Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Leipziger Theaterplauderei

daß sie den Zuschauer stiefmütterlich behandle und thu ungefähr mit dem abspeise,
Was auf einem ohne Liebe und Genialität behandelten Kinderpuppentheatcr geleistet
wird, kaun man ihr nicht ersparen. Wie ein Mondregenbogen aussieht, weiß ich
leider nicht, denn ich gehöre zu den vielen, die, wie von der Finde bemerkt, "das
nicht gesehen haben," aber das, was das Leipziger Theater in dieser Beziehung
leistet, genügt mir vollkommen: ich nehme es mit Vergnügen auf Treu und Glauben
als naturgetreu hin und bin, wenn ich wahrend der Eßpause "still meines Weges"
nach dem Büffett gehe, auf die neu erworbne Kenntnis stolz. Sollte es denn für
eine Regie, die Mondregenbogen aus dem Nichts hervorzuzaubern versteht, so schwer
sein, den Prospekt der dem Rutil gegenüberliegenden Gebirge so einzurichten, daß,
man erst die vom Mond beschienenen Eisgipfel und den im Schimmer des Mond¬
lichts glänzenden See, dann das Vorglühen der seitwärts stehenden Bergriesen und-
eutlich, wenn die elektrische Soule des Propheten ihre ersten Strahlen über das
Land sendet, das gespensterhaft Wesenlose der in der ersten Morgenfrühe aus ihrem
Schlummer erwachende" Welt zu sehen glaubt?

Eine grau und violett übermalte Silhouette des gesamten dein Rutil gegenüber
liegenden Gebirgs- und Vorlandes, dem sich unten der See anschließt, und aus der.
die seinerzeit dem Mond oder der Frühsonue als Zielscheibe dienenden Flachen in
Gestalt weißer oder roter Transparente aufgehoben sind, ein diese Silhouette geuau
denkendes Phantom oder Gespenst ans violetter Gaze, worauf ein nur die Hauptzüge
der Landschaft wiedergebendes Hälbrelief durch mehrfach übereinander gefügte Gnze-
lagen gleichsam <z" pium-u'czn, nachgeahmt ist, mehrfache Gazeschleier, die, wenn sie her¬
untergelassen werden, den ganzen Prospekt verhüllen, und endlich ein transparenter
Himmel, der nach oben aufgerollt wird und die Farben des Sonnenaufgangs ver¬
gegenwärtigt, wie sie vom duftigste", zuerst die höchste" Wolkenschichten säumenden
Rosaviolett bis zum blendendsten Zitronengelb, dessen höchstes Licht erst unmittelbar
vor dem Erscheinen der Sonnenscheibe aufblitzt, in den überraschendsten Übergängen
wechseln, sind freilich für eine gelungne Inszenierung des Rütlischwurs unentbehr¬
liche Hilfsmittel. Aber wenn auch deren Beschaffung kostspielig ist, wie herrlich und
wahrhaft künstlerisch sind dafür die Effekte, die man mit ihnen erzielt.

Wenn der Vorhang aufgeht, liegt die Nacht mit geheimnisvollem, blaugrünen
Dunkel über der Matte, den Felsen, dem'See und deu Bergen. Deu Zuschauer
überkommt das Gefühl, daß er einem großartigen und weihevollen Schauspiel bei¬
wohnt: die Natur scheint zu ruhen, weder Fels noch Baum ist deutlich erkennbar,
nur die Gletscher leuchten in liberirdischem, blendendem Glanz aus der Ferne, während
sich Luna in dem von keinem Lüftchen bewegten See spiegelt. Wenn sie -- man
muß annehmen, daß die Scheibe des Vollmonds in heiterer Höhe über dem Zuschauer
schwimmt -- ihre Rundfahrt in hohem Bogen vollendet hat und mehr und mehr
hinter deu Bergen zu verschwinden beginnt, steigt allmählich an den dem Rutil gegen¬
über liegenden Gletschern ein erst leichter, dann immer dunkler werdender Schatten
empor, bis schließlich Gletscher und Berg im Nebel verschwinden; die Spiegelung
im See hat schon eine Weile vorher aufgehört.

