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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Das französische Bayreuth

Gegensähe des Meers und des Geschlechts, die staatsmännische Weisheit de.
Herrschers werden viel bestimmter ausgedrückt. Der Knoten wird bei ihnen
durch geschickte Schürzung und dnrch den im Charakter der Helden begrün¬
deten Fortgang der Handlung gelöst. Die Herbheit der alten Borstellnng
von einem blindwaltenden Fatum wird, besonders bei Euripides. aber anch
schon bei Sophokles gemildert. Zwar waltet noch über dem ganzen Geschlecht
des Laios das grausige Schicksal, das Ödipns zum Vatermörder und zur
Blutschande getrieben hat. aber Monnet-Sully hat es eben verstanden, anch
auf die menschliche Seite der alten Tragödie dadurch ein Helles Licht zu werfen,
daß er die Verse betonte, in denen des Königs Herrschsucht. Jähzorn, unbän¬
diger Stolz und aufbrausende Heftigkeit zum Vorschein kommen. In dieser ^e-
ziehnng kann man seit den frühern Aufführungen des Sophokwschen Stücks
einen großen Fortschritt bemerken. Mit feinem Kunstgefühl hat Mounet-
Sullh immer mehr eingesehen, wie sich auch die Tragiker des Altertums be¬
müht haben, ihre Melden nicht völlig schuldlos leiden und untergehn zu lassen.
Besser als manche Kritiker und Philosophen hat er gefühlt, daß der Charakter
des Ödipns nicht durchaus fleckenlos gehalten werden darf, und daß der yetv.
der der Götter Spruch mißachtete und schon bei der Erschlagung des alten
Königs und seines Geleits die Grenzen der Notwehr überschritt, nicht ganz
ohne eigne Schuld dem schweren Geschick verfällt. Mit wunderbarem philo¬
sophischem Takt zeigte er uus in dem rasch auflodernden Zorne des Helden
gegen Kreon, Teiresias und andre aufs deutlichste die Äußerungen einer
unheildrohenden Leidenschaft. Sogar die Reue des unglücklichen Odlpns ist
aufs heftigste betont worden, und'wie wäre diese zu verstehn, wenn jeder
Freiheitsfnnke in ihm erloschen wäre?


Grausige Wolkennacht,
Welche mich schwarz umfängt!
Ewig durchbricht dich nie
Wieder ein Strahl des Lichts,
^wig umgibst du mit Schrecken und Graun mich!
Weh mir und aber Weh!
Ewige Stande und der Greuel Erinnrung
Bmrtert mit doppelten Stacheln die Brust!

(Zitiert much ViehossS llbersetznng,

Wie sein Bruder hat Paul Mounet als Teiresias die menschliche Seite
des Dramas betont und mit mächtiger Stimme den König gewarnt, sich vor
sich selbst in acht zu nehmen:


Dich bringt zum Fall uicht Kreon, sondern du dich selbst!

Auch Albert Lambert hat in der Rolle des Kreon diese Möglichkeit eines
Widerstands gegen das blindwaltende Verhängnis mit vollem Rechte vctont.
Mit mächtiger Stimme ruft er dem Ödipns zu:


Ringe nicht nach i-dem Preis!
Was du dir errangst, es schlug uicht dir zum Heil im ^eden aus.

Und ebensowenig hat Madame Delvair als Jokaste die Mutter und Ge¬
mahlin des Ödipns ' als völlig schnldfrei dargestellt. Daß ihr Götter und


Das französische Bayreuth

Gegensähe des Meers und des Geschlechts, die staatsmännische Weisheit de.
Herrschers werden viel bestimmter ausgedrückt. Der Knoten wird bei ihnen
durch geschickte Schürzung und dnrch den im Charakter der Helden begrün¬
deten Fortgang der Handlung gelöst. Die Herbheit der alten Borstellnng
von einem blindwaltenden Fatum wird, besonders bei Euripides. aber anch
schon bei Sophokles gemildert. Zwar waltet noch über dem ganzen Geschlecht
des Laios das grausige Schicksal, das Ödipns zum Vatermörder und zur
Blutschande getrieben hat. aber Monnet-Sully hat es eben verstanden, anch
auf die menschliche Seite der alten Tragödie dadurch ein Helles Licht zu werfen,
daß er die Verse betonte, in denen des Königs Herrschsucht. Jähzorn, unbän¬
diger Stolz und aufbrausende Heftigkeit zum Vorschein kommen. In dieser ^e-
ziehnng kann man seit den frühern Aufführungen des Sophokwschen Stücks
einen großen Fortschritt bemerken. Mit feinem Kunstgefühl hat Mounet-
Sullh immer mehr eingesehen, wie sich auch die Tragiker des Altertums be¬
müht haben, ihre Melden nicht völlig schuldlos leiden und untergehn zu lassen.
Besser als manche Kritiker und Philosophen hat er gefühlt, daß der Charakter
des Ödipns nicht durchaus fleckenlos gehalten werden darf, und daß der yetv.
der der Götter Spruch mißachtete und schon bei der Erschlagung des alten
Königs und seines Geleits die Grenzen der Notwehr überschritt, nicht ganz
ohne eigne Schuld dem schweren Geschick verfällt. Mit wunderbarem philo¬
sophischem Takt zeigte er uus in dem rasch auflodernden Zorne des Helden
gegen Kreon, Teiresias und andre aufs deutlichste die Äußerungen einer
unheildrohenden Leidenschaft. Sogar die Reue des unglücklichen Odlpns ist
aufs heftigste betont worden, und'wie wäre diese zu verstehn, wenn jeder
Freiheitsfnnke in ihm erloschen wäre?


