Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.Der Marquis von Marigny an die französische Nation, jenes elenden Machwerks eines Abenteurers, das bestimmt Einer der wenigen Emigranten, die sich in diesen Julitagen dem politisch¬ Man hatte bestimmt, daß jedes Mahl, bei dem der König zugegen war, nur Ein einzigesmal nur mußten sich die Herrschaften mit fünf Platten begnügen. Was? rief Marigny, rot vor Zorn, Bigot de Se. Croix? Nun wohl, so Und ehe eine rasche Hand es verhindern konnte, flog die Pastete in das Wie alles auf dein Planeten, den wir Erde nennen, nahmen mich die Revuen, Koblenz schien wie ausgestorben. Die Behörden hatten den Kaufleuten die Der Marquis von Marigny an die französische Nation, jenes elenden Machwerks eines Abenteurers, das bestimmt Einer der wenigen Emigranten, die sich in diesen Julitagen dem politisch¬ Man hatte bestimmt, daß jedes Mahl, bei dem der König zugegen war, nur Ein einzigesmal nur mußten sich die Herrschaften mit fünf Platten begnügen. Was? rief Marigny, rot vor Zorn, Bigot de Se. Croix? Nun wohl, so Und ehe eine rasche Hand es verhindern konnte, flog die Pastete in das Wie alles auf dein Planeten, den wir Erde nennen, nahmen mich die Revuen, Koblenz schien wie ausgestorben. Die Behörden hatten den Kaufleuten die <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0118" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/241332"/> <fw type="header" place="top"> Der Marquis von Marigny</fw><lb/> <p xml:id="ID_505" prev="#ID_504"> an die französische Nation, jenes elenden Machwerks eines Abenteurers, das bestimmt<lb/> schien, das Schicksal Ludwigs des Sechzehnten endgiltig zu besiegeln.</p><lb/> <p xml:id="ID_506"> Einer der wenigen Emigranten, die sich in diesen Julitagen dem politisch¬<lb/> militärischen Getriebe fernhielten, war der Marquis von Marigny. Desto eifriger<lb/> nahm er dafür um den Festlichkeiten teil, mit denen der Kurfürst die preußischen<lb/> Gäste zu ehren suchte, an den Galatafeln, Dejeuners und Soupers — natürlich<lb/> wieder auf seine Art und in der gewohnten Umgebung von Bratenspickeru, Kapaunen¬<lb/> stopfern und Küchenjnugeu. Wenn er Veranlassung hatte, über die schier unerträg-<lb/> liche Hitze zu klagen, so traf die Verantwortung hierfür weniger die Julisvnne als<lb/> die Glut der gewaltigen Herde der Schloßküche, denn die Sonne bekam der alte<lb/> Herr kaum noch zu sehen. Von früh bis spät war er auf seinem Posten in der<lb/> Küche oder hielt sich doch in einem Nebeurnume auf, jeden Augenblick bereit, sein<lb/> Ingenium in den Dienst der koutrarevolutiouären Allianz zu stellen. Die Preußen,<lb/> die in Koblenz so manchen Wandel geschafft hatten, hatten nämlich auch die Küchen-<lb/> vrdnung auf den Kopf gestellt. Jetzt gab es keine von langer Hand wohl vor¬<lb/> bereiteten Diners mehr, wie früher, wo man zehn Tage vorher die Einladungen<lb/> versandte und zur Zusammenstellung des Speisezettels Muße in Fülle hatte; jetzt<lb/> hieß es Nachmittags um vier: In zwei Stunden gedenken des Königs Majestät nebst<lb/> den königlichen Prinzen und der Generalität die