Es ist uun völlig Nacht: auch den See und die Berge würde das Auge ver¬
geblich suchen. Da mit einem mal, etwa, wenn Baumgarten sagt:


Woh halsgefnhrlich ist, da stellt mich hin!

wird an einer Stelle, wo der Zuschauer nur Himmel und Wollen, aber keine Berge
vermutete, ein blaßrosa schimmernder scharf abgegrenzter Lichtfleck sichtbar, der nach
unter zu wächst, und dem noch einige andre folgen. Von den Bergen sieht man
nichts, nur die vom Frührot angestrahlten Wände schwimmen scharf umrissen im
farblosen Chaos. Ihr geradezu durchsichtiges Glühen -- darum sind eben die
Transparente unerläßlich -- nimmt mit jeder Sekunde zu, und wenn der Höhe¬
punkt dieser Jncandeseenz erreicht ist, und das feurige Rnbinrot wieder zu verblassen
beginnt, werden wie Geister, wie Schemen die Berge selbst sichtbar, indem sie sich


Leipziger Theaterplauderei

daß sie den Zuschauer stiefmütterlich behandle und thu ungefähr mit dem abspeise,
Was auf einem ohne Liebe und Genialität behandelten Kinderpuppentheatcr geleistet
wird, kaun man ihr nicht ersparen. Wie ein Mondregenbogen aussieht, weiß ich
leider nicht, denn ich gehöre zu den vielen, die, wie von der Finde bemerkt, „das
nicht gesehen haben," aber das, was das Leipziger Theater in dieser Beziehung
leistet, genügt mir vollkommen: ich nehme es mit Vergnügen auf Treu und Glauben
als naturgetreu hin und bin, wenn ich wahrend der Eßpause „still meines Weges"
nach dem Büffett gehe, auf die neu erworbne Kenntnis stolz. Sollte es denn für
eine Regie, die Mondregenbogen aus dem Nichts hervorzuzaubern versteht, so schwer
sein, den Prospekt der dem Rutil gegenüberliegenden Gebirge so einzurichten, daß,
man erst die vom Mond beschienenen Eisgipfel und den im Schimmer des Mond¬
lichts glänzenden See, dann das Vorglühen der seitwärts stehenden Bergriesen und-
eutlich, wenn die elektrische Soule des Propheten ihre ersten Strahlen über das
Land sendet, das gespensterhaft Wesenlose der in der ersten Morgenfrühe aus ihrem
Schlummer erwachende» Welt zu sehen glaubt?

Eine grau und violett übermalte Silhouette des gesamten dein Rutil gegenüber
liegenden Gebirgs- und Vorlandes, dem sich unten der See anschließt, und aus der.
die seinerzeit dem Mond oder der Frühsonue als Zielscheibe dienenden Flachen in
Gestalt weißer oder roter Transparente aufgehoben sind, ein diese Silhouette geuau
denkendes Phantom oder Gespenst ans violetter Gaze, worauf ein nur die Hauptzüge
der Landschaft wiedergebendes Hälbrelief durch mehrfach übereinander gefügte Gnze-
lagen gleichsam <z» pium-u'czn, nachgeahmt ist, mehrfache Gazeschleier, die, wenn sie her¬
untergelassen werden, den ganzen Prospekt verhüllen, und endlich ein transparenter
Himmel, der nach oben aufgerollt wird und die Farben des Sonnenaufgangs ver¬
gegenwärtigt, wie sie vom duftigste», zuerst die höchste» Wolkenschichten säumenden
Rosaviolett bis zum blendendsten Zitronengelb, dessen höchstes Licht erst unmittelbar
vor dem Erscheinen der Sonnenscheibe aufblitzt, in den überraschendsten Übergängen
wechseln, sind freilich für eine gelungne Inszenierung des Rütlischwurs unentbehr¬
liche Hilfsmittel. Aber wenn auch deren Beschaffung kostspielig ist, wie herrlich und
wahrhaft künstlerisch sind dafür die Effekte, die man mit ihnen erzielt.

