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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Der Kampf um den Weltmarkt

Frage herantreten: Wie kann sich die Zukunft gestalten? Von den Mächten,
die heute am Handel auf dem Weltmarkte beteiligt sind, steht England an
erster Stelle. Es hat die unumschränkte Herrschaft auf der See, den umfassendsten
Kolonialbesitz und den größten Warenumsatz. Im Deutschen Reich und in den
Vereinigten Staaten von Nordamerika sind ihm in den letzten zwanzig Jahren
zwei mächtige Hcmdelsgcgner erwachsen. Sie sind es aber nicht allein, die
England auf dem Weltmarkt zu bekämpfen hat. Eine Reihe andrer Staaten,
wie Frankreich, Belgien, die Schweiz, Österreich, suchen ebenso mit ihren natio¬
nalen Erzeugnissen ans dem Weltmarkt Fuß zu fassen. Die Zahl der Wett¬
bewerber Englands ist in stetigem Wachsen begriffen. Eine Untersuchung,
die den heutigen Kampf um den Weltmarkt zum Ausgangspunkt nimmt, müßte
sich auch auf alle diese Staaten mit erstrecken. Uns liegt nur daran, das
Typische aus diesem Kampfe herauszulösen, und da wir uns nicht so sehr ins
Weite verlieren wollen, wird es genügen, wenn wir uns darauf beschränken,
die Entwicklung Englands zu seiner heutigen See- und Handclsmcicht zu
schildern, die Bedeutung seiner heutigen wirtschaftlichen Stellung zu würdigen
und sein inneres Kräftemaß zu untersuchen. Erst dann wollen wir uns seinen
beiden wirtschaftlichen Hauptgegnern: Deutschland und den Vereinigten Staaten
zuwenden, um zu sehen, mit welchen Aussichten ans Erfolg diese beiden frisch
aufstrebenden Staaten in den Weltkampf eintreten, was sie ihrerseits mit¬
bringen, und wie groß ihr Einsatz in dem Kampfe ist. Haben wir so den
Kampfplatz und die Kämpfer geschildert, so können wir dann schließlich die
Vorteile und die Nachteile, die der Wettbewerb auf dem Weltmarkt mit sich
bringt, abwägen.


2. Englands Aufkommen als Handels- und Seemacht

England erscheint uns als ein von Natur geradezu zur Beherrschung der
See berufnes Volk zu sein. Das Inselreich ist rings vom Meer umflutet,
abgeschlossen vom europäischen Kontinent lagert es sich vor die Westküsten.
Sein Verkehr wie die Verteidigung des Landes weisen auf die Beherrschung
der Seelinien hin. Der praktische, nüchterne Blick des Engländers ist sprich¬
wörtlich geworden. Napoleon der Erste soll sie zuerst ein Krämervolk genannt
haben, ein Schlagwort, das anch heute noch umläuft, und in das etwas von
dem Neid der kontinentalen Völker hineinklingt, hinter England um Wohlstand
und Handel zurückstehn zu müssen.

Wir glauben, daß der Charakter der Engländer seit Jahrhunderten fest¬
steht, und doch sind die Eigenschaften, die wir in dem modernen Engländer
finden, verhältnismäßig jungen Datums. Der Engländer, der jetzt im Besitze
der Weltherrschaft dasteht, ist als Seemann, als Industrieller, als Kaufmann,
als Kolonist eine verhältnismäßig junge Erscheinung. In langem, jahrhunderte¬
langem Ringen hat England erst seine heutige Größe erreicht, haben sich im
Volk erst die Eigenschaften entwickelt, die uns jetzt für den Engländer als
typisch erscheinen. Im Mittelalter hat das Meer an die Küsten Englands
genau so geflutet und gebrandet wie in der Gegenwart, und doch hatte Eng¬
land damals keine Seemacht, und nirgends griff es entscheidend in die Ge-


Der Kampf um den Weltmarkt

Frage herantreten: Wie kann sich die Zukunft gestalten? Von den Mächten,
die heute am Handel auf dem Weltmarkte beteiligt sind, steht England an
erster Stelle. Es hat die unumschränkte Herrschaft auf der See, den umfassendsten
Kolonialbesitz und den größten Warenumsatz. Im Deutschen Reich und in den
Vereinigten Staaten von Nordamerika sind ihm in den letzten zwanzig Jahren
zwei mächtige Hcmdelsgcgner erwachsen. Sie sind es aber nicht allein, die
England auf dem Weltmarkt zu bekämpfen hat. Eine Reihe andrer Staaten,
wie Frankreich, Belgien, die Schweiz, Österreich, suchen ebenso mit ihren natio¬
nalen Erzeugnissen ans dem Weltmarkt Fuß zu fassen. Die Zahl der Wett¬
bewerber Englands ist in stetigem Wachsen begriffen. Eine Untersuchung,
die den heutigen Kampf um den Weltmarkt zum Ausgangspunkt nimmt, müßte
sich auch auf alle diese Staaten mit erstrecken. Uns liegt nur daran, das
Typische aus diesem Kampfe herauszulösen, und da wir uns nicht so sehr ins
Weite verlieren wollen, wird es genügen, wenn wir uns darauf beschränken,
die Entwicklung Englands zu seiner heutigen See- und Handclsmcicht zu
schildern, die Bedeutung seiner heutigen wirtschaftlichen Stellung zu würdigen
und sein inneres Kräftemaß zu untersuchen. Erst dann wollen wir uns seinen
beiden wirtschaftlichen Hauptgegnern: Deutschland und den Vereinigten Staaten
zuwenden, um zu sehen, mit welchen Aussichten ans Erfolg diese beiden frisch
aufstrebenden Staaten in den Weltkampf eintreten, was sie ihrerseits mit¬
bringen, und wie groß ihr Einsatz in dem Kampfe ist. Haben wir so den
Kampfplatz und die Kämpfer geschildert, so können wir dann schließlich die
Vorteile und die Nachteile, die der Wettbewerb auf dem Weltmarkt mit sich
bringt, abwägen.


