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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

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Leipziger Thcaterplcmderei

um eine geringe Schattierung dunkler vom Opal des Morgenhimmels abheben. Das
ist der Augenblick, wo sich die Nebelschleier allmählich einer nach dem andern auf
den See herabsenken müssen, und uun setzt sich, während ein zarter rosa Schimmer
die Bühne erfüllt, die den Margenhimmel nach oben aufrollende Walze in Be¬
wegung: es wird Licht: hinter dem Transparent geben die elektrischen Brenner, wie
Vollblutpferde beim Auslauf, mehr als sie haben, die Nebelschleier sind einer nach
dem andern wieder emporgestiegen, mau fühlt an der blendenden Intensität des
Lichts, daß "sie" nun kommen muß, und sie kommt anch wirklich: Strahlen, deren
blendenden Glanz kein Auge aushält, schießen über die Bühne, die undurchsichtige
Gebirgs- und Vvrlandssilhouette versinkt, das allein stehn gebliebne Phantom leuchtet
fenerdurchgluht wie der Himmel, das Orchester jubelt, und im ganzen Hause zweifelt
niemand, daß über den Waldstätten ein neuer Tag, ein neues Freiheitsliebe trium¬
phierend aufgegangen ist.

Das nennt mau eine Inszenierung, und nach einer solchen Nervenanspcmnnng
ist die Buttersemmel mit Hamburger Rauchfleisch, die man zu erkämpfen eilt, schon
als Sedativ am Platze. Wenn aber alles so zugeht wie vor fünfundzwanzig Jahren
im Grimmischen Schießhause, so oft eine wandernde Schanspiclergesellschaft den Tell
gab, muß man sich da nicht vielmehr fragen, ob nach einer so mäßigen Erschütterung
des Nervensystems eine Stärkung wirkliches Bedürfnis sei?

Die beide" Pfeilschüsse, durch die im Tell die Katastrophe herbeigeführt und be¬
endet wird, haben das Eigentümliche, daß wir uns über ihre Wirkungen freuen und
doch mit eignen Augen deutlich sehen, daß in keinem von beiden Fällen ein Pfeil abge¬
schossen, oder wie es Schiller bezeichnet, abgedrückt wird. Zu tun ist zur Abstellung
dieses Übelstandes nichts, als was der Prestidigitateur Seiner Majestät des Schäds von
Persien und andrer gekrönter Häupter in ähnlichen Fällen tut, und was anch
Schiller nicht versäumt hat, nämlich das Auge des Zuschauers auf Zwischenfälle ab¬
zulenken, wie das in Altorf durch Aus, in der hohlen Gasse durch Armgards Dci-
zwischenkunft mehr versucht als erreicht wird. Denn beide Versuche werden bei
der Mehrzahl unsrer Zeitgenossen durch den Wunsch und die Gewohnheit, klar¬
zusehen, im Keime erstickt.

Was insbesondre den Apfclschnß anlangt, so weiß jeder, daß, wenn Ali sagt:


Ich hab ein schwort,
Und nier mir naht --

und wenn sich Berta zwischen ihn und den Landvogt wirft, was beiläufig gesagt
eine sehr schöne eqnestrische, um das jam "1s da>rr"z erinnernde Szene geben müßte,
der entscheidende Angenblick gekommen ist, und aller Angen haften auf dem Apfel,
der vom Pfeil getroffen an die Linde, vor der Waltl steht, angespießt werden müßte,
wie eine Trüffel an eine Poularde, der aber uur fällt und dann, wie Stanffacher
wahrheitsgetreu ausruft, "gefallen ist": so fällt beim Vogelschießen der Reichsapfel,
der Szepter oder eine der beiden Kronen, und es heißt dann ebenfalls: der Reichs¬
apfel, der Szepter ist gefallen. Wenn in diesem spannenden Angenblick ein einziges
mal ein Bühncntell wirklich schösse und den Apfel träfe, so würde diese vor das
Strafgericht gehörende Ungeheuerlichkeit zwar durch alle Zeitungen gehn, aber ich
Mochte zehn gegen eins wetten, daß weder Herr Käßmvdel noch Madame Piepen-
brink in einem solchen Falle auch nur vorübergehende Schwächeanwnndlungen zu be¬
kämpfen haben würden. Denn nnr wenn es auf Tod und Leben geht, wenn der
Künstler im Vertrauen auf die Zentrifugalkraft und die Richtigkeit der angestellten
Berechnungen im Loop oder im Hoop als Antipoden dahinrast, geschieht den
berechtigten Ansprüchen unsrer gebildeten Mitbürger volles Genüge.

Es ist, als wenn ich mich bei der Besprechung des Teils aus den Jnszenierungs-
sorgen nicht herausfinden könnte. Zum Glück habe ich den Leser darauf vorbereitet,
daß meine Bedenken bei diesem Stücke mehr der hiesigen Ausstattung als den Dar¬
stellern gelten. Ich muß noch den Holunderstrauch und die Dekorationen der vor
und in Teils Wohnung spielenden Szenen besprechen.