Wenn der Vorhang aufgeht, liegt die Nacht mit geheimnisvollem, blaugrünen
Dunkel über der Matte, den Felsen, dem'See und deu Bergen. Deu Zuschauer
überkommt das Gefühl, daß er einem großartigen und weihevollen Schauspiel bei¬
wohnt: die Natur scheint zu ruhen, weder Fels noch Baum ist deutlich erkennbar,
nur die Gletscher leuchten in liberirdischem, blendendem Glanz aus der Ferne, während
sich Luna in dem von keinem Lüftchen bewegten See spiegelt. Wenn sie — man
muß annehmen, daß die Scheibe des Vollmonds in heiterer Höhe über dem Zuschauer
schwimmt — ihre Rundfahrt in hohem Bogen vollendet hat und mehr und mehr
hinter deu Bergen zu verschwinden beginnt, steigt allmählich an den dem Rutil gegen¬
über liegenden Gletschern ein erst leichter, dann immer dunkler werdender Schatten
empor, bis schließlich Gletscher und Berg im Nebel verschwinden; die Spiegelung
im See hat schon eine Weile vorher aufgehört.

Es ist uun völlig Nacht: auch den See und die Berge würde das Auge ver¬
geblich suchen. Da mit einem mal, etwa, wenn Baumgarten sagt:


Woh halsgefnhrlich ist, da stellt mich hin!

wird an einer Stelle, wo der Zuschauer nur Himmel und Wollen, aber keine Berge
vermutete, ein blaßrosa schimmernder scharf abgegrenzter Lichtfleck sichtbar, der nach
unter zu wächst, und dem noch einige andre folgen. Von den Bergen sieht man
nichts, nur die vom Frührot angestrahlten Wände schwimmen scharf umrissen im
farblosen Chaos. Ihr geradezu durchsichtiges Glühen — darum sind eben die
Transparente unerläßlich — nimmt mit jeder Sekunde zu, und wenn der Höhe¬
punkt dieser Jncandeseenz erreicht ist, und das feurige Rnbinrot wieder zu verblassen
beginnt, werden wie Geister, wie Schemen die Berge selbst sichtbar, indem sie sich