2. Englands Aufkommen als Handels- und Seemacht

England erscheint uns als ein von Natur geradezu zur Beherrschung der
See berufnes Volk zu sein. Das Inselreich ist rings vom Meer umflutet,
abgeschlossen vom europäischen Kontinent lagert es sich vor die Westküsten.
Sein Verkehr wie die Verteidigung des Landes weisen auf die Beherrschung
der Seelinien hin. Der praktische, nüchterne Blick des Engländers ist sprich¬
wörtlich geworden. Napoleon der Erste soll sie zuerst ein Krämervolk genannt
haben, ein Schlagwort, das anch heute noch umläuft, und in das etwas von
dem Neid der kontinentalen Völker hineinklingt, hinter England um Wohlstand
und Handel zurückstehn zu müssen.

Wir glauben, daß der Charakter der Engländer seit Jahrhunderten fest¬
steht, und doch sind die Eigenschaften, die wir in dem modernen Engländer
finden, verhältnismäßig jungen Datums. Der Engländer, der jetzt im Besitze
der Weltherrschaft dasteht, ist als Seemann, als Industrieller, als Kaufmann,
als Kolonist eine verhältnismäßig junge Erscheinung. In langem, jahrhunderte¬
langem Ringen hat England erst seine heutige Größe erreicht, haben sich im
Volk erst die Eigenschaften entwickelt, die uns jetzt für den Engländer als
typisch erscheinen. Im Mittelalter hat das Meer an die Küsten Englands
genau so geflutet und gebrandet wie in der Gegenwart, und doch hatte Eng¬
land damals keine Seemacht, und nirgends griff es entscheidend in die Ge-


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[0014] Der Kampf um den Weltmarkt Frage herantreten: Wie kann sich die Zukunft gestalten? Von den Mächten, die heute am Handel auf dem Weltmarkte beteiligt sind, steht England an erster Stelle. Es hat die unumschränkte Herrschaft auf der See, den umfassendsten Kolonialbesitz und den größten Warenumsatz. Im Deutschen Reich und in den Vereinigten Staaten von Nordamerika sind ihm in den letzten zwanzig Jahren zwei mächtige Hcmdelsgcgner erwachsen. Sie sind es aber nicht allein, die England auf dem Weltmarkt zu bekämpfen hat. Eine Reihe andrer Staaten, wie Frankreich, Belgien, die Schweiz, Österreich, suchen ebenso mit ihren natio¬ nalen Erzeugnissen ans dem Weltmarkt Fuß zu fassen. Die Zahl der Wett¬ bewerber Englands ist in stetigem Wachsen begriffen. Eine Untersuchung, die den heutigen Kampf um den Weltmarkt zum Ausgangspunkt nimmt, müßte sich auch auf alle diese Staaten mit erstrecken. Uns liegt nur daran, das Typische aus diesem Kampfe herauszulösen, und da wir uns nicht so sehr ins Weite verlieren wollen, wird es genügen, wenn wir uns darauf beschränken, die Entwicklung Englands zu seiner heutigen See- und Handclsmcicht zu schildern, die Bedeutung seiner heutigen wirtschaftlichen Stellung zu würdigen und sein inneres Kräftemaß zu untersuchen. Erst dann wollen wir uns seinen beiden wirtschaftlichen Hauptgegnern: Deutschland und den Vereinigten Staaten zuwenden, um zu sehen, mit welchen Aussichten ans Erfolg diese beiden frisch aufstrebenden Staaten in den Weltkampf eintreten, was sie ihrerseits mit¬ bringen, und wie groß ihr Einsatz in dem Kampfe ist. Haben wir so den Kampfplatz und die Kämpfer geschildert, so können wir dann schließlich die Vorteile und die Nachteile, die der Wettbewerb auf dem Weltmarkt mit sich bringt, abwägen. 2. Englands Aufkommen als Handels- und Seemacht England erscheint uns als ein von Natur geradezu zur Beherrschung der See berufnes Volk zu sein. Das Inselreich ist rings vom Meer umflutet, abgeschlossen vom europäischen Kontinent lagert es sich vor die Westküsten. Sein Verkehr wie die Verteidigung des Landes weisen auf die Beherrschung der Seelinien hin. Der praktische, nüchterne Blick des Engländers ist sprich¬ wörtlich geworden. Napoleon der Erste soll sie zuerst ein Krämervolk genannt haben, ein Schlagwort, das anch heute noch umläuft, und in das etwas von dem Neid der kontinentalen Völker hineinklingt, hinter England um Wohlstand und Handel zurückstehn zu müssen. Wir glauben, daß der Charakter der Engländer seit Jahrhunderten fest¬ steht, und doch sind die Eigenschaften, die wir in dem modernen Engländer finden, verhältnismäßig jungen Datums. Der Engländer, der jetzt im Besitze der Weltherrschaft dasteht, ist als Seemann, als Industrieller, als Kaufmann, als Kolonist eine verhältnismäßig junge Erscheinung. In langem, jahrhunderte¬ langem Ringen hat England erst seine heutige Größe erreicht, haben sich im Volk erst die Eigenschaften entwickelt, die uns jetzt für den Engländer als typisch erscheinen. Im Mittelalter hat das Meer an die Küsten Englands genau so geflutet und gebrandet wie in der Gegenwart, und doch hatte Eng¬ land damals keine Seemacht, und nirgends griff es entscheidend in die Ge-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/14>, abgerufen am 25.11.2024.