Leipziger Thcaterplcmderei

um eine geringe Schattierung dunkler vom Opal des Morgenhimmels abheben. Das
ist der Augenblick, wo sich die Nebelschleier allmählich einer nach dem andern auf
den See herabsenken müssen, und uun setzt sich, während ein zarter rosa Schimmer
die Bühne erfüllt, die den Margenhimmel nach oben aufrollende Walze in Be¬
wegung: es wird Licht: hinter dem Transparent geben die elektrischen Brenner, wie
Vollblutpferde beim Auslauf, mehr als sie haben, die Nebelschleier sind einer nach
dem andern wieder emporgestiegen, mau fühlt an der blendenden Intensität des
Lichts, daß „sie" nun kommen muß, und sie kommt anch wirklich: Strahlen, deren
blendenden Glanz kein Auge aushält, schießen über die Bühne, die undurchsichtige
Gebirgs- und Vvrlandssilhouette versinkt, das allein stehn gebliebne Phantom leuchtet
fenerdurchgluht wie der Himmel, das Orchester jubelt, und im ganzen Hause zweifelt
niemand, daß über den Waldstätten ein neuer Tag, ein neues Freiheitsliebe trium¬
phierend aufgegangen ist.

Das nennt mau eine Inszenierung, und nach einer solchen Nervenanspcmnnng
ist die Buttersemmel mit Hamburger Rauchfleisch, die man zu erkämpfen eilt, schon
als Sedativ am Platze. Wenn aber alles so zugeht wie vor fünfundzwanzig Jahren
im Grimmischen Schießhause, so oft eine wandernde Schanspiclergesellschaft den Tell
gab, muß man sich da nicht vielmehr fragen, ob nach einer so mäßigen Erschütterung
des Nervensystems eine Stärkung wirkliches Bedürfnis sei?

Die beide» Pfeilschüsse, durch die im Tell die Katastrophe herbeigeführt und be¬
endet wird, haben das Eigentümliche, daß wir uns über ihre Wirkungen freuen und
doch mit eignen Augen deutlich sehen, daß in keinem von beiden Fällen ein Pfeil abge¬
schossen, oder wie es Schiller bezeichnet, abgedrückt wird. Zu tun ist zur Abstellung
dieses Übelstandes nichts, als was der Prestidigitateur Seiner Majestät des Schäds von
Persien und andrer gekrönter Häupter in ähnlichen Fällen tut, und was anch
Schiller nicht versäumt hat, nämlich das Auge des Zuschauers auf Zwischenfälle ab¬
zulenken, wie das in Altorf durch Aus, in der hohlen Gasse durch Armgards Dci-
zwischenkunft mehr versucht als erreicht wird. Denn beide Versuche werden bei
der Mehrzahl unsrer Zeitgenossen durch den Wunsch und die Gewohnheit, klar¬
zusehen, im Keime erstickt.

Was insbesondre den Apfclschnß anlangt, so weiß jeder, daß, wenn Ali sagt:


Ich hab ein schwort,
Und nier mir naht —

und wenn sich Berta zwischen ihn und den Landvogt wirft, was beiläufig gesagt
eine sehr schöne eqnestrische, um das jam «1s da>rr«z erinnernde Szene geben müßte,
der entscheidende Angenblick gekommen ist, und aller Angen haften auf dem Apfel,
der vom Pfeil getroffen an die Linde, vor der Waltl steht, angespießt werden müßte,
wie eine Trüffel an eine Poularde, der aber uur fällt und dann, wie Stanffacher
wahrheitsgetreu ausruft, „gefallen ist": so fällt beim Vogelschießen der Reichsapfel,
der Szepter oder eine der beiden Kronen, und es heißt dann ebenfalls: der Reichs¬
apfel, der Szepter ist gefallen. Wenn in diesem spannenden Angenblick ein einziges
mal ein Bühncntell wirklich schösse und den Apfel träfe, so würde diese vor das
Strafgericht gehörende Ungeheuerlichkeit zwar durch alle Zeitungen gehn, aber ich
Mochte zehn gegen eins wetten, daß weder Herr Käßmvdel noch Madame Piepen-
brink in einem solchen Falle auch nur vorübergehende Schwächeanwnndlungen zu be¬
kämpfen haben würden. Denn nnr wenn es auf Tod und Leben geht, wenn der
Künstler im Vertrauen auf die Zentrifugalkraft und die Richtigkeit der angestellten
Berechnungen im Loop oder im Hoop als Antipoden dahinrast, geschieht den
berechtigten Ansprüchen unsrer gebildeten Mitbürger volles Genüge.

Es ist, als wenn ich mich bei der Besprechung des Teils aus den Jnszenierungs-
sorgen nicht herausfinden könnte. Zum Glück habe ich den Leser darauf vorbereitet,
daß meine Bedenken bei diesem Stücke mehr der hiesigen Ausstattung als den Dar¬
stellern gelten. Ich muß noch den Holunderstrauch und die Dekorationen der vor
und in Teils Wohnung spielenden Szenen besprechen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/111>, abgerufen am 01.09.2024.