschließung und an den Zeremonien, die mit diesem bedeutungsvollen
Rechtsvorgang verbunden sind, auch wenn es sich dabei um ganz freinve


Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache

mologie, die zum Teil durch den ältern Sprachgebrauch selbst Unterstützung
fand, da nach ihm z, B. öfter die Verbindung „Redner und Vormund" vor¬
kommt und ferner Vormund und Mündel als Bezeichnungen für den gericht¬
lichen Vorsprechcr und seine Partei gebraucht werden. Auch scheint das uns
heute noch geläufige Eigenschaftswort „mundtot" zur Bezeichnung des Ent¬
mündigten für die angegebne Herleitung des Wortes zu sprechen. Trotzdem
muß diese aber als unrichtig bezeichnet werden. Denn „Vormund" wie „Mündel"
haben zunächst beide nichts mit unserm sprech- und Kauwerkzeuge, dein c^>xo^
vo'ol^ein^ zu tun gehabt, gehen vielmehr zurück auf das althochdeutsche Wort
„die Mund" (althd. und ahd. nuurt, nordisch und angels. alma, latinisiert
inunäiurn) mit der Grundbedeutung „Hand," dann auch „Macht," „Schutz"
(vergleiche die ganz analoge Entwicklung des lateinischen MM^), die das Neu¬
hochdeutsche nur noch in deu schon erwähnten Verbindungen und Ableitungen
bewahrt hat, während z, B- das italienische inimovxckclo (oder zrwnckriolclo, vom
althd. murer -<><> durch Vermittlung des mittellateinischen inaurato-Tickuiz) und
ebenso das altfranzösische in-undcnir (von dem mittellateinischen mmuiüun'Nu-.
althd. mmrtporo, altsächs. nnnu>l»>n,, ahd. imrntdor, Qionrxkr, Momber) den
Zusammenhang mit dem Stamme „Mund" (Hand) noch ziemlich deutlich zeigen.
Ob man nun auch berechtigt ist, in dem bekannten Sprichworte „Morgen¬
stunde hat Gold im Munde" den Mund (als „Mund") in der ursprüng¬
lichen Bedeutung „Hemd" aufzufassen, soll hier nicht entschieden werdeu. Da
das Sprichwort überhaupt erst verhältnismäßig jung ist, mag es wohl mindestens
ebensoviel für sich haben, seine Entstehung auf einen „steifleinenen Schul¬
meisterwitz über das Wort g-urora, (e^rrun, in or-s)" zurückzuführen (Brunner,
Deutsche Rechtsgeschichte I, Leipzig 1887, S. 71, Anm t>).

Wie in dein Worte Vormund (in seiner ursprünglichen Bedeutung), so zeigt
sich auch uoch in andern Ausdrücken der altdeutschen Rechtssprache deren Vor¬
liebe für sinnliche Begriffsbezeichnungen, die namentlich gerade in den Ber¬
gleichen der verschiednen Verwandtschaftsbeziehungcu mit den einzelnen Teilen
des menschlichen Körpers deutlich hervortritt. „Das Bild, in welchem sich der
Germane die Sippe veranschaulichte, war uicht das des »Stammbaums« mit
seinen Verästelungen und Verzweigungen, sondern das des menschlichen Körpers
mit seinen Gliedern und Gelenken, und auch uns ist davon übrig geblieben,
daß wir lieber von Verwandtschaftsgliederuug als von Verwandtschaftsverzweiguugl
lieber von Gliedern als von Zweigen der Sippe reden, obschon der Stamm¬
baum bei uns eingebürgert ist" (A. Heusler, Institutionen des deutschen
Privatrechts, II, Leipzig 1886, S 587). So bezeichnete man namentlich den
engern Kreis der Hausgenossen (Eltern, Kinder, Geschwister) als „Schoß" oder
„Busen," während sich die entferntem Sippegenossen nach „Knien" oder
„Gliedern" abstuften, und bei der schon dem ältesten Rechte bekannten An¬
nahme eines Fremden an Kindesstatt (Adoption, Geschlechtsteile) spielte die so¬
genannte „Schoß- (oder Knie)Setzung" als Symbol eine Rolle, womit wohl unser
Ausdruck „Schoßkind" noch in Zusammenhang gebracht werden darf (vergleiche
auch „Busenfreund"). Dagegen kann man zwischen dem Gebrauche des Wortes
„Enkel" für „Kindeskind" (spätcilthd. kirW«MI, ahd. misnlcol, «zuwllvl oder
auch <n>/>!<<?>, milt,'!, eigentlich Verkleinerung von Ahn, ahd. tuo, ahd. -no,
eng, Großvater, also Großvüterchen in absteigender Linie, Grvßvaterkind, Gro߬
kind: engl. N'Rick-sein) einerseits und der nur landschaftlich verbreiteten Ver¬
wendung desselben Wortes für den Fußknöchel andrerseits wohl keinen innern
Zusammenhang nachweisen.en

Besonders innig sind die Beziehungen unsrer Sprache zu dem altdeutsch
Eherecht, wofür matt die Erklärung leicht genng finden kann. Bei uns
nimmt ja das Volk — wie von alter's her — heute noch den regsten Anten
an jeder Eheschließung und an den Zeremonien, die mit diesem bedeutungsvollen
Rechtsvorgang verbunden sind, auch wenn es sich dabei um ganz freinve