kurfürstliche Mittagstafel mit Dero<lb/> Gegenwart zu beehre«! Und dann mußte in zwei Stunden das geschafft werden,<lb/> wozu man sonst ebensoviel Tage gebraucht hatte. In solchen Augenblicken, wo<lb/> die erprobtesten Küchenmeister mitunter den Kopf verloren, bewährte sich das Genie<lb/> Marignhs. Wie ein Feldherr stand er, umhüllt von Dampfwolken, mit Stock und<lb/> Degen inmitten der weißuniformierten Schar, hier zur Besonnenheit ermahnend,<lb/> dort die Lässigen antreibend.</p><lb/> <p xml:id="ID_507"> Man hatte bestimmt, daß jedes Mahl, bei dem der König zugegen war, nur<lb/> ans sechs Gängen bestehn durfte, weil die Sitzungen des Kriegsrath, die Revuen<lb/> und Paraden die knapp bemessene Zeit über Gebühr in Anspruch nahmen. Was<lb/> aber den Diners und Soupers an Umfang und Dauer abging, das sollten die<lb/> einzelnen Platte» durch ihre Auswahl und Zubereitung ersetzen. Eine Aufgabe,<lb/> doppelt schwer wegen der heißen Jahreszeit, die das Einlegen großer Vorräte ver¬<lb/> bot! Aber Marigny wußte sich zu helfen, und die sechs Gänge wurden jedesmal zur<lb/> rechten Zeit fertig.</p><lb/> <p xml:id="ID_508"> Ein einzigesmal nur mußten sich die Herrschaften mit fünf Platten begnügen.<lb/> Und das kam so. Der Marquis war gerade damit beschäftigt, eine Pastete, die in<lb/> der Hauptsache aus Kalbsbröscheu, Krebsschwänzen und Champignons bestand, in den<lb/> Backofen zu schieben, als einer der aufwartenden Pagen in der Küche erzählte, daß<lb/> der neue französische Gesandte, Herr Bigot de Se. Croix, an der Tafel teilnehme.</p><lb/> <p xml:id="ID_509"> Was? rief Marigny, rot vor Zorn, Bigot de Se. Croix? Nun wohl, so<lb/> weiß ich, was ich zu tun habe. Für Demokraten sind Krebsschwänze und Cham¬<lb/> pignons nicht gewachsen!</p><lb/> <p xml:id="ID_510"> Und ehe eine rasche Hand es verhindern konnte, flog die Pastete in das<lb/> lodernde Herdfeuer.</p><lb/> <p xml:id="ID_511"> Wie alles auf dein Planeten, den wir Erde nennen, nahmen mich die Revuen,<lb/> Paraden und Galadiners in Koblenz ein Ende. Der König selbst drängte zum Auf¬<lb/> bruch. Am 28. Juli verließ er Schönbornslust und bezog ein Zelt im Feldlager<lb/> in der Rubenacher Flur. Am 30. sollte sich die Armee in Bewegung setzen.</p><lb/> <p xml:id="ID_512" next="#ID_513"> Koblenz schien wie ausgestorben. Die Behörden hatten den Kaufleuten die<lb/> Genehmigung erteilt, im Bereiche des Lagers Meßbuden zu errichten, ihre Waren<lb/> feil zu halten und Weinschank zu betreiben. Die Dominikaner und die Franziskaner<lb/> branden Tag und Nacht Bier; wer eines Stückes Vieh habhaft werden konnte, der<lb/> wandte sich dem Fleischergewerbe zu, in der Hoffnung, mit Hilfe eines einzigen Hammels<lb/> oder Schweines ein reicher Mann zu werden. Das Fahrtor bei der Moselbrücke<lb/> wurde während der Nacht uicht mehr geschlossen, und der Gastwirt in Metternich,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0118]
Der Marquis von Marigny
an die französische Nation, jenes elenden Machwerks eines Abenteurers, das bestimmt
schien, das Schicksal Ludwigs des Sechzehnten endgiltig zu besiegeln.
