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Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr.

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Der Marquis von Marigny

seinen Stolz tiefer und nachhaltiger verletzen als sein Herz. Wie die meisten
Menschen, die sich vor dem Kommenden fürchten, verstand auch Marigny, sich mit
dem einmal Geschehenen, dem Unabänderlichen unglaublich schnell abzufinden. Was
in der Luft schwebte, konnte ihm die Ruhe rauben; das Vollendete lag hinter ihm
und war für ihn abgetan.

Was er empfand, war zunächst nur Ärger, Ärger, wie ihn etwa der unauf¬
merksame oder leichtsinnige Spieler verspürt, der durch seine eigne Schuld die
Partie verloren hat. Durch seine eigne Schuld -- in dieser Tatsache lag sogar
em gewisser Trost. Er war es selbst, der seiner Tochter den Rat erteilt hatte,
den sie -- ach, nur allzu genau! -- befolgt. Er konnte nicht anders, er mußte
ihren Mut bewundern, den Mut des Gehorsams und den Mut, mit dem sie der
gemeinen Not des Lebens entgegenging. Und dieses tapfre Mädchen war seiue
Tochter! Auch darin lag ein Trost, ein Tröpfchen Honig wenigstens, das seine
Eitelkeit mit Begierde aufsog. Wir Marignys haben nun einmal die Eigentüm¬
lichkeit, vor keinem Hindernis zurückzuschrecken und unser Ziel zu verfolgen, koste
es, was es wolle, so tröstete er sich selbst; kann Marguerite dafür, daß sie eine
Marigny ist? Ach, anch darin hatte das Mädchen Recht gehabt -- es bedürfte
diesem Vater gegenüber keiner Rechtfertigung I In seinem innersten Herzen hatte
er ihr längst verzieh". Aber auch er war ein Marigny, und wenn Marguerite
einen eisernen Kopf hatte, so erwuchs ihm, dem Vater, daraus die Verpflichtung,
einen Kopf aus Stahl zu haben, denn er war ein Mann, gehämmert und geglüht,
gekühlt und gehärtet in den Kämpfen des Lebens. Und nnn saß er da mit seinem
Kopfe von Stahl und überlegte, auf welche Weise er der Welt die Überzeugung
beibringen könne, daß auch er ein Marigny sei. Und weil er wie fast alle inner¬
lich schwachen Naturen Energie mit Starrsinn und Charakterstärke mit Trotz ver¬
wechselte, so verfiel er auf das törichte Auskunftsmittel, sich aufs Schmollen zu
verlegen und seine Tochter, die ihn vor der Welt bloßgestellt hatte, nun vor der
Welt zu verleugnen.

Er erhob sich, klingelte und rief nach Licht. Die Wittib Haßlacher erschien,
zaghaft und leise, als trage sie die Verantwortung für das, was in ihrem Hause
geschehn war, und stellte den Leuchter auf den Tisch. Marigny beobachtete sie mit
argwöhnischen Blicken; eine Ahnung mochte ihm sagen, daß die Alte von dem An¬
schlage gewußt hatte.

Haben Sie den Schimpfen. Madame? fragte er barsch, als die Wittib, nnn
böllig°eingeschüchtert, auf die seltsamste Art zu schnaufen und zu schlucken begann.

Diese Frage, die unter andern Umständen die einfache Bürgersfrau höchst
schmeichelhaft berührt haben würde, raubte ihr -- in diesem Augenblick ein Doku¬
ment unbeschreiblicher Lieblosigkeit - deu letzten Nest ihrer Fassung und entfesselte
einen Ausdruck, des Schmerzes, der dem entmenschtesten Henkersknechte eine Träne
teilnehmender Rührung abgepreßt hätte. Aber der Marquis war ein Marigny,
und für einen Marigny gab es keine Tränen der Rührung.

Er hatte sich auf eine der Armlehnen des Kanapees gesetzt, wo er sicher war,
nicht mit den gewaltsam bewegten, von Sekunde zu Sekunde feuchter werdenden
Schürzenzipfeln in Kontakt zu kommen, und ließ den Sturm an sich vorübertoben.

Endlich schlug er mit der flachen Hand, deren Finger bis jetzt einen Marsch
getrommelt hatten, kräftig auf die Tischplatte und sagte mit dem gleichmütigsten
Gesichtsausdrucke: Darf ich mir die Frage erlauben, Madame, ans welchen: Grunde
Sie mein Zimmer -- hören Sie: mein Zimmer! -- zu einer Arena Ihrer
Leidenschaften machen und mich zwingen, einem Schauspiele beizuwohnen, das mir
ebenso langweilig wie widerwärtig ist?

Die Wittib sah ihn mit schmerzlichem Erstaunen an. bemühte sich, den Träncn-
strom einzudämmen, und stieß nnter fortwährendem Schluchzen die Worte hervor:
Ach du - grund gütiger -- Himmel! - - Unsre De--moi - selle -- Ihre -
Tochter!