Grausige Wolkennacht,
Welche mich schwarz umfängt!
Ewig durchbricht dich nie
Wieder ein Strahl des Lichts,
^wig umgibst du mit Schrecken und Graun mich!
Weh mir und aber Weh!
Ewige Stande und der Greuel Erinnrung
Bmrtert mit doppelten Stacheln die Brust!

(Zitiert much ViehossS llbersetznng,

Wie sein Bruder hat Paul Mounet als Teiresias die menschliche Seite
des Dramas betont und mit mächtiger Stimme den König gewarnt, sich vor
sich selbst in acht zu nehmen:


Dich bringt zum Fall uicht Kreon, sondern du dich selbst!

Auch Albert Lambert hat in der Rolle des Kreon diese Möglichkeit eines
Widerstands gegen das blindwaltende Verhängnis mit vollem Rechte vctont.
Mit mächtiger Stimme ruft er dem Ödipns zu:


Ringe nicht nach i-dem Preis!
Was du dir errangst, es schlug uicht dir zum Heil im ^eden aus.

Und ebensowenig hat Madame Delvair als Jokaste die Mutter und Ge¬
mahlin des Ödipns ' als völlig schnldfrei dargestellt. Daß ihr Götter und


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[0163] Das französische Bayreuth Gegensähe des Meers und des Geschlechts, die staatsmännische Weisheit de. Herrschers werden viel bestimmter ausgedrückt. Der Knoten wird bei ihnen durch geschickte Schürzung und dnrch den im Charakter der Helden begrün¬ deten Fortgang der Handlung gelöst. Die Herbheit der alten Borstellnng von einem blindwaltenden Fatum wird, besonders bei Euripides. aber anch schon bei Sophokles gemildert. Zwar waltet noch über dem ganzen Geschlecht des Laios das grausige Schicksal, das Ödipns zum Vatermörder und zur Blutschande getrieben hat. aber Monnet-Sully hat es eben verstanden, anch auf die menschliche Seite der alten Tragödie dadurch ein Helles Licht zu werfen, daß er die Verse betonte, in denen des Königs Herrschsucht. Jähzorn, unbän¬ diger Stolz und aufbrausende Heftigkeit zum Vorschein kommen. In dieser ^e- ziehnng kann man seit den frühern Aufführungen des Sophokwschen Stücks einen großen Fortschritt bemerken. Mit feinem Kunstgefühl hat Mounet- Sullh immer mehr eingesehen, wie sich auch die Tragiker des Altertums be¬ müht haben, ihre Melden nicht völlig schuldlos leiden und untergehn zu lassen. Besser als manche Kritiker und Philosophen hat er gefühlt, daß der Charakter des Ödipns nicht durchaus fleckenlos gehalten werden darf, und daß der yetv. der der Götter Spruch mißachtete und schon bei der Erschlagung des alten Königs und seines Geleits die Grenzen der Notwehr überschritt, nicht ganz ohne eigne Schuld dem schweren Geschick verfällt. Mit wunderbarem philo¬ sophischem Takt zeigte er uus in dem rasch auflodernden Zorne des Helden gegen Kreon, Teiresias und andre aufs deutlichste die Äußerungen einer unheildrohenden Leidenschaft. Sogar die Reue des unglücklichen Odlpns ist aufs heftigste betont worden, und'wie wäre diese zu verstehn, wenn jeder Freiheitsfnnke in ihm erloschen wäre? Grausige Wolkennacht, Welche mich schwarz umfängt! Ewig durchbricht dich nie Wieder ein Strahl des Lichts, ^wig umgibst du mit Schrecken und Graun mich! Weh mir und aber Weh! Ewige Stande und der Greuel Erinnrung Bmrtert mit doppelten Stacheln die Brust! (Zitiert much ViehossS llbersetznng, Wie sein Bruder hat Paul Mounet als Teiresias die menschliche Seite des Dramas betont und mit mächtiger Stimme den König gewarnt, sich vor sich selbst in acht zu nehmen: Dich bringt zum Fall uicht Kreon, sondern du dich selbst! Auch Albert Lambert hat in der Rolle des Kreon diese Möglichkeit eines Widerstands gegen das blindwaltende Verhängnis mit vollem Rechte vctont. Mit mächtiger Stimme ruft er dem Ödipns zu: Ringe nicht nach i-dem Preis! Was du dir errangst, es schlug uicht dir zum Heil im ^eden aus. Und ebensowenig hat Madame Delvair als Jokaste die Mutter und Ge¬ mahlin des Ödipns ' als völlig schnldfrei dargestellt. Daß ihr Götter und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/163>, abgerufen am 01.09.2024.