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[0236] Deutsche Rechtsaltertümer in unsrer heutigen deutschen Sprache mologie, die zum Teil durch den ältern Sprachgebrauch selbst Unterstützung fand, da nach ihm z, B. öfter die Verbindung „Redner und Vormund" vor¬ kommt und ferner Vormund und Mündel als Bezeichnungen für den gericht¬ lichen Vorsprechcr und seine Partei gebraucht werden. Auch scheint das uns heute noch geläufige Eigenschaftswort „mundtot" zur Bezeichnung des Ent¬ mündigten für die angegebne Herleitung des Wortes zu sprechen. Trotzdem muß diese aber als unrichtig bezeichnet werden. Denn „Vormund" wie „Mündel" haben zunächst beide nichts mit unserm sprech- und Kauwerkzeuge, dein c^>xo^ vo'ol^ein^ zu tun gehabt, gehen vielmehr zurück auf das althochdeutsche Wort „die Mund" (althd. und ahd. nuurt, nordisch und angels. alma, latinisiert inunäiurn) mit der Grundbedeutung „Hand," dann auch „Macht," „Schutz" (vergleiche die ganz analoge Entwicklung des lateinischen MM^), die das Neu¬ hochdeutsche nur noch in deu schon erwähnten Verbindungen und Ableitungen bewahrt hat, während z, B- das italienische inimovxckclo (oder zrwnckriolclo, vom althd. murer -<><> durch Vermittlung des mittellateinischen inaurato-Tickuiz) und ebenso das altfranzösische in-undcnir (von dem mittellateinischen mmuiüun'Nu-. althd. mmrtporo, altsächs. nnnu>l»>n,, ahd. imrntdor, Qionrxkr, Momber) den Zusammenhang mit dem Stamme „Mund" (Hand) noch ziemlich deutlich zeigen. Ob man nun auch berechtigt ist, in dem bekannten Sprichworte „Morgen¬ stunde hat Gold im Munde" den Mund (als „Mund") in der ursprüng¬ lichen Bedeutung „Hemd" aufzufassen, soll hier nicht entschieden werdeu. Da das Sprichwort überhaupt erst verhältnismäßig jung ist, mag es wohl mindestens ebensoviel für sich haben, seine Entstehung auf einen „steifleinenen Schul¬ meisterwitz über das Wort g-urora, (e^rrun, in or-s)" zurückzuführen (Brunner, Deutsche Rechtsgeschichte I, Leipzig 1887, S. 71, Anm t>). Wie in dein Worte Vormund (in seiner ursprünglichen Bedeutung), so zeigt sich auch uoch in andern Ausdrücken der altdeutschen Rechtssprache deren Vor¬ liebe für sinnliche Begriffsbezeichnungen, die namentlich gerade in den Ber¬ gleichen der verschiednen Verwandtschaftsbeziehungcu mit den einzelnen Teilen des menschlichen Körpers deutlich hervortritt. „Das Bild, in welchem sich der Germane die Sippe veranschaulichte, war uicht das des »Stammbaums« mit seinen Verästelungen und Verzweigungen, sondern das des menschlichen Körpers mit seinen Gliedern und Gelenken, und auch uns ist davon übrig geblieben, daß wir lieber von Verwandtschaftsgliederuug als von Verwandtschaftsverzweiguugl lieber von Gliedern als von Zweigen der Sippe reden, obschon der Stamm¬ baum bei uns eingebürgert ist" (A. Heusler, Institutionen des deutschen Privatrechts, II, Leipzig 1886, S 587). So bezeichnete man namentlich den engern Kreis der Hausgenossen (Eltern, Kinder, Geschwister) als „Schoß" oder „Busen," während sich die entferntem Sippegenossen nach „Knien" oder „Gliedern" abstuften, und bei der schon dem ältesten Rechte bekannten An¬ nahme eines Fremden an Kindesstatt (Adoption, Geschlechtsteile) spielte die so¬ genannte „Schoß- (oder Knie)Setzung" als Symbol eine Rolle, womit wohl unser Ausdruck „Schoßkind" noch in Zusammenhang gebracht werden darf (vergleiche auch „Busenfreund"). Dagegen kann man zwischen dem Gebrauche des Wortes „Enkel" für „Kindeskind" (spätcilthd. kirW«MI, ahd. misnlcol, «zuwllvl oder auch <n>/>!<<?>, milt,'!, eigentlich Verkleinerung von Ahn, ahd. tuo, ahd. -no, eng, Großvater, also Großvüterchen in absteigender Linie, Grvßvaterkind, Gro߬ kind: engl. N'Rick-sein) einerseits und der nur landschaftlich verbreiteten Ver¬ wendung desselben Wortes für den Fußknöchel andrerseits wohl keinen innern Zusammenhang nachweisen.en Besonders innig sind die Beziehungen unsrer Sprache zu dem altdeutsch Eherecht, wofür matt die Erklärung leicht genng finden kann. Bei uns nimmt ja das Volk — wie von alter's her — heute noch den regsten Anten an jeder Eheschließung und an den Zeremonien, die mit diesem bedeutungsvollen Rechtsvorgang verbunden sind, auch wenn es sich dabei um ganz freinve

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/236>, abgerufen am 26.11.2024.