Der Marquis von Marigny

seinen Stolz tiefer und nachhaltiger verletzen als sein Herz. Wie die meisten
Menschen, die sich vor dem Kommenden fürchten, verstand auch Marigny, sich mit
dem einmal Geschehenen, dem Unabänderlichen unglaublich schnell abzufinden. Was
in der Luft schwebte, konnte ihm die Ruhe rauben; das Vollendete lag hinter ihm
und war für ihn abgetan.

Was er empfand, war zunächst nur Ärger, Ärger, wie ihn etwa der unauf¬
merksame oder leichtsinnige Spieler verspürt, der durch seine eigne Schuld die
Partie verloren hat. Durch seine eigne Schuld — in dieser Tatsache lag sogar
em gewisser Trost. Er war es selbst, der seiner Tochter den Rat erteilt hatte,
den sie — ach, nur allzu genau! — befolgt. Er konnte nicht anders, er mußte
ihren Mut bewundern, den Mut des Gehorsams und den Mut, mit dem sie der
gemeinen Not des Lebens entgegenging. Und dieses tapfre Mädchen war seiue
Tochter! Auch darin lag ein Trost, ein Tröpfchen Honig wenigstens, das seine
Eitelkeit mit Begierde aufsog. Wir Marignys haben nun einmal die Eigentüm¬
lichkeit, vor keinem Hindernis zurückzuschrecken und unser Ziel zu verfolgen, koste
es, was es wolle, so tröstete er sich selbst; kann Marguerite dafür, daß sie eine
Marigny ist? Ach, anch darin hatte das Mädchen Recht gehabt — es bedürfte
diesem Vater gegenüber keiner Rechtfertigung I In seinem innersten Herzen hatte
er ihr längst verzieh«. Aber auch er war ein Marigny, und wenn Marguerite
einen eisernen Kopf hatte, so erwuchs ihm, dem Vater, daraus die Verpflichtung,
einen Kopf aus Stahl zu haben, denn er war ein Mann, gehämmert und geglüht,
gekühlt und gehärtet in den Kämpfen des Lebens. Und nnn saß er da mit seinem
Kopfe von Stahl und überlegte, auf welche Weise er der Welt die Überzeugung
beibringen könne, daß auch er ein Marigny sei. Und weil er wie fast alle inner¬
lich schwachen Naturen Energie mit Starrsinn und Charakterstärke mit Trotz ver¬
wechselte, so verfiel er auf das törichte Auskunftsmittel, sich aufs Schmollen zu
verlegen und seine Tochter, die ihn vor der Welt bloßgestellt hatte, nun vor der
Welt zu verleugnen.

Er erhob sich, klingelte und rief nach Licht. Die Wittib Haßlacher erschien,
zaghaft und leise, als trage sie die Verantwortung für das, was in ihrem Hause
geschehn war, und stellte den Leuchter auf den Tisch. Marigny beobachtete sie mit
argwöhnischen Blicken; eine Ahnung mochte ihm sagen, daß die Alte von dem An¬
schlage gewußt hatte.

Haben Sie den Schimpfen. Madame? fragte er barsch, als die Wittib, nnn
böllig°eingeschüchtert, auf die seltsamste Art zu schnaufen und zu schlucken begann.

Diese Frage, die unter andern Umständen die einfache Bürgersfrau höchst
schmeichelhaft berührt haben würde, raubte ihr — in diesem Augenblick ein Doku¬
ment unbeschreiblicher Lieblosigkeit - deu letzten Nest ihrer Fassung und entfesselte
einen Ausdruck, des Schmerzes, der dem entmenschtesten Henkersknechte eine Träne
teilnehmender Rührung abgepreßt hätte. Aber der Marquis war ein Marigny,
und für einen Marigny gab es keine Tränen der Rührung.

Er hatte sich auf eine der Armlehnen des Kanapees gesetzt, wo er sicher war,
nicht mit den gewaltsam bewegten, von Sekunde zu Sekunde feuchter werdenden
Schürzenzipfeln in Kontakt zu kommen, und ließ den Sturm an sich vorübertoben.

Endlich schlug er mit der flachen Hand, deren Finger bis jetzt einen Marsch
getrommelt hatten, kräftig auf die Tischplatte und sagte mit dem gleichmütigsten
Gesichtsausdrucke: Darf ich mir die Frage erlauben, Madame, ans welchen: Grunde
Sie mein Zimmer — hören Sie: mein Zimmer! — zu einer Arena Ihrer
Leidenschaften machen und mich zwingen, einem Schauspiele beizuwohnen, das mir
ebenso langweilig wie widerwärtig ist?

Die Wittib sah ihn mit schmerzlichem Erstaunen an. bemühte sich, den Träncn-
strom einzudämmen, und stieß nnter fortwährendem Schluchzen die Worte hervor:
Ach du - grund gütiger — Himmel! - - Unsre De—moi - selle — Ihre -
Tochter!