Einer der wenigen Emigranten, die sich in diesen Julitagen dem politisch¬
militärischen Getriebe fernhielten, war der Marquis von Marigny. Desto eifriger
nahm er dafür um den Festlichkeiten teil, mit denen der Kurfürst die preußischen
Gäste zu ehren suchte, an den Galatafeln, Dejeuners und Soupers — natürlich
wieder auf seine Art und in der gewohnten Umgebung von Bratenspickeru, Kapaunen¬
stopfern und Küchenjnugeu. Wenn er Veranlassung hatte, über die schier unerträg-
liche Hitze zu klagen, so traf die Verantwortung hierfür weniger die Julisvnne als
die Glut der gewaltigen Herde der Schloßküche, denn die Sonne bekam der alte
Herr kaum noch zu sehen. Von früh bis spät war er auf seinem Posten in der
Küche oder hielt sich doch in einem Nebeurnume auf, jeden Augenblick bereit, sein
Ingenium in den Dienst der koutrarevolutiouären Allianz zu stellen. Die Preußen,
die in Koblenz so manchen Wandel geschafft hatten, hatten nämlich auch die Küchen-
vrdnung auf den Kopf gestellt. Jetzt gab es keine von langer Hand wohl vor¬
bereiteten Diners mehr, wie früher, wo man zehn Tage vorher die Einladungen
versandte und zur Zusammenstellung des Speisezettels Muße in Fülle hatte; jetzt
hieß es Nachmittags um vier: In zwei Stunden gedenken des Königs Majestät nebst
den königlichen Prinzen und der Generalität die kurfürstliche Mittagstafel mit Dero
Gegenwart zu beehre«! Und dann mußte in zwei Stunden das geschafft werden,
wozu man sonst ebensoviel Tage gebraucht hatte. In solchen Augenblicken, wo
die erprobtesten Küchenmeister mitunter den Kopf verloren, bewährte sich das Genie
Marignhs. Wie ein Feldherr stand er, umhüllt von Dampfwolken, mit Stock und
Degen inmitten der weißuniformierten Schar, hier zur Besonnenheit ermahnend,
dort die Lässigen antreibend.
Man hatte bestimmt, daß jedes Mahl, bei dem der König zugegen war, nur
ans sechs Gängen bestehn durfte, weil die Sitzungen des Kriegsrath, die Revuen
und Paraden die knapp bemessene Zeit über Gebühr in Anspruch nahmen. Was
aber den Diners und Soupers an Umfang und Dauer abging, das sollten die
einzelnen Platte» durch ihre Auswahl und Zubereitung ersetzen. Eine Aufgabe,
doppelt schwer wegen der heißen Jahreszeit, die das Einlegen großer Vorräte ver¬
bot! Aber Marigny wußte sich zu helfen, und die sechs Gänge wurden jedesmal zur
rechten Zeit fertig.
Ein einzigesmal nur mußten sich die Herrschaften mit fünf Platten begnügen.
Und das kam so. Der Marquis war gerade damit beschäftigt, eine Pastete, die in
der Hauptsache aus Kalbsbröscheu, Krebsschwänzen und Champignons bestand, in den
Backofen zu schieben, als einer der aufwartenden Pagen in der Küche erzählte, daß
der neue französische Gesandte, Herr Bigot de Se. Croix, an der Tafel teilnehme.
Was? rief Marigny, rot vor Zorn, Bigot de Se. Croix? Nun wohl, so
weiß ich, was ich zu tun habe. Für Demokraten sind Krebsschwänze und Cham¬
pignons nicht gewachsen!
Und ehe eine rasche Hand es verhindern konnte, flog die Pastete in das
lodernde Herdfeuer.
Wie alles auf dein Planeten, den wir Erde nennen, nahmen mich die Revuen,
Paraden und Galadiners in Koblenz ein Ende. Der König selbst drängte zum Auf¬
bruch. Am 28. Juli verließ er Schönbornslust und bezog ein Zelt im Feldlager
in der Rubenacher Flur. Am 30. sollte sich die Armee in Bewegung setzen.
Koblenz schien wie ausgestorben. Die Behörden hatten den Kaufleuten die
Genehmigung erteilt, im Bereiche des Lagers Meßbuden zu errichten, ihre Waren
feil zu halten und Weinschank zu betreiben. Die Dominikaner und die Franziskaner
branden Tag und Nacht Bier; wer eines Stückes Vieh habhaft werden konnte, der
wandte sich dem Fleischergewerbe zu, in der Hoffnung, mit Hilfe eines einzigen Hammels
oder Schweines ein reicher Mann zu werden. Das Fahrtor bei der Moselbrücke
wurde während der Nacht uicht mehr geschlossen, und der Gastwirt in Metternich,
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