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0110" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/241324"/>
          <fw type="header" place="top"> Leipziger Theaterplauderei</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_463" prev="#ID_462"> daß sie den Zuschauer stiefmütterlich behandle und thu ungefähr mit dem abspeise,<lb/>
Was auf einem ohne Liebe und Genialität behandelten Kinderpuppentheatcr geleistet<lb/>
wird, kaun man ihr nicht ersparen. Wie ein Mondregenbogen aussieht, weiß ich<lb/>
leider nicht, denn ich gehöre zu den vielen, die, wie von der Finde bemerkt, &#x201E;das<lb/>
nicht gesehen haben," aber das, was das Leipziger Theater in dieser Beziehung<lb/>
leistet, genügt mir vollkommen: ich nehme es mit Vergnügen auf Treu und Glauben<lb/>
als naturgetreu hin und bin, wenn ich wahrend der Eßpause &#x201E;still meines Weges"<lb/>
nach dem Büffett gehe, auf die neu erworbne Kenntnis stolz. Sollte es denn für<lb/>
eine Regie, die Mondregenbogen aus dem Nichts hervorzuzaubern versteht, so schwer<lb/>
sein, den Prospekt der dem Rutil gegenüberliegenden Gebirge so einzurichten, daß,<lb/>
man erst die vom Mond beschienenen Eisgipfel und den im Schimmer des Mond¬<lb/>
lichts glänzenden See, dann das Vorglühen der seitwärts stehenden Bergriesen und-<lb/>
eutlich, wenn die elektrische Soule des Propheten ihre ersten Strahlen über das<lb/>
Land sendet, das gespensterhaft Wesenlose der in der ersten Morgenfrühe aus ihrem<lb/>
Schlummer erwachende» Welt zu sehen glaubt?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_464"> Eine grau und violett übermalte Silhouette des gesamten dein Rutil gegenüber<lb/>
liegenden Gebirgs- und Vorlandes, dem sich unten der See anschließt, und aus der.<lb/>
die seinerzeit dem Mond oder der Frühsonue als Zielscheibe dienenden Flachen in<lb/>
Gestalt weißer oder roter Transparente aufgehoben sind, ein diese Silhouette geuau<lb/>
denkendes Phantom oder Gespenst ans violetter Gaze, worauf ein nur die Hauptzüge<lb/>
der Landschaft wiedergebendes Hälbrelief durch mehrfach übereinander gefügte Gnze-<lb/>
lagen gleichsam &lt;z» pium-u'czn, nachgeahmt ist, mehrfache Gazeschleier, die, wenn sie her¬<lb/>
untergelassen werden, den ganzen Prospekt verhüllen, und endlich ein transparenter<lb/>
Himmel, der nach oben aufgerollt wird und die Farben des Sonnenaufgangs ver¬<lb/>
gegenwärtigt, wie sie vom duftigste», zuerst die höchste» Wolkenschichten säumenden<lb/>
Rosaviolett bis zum blendendsten Zitronengelb, dessen höchstes Licht erst unmittelbar<lb/>
vor dem Erscheinen der Sonnenscheibe aufblitzt, in den überraschendsten Übergängen<lb/>
wechseln, sind freilich für eine gelungne Inszenierung des Rütlischwurs unentbehr¬<lb/>
liche Hilfsmittel. Aber wenn auch deren Beschaffung kostspielig ist, wie herrlich und<lb/>
wahrhaft künstlerisch sind dafür die Effekte, die man mit ihnen erzielt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_465"> Wenn der Vorhang aufgeht, liegt die Nacht mit geheimnisvollem, blaugrünen<lb/>
Dunkel über der Matte, den Felsen, dem'See und deu Bergen. Deu Zuschauer<lb/>
überkommt das Gefühl, daß er einem großartigen und weihevollen Schauspiel bei¬<lb/>
wohnt: die Natur scheint zu ruhen, weder Fels noch Baum ist deutlich erkennbar,<lb/>
nur die Gletscher leuchten in liberirdischem, blendendem Glanz aus der Ferne, während<lb/>
sich Luna in dem von keinem Lüftchen bewegten See spiegelt. Wenn sie &#x2014; man<lb/>
muß annehmen, daß die Scheibe des Vollmonds in heiterer Höhe über dem Zuschauer<lb/>
schwimmt &#x2014; ihre Rundfahrt in hohem Bogen vollendet hat und mehr und mehr<lb/>
hinter deu Bergen zu verschwinden beginnt, steigt allmählich an den dem Rutil gegen¬<lb/>
über liegenden Gletschern ein erst leichter, dann immer dunkler werdender Schatten<lb/>
empor, bis schließlich Gletscher und Berg im Nebel verschwinden; die Spiegelung<lb/>
im See hat schon eine Weile vorher aufgehört.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_466"> Es ist uun völlig Nacht: auch den See und die Berge würde das Auge ver¬<lb/>
geblich suchen.  Da mit einem mal, etwa, wenn Baumgarten sagt:</p><lb/>
          <quote> Woh halsgefnhrlich ist, da stellt mich hin!</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_467" next="#ID_468"> wird an einer Stelle, wo der Zuschauer nur Himmel und Wollen, aber keine Berge<lb/>
vermutete, ein blaßrosa schimmernder scharf abgegrenzter Lichtfleck sichtbar, der nach<lb/>
unter zu wächst, und dem noch einige andre folgen. Von den Bergen sieht man<lb/>
nichts, nur die vom Frührot angestrahlten Wände schwimmen scharf umrissen im<lb/>
farblosen Chaos. Ihr geradezu durchsichtiges Glühen &#x2014; darum sind eben die<lb/>