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[0813] Der Marquis von Marigny seinen Stolz tiefer und nachhaltiger verletzen als sein Herz. Wie die meisten Menschen, die sich vor dem Kommenden fürchten, verstand auch Marigny, sich mit dem einmal Geschehenen, dem Unabänderlichen unglaublich schnell abzufinden. Was in der Luft schwebte, konnte ihm die Ruhe rauben; das Vollendete lag hinter ihm und war für ihn abgetan. Was er empfand, war zunächst nur Ärger, Ärger, wie ihn etwa der unauf¬ merksame oder leichtsinnige Spieler verspürt, der durch seine eigne Schuld die Partie verloren hat. Durch seine eigne Schuld — in dieser Tatsache lag sogar em gewisser Trost. Er war es selbst, der seiner Tochter den Rat erteilt hatte, den sie — ach, nur allzu genau! — befolgt. Er konnte nicht anders, er mußte ihren Mut bewundern, den Mut des Gehorsams und den Mut, mit dem sie der gemeinen Not des Lebens entgegenging. Und dieses tapfre Mädchen war seiue Tochter! Auch darin lag ein Trost, ein Tröpfchen Honig wenigstens, das seine Eitelkeit mit Begierde aufsog. Wir Marignys haben nun einmal die Eigentüm¬ lichkeit, vor keinem Hindernis zurückzuschrecken und unser Ziel zu verfolgen, koste es, was es wolle, so tröstete er sich selbst; kann Marguerite dafür, daß sie eine Marigny ist? Ach, anch darin hatte das Mädchen Recht gehabt — es bedürfte diesem Vater gegenüber keiner Rechtfertigung I In seinem innersten Herzen hatte er ihr längst verzieh«. Aber auch er war ein Marigny, und wenn Marguerite einen eisernen Kopf hatte, so erwuchs ihm, dem Vater, daraus die Verpflichtung, einen Kopf aus Stahl zu haben, denn er war ein Mann, gehämmert und geglüht, gekühlt und gehärtet in den Kämpfen des Lebens. Und nnn saß er da mit seinem Kopfe von Stahl und überlegte, auf welche Weise er der Welt die Überzeugung beibringen könne, daß auch er ein Marigny sei. Und weil er wie fast alle inner¬ lich schwachen Naturen Energie mit Starrsinn und Charakterstärke mit Trotz ver¬ wechselte, so verfiel er auf das törichte Auskunftsmittel, sich aufs Schmollen zu verlegen und seine Tochter, die ihn vor der Welt bloßgestellt hatte, nun vor der Welt zu verleugnen. Er erhob sich, klingelte und rief nach Licht. Die Wittib Haßlacher erschien, zaghaft und leise, als trage sie die Verantwortung für das, was in ihrem Hause geschehn war, und stellte den Leuchter auf den Tisch. Marigny beobachtete sie mit argwöhnischen Blicken; eine Ahnung mochte ihm sagen, daß die Alte von dem An¬ schlage gewußt hatte. Haben Sie den Schimpfen. Madame? fragte er barsch, als die Wittib, nnn böllig°eingeschüchtert, auf die seltsamste Art zu schnaufen und zu schlucken begann. Diese Frage, die unter andern Umständen die einfache Bürgersfrau höchst schmeichelhaft berührt haben würde, raubte ihr — in diesem Augenblick ein Doku¬ ment unbeschreiblicher Lieblosigkeit - deu letzten Nest ihrer Fassung und entfesselte einen Ausdruck, des Schmerzes, der dem entmenschtesten Henkersknechte eine Träne teilnehmender Rührung abgepreßt hätte. Aber der Marquis war ein Marigny, und für einen Marigny gab es keine Tränen der Rührung. Er hatte sich auf eine der Armlehnen des Kanapees gesetzt, wo er sicher war, nicht mit den gewaltsam bewegten, von Sekunde zu Sekunde feuchter werdenden Schürzenzipfeln in Kontakt zu kommen, und ließ den Sturm an sich vorübertoben. Endlich schlug er mit der flachen Hand, deren Finger bis jetzt einen Marsch getrommelt hatten, kräftig auf die Tischplatte und sagte mit dem gleichmütigsten Gesichtsausdrucke: Darf ich mir die Frage erlauben, Madame, ans welchen: Grunde Sie mein Zimmer — hören Sie: mein Zimmer! — zu einer Arena Ihrer Leidenschaften machen und mich zwingen, einem Schauspiele beizuwohnen, das mir ebenso langweilig wie widerwärtig ist? Die Wittib sah ihn mit schmerzlichem Erstaunen an. bemühte sich, den Träncn- strom einzudämmen, und stieß nnter fortwährendem Schluchzen die Worte hervor: Ach du - grund gütiger — Himmel! - - Unsre De—moi - selle — Ihre - Tochter!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 62, 1903, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341877_240381/813>, abgerufen am 24.08.2024.