Transparente unerläßlich &#x2014; nimmt mit jeder Sekunde zu, und wenn der Höhe¬<lb/>
punkt dieser Jncandeseenz erreicht ist, und das feurige Rnbinrot wieder zu verblassen<lb/>
beginnt, werden wie Geister, wie Schemen die Berge selbst sichtbar, indem sie sich</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0110] Leipziger Theaterplauderei daß sie den Zuschauer stiefmütterlich behandle und thu ungefähr mit dem abspeise, Was auf einem ohne Liebe und Genialität behandelten Kinderpuppentheatcr geleistet wird, kaun man ihr nicht ersparen. Wie ein Mondregenbogen aussieht, weiß ich leider nicht, denn ich gehöre zu den vielen, die, wie von der Finde bemerkt, „das nicht gesehen haben," aber das, was das Leipziger Theater in dieser Beziehung leistet, genügt mir vollkommen: ich nehme es mit Vergnügen auf Treu und Glauben als naturgetreu hin und bin, wenn ich wahrend der Eßpause „still meines Weges" nach dem Büffett gehe, auf die neu erworbne Kenntnis stolz. Sollte es denn für eine Regie, die Mondregenbogen aus dem Nichts hervorzuzaubern versteht, so schwer sein, den Prospekt der dem Rutil gegenüberliegenden Gebirge so einzurichten, daß, man erst die vom Mond beschienenen Eisgipfel und den im Schimmer des Mond¬ lichts glänzenden See, dann das Vorglühen der seitwärts stehenden Bergriesen und- eutlich, wenn die elektrische Soule des Propheten ihre ersten Strahlen über das Land sendet, das gespensterhaft Wesenlose der in der ersten Morgenfrühe aus ihrem Schlummer erwachende» Welt zu sehen glaubt? Eine grau und violett übermalte Silhouette des gesamten dein Rutil gegenüber liegenden Gebirgs- und Vorlandes, dem sich unten der See anschließt, und aus der. die seinerzeit dem Mond oder der Frühsonue als Zielscheibe dienenden Flachen in Gestalt weißer oder roter Transparente aufgehoben sind, ein diese Silhouette geuau denkendes Phantom oder Gespenst ans violetter Gaze, worauf ein nur die Hauptzüge der Landschaft wiedergebendes Hälbrelief durch mehrfach übereinander gefügte Gnze- lagen gleichsam <z» pium-u'czn, nachgeahmt ist, mehrfache Gazeschleier, die, wenn sie her¬ untergelassen werden, den ganzen Prospekt verhüllen, und endlich ein transparenter Himmel, der nach oben aufgerollt wird und die Farben des Sonnenaufgangs ver¬ gegenwärtigt, wie sie vom duftigste», zuerst die höchste» Wolkenschichten säumenden Rosaviolett bis zum blendendsten Zitronengelb, dessen höchstes Licht erst unmittelbar vor dem Erscheinen der Sonnenscheibe aufblitzt, in den überraschendsten Übergängen wechseln, sind freilich für eine gelungne Inszenierung des Rütlischwurs unentbehr¬ liche Hilfsmittel. Aber wenn auch deren Beschaffung kostspielig ist, wie herrlich und wahrhaft künstlerisch sind dafür die Effekte, die man mit ihnen erzielt. Wenn der Vorhang aufgeht, liegt die Nacht mit geheimnisvollem, blaugrünen Dunkel über der Matte, den Felsen, dem'See und deu Bergen. Deu Zuschauer überkommt das Gefühl, daß er einem großartigen und weihevollen Schauspiel bei¬ wohnt: die Natur scheint zu ruhen, weder Fels noch Baum ist deutlich erkennbar, nur die Gletscher leuchten in liberirdischem, blendendem Glanz aus der Ferne, während sich Luna in dem von keinem Lüftchen bewegten See spiegelt. Wenn sie — man muß annehmen, daß die Scheibe des Vollmonds in heiterer Höhe über dem Zuschauer schwimmt — ihre Rundfahrt in hohem Bogen vollendet hat und mehr und mehr hinter deu Bergen zu verschwinden beginnt, steigt allmählich an den dem Rutil gegen¬ über liegenden Gletschern ein erst leichter, dann immer dunkler werdender Schatten empor, bis schließlich Gletscher und Berg im Nebel verschwinden; die Spiegelung im See hat schon eine Weile vorher aufgehört. Es ist uun völlig Nacht: auch den See und die Berge würde das Auge ver¬ geblich suchen. Da mit einem mal, etwa, wenn Baumgarten sagt: Woh halsgefnhrlich ist, da stellt mich hin! wird an einer Stelle, wo der Zuschauer nur Himmel und Wollen, aber keine Berge vermutete, ein blaßrosa schimmernder scharf abgegrenzter Lichtfleck sichtbar, der nach unter zu wächst, und dem noch einige andre folgen. Von den Bergen sieht man nichts, nur die vom Frührot angestrahlten Wände schwimmen scharf umrissen im farblosen Chaos. Ihr geradezu durchsichtiges Glühen — darum sind eben die Transparente unerläßlich — nimmt mit jeder Sekunde zu, und wenn der Höhe¬ punkt dieser Jncandeseenz erreicht ist, und das feurige Rnbinrot wieder zu verblassen beginnt, werden wie Geister, wie Schemen die Berge selbst sichtbar, indem sie sich

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/110
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_241213/110>, abgerufen am 26.11.2024.